Was tut der Staat gegen die soziale Not?

Minister Wirsching unterrichtet die Presse

Die Allgemeinheit hat wenig Ahnung von der ministeriellen Arbeitsweise und dem Um­fang von Fragen, die in den Ministerien zu Tübingen beantwortet und praktisch gelöst werden müssen. Das Volk bekommt meistens bloß Gesetze und Vorschriften zum Lesen, und seit es eine Bundesrepublik gibt, durchkreu­zen sich die Zuständigkeiten der Gesetzgeber derart, daß sich nur noch Fachleute aus­kennen.

Als Eugen Wirsching, .der Arbeitsminister von Württemberg-Hohenzollern am Donners­tag Vertreter der Presse auf sein Ministerium rief und sie über wichtige soziale Fragen, die in seinem Bereich bearbeitet werden, auf­klärte, war eine Berührung zwischen Oeffent- lichkeit und Ministerium erfolgt, die in einem demokratischen Staatswesen nicht eng genug sein kann. Man merkte, daß gerade dieses Ministerium und sein Arbeitsstab in einer Weise für das Volk tätig ist, die alle angehl und so notwendig wie das tägliche Brot ist Es sähe ganz anders in unserem Lande aus gäbe es diese überschauende, lenkende, aus- gleichende Stelle nicht.

Berufsnot der Jugendlichen

Wir erfuhren von dem Minister etwas über aas meist in norddeutschen Zeitungen durch Wiedergabe von fantastischen Zahlen falsch dargestellte Problem der Berufsnot der Ju­gendlichen Im Gegensatz zu andern Ländern des Bundesgebietes, wo die Not der heimat- und arbeitslosen Jugend teilweise sehr stark gewachsen ist. hat sich ein Stellenmangel für Jugendliche zwischen 1418 Jahren bei uns nicht gezeigt. Von den 23 456 Besuchern ge­werblicher Berufsschulen sind 555 zurzeit noch ohne Lehrstelle und von den 3527 Besuchern der kaufmännischen Berufsschulen noch -217 In diesen Zahlen sind jedoch auch solche Schüler enthalten, die im elterlichen Betrieb schriftliche Arbeiten und Buchführung er­ledigen, von der Statistik aber als stellenlos geführt werden. Dagegen erreicht die Zahl der unbeschäftigten Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren nach dem Stichtag vom Februar dieses Jahres die sehr beträchtliche Höhe von 3160, wobei sich 1021 Heimatvertriebene be­finden.

Die Regierung, d. h. das Arbeitsministerium hat gegen die in diesen Zahlen ausgedrückte Berufsnot Maßnahmen ergriffen: Aus Mitteln der Soforthilfe wurden 1,1 Mill. DM bereit­gestellt. Aus Mitteln des Landesstocks wer­den Ausbildungsbeihilfen an begabte Lehrlinge in Mangelberufen bis zu 50 DM monatlich gegeben. Der Staatskommissar für Umsied-. lung und das Jugendaufbauwerk, vertreten durch die sogenanntenGilden, haben Lehr­lingsheime (5 in unserem Gebiet) und Jugend­gemeinschaftsdienste eingerichtet. In den Ein­richtungen der Gilden werden besonders die Pilger der Landstraße, die streunenden Ju­gendlichen aufgenommen und einer geordne­ten Lebensweise zugeführt. Jedoch, so er­klärte der Minister, sei die Zahl dieser gänz­lich Wurzellosen in unserem Land kaum von praktischer Bedeutung, während sie in den nördlichen Ländern der Bundesrepublik einen großen Prozentsatz der in Berufsnot stehen­den Jugend ausmacht.

Arbeitsplätze

für Schwerkriegsbeschädigte

Eine besondere Fürsorge erfordern unsere Schwerkriegsbeschädigten. . Per­sonen mit verminderter Erwerbsfäigkeit gibt es in Württemberg-Hohenzollern 650, die, auf 17 Kreise verteilt, unterzubringen sind. An sich stehen für diese Leute 1300 Pflichtstel­len zur Verfügung. Gleichwohl bedarf es ei­nes großen Taktes bei der Einstellung, da viele Schwerkriegsbeschädigte pflegebedürftig sind und oft sehr weit von dem Arbeitsplatz

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haben wir einen ungemein wichtigen Fortschritt in der Herstellung hochqualifizierter American-Blend-Cigaretten gewonnen, und wir hoffen, daß uns bald die Gelegenheit gegeben wird, auch im Ausland wieder die alte Anerkennung zu finden. Die größte Genugtuung würde es bedeuten, wenn wir den Amerikanern in ihrem eigenen Lande unsere Mischungskunst vorführen dürften, die von den amerika­nischen Experten bei Besuchen in Deutschland bereits ein­deutig bejaht wurde.

Letzten Endes entscheidet für die Weltgeltung nur die echte Qualität, über alle Irrtümer und Schranken derGegenwart hinweg.

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weg wohnen, der für sie in Betracht kommt. Um nun ein Höchstmaß von individueller Be­handlung zu erreichen, hat der Minister einen Herrn aus seinem Arbeitsstab beauftragt bei den Industrien und Aemtern, die Pflicht­stellen zu besetzen haben, herumzureisen, um die günstigsten Möglichkeiten für jeden einzelnen der Beschädigten in Bezug auf seine Berufseignung auszumitteln. Man hofft so die Diskrepanzen der räumlichen Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz so weit wie möglich zu verringern.

Derselbe Beauftragte des Ministeriums wird bei seinen Betriebsbesichtigungen auch das weit schwierigere Problem der unterzubrin­genden 350 Spätheimkehrer in unse­rem Gebiet zu lösen haben.

Günstiger Arbeitsmarkt

Was der Minister über die Lage auf dem Arbeits markt mitgeteilt hat, hörte sich

im großen ganzen erfreulich an. Die Gesamt­zahl der Arbeitslosen verminderte sich von rund 15 000 letzten Jahres auf 9400 Mitte Juni 1950. Die Verminderung hat als Ursache die lebhafte Bautätigkeit, eine Belebung bei der Maschinen-Industrie und eine Lockerung der seit einiger Zeit beobachteten Absatzstockung in der Textil-Industrie. Der Stand der Ar­beitslosigkeit ist in unserem Gebiet mit drei Arbeitslosen auf 100 Erwerbstätige wesentlich günstiger als der entsprechende Durchschnitt im gesamten Bundesgebiet mit 11 Arbeitslosen auf 100 Erwerbstätige. Ungünstig liegen die Arbeitsverhältnisse zurzeit bei der Schuh­industrie, wo rund 2500 Beschäftigte in 22 Betrieben mit verkürzter Arbeitszeit tätig sind. Als Folge einer Absatzstockung mußte z. B. auch unsere größte Uhren-Industrie- Firma die Arbeitszeit ihrer 4000 Beschäftigten

Wiedergutmadiungsleistungen

TÜBINGEN. Regierungsdirekor Dr. Schif­fer, unter dessen Vorsitz das Landesamt für die Wiedergutmachung arbeiten wird, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Wie­dergutmachung nunmehr errichtet wurde, äußerte sich in einer Pressekonferenz zu den bisherigen Wiedergutmachungsleistungen, Er betonte dabei, daß mit der Wiedergutmachung nicht erst jetzt begonnen werde, sondern daß auch seither bereits Leistungen allgemeiner Art gewährt worden seien. In Notlagefällen sei den Opfern des Nationalsozialismus gehol­fen und außerdem Vorschüsse auf die späte­ren Wiedergutmachungsansprüche geleistet worden. So seien von Januar 1947 bis Mai 1950 im Land Württemberg-Hohenzollern 1011 An­träge auf Beihilfen bearbeitet und davon 865 genehmigt worden. An Vorschüssen seien vor der Währungsreform 170 000 RM und seither 275 000 DM ausbezahlt worden, welche Beträge auf den festzustellenden Wiedergutmachungs­anspruch angerechnet würden. Neben diesen Vorschußleistungen seien aber auch Renten bezahlt worden, und zwar seit der Wäh­rungsreform monatlich 3600 DM, die den un­

mittelbar Geschädigten, den Waisen, Witwen und Eltern zugeflossen seien. An solchen Ren­ten habe man bis Mai 1950 insgesamt 95 000 DM ausbezahlt.

Dr. Schiffer erklärte bei dieser Gele­genheit auch die Herkunft der Wiedergut­machungsleistungen. Danach werden sie aus einem Sondervermögen geschöpft, das aus den Bußen aus der poütischen Säuberung und ferner aus Nutzungen solcher Personen, die jüdische Firmenarisiert und Entschädigun­gen an die Staatskasse zu leisten haben, an­gesammelt wurde. Alle Vorschüsse, die je­weils in besonderen Fällen und zu besonde­ren Zwecken gegeben worden seien, habe man aus diesem Fonds bezahlt. Neben Zuwendun­gen an notleidende Hinterbliebene und für Heil­verfahren habe man eineih Teil der An- sprucbberechtigten auch Haftentschädigungs­geld von 150 DM für jeden Monat der erlitte­nen KZ-Haft ausgezahlt. In einigen Wochen nehmen so erklärte Dr. Schiffer die bei den Kreisen zu errichtenden Aemter für Wie­dergutmachung ihre voraussichtlich sich auf 10 Jahre erstreckende Arbeit auf.

auf 32 Stunden herabsetzen. Der Staat ver­sucht diese arbeitlichen Mißstände, etwa auch bei Firmen, die sich nicht mehr halten kön­nen, mit Mitteln aus dem Landesstock zu mildern. Aufs Ganze gesehen können jedoch solche Stützungsaktionen eine gewisse Grenze nicht überschreiten, da man von Staats wegen nur in sehr geringem Maße dazu mithelfen kann, etwa eine umfänglichere, größere Zahl von neuen Arbeitsplätzen zu beschaffen.

Eine solche Schaffung von Arbeitsplätzen wird akut bei der Lösung der Frage, wie die erwerbsfähigen Heimatvertriebenen beschäftigt werden sollen! Insgesamt wurden nach Württemberg-Hohenzollern im vorigen Jahr 41 000 Flüchtlinge umgesiedelt, während man für dieses Jahr mit der Umsiedlung von 19 000 Flüchtlingen rechnet. Im Durchschnitt ist von den Umgesiedelten jeder Dritte er­werbstätig und bis jetzt konnten für 66 Pro­zent dieser Erwerbsfähigen Stellen vermittelt werden. Es sind also noch für 3000 Menschen Arbeitsplätze zu beschaffen, die sich jedoch bis Ende dieses Jahres auf 6000 erjhöhen wer­den. Praktisch muß unser Gebiet den gesam­ten Zustrom von Erwerbslosen aus den drei Ländern, woher sie kommen, aufnehmen und in den Arbeitsprozeß eingliedem. Dies wird jedoch die schwierigste Aufgabe sein, die Staat, Industrie und Aemter zu lösen haben.

Einige verheißungsvolle Ansätze von Neu­siedlungen industrieller Art etwa in Oberndorf oder in Friedrichhafen werden vom Staat zu gedeihlicher Weiterentwicklung durch starke Ueberbrückungskredite gestützt. Die 10 Millionen Staatsbürgschaften, die für Neu­siedlungen zur Verfügung stehen, sind noch nicht aufgebraucht, jede förderungswürdige Firma kann sich der günstigen Staatskredite bedienen.

Hohe Sozialleistungen

Ein Kapitel von besonderer Art, das uns einen nicht ganz erfreulichen Einblick in die Ueberalterung gewährt, sind die Sozial- leistungen. Die Anforderungen dafür, die an den Staat gestellt werden, sind erheblich

gestiegen. Vom 1. Januar 1946 bis heute ver­mehrte sich die Zahl der Rentenempfänger bei den Kriegsbeschädigten von 3700 auf 18 000, bei den Witwen von 45 000 auf 24 000, bei den Waisen von 10 000 auf 36 000. Der Anstieg erklärt sich u. a. mit der inzwischen erfolgten Erledigung der seinerzeit noch nicht entschiedenen Rentenanträge.

Die staatlichen Aufwendungen für die Kriegsopfer-Versorgung in unse­rem Gebiet erforderten seit der Währungsre­form 33 Millionen, im Jahre 1949 45 Millio­nen, während sie im Jahre 1950 65 Millionen erfordern werden. Der Bund wird künftig von diesen Lasten 85 Prozent tragen, die von Württemberg-Hohenzollern zu übernehmen­den 15 ProzentInteressenquote betragen dann 9 Millionen DM. Die so wichtige Frage des Umfangs der Renten klärte der Minister dadurch, daß er darauf hinwies, daß die bis jetzt bestehenden Gesetze unseres Landes gerade den Witwen mehr zukommen lassen als dies in anderen Ländern der Fall ist. Die Renten sind bei uns außerordentlich günstig aufgegliedert. 10 000 unerledigte Anträge lie­gen auf dem Ministerium vor, die im Laufe dieses Jahres bearbeitet werden müssen, was gegenüber den 770 000 Anträgen, die beim Bunde vorliegen, doch verhältnismäßig freundlich aussieht. Bei diesen Anträgen sind Schwerbeschädigte, Wohnungsgeschädigte und verschiedene andere Kategorien von Bedürf­tigen miterfaßt. Der Staat hat sich vor allem auch deswegen der Frage der Sozialleistungen so intensiv angenommen, um den Unterstüt­zungsempfängern demütigende Gänge zum Fürsorgeamt zu ersparen. Ohne Zweifel hat der ungünstige Altersaufbau der Bevölkerung die Vermehrung der Soziallasten mitverur­sacht. Die Gesetzgeber werden darum kaum um die Lösung des Ausgleichs herumkommen. Es fragt sich freilich, ob man die Beiträge erhöhen oder die Leistungen senken soll.

Doch in die Lösung dieser Fragen wird die Regierung unseres Landes nicht mehr aktiv eingegreifen können, da der ganze Komplex ..Sozialleistungen vom Bunde übernommen werden wird.