6. Jahrgang

WIRTSCHAFT

Nummer 72

Wo steht die Textilindustrie?

Stellungnahme de*Volkswirtschaftlichen und Statistischen Büros der Industrie- und Handelskammern

Zur Lage der Textil- und Bekleidungsindustrie in Württemberg-Hohenzollern

I. Produktionsmittel, Rohstofflage und Beschäftigungspolitik

Dr. Ho. Die Textil- und Bekleidungsindustrie von Württemberg-Hohenzollern hat zweifellos einen beachtlichen Aufschwung genommen. Wenn jetzt der bisher reißende Strom der Entwick­lung aufgehalten wird, so bedeutet das keinen Konj unkturrückgang.

Jetzt Rationalisierung

Der Fortschritt der zahlenmäßig bedeutend­sten Industriegruppe von Württemberg-Hohen­zollern zeigt sich jetzt nicht so sehr in der wei­teren Ausdehnung des Beschäftigungs- und Pro­duktionsvolumens, sondern in der innerbe­trieblichen Rationalisierung. Die­ser Kulminationspunkt bedarf jedoch näherer Untersuchung, um damit die weiteren Stadien der Entwicklung abschätzen zu können. Dies um so mehr, da die Rohstoffversorgung im allge­meinen keine Schwierigkeiten mehr bereitet, es sei denn hinsichtlich qualitätsmäßiger Beschrän­kungen, womit der Tüchtigkeit jedes einzelnen Unternehmers freier Lauf gelassen ist. Ander­seits soll auch denen Material geboten werden, die von den gegenwärtigen Absatzhemmungen bei Textilien auf ernsthafte Rückwirkungen schließen.

Maschinelle Ausstattung

Bis zu einem gewissen Grad wird die Absatz­schrumpfung in der Textilindustrie vor allem auch von anderen interessierten Industriezweigen überschätzt. Das geht aus den Bedenken einer Maschinenbaufirma hervor, einen in dreijähri­ger Entwicklungsarbeit konstruierten automati­schen Webstuhl in Serienfertigung herauszu­bringen. Bei der sichbedenklich verschlechtern­den Textilkonjunktur seien die mit der Her­stellung verbundenen finanziellen Lasten kaum zu rechtfertigen. Es besteht kein Zweifel über die Notwendigkeit der maschinellen Ergänzung und Erneuerung in der Textilindustrie, wofür in erster Linie Mittel aufgewendet werden müssen und, nach der bisherigen Entwicklung zu urtei­len, auch bereitgestellt werden können.

Bis Ende 1949 hielten sich Umsatz- und Pro­duktionszahlen in der Textil- und Bekleidungs­industrie von Württemberg-Hohenzollern jeden­falls auf gleicher Höhe. Wie noch zu zeigen sein wird, änderte sich die Lage zuungunsten des Umsatzes. Der Rückgang in der allgemeinen Produktionsentwicklung ist dagegen unbedeu­tend. Im März verminderte sich die arbeitstäg­liche Produktion für Textilien lediglich um 2 Pro­zent, während sie sich für Bekleidung behaup­ten konnte. Richtig ist allerdings, daß eine Pro­duktionsausweitung aus außenwirtschaftlichen Gründen auf die Dauer unmöglich ist. Wie sieht es in dieser Hinsicht in Württemberg-Hohenzol- lem aus?

Sparsamer Rohstoffverbrauch

Der Rohstoffverbrauch in der Textil- und Be­kleidungsindustrie lag im II. Halbjahr 1949 teil­weise nicht unbeträchtlich über dem Niveau der für das laufende Marshallplanjahr vorgesehenen Rohstoffeinfuhren, so daß bei einer weiteren

Landesprodubtenbörse Stuttgart

9. Mai 1950

Es wurden notiert (die Preise sind Großhandels­preise je 100 kg und verstehen sieh waggonfrei württembergischer Empfangsstation): Roggen- und Weizenstroh, draht- und bindfadengepreßt 4.90 bis 5.20 DM; Gersten- und Haferstroh, draht- und bind­fadengepreßt 4.90 bis 5.30 DM; Wiesenheu, gut, ge­sund, trocken, lose 10.50 bis 10.90 DM; Rotkleeheu, gut, gesund, trocken, lose 10.40 bis 10.80 DM, draht­gepreßte Ware entsprechend höher.

Marktlage: Bei Rauhfutter haben bei erhöhtem Angebot und geringer Nachfrage die Preise etwas nachgelassen. In inländischem Brotgetreide finden keine Umsätze statt. Die Mühlen haben fast keine Vorräte in Weizen mehr. Roggen wird laufend aus der Bundesreserve zugewiesen. Das Braugersten­geschäft ist als abgeschlossen zu betrachten. Die Nachfrage nach Futterhafer hat sich gebessert. Der Bedarf wird durch Zufuhren aus Bayern bei anzie­henden Preisen gedeckt. Das überaus kleine Ange­bot an Weizenmehl findet glatten Absatz. Die Nach­frage nach Roggenmehl ist lebhafter. Da Kleie und Futtermehl nur spärlich anfallen, hat sich das In­teresse auch dem Weizennachmehl zugewandt.

Speisekartoffeln alter Ernte sind nach wie vor gefragt bei kleinem Angebot, jedoch kann die Nach­frage gedeckt werden. Gelbfleischige Speisekartof­feln notieren 15.40 bis 16.20 DM per 100 kg waggon­frei württembergischer Empfangsstation, Großhan­delspreise.

Steigerung der Nachfrage hier in wachsendem Maße die Grenzen der Produktionsausweitung durch die relativ beengte außenwirtschaftliche Lage Westdeutschlands gezogen sind. Nach der Berechnung der Bank deutscher Länder war be­reits eine Untferversorgung mit Baumwollein­fuhren bei der Verbrauchsrate von September/ Oktober 1949 um rund 15 Prozent in West­deutschland eingetreten. Es wurde errechnet, daß die bisherige Rohstoffversorgung in West­deutschland auf die Dauer nicht für die Vor­kriegsproduktion ausreicht. In Württemberg-Ho­henzollern wurden jedoch die Rohstoffe intensiv ausgenutzt, so daß bei sparsamer Verwendung der Rohstoffe auch noch Reserven gebildet wer­den konnten. Der Rohstoffverbrauch in der Tex­tilindustrie machte nämlich 1949 bei einem Pro­duktionsstand von 74 Prozent von 1936 erst 65 Prozent der i m Vergleichsjahr verarbeiteten Rohstoffmengen aus. Bei weiterer haushälte­rischer Verwendung von Rohstoffen der Spin­nereien und Webereien von Württemberg-Ho­henzollern dürfte eine nicht einmal auf den Stand von 1936 erhöhte Verbrauchsrate die Vorkriegs­produktion schließlich überschreiten. In den letz­ten Monaten ist dieses Ziel erreicht worden.

Vorsichtige Beschäftigungspolitik Die Beschäftigung hat 1949 in der gesamten Textil- und Bekleidungsindustrie 95. Prozent des Standes von 1936 erreicht. Im Vergleich zu den übrigen Ländern des Südwestraumes hat Würt­temberg-Hohenzollern alle Arbeitsplätze von 1936 noch nicht wieder besetzt. In den einzelnen Gruppen der Textil- und Bekleidungsindustrie

von Württemberg-Hohenzollern ergibt sich fol­gende Entwicklung gegenüber dem Vorkriegs­stand:

Beschäftigung in Indexwerten (1936 = 100)

Wäscherei Textil Strickw. Bekldg. Insges.

1944

144

55

59

91

1946

104

40

33

66

1947

107

52

39

69

1949

280

96

89

116

Die Beschäftigung in den einzelnen Gruppen kann erst richtig beurteilt werden, wenn auch die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden gegen­übergestellt wird. Sowohl in der Gruppe Textil, Strickerei und Wirkerei sowie Bekleidung liegt der Index der Arbeitsstundenzahl für 1949 mit 85 Prozent unter dem Vorkriegsstand.

Bei einer Beschäftigung von 95 Prozent, je­doch einer Arbeitszeit von erst 85 Prozent ge­genüber 1936, sind erhebliche Reserven an nutz­baren Arbeitskräften vorhanden. Diese würden bei ihrer Inanspruchnahme das Produktions­niveau in der Textil- und Bekleidungsindustrie wesentlich erhöhen. Hier aber scheint gegen­wärtig Zurückhaltung ausgeübt zu werden. Diese Einstellung ist falsch, da diese den notwendigen Rationalisierungsbestrebungen zuwiderläuft. Eine planvolle Arbeitsplatzpolitik innerhalb des Be­triebes im Verein mit sparsamer Rohstoffver­wendung drückt noch stärker Kosten und Preise und ermöglicht dem Konsumenten, seinen Be­darf ausreichender zu decken, als dies bisher

der Fall war.

(Fortsetzung in der nächsten Ausgabe)

W'ditiaes ln Kürze Saisonabschlag für Butter geplant

BONN. Der Ernährungsausschuß des Bundestages will das Bundesernährungsministerium auffordern, den Butterfestpreis je kg von 5.20 DM (ab Molke­rei) um einen Saisonabschlag von 40 Pfennig her­abzusetzen. Dieser Beschluß wurde in der Aus­schußsitzung vom vergangenen Mittwoch in Bonn gefaßt. Das Bundesernährungsministerium hat sich bereit erklärt, sofort mit dem Aufkauf von Vorrats­mengen durch die Vorratsstellen zum Preise von 4.80 DM je kg zu beginnen. Der Deutsche Bau­ernverband ist damit einverstanden, daß sich die Erzeuger an den Kosten der Buttereinlagerung be­teiligen, wofür voraussichtlich ein Ausgleichsbetrag von 0,7 Pfg. je Liter Trink- und Werkmilch von den Erzeugern erhoben werden wird.

Landwirtschaftliche Genossenschaften nicht steuerlich bevorzugt

STUTTGART. Da in der letzten Zeit in der Oef- fentlichkeit wiederholt die Meinung vertreten wurde, die landwirtschaftlichen Genossenschaften seien steuerlich stark begünstigt und dadurch in der La­ge, gegenüber der Privatwirtschaft vorteilhafter ar­beiten zu können, stellt die württembergisehe land­wirtschaftliche Zentralgenossenschaft ..Raiffeisen fest: Einkomensteuerlich wird die W.l.Z. genau so behandelt wie jede Kapitalgesellschaft: Sie zahlt 50 Prozent Körperschaftssteuer. An Körperschaftssteuer kann sie nur dann sparen, wenn sie aus dem er­wirtschafteten Gewinn ihren Mitgliedern eine Wa- ren-Rüökvergütung gewährt, aber auch hier nur im Verhältnis, in dem die Umsätze mit Mitgliedern zum Gesamtumsatz stehen. Die W.l.Z. ist ferner voll gewerbesteuerpflichtig, sie zahlt von ihren Einzel­handelsstellen die volle Filialsteuer, und auch die Umsatzsteuer trifft die W.l.Z. in vollem Ausmaß bei Einzelhandelsumsätzen mit dem erhöhten Steuersatz mit 3,75 Prozent.

ParoleExport um jeden Preis" gefährlich?

DONAUESCHINGEN. Die Marktabteilung der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft hielt in Do- naueschingen eine Tagung ab, an der folgende Landwirtschaftsminister teilnahmen: Kirchgäß- n e r (Südbaden), Dr. Franz Weiß (Südwürttem­berg), Stoos (Württemberg-Baden), Bo.ck (Schleswig-Holstein) sowie L o r b e r g (Hessen). Der Leiter der Tagung; Lindemann (Achern), faßte ihr Ergebnis dahin zusammen, daß Landwirtschaft und Ernährungsindustrie stark an den Binnenmarkt gebunden seien. Die ParoleExport um jeden Preis könne gefährlich werden. Wenn heimische Land­wirtschaft und Binnenmarkt nicht kaufkräftig blie­ben, könne sich auch der Export nicht durchsetzen.

Gewerkschaften halten Luxussteuer für sinnlos

KÖLN. Die Gewerkschaften erwarten kein positi­ves Ergebnis aus der geplanten Luxussteuer. Ein Sprecher des wirtschaftswissenschaftlichen Institutes des Deutschen Gewerkschaftsbundes sagte, das Steueraufkommen könne nicht durch, solche Son­dersteuern, sondern nur durch ein Verschärfen der

Betriebsprüfungen gesteigert werden. Die Einfüh­rung einer Luxussteuer werde die Finanzämter völ­lig überlasten und zersplittern, denn die Verwal­tung der Luxussteuer werde das Vielfache einer normalen Steuerverwaltung kosten. Die Gewerk­schaften lehnen die Luxussteuer als Mittel zur Marktregulierung solange ab, als nicht vorher oder gleichzeitig die breite Konsumbasis durch Preis­werte und qualitativ hochwertige standardisierte Verbrauchsgüter reguliert werde.

Ackerschlepperproduktion auf Rekordhöhe

BONN. Die Produktion von Ackerschleppern im Bundesgebiet erreichte im März mit 3700 Fahrzeu­gen das bisher höchste Monatsergebnis: es liegt auch über den Produktionszahien der Vorkriegs­zeit.

Bauerngroßkundgebung in Reutlingen

TÜBINGEN. Der Kreisbauernverband Reutlingen veranstaltet im Rahmen der Motorschau 1950 am Dienstag, 16. Mai um 10 Uhr eine Bauerngroßkund­gebung auf dem Ausstellungsgelände um die Fried- rich-ListHalle. Sprechen werden der 1. Vorsitzende, Landtägsabgeordneter Schlotterbeck, Betzin­gen, überExistenzfragen der Landwirtschaft, und Landwirtshaftsrat; Winter, Hechingen, überFut­terbau und Viehhaltung. Daran wird sich eine Be­sichtigung der Ausstellung, insbesondere ihrer reich­haltigen landwirtschaftlichen Abteilung, anschlie­ßen. Mit einer starken Beteiligung an der Veran­staltung, auch aus Nordwürttemberg, wird gerechnet.

Blücher spricht bereits am 20. Mai

TÜBINGEN. Wie die Industrie- und Handelskam­mer Reutlingen mitteilt, spricht Vizekanzler und Bun­desminister Franz Blücher nicht, wie ursprüng­lich vorgesehen, am Montag, dem 22. Mai, sondern am Samstag, dem 20. Mai in Reutlingen zum ThemaDie deutsche Wirtschaft vor großen Aufgaben und Entscheidungen.

Wie weiter bekannt wird, können Einlaßkarten zu der Veranstaltung bei sieben Stellen im Kammerbe­zirk angefordert werden, und zwar für Balingen und Umgebung: Bizerba-Waagenfabrik W. Kraut KG., Balingen, Schömbergstraße 41; Ebingen und Umgebung: Industrieverband des Kreises Balingen, Ebingen, Karlstraße; Hechingen u. Umgebung: Handelskammer Geschäftsstelle Hechingen, Obertor­platz 8; Laichingen und Umgebung: Fa. Jakob Frank, Laichingen, Schillerstraße; Urach und Um­gebung: Fa. Kempel & Leibfried, urach, Espach- straße; Tübingen und Umgebung: Firma Fritz Schimpf, Tübingen, Am Lustnauer Tor; Reutlin­gen und Umgebung: Industrie- und Handelskam­mer, Reutlingen.

Für auswärtige Besucher des Vortrags aus Rich­tung Balingen, Hechingen, Ebingen, Tailfingen oder Laichingen, Urach stehen bei genügender Beteili­gung für Hin- und Rückfahrten Sonderomnibusse zur Verfügung. Vormerkungen für diese werden bei den genannten Kartenausgabestellen entgegenge­nommen.

Erziehungsbeihilfe für Lehrlinge

REUTLINGEN. Diese Frage ist in letzter Zeit wiederholt in der Presse erörtert worden. Dies hat die Handwerkskammer Reutlingen veran­laßt, in einem längeren Expose nun auch ihren Standpunkt darzulegen. Wir greifen die wich­tigsten Gedankengänge heraus:

Die Kammer geht von der Voraussetzung aus, daß die Frage der Erziehungsbeihilfen bisher immer nur vom Standpunkt des Lehrlings und nicht des Meisters betrachtet worden ist. Sie hat aber nicht nur die Interessen des Lehrlings, sondern auch die Interessen des Meisters zu ver­treten. Als wichtigste Aufgabe betrachtet sie die handwerkliche Berufsausbildung. In Ausbildung stehen zurzeit im Kammerbezirk 18 000 Lehr­linge, während nur 6000 bei Handel und Indu­strie ihre Berufe erlernen.

Im Vordergrund der Bestrebungen steht eine gediegene und lebensnahe Berufsausbildung. Als das Wesentliche für den Erfolg der Lehre wird die gute Zusammenarbeit zwischen Meister und Lehrling bezeichnet; die Höhe der Erziehungs- beihilfe sei wohl auch von Bedeutung, doch solle sie das Ausbildungsziel nicht stören, d. h. mit anderen Worten: die Erziehungsbeihilfe soll in dem Rahmen gehalten werden, der für den Lehrherrn auch wirtschaftlich tragbar ist. Sie soll beweglich genug gehalten werden, daß den Erfordernissen des Geschäftsgangs gegenüber, der sich ja nie voraussehen läßt, die Möglichkeit zu einer entsprechenden Anpassung gegeben ist.

Als Beispiel für eine elastische Gestaltung wird Württemberg-Baden angeführt, wo der Wirtschaftsminister aus solchen sachlichen Erwä­gungen heraus dem Antrag auf Kürzung der er­höhten Erziehungsbeihilfe in verschiedenen Handwerksberufen bereits entsprochen hat. Da­bei hat allgemein die Auffassung zu gelten, daß das Lehrverhältnis kein Arbeits-, sondern ein Ausbildungsverhältnis darstellt.

Wenn Fachverbandsvertreter bei der Kammer Antrag auf Kürzung der 1949 erhöhten Erzie­hungsbeihilfen gestellt hätten, so entspreche dies einer vom Arbeitsministerium in Tübingen er­lassenen Verordnung und sei mit Rücksicht auf die Geschäftslage in einer Reihe von Berufen geschehen, die sich seit der Währungsreform wesentlich verschlechterte.

Neben ihrem intensiven Wirken für die Be­rufserziehung setze sich die Kammer, wie es abschließend heißt, nachdrücklich für die Mil­derung und Beseitigung der Berufsnot ein, wo­bei sie in der Arbeitslenkung und Berufswahl­frage eng mit den Arbeitsämtern zusammen­arbeitet. Es wird dabei nicht mit Unrecht dar­auf hingewiesen, daß die Lehrlingsausbildung auch dann weitergeht, wenn der Betrieb wegen Arbeitsmangel kurzarbeiten muß. Gerade aus dieser Tatsache leitet die Handwerkskammer die Berechtigung her, eine angemessene Kürzung der erhöhten Erziehungsbeihilfen zu fordern.

Gewerkschaften gegen Milchpreiserhöhung

TÜBINGEN. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, Bezirksstelle Südwürttemberg-Hohenzollern, nimmt in einem längeren itxpo.se gegen die Milchpreis­erhöhung Stellung (vergl. unsere NotizFrisch­milchkonsum steigern" in Nr. 71 vom 10. Mai, Wirt­schaftsteil). Wie bekannt, soll in Süddeutschland versuchsweise Frischmilch von einem Mindestfettge­halt von 3,4 Prozent ausgegeben werden, wobei der Verbraucherpreis um zwei Pfennig erhöht würde. Hiergegen wenden sich die Gewerkschaften. Sie be_ grüßen zwar den Verkauf von friedensmäßiger Milch, nennen aber die Preiserhöhungeine neue Schröpfung der Verbraucher zur Unterstützung ge­wisser landwirtschaftlicher Erzeuger, die in den hin­ter uns liegenden Zeiten immerhin von ihren Ein­nahmen recht gut leben konnten. Bedauerlich sei vor allem, daß das Landwirtschaftsministerium von Württemberg-Hohenzollern diese Entwicklung (der Preiserhöhung) führend fördere, und das Wirtschafts­ministerium Abteilung Preisaufsicht verhalte sich dabei mehr oder weniger passiv, auch dann, wenn es sich noch auf entgegenstehende gesetzliche Be­stimmungen stützen könne.

Das Expose beruft sich sodann auf die bekannte (nur nicht immer geschätzte) wirtschaftliche Tat­sache, daß sich die Preisbildung entsprechend An­gebot und Nachfrage von selbst regele. Ein Ueber- angebot an Butter und Milch würde auch bei einer Qualitätsverbesserung nicht verhindert werden kön­nen. Somit müsse man aus wirtschaftlichen Grund­sätzen dazu übergehen, die Nachfrage zu fördern, was nicht durch eine Erhöhung der Preise geschehen könne. Ais Folge der Preiserhöhung werde eine weitere Einschränkung des Milchverbrauchs statt­finden, aber es solle niemand sagen, daß unser Volk keinen Bedarf an Butter und Milch habe. Es sei doch praktisch so, daß-gerade jene Kreise, die fa­natisch die freie Wirtschaft vertreten, hier glaubten durch eine gelenkte Wirtschaft ihre Grundsätze durchbrechen zu müssen. Damit gäben sie ungewollt einen Beweis dafür, daß eine gelenkte Wirtschaft unter Umständen besser sei.Es wäre wirklich an der Zeit, wenn sich die Masse der Verbraucher so wird empfohlen ..vor allem auch unsere Haus­frauen, ernsthaft mit diesen Vorgängen befassen und aus ihrer seitherigen Passivität heraustreten und ak­tiven Widerstand leisten würde."

Fortschritte in der Tbc-Forschung

Tagung

der Südwestdeutschen Tuberkulose-Gesellschaft

Es geschah nicht von ungefähr, daß die 17. Tagung derWissenschaftlichen Gesellschaft Süctvestdeutscher Tuberkulose-Aerzte vom 4. bis 6. Mai in Wildbad mit der Kureröffnung der alten Badestadt im lichten Frühlingsge- wande zusammenfiel, dürfte doch das Hoff­nungsglück der schönsten aller Jahreszeiten dafür Symbol sein, daß die ärztliche .Wissen­schaft auf Grund neuer Forschungs- und Be­handlungsmethoden auf dem besten Wege ist, der heimtückischen Volkskrankheit mehr und mehr Herr zu werden. Annähernd 400 Tuberkulose-Aerzte aus dem In- urtd Aus­land waren zu dem Kongreß, dem ersten die­ser Art nach. 22 Jahren, erschienen.

Elf Vorträge mit Diskussionen zeigten in ihrer Vielseitigkeit den hohen Stand der Tu­berkuloseforschung. Die Referenten Prof. Dr. St. Engel (London). Dr. H. W. Weber (Heidelberg), Doz. und Chefarzt Dr. R. W. Müller (Köln), Doz. und Chefarzt Dr. L e i t n e r (Leysin), Prof. Dr. B i e 1 i n g (Marburg), Chefarzt Dr. Imhäuser (Mar­burg), Chefarzt Dr. M. Gebhardt (Chielo), Prof. Dr. Koch (Düsseldorf), Chefarzt Dr. Melzer (St. Blasien) u. a. gaben Auf­schluß über die heutigen Tuberkuloseprobleme und vermittelten erprobte Kenntnisse zur Diagnose und Therapie der Tuberkulose. Prof. Dr. Engel, einer der bedeutendsten Kinder­kliniker, erhärtete durch klare Darlegungen die Erkenntnis, daß nicht jede Drüsenschwel­lung bei Kindern als Tuberkulose zu werten ist. Durch diese oft verbreitete Ansicht wür­den die Eltern in Angst gestürzt und die Kin­der voreilig in eine Kinderheilstätte geschickt werden. Eine neue, auf dem Gebiet der Lun­gentuberkulose besonders von Sturm ange­wandte Krankheitslehre beruht darin, daß alles Körpergeschehen letztlich auf Einflüsse des JJervensysteras zurückzuführen ist In *i-

len Vorträgen kam klar zum Ausdruck, daß die Tuberkulose eine Allgemeinkrankheit, nicht nur eine isolierte Organerkrankung ist, daß der ganze Mensch, körperlich und see­lisch, und nicht nur das Organ behandelt werden muß. Von enormer Bedeutung ist die Beziehung zwischen Seele und Krankheit. Der Ablauf der Krankheit ist entscheidend durch seelische Einflüsse bedingt. Darum hat bei der Behandlung der Tuberkulose der Tuber­kulosearzt mehr als jeder andere Arzt Sorger der Seele zu sein. Wichtig ist die Ansprache des Einzelnen, die individuelle Behandlung, das Führen des Kranken zum richtigen Menschsein. Es ist nicht selten festzustellen, daß eine ruhende Tuberkulose durch Sorgen und Nöte zum Aufflackern gebracht wird. Es muß daher in jedem Falle ein enges Ver­trauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bestehen, um gerade eine Tuberkulose wirk­sam behandeln zu können. Innerhalb der Re­ferate machte sich auch die Tendenz bemerk­bar, daß nicht die chirurgische Behandlung die alleinseligmachende ist, sondern auch die konservative nicht an Bedeutung verliert. Wichtige soziale Fragen, die im Zusammen­hang mit Tuberkuloseproblemen stehen, fanden ebenfalls gebührende Erörterung. Die Wohnungsnot ist ein hemmender Faktor bei der Tuberkulosebekämpfung.

Nach dem letzten Vortrag am Samstag nah­men die Tagungsteilnehmer an einer Omni­busfahrt über die Charlottenhöhe zum Lun­genkurort Schömberg teil. Dort wurden die drei größten Sanatorien besichtigt, die in der Schönheit ihrer Anlage und in der Zweck­mäßigkeit ihrer modernen Einrichtungen Be­wunderung erregten. Heinz Natzke

Fährten der Menschen

Von Alexander Sacher-Masoch

Mein kleines Haus liegt in der Lichtung Vom Fenster aus kann ich die schmale Straße

sehen, die übe» Laad führt «ad viel gewun­

den im Jungwald verloren geht. Diesem Weg, der das Land zerteilt und Wagen und Automobile befördert, folge ich selten auf meinen Wanderungen. Meine Pfade sind die kleinen, die kreuz und quer durch das Land ziehen, wie es sich eben findet. Da sind solche, die Gehöft mit Gehöft verbinden, hinauf in den Holzschlag Oder ins Innere zu den Steinbrü­chen führen, aber auch gewagte Abkürzungen, die einmal eines Waldläufers Laune breit­spurig sich getreten.

Aber es kommt oft vor, daß mir alle Pfade verloren gehen, dann-trete ich ich mir selbst meinen Weg. Das tun andere auch, die Fähr­ten kreuzen sich, und manche davon erzählen mir seltsame Dinge.

Gestern stieß ich auf diese Fährte, als ich jenseits des Buchenwaldes den Hügel her­aufkam. Die Spur eines Menschenpaares. Es war spät am Nachmittag; als ich stehen blieb, hing die Sonne orangenrot in den Baumwip­feln. Die Spuren waren im weichen Wald­boden deutlich sichtbar. Mir fiel der Unter­schied auf. Hier der Abdruck derber gena­gelter Stiefel, wie sie die Holzknechte dieser Gegend tragen, dort schmal und leicht, die Spur von Mädchenschuhen allerbester Her­kunft. Ein ungleiches Paar. Hier trafen sie zusammen. Nun liegen die Spuren dicht bei­einander. Eng aneinander geschmiegt gingen sie weiter, langsamen Schrittes, wie die Fährte verrät. So ein Paar, das nach Men­schensitte kaum zueinander paßt, wohin mag es sich wenden?

Ich folge der Spur, tief in Gedanken, ein paar Schritte weit. Liebe kennt keine Unter­schiede. Sieh, jetzt stehen die Spuren hart gegeneinander, sie hat sich auf die Zehen­spitzen gehoben, weil er viel größer ist als sie. Nun küssen sie sich und lange bleiben sie so stehen, denn die Eindrücke sind tief und ungenau. Wie sie dann in den Wald ein- treten, biegt er die Zweige vor ihrem Antlitz zur Seite und manebe davon breefcen ab.

Die Spur, eine kaum sichtbare Linie, die morgen nicht mehr sein wird, führt durch die Wiese. Gräser und Halme werden sich wie­der aufrichten. Eines von ihnen biegt ab, um Blumen zu pflücken. Sie ist es ja, nur sie kann es sein. Nicht viele, einen kleinen Strauß nur nimmt sie, mit hastigen Fingern bricht sie die Stengel und schon ist sie wie­der bei ihm.

Sie gehen weiter, immer weiter. Durch Ge­hölz, über Lichtungen an einem Kornfeld ent­lang. Aber sie bleiben nicht mehr stehen, sie küssen sich nicht mehr. Dann kommt wieder eine Lichtung. Da liegen die Blumen, achtlos hingestreut, eine davon mit dem Absatz zer­treten.

Die Fährte bricht ab, weil felsiger Grund folgt. Dort drüben werde ich sie wieder fin­den, aber ich stehe noch in meinen Gedanken. Etwas wie stille Traurigkeit weht mich an.

Ja, hier stehen sie jetzt und sprechen lang. Ein Helles schimmert unter dem Wacholder­strauch. Kleines Spitzentuch, ist noch feucht von Tränen . . . Sie gehen fort, aber nicht gemeinsam. Vielleicht verweilt eines von ihnen einen Atemzug länger, sieht dem an­deren nach . . .

Gestern war es, am Spätnachmittag. Es dämmerte über den Hügeln, als ich heimfand. Seltsam sind die Fährten der Menschen, trau­rig oft, sie zu lesen. Du triffst Leute am Tag und kannst nicht hinter ihre verriegelten Stirnen sehen. Doch ihre Fährten verraten sie. Gestern erlebte ich dieses Schicksal, das ein Abschied war.

20 Bewerber um Paul Roses Nachfolge

Auf die Meldung hin, daß der Intendant des Städtetheaters Tübingen-Reutlingen, Paul Rose, vom hessischen Kultusministerium mit Wirkung vom 1. August zum Intendanten des Staatsthea­ters Kassel ernannt worden ist, sind bisher be- über 20 Bewerbungen um die Leitung de* Stadtetheaterrs in Tübingen eingegangen*