8. Jahrgang

Montag, 8. Mai 1950

Nummer 70

Württembergs Sänger vereint

Schwäbischer Sängerbund Württemberg und Hohenzollern gegründet / Dr. Leuze, Reutlingen, Bundespräsident

Die so lang erstrebte Einigung aller schwäb ischen Sängervereine, die bisher in drei Bün­den, dem Schwäbischen Sängerbund, dem Wür ttembergischen Sängerbund und dem Sänger­bund Württemberg-Hohenzollern aufgeteilt wa ren, ist nun am gestrigen Sonntag in Reutlin­gen endlich Tatsache geworden. Delegierte vo n 1178 Vereinen waren zum ersten Bundestag des neu zu gründendenSchwäbischen Sänge rbundcs Württemberg und Hohenzollern In die Friedrich-List-Halle Reutlingen geladen, w o die Konstituierung in einer durchaus harmo­nisch verlaufenen ganztägigen Versammlung einstimmig vorgenommen wurde. Zum neuen Präsidenten des Schwäbischen Säng erbundes wurde, wie erwartet, Dr. Eduard Leuze, Reutlingen, bisher Präsident des S ängerbundes Württemberg-Hohenzollern, mit 651 Stimmen von 889 abgegebenen Stimmen g ewählt. Damit anerkannte die schwäbische Sängerschaft in ihrer überwältigenden Mehr heit die besonderen Verdienste, die sich Dr.

Leuze seit neun Monaten vorbereitender Arbeit um die Einigung erworben hat.

Rund 70 000 schwäbische Sänger sind damit wieder in einer Organisation zusammenge­faßt, die eine so große und verpflichtende Tradition im Schwabenland hatte. Gleichzeitig ist der Schwäbische Sängerbund damit wieder wie früher zum größten Verein des gesamt- württembergischen Landes geworden. Die Stadt Reutlingen hatte dem Bundestag ein festliches Gepräge zu verleihen verstanden. Noch nie war die große Listhalle so übervoll gewesen, daß sie die Besucher bei weitem nicht mehr fassen konnte. Eine große Zahl re­präsentativer Vertreter des kulturellen Le­bens hatte sich eingefunden, so Kultminister Dr. Sauer mit seinen Referenten, Ministerial­direktor Franz als Vertreter von Kultmini­ster Bäuerle, Stuttgart, Präsident Otto Mayer vom Schwäbischen Sängerbund, zugleich stell­vertretender Präsident des Deutschen Sänger­bundes, Präsident David Stetter vom Württ. Sängerbund, Präsident Hertel vom Hessischen Sängerbund, Präsident Heß vom Badischen Sängerbund, Bundeschormeister Nagel, Dr. Holle, Präsident des Volksmusikverbandes Württemberg, Oberbürgermeister Kalbfell, Reutlingen, Oberbürgermeister Meyle, Heil­bronn, und zahlreiche andere. Am Vorabend hatte in der Listhalle ein vom Südwestfunk übertragenes Festkonzert der Reutlinger Sängervereine unter Mitwirkung des Schwä­bischen Symphonieorchesters unter Hans Grischkat stattgefunden, bei dem Prof. Hugo Herrmann und Georg Krietsch eigene Kompo­sitionen und solche von Erwin Lendvai und Heinrich Pestalozzi, Chormeister Julius Steinle und Gauchormeister Holzer Werke von Otto Jochum, Josef Butz und Otto Sigl zur Aufführung brachten.

Auch der eigentliche Bundestag am Sonn­tagmorgen wurde zunächst durch gemeinsam gesungene Chöre der Reutlinger Sängerver­eine eingeleitet, wobei dem anwesenden Bun­deschormeister Nagel freundliche Ovationen dargebracht wurden.

Die Gründungsversammlung

Die Gründungsversammlung desSchwäbi­schen Sängerbundes Württemberg und Hohen­zollern wurde mit der Begrüßungsansprache von Dr. Leuze eröffnet. Er gab seiner Ge­nugtuung Ausdruck, daß heute nun der Tag gekommen sei, an dem der alte Wunsch der württembergischen Sängerschaft, über die Zo­nengrenzen und die Schranken der einzelnen Bünde hinweg, zusammenzukommen, sich er­fülle. Er dankte insbesondere dem Oberbürger­meister der Stadt Reutlingen für seine Gast­freundschaft und die wirksame Hilfe bei der Vorbereitung und Veranstaltung der Versamm­lung und übermittelte den Gruß und die Glück­wünsche der französischen und amerikanischen Militärregierung. Dr. Leuze unterstrich die kul­turelle Bedeutung des Tages, der den Schluß­stein der durch die Kommission der bisherigen drei Bünde des Schwäbischen Sängerbundes, des Württembergischen Sängerbundes und des Sängerbundes Württemberg-Hohenzollern ge­führten Besprechungen über die Einigung bil­det. .

Dann ergriff Kultminister Dr. Sauer das Wort, um diesereinzigartigen und histori­schen Versammlung die Grüße der Landes­regierung auszusprechen. Er gab der Hoffnung Ausdruck, daß es das letze Mal sein möge, daß der Bundestag des Schwäbischen Sängerbun­des Württemberg und Hohenzollern von zwei verschiedenen Landesregierungen an­gesprochen werden muß. Nicht nur den anwe­senden Festteilnehmern, sondern dem ganzen Volke rief er die Mahnung zu:Vergeßt nicht, welch hohes und einzigartiges Kulturgut uns im deutschen Lied übergeben und anvertraut ist! Besonderer Dank gebühre daher den Männern und Frauen, die auch in den ver­gangenen Jahren trotz Kummer und Sorgen sich der Pflege des deutschen Liedes gewidmet haben.

Gutes Vorzeichen für Südweststaat

Ministerialdirektor Franz aus Stuttgart drückte die Befriedigung der Regierung von Württemberg-Baden über diesen historischen ersten Bundestag des neuen Sängerbundes aus, dessen Schaffung und Zusammenarbeit mit den benachbarten Bünden sehr zu begrüßen sei. Den Sängerbünden sei schon vor 100 Jah­ren als Stätten der Eintracht, des Friedens, der Geselligkeit und Einigkeit auch große poli­tische Bedeutung zugekommen. Die Einheit der Sängerschaft, die in Baden über die Zo­nengrenzen hinweg mit dem Badischen Sän­gerbund bereits verwirklicht worden ist, und deren Verwirklichung in Württemberg nun un­mittelbar bevorstehe, sei ein gutes Vorzeichen für den für unser Gesamtschicksal so bedeut­samen Südweststaat.

Oberbürgermeister Kalbfell, der als nächster Redner sprach, stellte mit Genugtuung fest, daß die Friedrich-List-Halle noch nie sc- viele Gäste aufgenommen hatte wie am heu­tigen Tag, an dem die Sangesfreunde vom Bodensee, Schwarzwald und Neckar erwar­tungsvoll nach Reutlingen blicken, wo ihre verantwortlichen Vertreter über die Einigung der Schwäbischen Sängerbünde abstimmen. Die Sängerschaft habe die Aufgabe, das wertvollste Gut der Deutschen, ihr Lied, ihre Musik und Dichtung, zu erhalten und an die Jugend wei­terzugeben.

Der Präsident des badischen Sängerbundes, Herr Heß, übermittelte aus Karlsruhe die Grüße des Bruderbundes,

Auch der Präsident des Hessischen Sängerbun­des, Georg H e r t e 1, der aus Frankfurt M.

zu dieser Tagung herbeigeeilt war, fand herz­liche Worte der Begrüßung.

Als erster Punkt der Tagesordnung wurde in Abänderung des Programms die Frage des Anschlusses des Schwäbischen Sänger­bundes Württemberg und Hohenzollern an den Deutschen Sängerbund erörtert. Der Präsident des Schwäbischen Sängerbundes, Otto Mayer aus Eßlingen, setzte sich in sei­ner Ansprache für diesen Anschluß ein. Der Deutsche Sängerbund mit dem Sitz in Dort­mund sei mit 200 000 singenden Mitgliedern eine machtvolle Organisation der deutschen Sängerschaft, der abseits der Klassenunter­schiede stehe, denn er bestehe zu 80 Prozent aus Arbeitervereinen.

Für Neutralität des neuen Bundes

Als Sprecher des Württembergischen Sän­gerbundes und des Sängerbundes Württem­berg-Hohenzollern setzte sich Dr. Leuze nachdrücklich für Neutralität und somit gegen den Anschluß an den DSB ein, denn nur so könne das Werk der Einigung gelingen und die sozialen Gegensätze überbrückt werden. Er hob hervor, daß schon bei der Namensgebung für den neuen Bund auf die Tradition des Schwä­bischen Sängerbundes größte Rücksicht ge­nommen worden sei und daß die anderen Bünde in dieser Beziehung wie auch hinsicht­lich der Frage des Anschlusses an den Deut­schen Allgemeinen Sängerbund sehr rücksichts­voll gewesen seien. Es würde jedoch ein Uebermaß bedeuten, wenn sie nun auch noch auf die von ihnen geforderte Neutralität ge­genüber dem DSB verzichten sollten.

Der Vorschlag von Dr. Leuze, es nach die­sen beiden Reden bei der Darstellung des Für und Wider des Anschlusses bewenden zu las­sen, traf auf den Widerspruch verschiedener Delegierter, vor allem des Präsidenten des Stuttgarter Liederkranzes und des Oberbür­germeisters von Heilbronn, Paul Meyle, die nachdrücklich die Fortsetzung der Diskussion über die Frage des Anschlusses an den DSB verlangten. Die Wogen der Erregung glätteten sich erst, als bei der Abstimmung sich die Mehrheit der Delegierten der Bundesvereine gegen die Fortsetzung der Diskussion entschied. Während des Einsammelns der Stimmzettel verlas Dr. Leuze ein Glückwunschschreiben des Schwäbisch-Bayerischen Sängerbundes und gab

bekannt, daß die beiden Kultministerien in Stuttgart und Tübingen sich entschlossen ha­ben, dem neugegründeten Bund als Erstaus­stattung 2000 Mark, bzw. 1000 Mark zur Ver­fügung zu stellen. Das Abstimmungsergebnis ergab eine eindeutige Mehrheit für die Neutra­lität des neugegründeten Bundes. Von 905 ab­gegebenen Stimmen sprachen sich 649 für sie und 254 für den Anschluß an den DSB aus. Nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnis­ses wurde einstimmig eine Entschließung an­genommen, die zum Ausdruck brachte, daß die Einigung der gesamten Sängerschaft das Ziel des Bundes ist und daß der Bund es begrüßen würde, wenn der Deutsche Allgemeine Sänger­bund und der Deutsche Sängerbund ebenfalls in Einigungsverhandlungen treten würden.

Auch bei der Beschlußfassung über die Sat­zung kam es zu lebhaften Diskussionen, vor allem über das in ihr vorgesehene Verbot par­teipolitischer und konfessioneller Bindungen des Bundes wie auch der einzelnen Vereine. Nach längerem Hin und Her wurde jedoch die in einigen Punkten abgeänderte Gesamt­satzung einstimmig angenommen. Damit war der Schwäbische Sängerbund Würt­temberg und Hohenzollern konstituiert. Der Würdigung dieses feierlichen Augenblicks ge­bührend, erhoben sich alle Teilnehmer von ihren Plätzen und stimmten das Lied an:Brü­der reicht die Hand zum Bunde.

Als nächster Punkt der Tagesordnung kam die Wahl des Bundespräsidenten zur Sprache. Dr. Leuze und Paul Meyle, der Oberbürger­meister von Heilbronn, waren als Kandidaten aufgestellt. Dr. Leuze gab deshalb den Vorsitz an den Vorsitzenden des Uhland-Sängergaues, Talmon-Gros, ab. In einer kurzen An­sprache stellte Herr Meyle sich den Delegierten vor und brachte zum Ausdruck, daß er trotz der auf ihm lastenden Bürde der Arbeit als Oberbürgermeister einer zerstörten Stadt es als innere Verpflichtung betrachte, sich für dieses Amt zur Verfügung zu stellen. Einer der

ältesten Delegierten, Herr Diezel aus Schwä­bisch Gmünd, sprach sich für die Wahl von Dr. Leuze aus, dessen Bemühungen es im we­sentlichen zu verdanken sei, wenn das Werk der Einigung heute seinen erfolgreichen Ab­schluß gefunden habe.

Große Mehrheit für Dr. Leuze

Die Abstimmung ergab eine starke Mehrheit für Dr. Leuze. Mit 651 von 889 abgegebenen Stimmen wurde er zum Präsidenten des Schwäbischen Sängerbundes Württemberg und Hohenzollern gewählt.

Zu Ehren des neugewählten Präsidenten sang die Versammlung das Wahllied des Sän­gerbundes:Grüß Gott mit hellem Klang. Als erster Redner gratulierte der Gegenkandi­dat, Oberbürgermeister Meyle mit herzlichen Worten dem Präsidenten zu seiner neuen Würde. Nachdem einige weitere Redner ihre Glückwünsche ausgesprochen hatten, dankte er selbst der Versammlung für das ihm durch die Wahl ausgesprochene Vertrauen. Aus der Wahl zum Vizepräsidenten ging Paul Meyle mit 810 von 1003 Stimmen hervor. 2. Vizeprä­sident wurde Willi M e i n k , Reutlingen mit 591 Stimmen. Zum Schriftführer wurde ge­wählt August Meyle aus Calw und als stell­vertretender Schriftführer Erwin Heck, Eß­lingen. Bundesschatzmeister wurde Emil Strobel, Stuttgart, Beisitzer die Herren J. Klein, Tübingen, Otto Mayer, Eßlingen, Raff, Möhringen, Viktor Hochstetter, Stuttgart, Anton Mohn, Ulm und Anton Sommer, Friedrichshafen. Als Musikbeirat wurden gewählt: Professor Hugo Herr­mann, Reutlingen, H. Dettinger, Eßlin­gen, Karl M ä d e r , Plochingen, Georg Krietsch, Reutlingen, A. Kunstmann, Stuttgart, W. Wallishauser, Hechingen, W. B e h, Göppingen, Max Zipperer, Heil­bronn und F r o m 1 e t, Ravensburg.

Bundespräident Leuze teilte dann noch mit, daß die Kassenführung der einzelnen Bünde bis zum 30. 6. abgeschlossen sein müsse, um dann am 1. 7. 1950 vom Bund übernommen zu werden.

Mit der Ermahnung des Präsidenten, nun alle Kräfte für die Arbeit am Bund einzuset­zen, wurde die Versammlung geschlossen.

Die Friedrich-List-Halle konnte kaum die Teilnehmer fassen, die von Nord- und Südwiirttem- b erg-Hohenzollern kamen

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