6. Jahrgang
FREITAG, 11. AUGUST 1950
Nummer 123
Ein Auto fährt mit Wasser
Es rollt bereits in den Straßen Münchens
MÜNCHEN. (Eig. Bericht) — Seit Benz und Daimler ihr erstes ’/j-PS-Automobil bauten, ist man immer zielbewußter daran gegangen, den Benzinverbrauch auf ein Minimum herabzudrücken. Trotz der Grenzen aber, die dieser Entwicklung gesetzt sind, blieb das benzinlose, nur mit Wasser fahrende Auto immer ein Wunschtraum der Erfinder. Als Wunder, wenn auch nur in gewissem Grade, kann daher gelten, daß es dem 67jährigen Münchener Ingenieur Hans Gebhardt gelang, einen benzinlosen Kraftwagen zu konstruiern • und patentieren zu lassen, dessen Betriebsstoff tatsächlich überwiegend aus Wasser besteht.
Es ist klar, daß Wasser allein keinen Automotor treibt. Der übliche Verbrennungsmotor benötigt bekanntlich ein Gas. Als erfahrener Fachmann im Schweißgerätebau, wo das aus Karbid und Wasser erzeugte Azetylengas als Brennstoff verwendet wird, kam Ingenieur Gebhard nun auf die Idee, Azetylen als Treibgas für Automotore zu benützen. Er ging damit an ein altes Problem heran, das andere vor ihm nicht zu lösen vermochten, weil sie „die Flinte zu früh ins Korn warfen“. Denn einerseits besitzt Azetylengas den Vorteil, daß es mit rund 14 500 Kalorien pro Liter das Benzin um fast das Doppelte übertrifft und somit eine enorme Antriebskraft entwickeln kann, andererseits aber — und hier liegt das Problem! — hat das Azetylengas die störende Eigenschaft, bei einer Verdichtung von drei Atmosphären Ueberdruck ohne Zündung von selbst zu explodieren, 'was Früh- und Fehlzündungen zur Folge hat. Unter solchen Umständen kann aber ein Motor, der zu entsprechender Leistung einen Kompressionsdruck von fünf bis sechs Atmosphären benötigt, niemals auf Touren kommen.
Hans Gebhardt hat diese Schwierigkeit überwunden und berichtet darüber: „Ich habe in zehn Jahren eine äußerst kleine Einrichtung entwickelt, die in jeden Kraftwagen ohne Aenderungen eingebaut werden kann. Eine am Auspuff angeordnete Retorte enthält vier bis sechs Torfstücke — etwa 1000 Gramm für
Kiruna — Stadt der
In Lappland. 1500 Kilometer nordwestlich von Stockholm und 200 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt die vielleicht abenteuerlichste Stadt des technischen Zeitalters: Kiruna. Sip ist erst fünfzig Jahre alt und Tummelplatz der Maschinen-Roboter. Bis zu 30 000 Tonnen Eisenerz werden täglich in Kiruna gebrochen, zermahlen, in Spezialwagenzüge geschüttet und auf der elektrischen Eisenbahn nach Narvik verfrachtet. Während dieser Arbeitsvorgänge wird das Eisenerz von keiner Menschenhand berührt. Die Techniker von Kiruna drücken nur auf Schalterknöpfe oder betätigen Handgriffe der Maschinen-Roboter, die alle komplizierten und schweren Arbeiten ausführen. Täglich gehen Eisenerze im Werte von fast einer Million Kronen auf die Reise nach Narvik. Jährlich werden ca. 8 Millionen Tonnen Erz verschickt, ihr Exportwert beträgt zwischen 250 bis 300 Millionen Kronen.
Die berühmte Erdbahn Kiruna—Narvik fährt 120 Kilometer lang auf schwedischem Territorium und 30 Kilometer auf norwegischem. Sie ist zwar nur eingleisig, aber die Zugfolge ist so dicht, daß bis zu 1000 Wagen am Tag zwischen Kiruna und Narvik rollen. Das Erz ist eine schwere Last und der Verschleiß an Schienen bei dieser Beanspruchung so groß, daß sie jedes Jahr erneuert werden müssen.
Kirunas 19 000 Einwohner haben es gut. Ihre kleine Stadt besitzt die modernste Straßenbahn der Welt. Jedermann darf sie unentgeltlich benutzen. Dafür müssen sie einen unglaublich langen Winter in Kauf nehmen. In diesem Jahr saß König Frost noch am 12. Juni in der Stadt. Es schneite an diesem Tage so stark,
100 Kilometer —, die beim Start durch eine elektrisch zündbare Stichflamme, später durch die Auspuffhitze, Schwelgas abgeben. Gleichzeitig entsteht in dieser Retorte Wasserdampf, der mit dem Schwelgas durch eine zweite Metallretorte geleitet wird, die Azetylen enthält. Die Vereinigung der Schwelgase mit Azetylen und Wasserdampf ergibt Azetyl- Wasserstoffgas, das dem Motor über den nor- rhalen Vergaser zugeführt wird. Dieses Kombinationsgas hat 9500 Kalorien, also nicht mehr die außerordentliche Brisanz des reinen Azetylens, dessen unangenehme Eigenschaften damit ausgeschaltet sind. Es ist aber dem Benzin immer noch um mehr als 2000 Kalorien überlegen, wodurch die Motorleistung und zugleich die Fahrgeschwindigkeit ohne Gefahr
mg. „Hiermit beehren wir uns, die glückliche Geburt unserer Tochter Gerti anzuzeigen. Wilhelm Schulze und Frau Erna, Lüneburg.“ An dieser in keiner Weise ungewöhnlichen Anzeige stimmt alles, bis auf die Narren der Eltern. Während aber alle Freunde und Lieferanten der Schutzes sich beeilten, ihre Glückwünsche für den Familienzuwachs zu übermitteln, sagte der Standesbeamte kategorisch „Nein!“ Und dieses Nein bezog sich eindeutig auf den Namen von Fräulein Schulze, genauer gesagt: auf den Vornamen. „Gerti kann ich nicht in das Register eintragen, denn aus diesem Namen ist das Geschlecht des Kindes nicht ersichtlich. Das aber verlangt das Gesetz!“
Herr Schulze, in der Meinung, über den Namen seines Kindes selbst oder allenfalls noch in Verbindung mit seinem angetrauten Weibe entscheiden zu können, protestierte. Vergeblich. Der Beamte wußte es besser und ließ sich auf gar nichts ein. ..Wo bleibt da die Demokratie?“ fragte Herr Schulze. „Und die
Maschinen-Roboter
daß die Straßen 15 cm hoch mit Schnee bedeckt waren. Am 13. Juni brach die Sonne zum ersten Male durch, nach vielen Monaten. Sie schien fast 24 Stunden lang ununterbrochen und mit großer Kraft. Der Schnee schmolz im Nu und man sah förmlich, wie die Knospen der Birken schwollen. Der Frühling hatte in Kiruna begonnen. Zwei Tage später hatte sich das Laub entfaltet t- es war Sommer.
Kirunas Eisenerz liegt als Ader zwischen zwei Bergrücken, die die Stadt einschließen. Sprengungen räumen die bedeckende Gesteinschicht beiseite. Mit 2000 Kilo Dynamit, die für eine normale Sprengung gebraucht werden, legt man 25 000 Tonnen Eisenerz frei. 250 000 Erzwagen rollen jährlich durch diese grandiose Einöde, die an die Worte der Schöpfungsgeschichte erinnert: „Und die Erde war wüst und leer.“ Auf dem ganzen Wege nach Narvik sieht man weder Menschen noch Bäume. nur zerzaustes Gebüsch. Felsbrocken, zugefrorene Seen und Schneegipfel.
In Narvik liegen am Erzkai internationale Frachter „Schlange“. Die Wagen kommen herangerollt und entladen mit Donnergetöse ihre 35 Tonnen Erz in die Bäuche der Dampfer. In einer Stunde schaffen die Roboter 1000 Tonnen, aber es soll nicht mehr lange bei dieser „saumseligen“ Arbeitsweise bleiben. Schon ist ein neuer Erzkai im Bau, der demnächst fertig sein wird. Dann brauchen sich die Erzschiffe mit den internationalen Flaggen am Heck nicht mehr anzureihen. Am neuen Kai werden die Roboter vier bis fünf Dampfer zugleich in ständig fließendem Strom mit dem kostbaren Erz beladen können. H. Chr. Hv.
erheblich steigen. Das häufige Schalten erübrigt sich, man kann sogar im dritten Gang leicht wegfahren. Ein „Ersaufen“ des Motors oder Verrußen der Kerzen sind unmöglich, da rückstandslos verbrennendes Gas in- den Zylinder gelangt. Aus diesem Grunde besteht auch bei Kälte sofortige Startbereitschaft. Die Betriebssicherheit gegenüber Benzin ist erwiesenermaßen größer, irgendwelche Gerüche oder Schwierigkeiten in der Handhabung treten nicht auf.“
Eine Probefahrt zeigt, daß Ingenieur Gebhardts Angaben genau stimmen: auf hundert Kilometer braucht sein Fahrzeug sechs kleine Stücke Torf für ein paar Pfennige, einige Kilo Kalzium-Karbid und — zwölf Liter Wasser. Nach beendeter Fahrt, die nur ein Drittel der üblichen Benzinkosten verursacht hat, zeigt Hans Gebhardt noch, wie einfach und sauber die Nachfüllung vor sich geht. Er nimmt eine Gießkanne und tankt für die nächsten hundert Kilometer: genau zwölf Liter Wasser.
garantierte Freiheit der persönlichen Entscheidung?“ — „Auch die Demokratie“, erklärte der Beamte, „braucht Gesetze. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder ... Nein! Gerti geht nicht!“ Und dabei blieb er. Fräulein Schulze hat vorläufig nur einen Familiennamen. Der Platz für den Vornamen auf der amtlichen Geburtsurkunde bleibt einstweilen frei.
Vater Schulze steht nach besagtem Gesetz das Recht zur Beschwerde beim Amtsgericht zu. „Das wollen wir doch mal sehen, ob ich mein Kind nicht nennen kann, wie ich will. Tausende Kinder heißen Gerti, warum meins nicht?“ Er will den Beschwerdeweg gehen, mag der auch noch so beschwerlich für ihn selber werden. Vater Schulze glaubt" sich im Recht. Der Standesbeamte aber auch, und er hat immerhin den Vorteil, es schwarz auf weiß zu besitzen.. Er kann seinen Gegner sogar zwingen, denn es gibt da einen Paragraphen in dem Gesetz (er trägt die Nr. 69), der Herrn Schulze mit empfindlichen Geldstrafen belegt, wenn er sich weigert, seinem Kinde einen der Behörde genehmen Namen zu geben.
Die Sympathien der Lüneburger, die an dem Papierkrieg um Gerti amüsierten Anteil nehmen, stehen auf Seiten der Eltern. Und zwar schon allein deshalb, weil sie — wie die Menschen anderer Städte auch — der durch nichts begründeten Ansicht sind, die Behörden hätten sich tunlichst nicht in reine Familiengeschichten zu mischen. Wie sehr sie damit auf dem Holzwege sind, zeigt die Wissenschaft in Gestalt der „Gesellschaft für Deutsche Sprache“. Auch nach ihrer Ansicht ist „Gerti“ nur ein Kosename wie Putzi oder Schnucki. Amtlich kann er keineswegs anerkannt werden. Vater Schulze schert das nicht. Er ist ein Dickkopf. Das namenlose Baby äußerte noch keine verständliche eigene Meinung. So wird der Papierkrieg also bis zum — wie wir fürchten müssen — bitteren Ende ausgefochten werden. Zum besseren Verständnis des Ganzen möge dienen, daß Lüneburg so ziemlich auf halbem Wege zwischen Schippenstedt und Mölln liegt. Ersterer ist der Geburts- und letzterer der Sterbeort des Schalks Till Eulenspiegel, dessen man gerade jetzt in Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit vielen Feiern gedenkt.
Mildi ohne Kälber
Durch Einpflanzung von Hormonen ist es amerikanischen Wissenschaftlern gelungen, unfruchtbare Kühe zur normalen Milcherzeugung zu bringen. Sie geben jetzt täglich die gleiche Milchmenge, die sie normalerweise nach dem Wurf von Kälbern haben würden. Die Kosten des neuen Verfahrens, das sich auch auf normale Kühe anwenden läßt, betragen 10 Dollar für eine Tragezeit. Es ist auf diese Weise möglich, in ausgesprochenen Molkereibetrieben das Trockenstehen der Kühe zukünftig auszuschalten.
tlentf eiten - nbev bie man fpvidft
Holz wird gehärtet
In Schweden ist ein neuartiges Härteverfahren für Holz patentiert worden. Die zurzeit stattfindenden Versuche haben zum Ziel, Naturhölzer durch Imprägnieren mit Methylal- karbanid hart wie Stein zu machen. Den Versuchen.bringt man. auch seitens des Auslandes größtes Interesse entgegen.
Gegossene Möbel
Eine amerikanische Forschungsgesellschaft, die Amour Research Foundation, hat ein Verfahren entwickelt, nach dem Möbel gewissermaßen im Kochtopf gewonnen werden. Fachleute sind der Auffassung, daß diese neuartigen Möbel eine große Zukunft haben. Fast jedes Möbelstück wird im ganzen gegossen. Die so hergestellten Serienmöbel werden auf Grund ihrer einfachen und schnellen Herstellungsweise äußerst niedrig im Preis liegen. Die Herstellung geht so vor sich, daß Holzschliffbrei in das Formstück gegossen wird. Diese Faserschicht wird durch Preßluft gelockert, mit Harzen getränkt und getrocknet. Im Anschluß daran wird das Möbelstück geschliffen. Bereits 1951 wollen die Hersteller in der Lage sein, Millionen dieser „Kochtopfmöbel“ auf den Markt zu werfen. Sie versprechen sich reißenden Absatz und ein gutes Geschäft auch in Europa, besonders in den zerstörten Gebieten. Durch die günstige Preisgestaltung ermöglichen sie es jungen Leuten, sich ohne Schwierigkeiten Möbel anzuschaffen und sich bequem einzurichten.
Möbel aus Kaffeebohnen
Brasilien, das bekanntlich an Kaffeeüberfluß leidet und den Ueberschuß schon verschiedentlich vernichtete, um die Preise nicht zu gefährden, ist auf eine neue Idee gekommen, den Ueberschuß gewinnbringender zu verwenden. Die Kaffeebohnen werden in eine zähe Masse verwandelt und mit Hilfe eines Zusatzes aus diesem Gemenge Möbelstücke gepreßt. Berichten zufolge sollen Zimmereinrichtungen dieser Art billiger sein als Holzmöbel und sich in allen Kreisen großer Beliebtheit erfreuen.
Unverbrennbares Papier
Von einer amerikanischen Firma wurde ein Papier auf den Markt gebracht, das effektiv unverbrennbar ist. Sie erzielte diesen Erfolg mit „Corpalin“, einer neuen chemischen Masse, die dem Papierbrei zugesetzt wird. Durchgeführte Versuche ergaben, daß das unverbrennbare Papier fast der Wirkung mittelguten Asbestes gleichkommt. Die große Bedeutung eines solchen Papiers liegt klar auf der Hand.
Kleinschweißapparat wurde entwickelt
Der amerikanischen Zeitschrift „Mechanix Illustrated“ zufolge hat eine New Yorker Fabrik einen Kleinschweißapparat entwickelt, der in interessierten Kreisen großen Anklang findet. Er kann an jede Lichtleitung angeschlossen und selbst von Nichtfachleuten bedient werden.
Der Schnellötkolben ist da
Als letzte Neuheit meldet die „Schalwi“ Berlin-Johannisthal einen Schnellötkolben. Durch die Eigenart seiner Konstruktion fällt die lange Anheizzeit fort. Dadurch wird er wirklich zu einem Schnellötkolben. In wenigen Minuten ist er betriebsfertig und die Löttemperatur erreicht. In diesem Augenblick wird auch der Strom unterbrochen, so daß der Energieverbrauch auf weniger als 10°/o herabgesetzt wird, gegenüber der bisherigen Methode. Ein Verzundern der Lötspitze ist nicht mehr möglich, darum ist das Gerät stets betriebsfertig. Das Gewicht des neuen Gerätes liegt unter 100 Gramm. Die Form des neuen Schneilöters weicht von der bisher üblichen ab. Durch den Wegfall der Widerstandspatrone ist eine schlanke Formung der Lötspitze möglich, wodurch eine bessere Uebersicht über die Lötspitze gegeben ist.
Der Erzstrom fließt / Die modernste Straßenbahn der Welt
Papierkrieg um Gerti
Namenloser Säugling erregt Gemüter
Karl Wendling
Zu seinem 75. Geburtstag
Am 10. August feierte Prof. Carl Wendling, der weltberühmte Geiger und Quartett-Primarius, seinen 75. Geburtstag. Weit über den Kreis seiner Schüler und Freunde hinaus nimmt die musikalische Welt an seinem Ehrentage Anteil und unendlich viele Menschen, denen der Begriff „Kammermusik“ etwas bedeutet, gedenken des großen Künstlers in Verehrung und Dankbarkeit, hat er ihnen doch in so vielen Jahren immer wieder tiefe und unauslöschliche Eindrücke durch seine klassische Interpretation vermittelt.
Carl Wendling stammt aus einer altelsässischen Familie; er wurde 1875 in Straßburg geboren und genoß dort seinen ersten Unterricht bei dem Joachim-Schüler Heinrich Schuster. 1894—99 studierte er in Berlin bei Joseph Joachim und Carl Halir und schon als 28jähriger war er 1. Konzertmeister der berühmten herzogl. Hofkapelle in Meiningen unter Fritz Steinbach, dem unvergeßlichen Brahms-Interpreten.
Als Wendling in dieser Zeit einmal eine militärische Uebung abzuleisten hatte, wurde er nach seinem Zivilberuf gefragt: „Hofkonzertmeister, Herr Feldwebel!“ Er wunderte sich, daß er daraufhin zum Küchendienst kommandiert wurde, was sich jedoch alsbald äufklärte: Der „Spieß“ hatte „Hofkonservenmeister“ verstanden!
Als 1. Konzertmeister kam Wendling 1903 — Nachfolger von Prof. Singer — an die kgl. Hofkapelle nach Stuttgart und führte dabei lange Jahre das Bayreuther Festspielhaus - Orchester unter seinen berühmten Dirigenten Felix Mottl, Karl Muck und Hans Richter. Zweimal wurde er von Hans Richter über die Saisonzeit für das „Royal Opera Orchester Coventgarden“ nach London verpflichtet und 1907—08 führte Wendling unter Karl Muck das weltberühmte Symphonie- Orchester in Boston. Verschiedene Anträge, in USA zu bleiben, lehnte er jedoch ab und 1909 kam er nach Stuttgart zurück, wo er kgl. Professor an der Hochschule für Musik wurde.
1929—40 war Wendling Direktor der Stuttgarter Staatl. Musikhochschule. Wer das Glück hatte, sein Schüler zu sein, der konnte in der Meisterklasse, in der Quartettklasse oder in dem unter seiner straffen Leitung stehenden Hochschul- Orchester die kategorisch geforderten Begriffe
„Präzision“, „Rhythmus“ und „Intonation“ hinreichend kennenlernen. Diese drei Grunddisziplinen jedes ordentlichen Streichers lagen dem verehrten, doch auch gefürchteten Meister besonders am Herzen. Bei einer Orchesterprobe klopfte er einmal ab, herrschte die Bratschen mit dem empört-aufmunternden „Intonatiooon!“ an und kommentierte dann: „Leut’, ihr spielt s o falsch, daß es fast wieder richtig wird!“ '
1911 gründete Wendling sein Quartett, mit dem er dann Weltruf erlangen sollte. Die ersten Quartettgenossen waren Hans Michaelis, Philipp Neeter und Prof. Alfred Saal Spätere Besetzungen der Mittelstimmen waren Hermann Hubl, Prof. Ludwig Natterer, Anrea Wendling, Hans Köhler und Professor Willy Müller-Crailsheim. — Ausgedehnte Konzertreisen führten das Wendling-Quartett durch ganz Deutschland, Italien, Schweiz, Holland, Schweden, Spanien, Portugal, Nord- und Südamerika und vergrößerten von Jahr zu Jahr seinen Ruhm. Es gehört mit zu den stärksten und nachhaltigsten künstlerischen Eindrücken, von diesem Meisterquartett die späten Quartette von Beethoven, die drei Brahmsquartette oder die drei großen Regerquartette gehört zu haben. Daß der Name „Wendling-Quartett“ ein feststehender Begriff wurde, selbst für Leute, die eigentlich nicht recht wußten, was ein Quartett ist, beweist eine Reihe heiterer Begebenheiten, die Prof. Wendling schmunzelnd erzählt: Ein biederer Grenzbeamter fragte bei der Paßkontrolle, als er den Paß von Anrea Wendling prüfte: „Sind Sie die Tochter des berühmten ,Wendling-Quartetts'?“
Der Bürgermeister einer schwäbischen Stadt beglückwünschte das Quartett nach einem Konzert in seiner Stadt mit den Worten: „Meine Herra, dees ischt wirklich schee gwesa. Jetzt kommet Se no bald wieder ond i wensch’ Ehne, daß Se bis zom nächste Mol Ihr Orchesterle vergrößere könnet!“ — Ein berühmter Kammersänger (war’s ein Tenor?) fragte Prof. Wendling, als in einer Gesellschaft von den Erfolgen des Wendling-Quartetts die Rede war: „Sagen’s, Professor, wieviel Mannderln seid’s ös eigentlich in Eurem Quartettl?“
Vor der Erstaufführung eines problematischen modernen Streichquartetts sagte Wendling beim Betreten des Podiums zu seinem Kollegen vom Cello: „Also Alfred, wenn’s richtig klingt —
dann sind wir draußen!“ — Eine treue Freundschaft verband Wendling mit Max Reger, für dessen Werke er als Solist und Kammermusikspieler immer besonders eingetreten ist. Regers Sonate a-moll op. 91, Präludium und Fuge g-moll für Violine allein und sein, letztes Werk, das herrliche Klarinettenquintett op. 146 tragen die Widmung: „Meinem lieben Freunde Carl Wendling.“ — Der große Dirigent Fritz Busch schreibt in seinem Buch „Aus dem Leben eines Musikers“: „In dem ersten Konzertmeister Carl Wendling, einem Schüler Joachims, besaß die königliche Hofkapelle eine ganz hervorragende Persönlichkeit. Ich verdanke dem ernsten und feinen, dabei besonders liebenswürdigen Menschen durch Umgang und Austausch während meiner Stuttgarter Jahre die wertvollste Bereicherung. Zu hören, daß sich dieser noble Mann auch während der schlimmen, späteren Jahre charakterlich bewährte, war mir eine Genugtuung, aber keine Ueberraschung.“
Heute lebt Prof Wendling in Ehingen a. D. Er hat sich vom öffentlichen Konzertleben zurückgezogen, musiziert aber noch gerne bei Hauskonzerten mit den Kräften des Tübinger Streichquartetts und fasziniert seine Hörer wie vor Jahx-en durch die unnachahmliche Süße des Tons, den er seiner herrlichen Guarnerius-Geige entlockt, durch seine temperamentvolle, geistig und technisch vollendet überlegene Gestaltung. Möge der große Künstler, einer der letzten lebenden Ueberlieferer der Joachim-Schule, all denen, die ihm zu tiefstem Dank verpflichtet sind und die ihn lieben und verehren, noch viele Jahre in der alten Frische erhalten bleiben. Ernst Klemm
Kulturelle Nachrichten
Der französische Hochkommissar, Botschafter Francois-Poncet, hat für die Fortführung der großen Stuttgarter Ausgabe der Werke Hölderlins dem Staatspräsidenten, Dr. Müller, einen Betrag von 10 000 DM übergeben.
Der bekannte Schauspieler Hans Moser hat in diesen Tagen das 70. Lebensjahr vollendet. Der Sohn eines Wiener Bildhauers war einst aus der Lehre davongelaufen und hatte an verschiedenen Wanderbühnen gearbeitet, bevor ihm der große Sprung auf die ernsthafte Bühne, der ihn bis in die Salzburger Festspielhalle führte, gelang. Mit seinem Sketch „Der Dienstmann“ wurde Hans
Moser schließlich für den Film entdeckt, den er seitdem um viele komische Gestalten kleiner Leute, rechthaberischer Beamten und gutmütiger Haustyrannen bereichert hat.
Bei der „W oche der Wissenschaft“ wies vor einigen Tagen der Präsident der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Ministerpräsident a. D. Professor Dr. Geiler, auf die Notlage der Forschung in Deutschland hin. Wenn es nicht gelänge, die Wissenschaft zu intensivieren, würde Deutschland, das von 1900 bis 1933 zahlreiche Nobelpreisträger gestellt habe, einer großen geistigen Verarmung entgegengehen.
Für den Bücherfreund
Heinz Haller, Typus und Gesetz in der Nationalökonomie, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1950. 154 S.
In diesem methodologischen Buche des Tübinger Dozenten für Volkswirtschaftslehre, das nicht nur dem Kenner der Methodenfragen etwas zu sagen hat, sondern auch dem Studenten nützlich sein wird, werden zentrale Probleme der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsmethoden und ihrer Hilfsmittel untersucht. Eine exakte Analyse des Typusbegriffes bildet in einer knappen, instruktiven Erörterung des Gesetzesbegriffes die Grundlage dieser Studie. Im Hauptteil wird gezeigt, wie Typenbildung nach Gesetzmäßigkeiten in der Morphologie und in der Ablaufstheorie in jeweils besonderer Form und Verbindung ge- handhabt wird. Zu begrüßen ist das Namensregister. Leider fehlt ein Index wie auch ein Literaturverzeichnis, doch helfen hierüber die Anmerkungen auf den einzelnen Seiten hinweg.
Hans Franke, Liebe fordert letzte Beugung. Schneekluth-Verlag, Celle 1950, 76 S.
Von einem nicht alltäglichen Schicksal handelt diese Novelle. Der Liebende erkennt, daß er den geliebten Menschen in seiner letzten Tiefe gar- nicht gekannt hat und daß er nach seinem Tode in gar keiner Beziehung mehr zu ihm steht Einen Anflug von Tragik hat diese Geschichte dreier Menschen, deren Verhängnis ein Zufall ist; aber das Leben Ist ein flutendes und vielfältiges, und so soll auch dies Büchlein verstanden werden. n-