6. Jahrgang

MONTAG, 27. MÄRZ 1950

NUMMER 48

Das flämische Problem

Königskrise macht alte Spannungen sichtbar

Von unserem Düsseldorfer G.F.-Korrespondenten

Für den Weltfrieden

Nachfolger des Marshallplans?

WASHINGTON. Präsident T r u m a n for­derte am Samstag in einem Telegramm von seinem augenblicklichen Urlaubsort Kay West in Florida aus den Kongreß auf, die Kosten für das von der Regierung vorgeschlagene Auslandshilfsprogramm in voller Höhe zu bil­ligen. In diesem Programm sind u, a. 3,1 Mil­liarden Dollar für das dritte Marshallplan- Jahr enthalten. Verschiedene Politiker im Kongreß fordern eine Herabsetzung dieser Summe. Zudem hat der Bewilligungssaus­schuß des Repräsentantenhauses sich kürzlich schon dafür ausgesprochen, nur 2,1 Milliarden in bar zu geben.

Truman vertrat in seinem Telegramm den Standpunkt, die Bewilligung des Regierungs­vorschlags sei ,,das mindeste, was im Interesse der USA und ihrer Bemühungen zur Herstel­lung des Weltfriedens geschehen muß.

Senator Vandenberg forderte am Samstag die Bildung eines Untersuchungsausschusses, der die Möglichkeiten für einenNachfolger des Marshallplans prüfen soll. Vandenbergs Vorschlag ist der erste richtige Vorstoß in der schon seit längerer Zeit diskutierten Frage, ob und in welcher Form die USA nach Been­digung des Marshallplans in zwei Jahren ihre Auslandshilfe fortsetzen werden.

85 Personen landeten

58 wollen wieder zurück

ERDING. Am Freitagabend landeten auf dem amerikanischen Flugplatz Erding bei München drei tschechoslowakische Flugzeuge mit 85 Pas­sagieren und Mannschaften an Bord. Am Sams­tag erklärten 58 der Passagiere, daß sie in ihr Heimatland zurückkehren wollten. Nur 26 be­absichtigen, in Westdeutschland zu bleiben.

Die Maschinen kamen von drei verschiede­nen Flugplätzen der Tschechoslowakei. Der Fluchtplan ging von den Flugzeugbesatzungen aus. Mitglieder der Besatzungen, die sich ge­weigert hatten, nach Deutschland zu fliegen, waren überwältigt und gefesselt worden.

Am vergangenen Wochenende war Prag voll von Gerüchten über den Tod von Kabinetts­ministern,Palastrevolutionen und Flügen von Regierungsbeamten nach dem Westen. Ueber den stellvertretenden Ministerpräsiden­ten Fierlinger wurde erzählt, er sei durch Attentäter erschossen worden wobei S 1 a n z k y, der Generalsekretär der kommu- r '.irischen Partei, schwer verletzt worden sei, er habe Selbstmord begangen und man habe ihn verhaftet.

Ein Regierungssprecher bezeichnete die Ge­rüchte alsphantastisch.

Das schwäbische Knäblein

Wohlcb und YVirth weiben für Gesamtbaden

MANNHEIM. Auf einer am Samstag von der Arbeitsgemeinschaft der Badener in Mann­heim veranstalteten Versammlung, auf der Staatspräsident Wohieb und Altreichskanzler Dr. Wirth sprachen, kam es zu einem Tumult, als die Versammlungsleitung eine Diskussion ablehnte, bei der ein Anhänger des Südwest­staats zu Wort kommen sollte- Dr. Wirth rief bei dieser Gelegenheit in den Saal:Unser Baden wird leben und Sie, die Sie den Süd­weststaat wollen, werden untergehen. Als ein junger Mann darauf von ihm Diskussionsfrei­heit forderte, erwiderte Wirth:Sie sind zu j ung, um mit mir zu sprechen.

Vorher hatte Wohieb festgestellt, er verstehe nicht, daß ausgerechnet im südwestdeutschen Raum ein größerer Staat geschaffen werden soll:Gehen Sie hin und fragen Sie einen Hamburger, ob er sich vielleicht Niedersachsen anschließen wolle oder gar Schleswig-Holstein aber nehmen Sie gleich Verbandszeug mit. Wirth sagte:Ich habe den Eindruck, daß wenn in Baden eine Stelle frei wird, das schwäbische Knäblein dafür bereits geboren ist.

Im gleichen Gebäude hielt zur selben Zeit die VereinigungSüdwest eine Versammlung ab, auf der Vertreter des Südweststaat-Gedan­kens sprachen.

BRUSSEL, im März.

Die belgische Königsfrage hat den Riß auf­gezeigt, der quer durch Belgien geht: Hier Wal­lonen, hier Flamen. Die Wallonen bevölkern die Industriegebiete im Osten' und Süden des Landes. Sie sitzen in den südlichen Kohlen­revieren um Charleroi, Lüttich und in der Provinz Limburg, während die Flamen im Norden zu Hause sind, um Antwerpen, Gent, Brügge. In den wallonischen Gebieten über­wiegen die sozialistischen Elemente, bei den Flamen die katholische Weltanschauung.

Die Spannung zwischen Flamen und Wallo­nen ist genau so alt wie der Staat Belgien. Al­bert I., der in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg auf einer Klettertour tödlich verun­glückte, hat diese Schwierigkeiten einmal mit einem Satz umrissen:Cette couronne me pese (diese Krone drückt mich). Das war nur zu verständlich, denn die großen flämisch-wal­lonischen Auseinandersetzungen haben sich un­mittelbar nach dem ersten Weltkrieg abge­spielt. Damals setzten die Flamen die Gleich­berechtigung ihrer Sprache durch, damals wurde der Kampf um die Hochschulen zu ihren Gunsten entschieden. Damals fanden alljähr­lich Wallfahrten zum großen Kreuz an der Iser statt, auf dem die Initialien A. V. V. V. V. K. (Alles voor Vlanderen Vlanderen voor Chri­stus) eingemeißelt waren. Für dieses christliche

VILLINGEN.Die Sozialdemokratische Par­tei der drei südwestdeutschen Länder bekräf­tigt ihre positive Haltung zum Südweststaat, den sie als eine nationalpolitische, wirtschaft­liche und geschichtliche Notwendigkeit betrach­tet, heißt es in einer von den Bezirksvorstän­den der SPD von Baden, Württemberg-Hohen- zollern und Württemberg-Baden am Sonntag auf einer Konferenz in Villingen gefaßten Ent­schließung. Die SPD der südwestdeutschen Län­der wünscheso bald als möglich eine Volks­abstimmung über den Südweststaat und halte sofortige Verhandlungen über die Abstim­mungsformel zwischen den beteiligten Länder-

MÜNCHEN. Der bayerische Rundfunk will das im Kriege ausgebrannte Armeemuseum in Mün­chen zu einem neuen Rundfunkhaus ausbauen.

SAARBRÜCKEN. Die Verwaltung der Saar­gruben hat für heute eine Feierschicht im Saar­bergbau angeordnet und dies mit dem auf Grund der französischen Streiks stockenden Kohlenab­satz erklärt.

MÜNCHEN. Im Anschluß an eine Kundgebung der Gewerkschaften, bei der rund 2000 Menschen gegen die Freisprüche im Münchener Gestapo­prozeß protestierten, kam es zu blutigen Schlä­gereien zwischen den Demonstranten und der Polizei. Die Polizei verhaftete mehrere Perso­nen.

KASSEL. Der Landrat des Kreises Rotenburg a. d. Fulda, Dr. Seraphim, verhängte am Frei­tag ein Redeverbot gegen den thüringischen Fi­nanzminister Dr. König, der in Sontra vor dem kommunistischen Komitee für die Einheit Deutschlands sprechen wollte.

BRAUNSCHWEIG. Im Prozeß gegen den frü­heren Ministerpräsidenten von .Braunschweig, Dietrich Klagges, der der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist, forderte der Ober­staatsanwalt am Samstag lebenslängliche Zucht­hausstrafe. Klagges bezeichnete am Freitag sich selbst alspolitisch Verfolgten des Marxismus.

MÜNCHEN. Prof. Ernst Niekisch von der Hum­boldt-Universität im Sowjetsektor Berlins, er­klärte am Samstag in München, die Sowjetunion erwäge gegenwärtig, die zu Zwangsarbeit ver­urteilten deutschen Kriegsgefangenen zu amne­stieren.

Flandern hatten die flämischen Regimenter im ersten Weltkrieg gekämpft, hatten sie sich die Gleichberechtigung im parlamentarischen Le­ben ebenso erstritten wie die Verwaltungs­trennung.

Den Flamen war das noch nicht genug, so kam in den dreißiger Jahren eine Welle hoch, die gern ein deutsches Reich gesehen hätte, das von Dünkirchen bis zur deutschen Grenze ging. Vom Hitlerismus geblendet, blieben sol­che Wünsche junger Heißsporne Utopien.

Die Gegensätze der beiden Volkstumsgrup­pen haben in der Nachkriegszeit, wo Belgiens Wirtschaft zunächst als erste europäische auf Hochtouren lief, nach außen hin nur relativ wenig sichtbar sein können. Unter der Ober­fläche haben sie immer bestanden. Durch die Königsfrage sind sie vertieft worden. Mit einer Entscheidung so oder so sind sie noch lange nicht gelöst. Das zukünftige Zusammen­leben von Wallonen und Flamen in einem Staat hängt in erster Linie davon ab, wer an der Staatsspitze steht. Persönlichkeiten wie die früheren belgischen Könige, auch, aber der westeuropäisch denkende und handelnde Ministerpräsident Spaak sind mit diesen Pro­blemen fertig geworden. Es ist die Frage, ob, falls Leopold abdanken sollte, der jetzt 18jäh- rige Thronfolger Baudouin reif und erfahren genug wäre, diese schon historischen Gegen­sätze auszugleichen.

regierungen für erforderlich. Den Wählern solle nur die Frage vorgelegt werden, ob sie den Südweststaat wünschen oder nicht. Die Stim­men sollen in den beiden alten Ländern Ba­den und Württemberg durchgezählt werden.

Die drei Bezirksvorstände kamen überein, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Zu­standekommens des Südweststaates die drei jetzt bestehenden Parteibezirke zu einem ein­heitlichen Parteibezirk zusammenzuschließen. Eine Kommission soll mit den organisatorischen Einzelheiten des Zusammenschlusses beauf­tragt werden, der zum technisch frühest mög­lichen Termin erfolgen soll.* *

WIEN. Ungarische Grenzpolizei eröffne^ am Freitag das Feuer auf eine Gruppe von öster­reichischen Frauen, die sich in der Nähe der Grenze aufhielt. Dabei wurde eine Frau ge­tötet, eine weitere schwer verletzt.

BUDAPEST. Die ungarische Regierung hob am vergangenen Wochenende die Sonderbestim­mungen für die deutsche Bevölkerung in Un­garn auf.

LONDON. Am Freitagabend starb im Alter von 56 Jahren der frühere Vorsitzende der bri­tischen Labour-Party, Prof. Harold Laski. Laski, der seit 1936 dem Vorstand der Partei angehörte, und viel über Sozialismus geschrieben hat, war nie Mitglied einer Regierung.

ANKARA. Am Samstagnachmittag stürzte ein türkisches Verkehrsflugzeug in der Nähe des Flughafens von Ankara ab. Alle 15 Insassen wurden getötet.

TOLEDO. Am Freitag wurden 18 Spanier, de­nen vorgeworfen wurde, sie hätten beabsichtigt, General Franco zu stürzen, zu Freiheitsstrafen von 2 bis 25 Jahren verurteilt.

NEW YORK. Die National City Bank in New York gab am Wochenende bekannt, daß Spanien von ihr eine Anleihe über 20 Millionen Dollar erhält.

TOKIO. Politische Kreise Japans wollen wis­sen, die Sowjetunion sei bereit, zwei Inseln der Kurilen-Gruppe an Japan zurückzugeben, falls Japan sich zu einem stärkeren Handel mit dem kommunistischen China verpflichte.

Die unklugen Frauen

cz. Man freut sich immer sofern der Autor bei der Behandlung eines ernsten Themas Hu­mor entwickelt. Wenn nur der spröde Stoff seine Auflockerung erfährt. Daher soll den Le­sern, denen derv,,Schwäbische Bauer, dasOr­gan des Landesbauernverbandes für Württem- berg-Hohenzollem, und Mitteilungsblatt des Landwirtschaftsministeriums Tübingen, nicht zugänglich ist, ein Passus aus dem Artikel vom Präsidenten des Verbandes und Bundestags­abgeordneten Bauknecht nicht entgehen. Unter dem TitelWachsende Erkenntnis wird da zum Thema: Wie kommt es, daß trotz Ange­bots der Verzehr an Fleisch auf der halben Höhe des Friedensverbrauchs stehen blieb?, nach einer Reihe gewichtiger Argumente wie geschwächte Kaufkraft der Bevölkerung, Er­satz verlorener Güter, unumgängliche Investi­tionen, Notgroschen, Druck der ausländischen Märkte usw., folgendermaßen argumentiert:

Dazu kommt, was meist nicht genügend beachtet wird, eine Verlagerung des Geld­verbrauchs bei der weiblichen Welt auf das Gebiet, was man schlechthin als Mode be­zeichnet. Und heute sind diese Erscheinun­gen stärker denn je. Denn wohl kaum war seit dem 30jährigen Kriege der Ueberschuß der Frauen so groß, wie heute. Das hat zur naturgemäßen Folge bei dem starken Ange­bot und der schwachen Nachfrage auf dem Heiratsmarkt, daß alle Schönheitsmittel aufgewendet werden, um die äußeren Reize genügend herauszustellen. Und so sind denn modische Kleider und Fantasiehüte, mög­lichst jeden Tag wieder etwas Neues, teure Kreppsohlenschuhe, Wasserwellen, Nylon­strümpfe, Nagellack und Lippenstifte und die Ausgaben für Theater, Film und Cafe­haus, wo diese Dinge dann zur Schau ge­tragen werden, zu scharfen Konkurrenten, mit den 'Ausgaben für bessere Mahlzeiten geworden.

Mahlzeit! Hoffentlich vernehmen alle Frauen diesen humorigen Appell, lassen modische Klei­der, Phantasiehüte, Nylonstrümpfe und Lip­penstifte fahren und essen. Ist ja zweifellos gesünder und nahrhafter als beispielsweise Lippenstifte und was man sonstschlechthin als Mode bezeichnet. Sehr gut der Ueberschuß an Frauen, der sich, wie Käse und Fleisch, je­des .auf seinem Markt, nach dem Gesetz'von Angebot und Nachfrage nicht an den Mann bringen läßt. Wie wärs denn, wenn man es auch bei Käse und Fleisch mitSchönheitsmit­teln versuchte,um die äußeren Reize genü­gend herauszustellen? Der normale Weg, durch Kaufkraftstärkung in Form von Preis­senkungen und Lohnerhöhungen bleibt ja im­mer noch.

Mit den Ausgaben für Theater, Film und Cafehaus ist das auch nicht so einfach, steht doch schon in der Bibel:Der Mensch lebt nicht von Brot (bzw. Fleisch und Käse) allein...

Noch eine Sorge: Wenn die Frauen plötzlich oben Gerügtes unterlassen und sich dem Flei­sche zuwenden, besteht da nicht die Gefahr, daß sie an Stelle der Männer beschließen Po­litiker zu werden. Oder sollen sie es gar nicht essen, sondern nur zubereiten? Ganz klar ist das nicht.

Wie wärs mit:Deutsche Frau deutsches Fleisch für Käse ähnlich. Oder:Weg mit dem Lippenstift eßt mehr Käse.

Eine glatte Rechnung: Halbe Höhe des Frie­densverbrauchs, verdoppelter Friedenspreis bei Fleisch. Stimmt haargenau, vom Geldbeutel des Konsumenten aus gesehen. Also waren die Frauen des Landes vordem nicht weniger lasterhaft, wenn man die ernstzunehmenden Gründe für den Konsumverzicht gegen etwaige Lohnerhöhungen aufrechnet. Fast möchte man annehmen, daß das schon vor dem 30jährigen Krieg so war, als die Frauen noch nicht so reizen mußten.

Und so nebenbei: Mir jedenfalls ist eine kreppbesohlte, wassergewellte, nylonbe- strumpfte, nagelgelackte, lippenbestiftete, mo­disch angezogene (mit Hut!), Theater, Film und Cafehaus zwecks zur Schaustellung nicht verschmähende charmante, aberunkluge Frau lieber als die Gewißheit, daß selbige ohne das alles die ihr zukommende Portion Fleisch und Käse vertilgt hat. Doch das ist individuell und wird mir hoffentlich niemand übelnehmen.

Eine nationalpolitische Notwendigkeit

Bekenntnis der SPD zum Südweststaat

Nachrichten aus aller Welt

FRANZ WILHELM KIELING

t&ä&seL um kDc. a, iL

KRIMINALROMAN Alle Rechte bei Feuilletondienu Molmder, Tübingen-LuKmu

In ehrlicher Besorgnis um ihre Gesundheit hatte Oberregierungsrat Werner Dr. Beming aus der Klinik rufen lassen. Sein Erscheinen aber wirkte sich noch unheilvoller aus. Doro­thea weigerte sich nicht nur, sich von Ber- ning behandeln zu lassen, sie tat es in einer Form, die für ihren Verstand fürchten ließ.

Werner wußte sich keinen Rat, aber irgend etwas mußte für die Bedauernswerte gesche­hen. Da sie offenen Abscheu gegen Dr. Ber- ning bezeugte, war es unmöglich, sie in seine Behandlung zu geben. Zuerst ließ er eine Schwester aus dem Sanatorium kommen, die sich um das junge Mädchen bemühte. Schließ­lich fiel ihm ein, daß Referendar Reuter ihm kürzlich erzählt hatte, wie sehr seine Eltern an Dorothea Falk hingen. Er entschloß sich, sie in die Obhut des Justizratehepaars zu ge­ben; die Veränderung würde ihren angegrif­fenen Nerven gewiß wohltun.

Auf diese Weise kam Dorothea Falk, die Willenlos alles mit sich geschehen ließ, in das Haus Reuter, und Dr. Werner nahm das be­ruhigende Gefühl mit, daß sie sich dort in besten Händen befand.

*

Paul Reuter vermied es, die Kranke sofort nach seiner Rückkehr zu besuchen. Zunächst wollte er sich ein möglichst genaues Bild der Vorgänge verschaffen. Die Erzählung des Va­ters, der auch nur Gerüchte wiederzugeben vermochte, genügte ihm nicht.

Er hielt es für das Richtigste, Dr. Werner oder den Kommissar aufzusuchen, und er traf

beide im Hause des verstorbenen Sanitäts­rats.

Werner schien ihm seine plötzliche Abreise nicht übelgenommen zu haben. Er begrüßte ihn kameradschaftlich, sagte mit leisem Lä­cheln, daß er sich jetzt ein gutes Bild über das rasche Verschwinden des jungen Kollegen machen könne und gab bereitwilligst auf alle Fragen Auskunft. Danach sah für die Beam­ten der Fall Haack-Falk so aus:

Sanitätsrat Dr. Falk war nach dem Tode seiner ersten Frau eine zweite Ehe eingegan­gen, die nur kurze Zeit bestanden hatte und wegen Verschuldens der Frau geschieden wor­den war. Aus der ersten Ehe war ein Töchter- chen vorhanden, Dorothea, aus der zweiten Ehe stammte ein Sohn, der der Mutter be­lassen worden war. Falk schien niemals An­sprüche wegen Herausgabe des Sohnes an seine geschiedene Frau gestellt zu haben.

Hier schaltete zur Ueberraschung Dr. Wer­ners sich der Referendarein:Er war andern Verbleib des Sohnes uninteressiert, weil er Anzeichen dafür zu haben glaubte, daß seine um vieles jüngere, lebenslustige Frau es mit der Treue nicht genau genommen hatte. Er hatte sich mit dem Scheidungsurteil, das sei­ner Frau die Alleinschuld gab, begnügt, hatte verlangt, daß die Frau ihren Mädchennamen wieder annahm, den diese auch dem Kinde gab, und sorgte im übrigen so ausreichend für den Sohn, den er nie zu Gesicht bekam, daß Mutter und Kind ein sehr anständiges Leben von diesem Unterhaltsbetrage führen konnten. Dafür hatte er zur Bedingung ge­macht, daß beide völlig aus seinem Leben ver­schwanden. Seiner Tochter, die noch viel zu klein gewesen war, um etwas von diesen Vor­gängen in sich aufzunehmen, verbarg er spä­ter diese Dinge.

Das ist ja fabelhaft, Herr Kollege! Wir bemühen uns seit langem um die Aufklärung dieser Zusammenhänge, und für Sie scheinen das längst ölte Kamellen zu sein.

Paul Reuter lächelte ein wenig, als er fort­fuhr:Ich habe in Freiburg Ermittlungen an­gestellt, weil ich wußte, daß Falk früher dort gelebt hatte. Auf dem Standesamt und im Landgericht verschaffte ich mir Einblick in diese Zusammenhänge. Ich wußte auch, daß Margot von Haack, Falks zweite Gattin, ver­suchte, sich ihrem einstigen Manne wieder zu nähern, um von ihm größere Geldbeträge zu erhalten. Zufällig war ich selbst unfreiwillig Zeuge einer sehr erregten Auseinandersetzung beider hier im Garten. Frau von Haack hatte wohl Falk mit Enthüllungen an Dorothea ge­droht, worüber der Sanitätsrat aufs tiefste empört war.

Und so hat er, um sich seiner Quälgeister zu entledigen, diese für immer zum Schwei­gen gebracht, fiel Dr. Werner ein.Der Be­weggrund wäre gegeben, alle Indizien spre­chen dafür. Insbesondere fällt es erschwerend ins Gewicht, daß der Sanitätsrat, wie wir durch die Vernehmung des Karl-Heinz von Haack, sowie einer weiteren Zeugin festge­stellt haben, am Mordtage bei Frau von Haack gewesen ist, wenn wir auch bisher nicht ein­wandfrei ermitteln konnten, daß er der letzte war, der sie lebend zu Gesicht bekam. Da wir nun aus ihrem Munde vernehmen müs­sen, daß Falk eine erbitterte Auseinanderset­zung mit seiner geschiedenen Frau gehabt hat, rundet sich das Bild immer mehr ab. Sie wissen ja auch noch nicht, daß in der Brief­tasche des verunglückten Rank, die wir in Falks Schreibtisch verborgen fanden, Wech­sel steckten, die Rodewald ausgefertigt hatte und die Unterschrift des Sanitätsrats trugen. Vermutlich waren die Unterschriften gefälscht, sie sollten zweifellos als Mittel dienen, den Sanitätsrat in einen Skandal zu verwickeln. Man hatte wohl gehofft, daß er, um sich davon loszukaufen, den Erpressungen willig nachgeben würde.

Und noch etwas ist festgestellt, setzte der

Kommissar Flodman den Bericht fort,was

wohl auch Sie als ausschlaggebend ansehen werden. Wir haben in Falks Manteltasche das Werkzeug gefunden, das bei der Ermordung der Frau von Haack benutzt wurde: ein Skal­pell von besonderer Form, das in der ärztli­chen Praxis Verwendung zu finden pflegt.

In der Manteltasche Falks sagten Sie? Wo fanden Sie den Mantel? In seinem Wagen et­wa? Erstaunt sahen die Beamten den erreg­ten Referendar an.

Gewiß, der Wagen war abgeschleppt wor­den und stand noch im Schuppen der Werk­statt. Darin lag Dr. Falks Mantel, und in der Tasche befand sich das Mordinstrument.

Reuter war aufgesprungen, seine Augen flammten, mühsam mußte er sich zur Ruhe zwingen, als er den überraschten Männern eröffnete:Meine Herren, das Skalpell befand sich noch vor wenigen Tagen ganz bestimmt nicht in diesem Mantel. Der Besitzer der Werkstatt wird Ihnen bezeugen, daß ii*. den Wagen gründlich untersuchte. Dabei ent­deckte ich auch Dr. Falks Mantel, den dieser auf seinen Fahrten stets im Wagen mitzufüh­ren pflegte. Den Inhalt der Taschen habe ich genauestens untersucht: außer Brille, Leder­handschuhen und Taschentuch befand -sich nichts darin. Ich bin bereit, dies zu beschwö­ren. Es ist unmöglich, daß mir das Messer entgangen sein könnte. Damit dürfte der Be­weis erbracht sein, daß man erst nachträglich die Mordwaffe dorthin befördert hat, um den Verdacht unter allen Umständen auf Falk zu lenken. Damit dürfte aber auch weiter erwie­sen sein, daß der Sanitätsrat nicht der Mör­der der Frau von Haack ist. Die ganze Ange­legenheit bekommt sonach ein anderes Gesicht, wir wissen nun, daß der Mörder noch unter den Lebenden weilt.

Reuter hatte mit großer Überzeugungskraft gesprochen. Der Kommissar war sichtlich aus seiner Ruhe gebracht, nur Werner blieb et­was im Zweifel, (Fortsetzung folgt)

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