6. Jahrgang

UMSCHAU IM LANDE

Nummer 43

Ein Angeber von Format

Ulm. Die Schwindellaufbahn jenes Rußland­heimkehrers, der im November vergangenen Jahres als Dr. Rudolf von Merg das Lager Kienlesberg passierte, während es sich in Wirk­lichkeit um einen ehemaligen Soldaten namens Egon M z y k handelte, fand mit dem Urteil des Amtsgerichts Ulm, das auf 9 Monate Gefängnis lautet, ihr Ende.

Vor Gericht gab der Angeklagte eine durch­aus glaubwürdige Darstellung der Umstände, die ihn veranlaßten, einen falschen Namen anzuneh­men. Noch 3"f deutscher Seite hatte er sich im Jahre 1944 als Verspreng*" - hei einer anderen Division als SS-Oberarzt Dr. Rudolf von Merg gemeldet, weil er im Wald eine Uniform dieses Dienstgrads gefunden hatte und mit ihr beim Kommiß eine Glanzrolle spielen wollte. Später, in russischer Gefangenschaft, gab er seinen wirk­lichen Namen Egon Mzyk an, galt aber bei Offi­zieren, die ihn in seiner SS-Oberarzt-Uniform kennengelernt hatten, als ein Mann, der sich tarnen wollte.

Bei seiner Entlassung im November 1349 trat er im Lager Kienlesberg wieder als Dr. von Merg auf, <vas ihm geglaubt wurde, weil es schon öfters vorgekommen ist, daß Heimkehrer die Personalien ihrer Entlassungspapiere richtigstell­ten. Dem gewandten, schlanken, intelligenten und sicher auftretenden jungen Mann wurde seine Rolle ohne weiteres geglaubt. Der ganze Roman kam erst ans Tageslicht, als der vornehme Herr von Merg bei einigen Kameradendiebstählen im Lager ertappt wurde.

Das unglaublichste Stückchen aber hatte er sich seiner Mutter gegenüber geleistet, die als Ost­vertriebene im Bayerischen Wald lebt. Er hatte die Herzlosigkeit, seiner eigenen Murer den Tod ihres Sohnes Egon Mzyk mitzuteilen, wobei er angab, der Soldat sei von ihm operiert worden und unter seinen Händen an zu großem Blut­verlust gestorben.

Alte Städte feiern Geburtstag

1950 ein Jahr der Stadtjubiläen / Von 600 bis zu 2000 Jahren

Das Jahr 1950 ist für viele Städte ein Jubi­läumsjahr. Sie sehen ihre erste urkundlich be­glaubigte Erwähnung gleichsam als ihren Ge­burtsschein an. Wo es sich um volle oder halbe Jahrhunderte handelt, da werden diese Ge­burtstage als festliche Jubiläen mit vielen Ver­anstaltungen begangen. Die Städte bekunden ei­nen ungebrochenen Lebenswillen, der seine Kraft nicht zuletzt aus der jahrhundertealten Geschichte schöpft, in der immer wieder Not­zeiten gemeistert worden sind.

In unserem Schwabenland feiern dieses Jahr so viele alte Städtchen Jubiläum, daß man sie alphabetisch ordnen muß: Altensteig: 850-Jahrfeier am 24.,25. Juni mit Heimattag und Floßfahrt auf der Nagold. B e r n e c k : 800-Jahr- feier mit Schloßbeleuchtung Anfang September. Biberach a. R. : 700-Jahrfeier in der zweiten Septemberhälfte. Neresheim: 600-Jahrfeier. Oberndorf a. N. : 700-Jahrfeier im Juli. Riedlingen: 700-Jahrfeier im September. R o 11 w e i 1 : 800-Jahrfeier im August/Septem­ber. Schorndorf: 700-Jahrfeier vom 10. bis 16. September. Waiblingen: 700-Jahrfeier im Juli/August. Wangen: 800-Jahrfeier vom 30. September bis 8. Oktober.

Außer diesen Städten feiern auch eine Reihe von Kirchen ihr Jubiläum. So die Kirche in Mengen ihr 600jähriges und die weit über das Schwabenland hinaus bekannte Wurmlinger Kapelle zwischen Tübingen und Rottenburg ihr 900jähriges. Die Feierlichkeiten beginnen hier am 30. April mit einer abendlichen Feierstunde und einem Höhenfeuer auf dem Berg; am 1. Mai vormittags 9 Uhr, findet in der Kapelle ein feierliches Hochamt, nachmittags vor der Ka- pelel eine Heimatstunde statt.

Außer der Reihe muß Kempten, die Haupt­stadt des Allgäus, genannt werden, die schon

Stuttgart rüstet zur Deutschen Gartenschau

Vorbereitungen auf dem Killesberg j Eröffnung am 3. Juni

Stuttgart. Auf dem Killesberg tut sich aller­hand. Es gilt jetzt, für dieDeutsche Garten­schau Stuttgart 1950 die großen Vorbereitungen zu treffen. Die Ausstellungshalle wächst bereits in die Höhe, es entstehen kleinere Hallen und Gewächshäuser, und überall in den ausgedehnten Anlagen wird gearbeitet für die vielen Freiland­blumenschauen, die in diesem Sommer die ganze Höhe mit malerischer Farbenpracht schmücken werden. Wenn dann dieDeutsche Gartenschau am 3. Juni ihre Pforten den Besuchern öffnet, ist damit auch der trostlose Anblick, den das Ge­lände in den Nachkriegsjahren bot, völlig ver­schwunden. Bis dahin sollen auch die zum Teil zerstörten Wasserspiele wieder ihre reizenden,

ln Deutschland wurden im Jahre 1949 insge­samt 140 verschiedene Briefmarken und 8 Blocks ausgegeben. Diese Ausgaben verteilen sich wie folgt: West-Berlin 50 Marken und 1 Block, Baden 23 Marken und 3 Blocks, Rheinland-Pfalz 13 Marken und 1 Block, Württemberg 20 Marken und 1 Block, Bizone 18 Marken und 1 Block und Ostzone 16 Marken uhd 1 Block. Unter den 140 verschiedenen Marken sind 55 Marken mit Zuschlägen. Es ist anzunehmen, daß im .Jahre 1950 nur ein Bruchteil dieser Marken zur Ausgabe gelangt.

In Ostdeutschland sollen im Laufe de3 Jahres 1950 Sondermarken für den Zweijahresplan und zum Bach-Jubiläum, außerdem eine Zuschlags­marke für die Volkssolidarität ausgegeben werden.

Anläßlich des 100. Geburtstages der Roten Dreier­sachsen wird in der Zeit vom 28. August bis 3. Sep­tember 1950 in Leipzig die D E B R I A (Deutsche Briefmarkenausstellung Leipzig) durchgeführt.

In Frankreich sind im Jahre 1949 insgesamt 54 verschiedene Marken mit einer Gesamtnominale von 2041,60 Fr. verausgabt worden.

In USA sind Sondermarken zur 100-Jahrfeier der kalifornischen Staatsgründung und zur Auf­nahme Kaliforniens in die Union sowie zur 160- Jahrfeier der Gründung der Stadt Washington vor­gesehen. Ferner sollen John Stevens, General John Pershing, Patrick Henry, Babe Ruth und General Patton im Laufe des Jahres 1950 in Briefmarken­ausgaben geehrt werden.

Venezuela bringt eine Briefmarkenserie mit insgesamt 384 Werten heraus. Damit dürfte dieses Land bei den Briefmarkensammlern abgeschrieben sein.

bei Nacht von unten beleuchteten Fontänen gen Himmel senden, und das muntere Pfeifen der Kleinbahn wird weithin zu hören sein. Drei neue Dampflokomotiven sind für dasBähnle in Auftrag gegeben worden, mehrere Wagen werden ebenfalls gebaut, und der noch vorhan­dene Fahrpark wird überholt.

Eben ist man dabei, die wunderbar gelegene Freilichtbühne dem Verfall zu entreißen. Ein Teil desEhrenhofes wird abgebrochen; das übrige zerbombte Mauerwerk wird alsroman­tische Ruine inmitten all der Blumenpracht stehen bleiben, und unter einem Drahtgitter, das die Trümmer nach außen abschließt, allerlei Vogelarten als Nist- und, Brutstätte dienen. Bald ist das Dach der Hauptgaststätte gedeckt, und auch die beiden anderen bekannten Restaurants, dasHöhencafe und dieLändliche Gaststätte, die ebenfalls zerstört wurden, werden neu er­stehen. Eine besondere Freude wird es gerade für die Stuttgarter Bürger sein, wenn sie wie­der das beliebte Höhenfreibad benutzen können.

Im kommenden Sommer wird eine Tagung die andere ablösen, jede Woche bringt eine neue Sonderschau, und alle stehen in Verbindung mit der Gartenschau. Das größte Ereignis dürfte wohl derDeutsche Gartenbautag sein, der vom 24. bis 27. August stattfindet. ,

von dem um 66 v. Chr. geborenen griechischen Geographen Strabo alsGambodunum erwähnt wird, und im August im Rahmen der Allgäuer Festwoche ihren 2000. Geburtstag feiert. Ob di6 Stadt gerade im Jahre 50 v. Chr. gegründet worden ist, kann natürlich niemand sagen, aber unsere Jahrhundertmitte mit der schönen, run­den Jahreszahl 1950 verlockt nun einmal zur Be­sinnung auf die Vergangenheit.

Aehnlich mag es bei Köln sein, das sich, auch, nicht gerade haarscharf genau kontrollier­bar, 1900 Jahre zumißt und seine Geburtstags­feier von Mai bis September ausdehnt. Genau 1000 Jahre jünger schätzt sich die alte Reichs­stadt Nürnberg, die ihre 900-Jahx'feier vom 15. bis 23. Juli begeht.

Posträuber vor Gericht

Mannheim. Unter reger Anteilnahme des Pu­blikums begann am Donnerstag in Mannheim der Prozeß gegen 6 Angeklagte, die im Juni vorigen Jahres einen Geldtransport der Post mitten in Mannheim überfallen und dabei einen Postsack mit 160 000 DM erbeutet hatten. Es sind die mehrfach vorbestraften 41- und 35jährigen Brüder Stuck, mit vier Helfern.

Die Täter hatten am 9. Juni v. J. mit einem vorher gestohlenen Auto einen Postwagen ange­halten, der jeden Tag das Geld der Mannheimer Außenpostämter zur Landeszentralbank bringt, und die drei Postbeamten mit vorgehaltenen Pi­stolen in gebrochenem deutsch aufgefordert, den Postsack herauszugeben. Anschließend fuhren sie mit dem Postsack in dem gestohlenen Wagen davon. Die Verhandlung wird voraussichtlich drei Tage dauern.

Südwestdeutsche Chronik

Wohnungssorgen trieben sie in den Tod

' Stuttgart. Ein 78 Jahre alter Rentner und seine gleichaltrige Ehefrau haben sich in ihrer Wohnung in Bad Cannstatt durch Einatmen von Leuchtgas das Leben genommen. Die Befürch­tung, keine neue Wohnung zu bekommen, war der Beweggrund zu diesem Schritt, nachdem die seitherige Wohnung dem Rentnerehepaar in die­sen Tagen von der Eisenbahnverwaltung gekün­digt worden ist.

Kein Verschulden der Bademeister

Stuttgart. Staatsanwaltschaft und Stadtverwal­tung haben Umstände untersucht, die den Er­trinkungstod des elfjährigen Jungen im Hesla- cher Stadtbad herbeigeführt haben, von dem wir seinerzeit berichteten. Gegen die beiden Bade­meister, die während des Unglücks die Aufsicht in der Halle hatten, war ein Verfahren anhän­gig gemacht worden. Dieses Verfahren wurde eingestellt, nachdem sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, daß sie ein Verschulden an diesem Unglück trifft. Das elfjährige Kind sei unbemerkt ertrunken.

Siedlungslahd für Heimatvertriebene

Tübingen. Dieser Tage fand unter Vorsitz von Landwirtschaftsminister Dr. Weiß die erste Sitzung des nach den Bestimmungen des Boden- reformsftesetzes gebildeten Landessiedlungsaus­schusses statt. Die Planung des Siedlungsamtes für 1950 sieht als Hauptaufgabe die Seßhaftma- chung von Heimatvertriebenen Landwirten vor. Es wurde als notwendig erkannt, sobald als möglich auch an die Errichtung von Landarbei­terwohnungen heranzugehen.

Wichtig für Dänemarkflüchtlinge

Tübingen. Der Staatskommissar für die Um­siedlung weist darauf hin, daß die jetzt erlas­sene 12. Durchführungsverordnung zum Wäh­rungsgesetz auch denjenigen Dänemarkflüchtlin­gen die Anerkennung ihrer Bescheinigungen über beschlagnahmte Altgeldbeträge im Verhältnis von 10:0,65 gewährt, die vor dem 2 7. Juni nach Deutschland zurückge­kehrt sind und denen die beschlagnahmten Be­träge beim Verlassen Dänemarks nicht wieder ausgehändigt wurden.

Der Nachweis, daß einem Flüchtling die ihm während der Internierung abgenommenen Alt­geldbeträge bei seiner Rückführung nicht oder nur zum Teil wieder ausgehändigt wurden,

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Lange hat man von dem schon berühmt ge­wordenen Stuttgarter Perückendieb nichts mehr gehört. Offenbar ist er jetzt wieder am Werk. Eine tizianrote Perücke wurde aus einem Schaufenster eines Friseurgeschäfts in der Rosen­straße entwendet. Bei einem Einbruch in ein Friseurgeschäft im Friedrichsbau, wo im Schau­fenster ebenfalls eine tizianrote Perücke ausge­stellt war, blieb es beim Versuch.

Die Roggenaussaat im Kreis Bad Mergent­heim wurde durch die Hessenfliege nahezu vernichtet. Die Bauern sind gezwungen, die Fel­der erneut umzubrechen und zu besäen. Nur die späten Roggensaaten blieben verschont, da sie erst aufgingen, als die Schwarmzeit der Fliegen vorüber war.

In Pforzheim wurde an eine ältere Putz­frau ein Betrag von 4970 DM als Gewinn bei der Kurzwette im ersten Rang ausbezahlt.

Infolge Funkenflugs gerieten in der Nacht zum Mittwoch in Mannheim-Käfertal 14 000 Kilogramm Altpapier in Brand. Die Feuerwehr konnte nach einer halben Stunde das Feuer löschen.

Drillingsfohlen erblickten kürzlich auf dem Hofe eines Bauern auf der Insel Nordstrand (Nordfriesland) das Licht der Welt. Die Stute warf, wie der Bauer sagte, zwei Monate zu früh. Sie befindet sich jedoch wohlauf, und von den Fohlen blieben zwei am Leben.

kann durch Vorlage einer Bescheinigung der dä­nischen Lagerleitung erbracht werden. An Stelle der Bescheinigung der Lagerleitung kann auch eine entsprechende Bescheinigung der Flücht­lingssuchkartei Stade/Elbe vorgelegt werden. Die Anträge müssen bis zum 31. März bei den zu­ständigen Zweigstellen der Landeszentralbank gestellt werden.

Schweizer Wagen bestohlen Freudenstadt. Einem Schweizer Staatsangehö­rigen wurde in Freudenstadt aus dem parken­den Personenwagen ein Lederkoffer mit Beklei­dungsstücken sowie eine Aktentasche mit wich­tigen Ausweispapieren entwendet. Das Diebes­gut hat einen Wert von etwa 12 000 DM.

Mysteriöser Kindesraub Pforzheim. Kürzlich bat eine jüngere Frau ein ihr bekanntes Ehepaar um die Erlaubnis, mit seinem 17 Monate alten Kind spazieren zu gehen. Da die Frau bis zum späten Abend nicht zurückkehrte, erstattete der Vater des Kindes Anzeige. Die polizeilichen Fahndungsmaßnahmen hatten den Erfolg, daß die Kindsentführerin am Abend des nächsten Tages in Göttingen festge­nommen werden und das Kind seinen Eltern wieder zugeführt werden konnte. Der Beweg­grund der Tat ist noch ungeklärt.

Mord an schwerverletztem Kind Ulm. Im Altwasser der Donau bei Lauin- gen wurde jetzt der seit Anfang Dezember ver­mißte Schüler Siegfried Seiler als Leiche gebor­gen. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, daß das Kind auf der Bundesstraße 16 von einem Personenwagen überfahren und dabei schwer verletzt worden war. Die Insassen haben dann das schwerverwundete Kind lebend in das Alt­wasser der Donau geworfen, wo es ertrank.

Der Obstumsatz im Bodenseegebiet Ravensburg. Auf einer Bezirksversammlung der landwirtschaftlichen Genossenschaften wur­den interessante Zahlen bekanntgegeben. Im Verlauf des vergangenen Rechnungsjahres wur­den im Kreis Tettnang durch die Genossenschaf­ten rund 100 000 Zentner Obst zu einem Preis von 1 400 000 DM umgesetzt. Im Obstbaubezirk Ravensburg (einschließlich Wangen) betrug der Umsatz bei einer Gesamtsumme von 2 363 000 DM rund 182 000 Zentner. Demnach weist der Gesamtumsatz in den drei Kreisen 3 775 000 DM auf bei einem Obstabsatz von 282 000 Zentnern.

Die erzielten Durchschnittspreise für Obst im vergangenen Jahr waren: Tafelobst 16.56 DM, Mostobst 8.29 DM, Steinobst 38 DM, Beerenobst 28.90 DM. 60 bis 65 v. H. des erzeugten Obstes im württembergischen Bodenseegebiet sind im vergangenen Jahr über die Versteigerungsein­richtungen der landwirtschaftlichen Genossen­schaften gegangen.

Stadtrat gegen Leuchtreklame Ueberlingen. Der Stadtrat von Ueberlingen hat dieser Tage moderne Leuchtreklame grundsätz­lich abgelehnt, weil er der Ansicht ist, daß der mittelalterliche Charakter der Stadt dadurch ge­stört würde. Die Werbung soll in Ueberlingen auch künftig nur durch schmiedeiseme und in Holz geschnitzte Schilder erfolgen;

Wie wird das Wetter?

Aussichten bis Sonntagabend: Bei auffrischen­den Südwestwinden nur zeitweise stärker be­wölkt, mit einzelnen Regenschauern, sonst viel­fach aufgeheitert. Zunächst noch sehr mild, mit Wochenbeginn wieder kühler.

Der militante Pazifist

Erinnerungen an Heinrich Mann

Heinrich Mann hatte das Schiffsbillett für seine Heimreise nach Deutschland schon in der Tasche, als ihn, der im 79. Lebensjahre stand, der Tod heimholte. Wer diesen vielumstrittenen, zuletzt in Kalifornien lebenden Schriftsteller mit dem markanten Senatorenkopf kannte, der seinen eigenen Ruhm auf eine tragische Weise über­lebte, erinnert sich an einen selten lebendigen und reichen Geist, an einen von einer echten Höflichkeit des Herzens erfüllten Menschen. Mit dem Namen dieses Autors, der heute in Deutsch­land so gut wie vergessen ist, war ein bedeu­tendes Kapitel deutscher politischer Publizistik verbunden, die in ihren besten Stücken immer visionär deutende Dichtung der Zeit war. Das erhellt auch die Tatsache, daß man Heinrich Mann während der Weimarer Aera für den Po­sten des Reichspräsidenten vorgeschlagen hat.

Heinrich Mann ist in keinem Augenblicke sei­nes Lebens ein Barde des bürgerlichen Salons gewesen, der rosarote Sonnenuntergänge besang und milde Seelenstimmungen für Harfe in.'tru- mentierte; er, der der Sproß eines feudalen Bür­gertums- der norddeutschen Küste war, ent­stammte vielmehr dem Geschlechte der Victor Hugo und Zola, das Frankreich der französischen Revolution ist recht eigentlich seine geistige Wahlheimat gewesen.

Bereits im Jahre 1914 umfaßte das Werk dieses Autors, der das Amt des Schriftstellers im Sinne von Voltaire und Lessing aufgefaßt wissen wollte, einige 15 Bände, darunter so schonungs­los die Daseinskrisen der modernen Gesellschaft aufzeigende Romane wieSchlaraffenland, Professor Ünrat,Der Untertan. Aber auch die großartig südlich-sinnliche strahlende Trilo­gieDie Göttinnen lag damals bereits vor. Obwohl also seine Feder schon ihre gültigsten groben geliefert, wurde Heinrich Mann der Lor­beer öffentlicher Anerkennung nur spärlich zu­gereicht, und zu der breiten Popularität, der sich «ein Bruder Thomas schon am Anfänge seiner Laufbahn erfreuen konnte, hat er es nie ge­bracht. Heinrich Mann war ein militanter Pazi­fist und ein liebender Hasser. Wer ihn aber ge­kannt hat, der kann bezeugen, daß er, der als Schriftsteller zum Schrittmacher revolutionärer

Ideale wurde, insgeheim die Sauberkeit bürger­licher Ordnung über alles stellte.

Daß Heinrich Mann vom wilhelminischen Kai­serreiche, der Weimarer Republik und schließ­lich vom Deutschland Adolf Hitlers scharfsich­tige Analysen gegeben hat, und zwar zu e.ner Zeit, wo sich diese Hierarchien noch im vollen Flor befanden, ist ihm im Grunde ebensowenig gedankt worden, wie die rege Aktivität, mit der er immer für die deutsch-französische Verstän­digung eingetreten ist.

Flöten, und Dolche überschrieb er einen sei­ner gestalten- und farbenreichen Novellenbände. Mit diesem Titel, meinen wir, wird in etwa auch das schöpferische Wesen dieses einstmal viel­genannten Wortkünstlers Umrissen, das dichteri­scher Klang und scharfe kritische Klinge ist.

Daß Heinrich Mann in seinen letzten Lebens­jahren Tuchfühlung mit den kulturpolitischen Akteuren der sowjetischen Besatzungszone suchte und fand) ist von seinen Freunden bedauert worden; jenseits der aktuellen politischen Irr- tümer des Verstorbenen aber sollten wir sein Werk sehen, das in seinen besten Teilen von einem packenden Schwung der Humanität getra­gen ist. LDW

Stammbaumfälschungen der Barockzeit

als geistesgeschichtliches Problem

Er lügt wie ein Genealogist, so sagt ein französisches Sprichwort aus der Zeit des Ba­rock, und die moderne Geschichtsforschung hat sich die Aufgabe gestellt, nicht nur die mancher­lei Fälschungen jener Zeit zu entlarven, sondern auch die Urgründe und den Zweck solcher uns heute unverständlichen Handlung herauszuschä­len, In der Jahresversammlung des Vereins für Familien- und Wappenkunde sprach Staatsar­chivrat Dr. Decker-Hauff über dieses Thema. Während wir im hohen Mittelalter höchstens ge­nealogische Ungenauigkeiten, niemals aber be­wußte Unrichtigkeiten finden und erst im spä­ten Mittelalter allenfalls eine gewisse Neigung zur Fabel zu erkennen ist, beginnt um die Mitte des 16. Jahrhunderts eine ganz auffallende Häu­fung genealogischer Fälschungen, nicht nur aus Gründen allgemein-menschlicher Eitelkeit (denn solche hat es immer gegeben), sondern auch mit offenkundig politischem Hintergrund.

Wir unterscheiden zwei Hauptdarstellungsfor­

men: die Ahnentafel als die adelige Darstel­lung, den Nachweis der Ebenbürtigkeit infolge allseitig adeliger Abstammung, häufig zum Schmuck der Schlösser verwendet und nicht sel­ten bis in die Reihe der 256 Ahnen ausgeführt; andererseits die Nachfahrentafel als bürger­liche Darstellungsweise: die Tatsache einer zahlreichen und gesegneten Nachkommenschaft eines bedeutsamen Ahnherrn soll dessen Größe und Rechtschaffenheit beweisen. Je größer die Zahl der Nachkommen und insbesondere auch der Theologen oder sonstigerStudierter un­ter ihnen, desto sichtbarer liegt die Segnung des Höchsten auf der Familie. So stellt z. B. die fama Andreana, das Geschlechtsregister der Fa­milie Andrea, besonders die Tatsache heraus, daß mehr als 300 studierte Leute die Nachkom­men des Urvaters, des Schmieds Endris, gewe­sen seien, und der Wolfschlugener Schultheiß Thumm, um dessen Beziehungen zu dem ver­triebenen Herzog Ulrich sich allerhand Sagen gebildet haben, hat schon in der Generation seiner Urenkel mehr als 20 Pfarrer aus seinem Blut gehabt, eine Tatsache, die dem Ahnherrn in den Augen jener Zeit noch nachträglich zu höchstem Ruhm gereicht. Aehnliches finden wir in den Darstellungen der Reuchlin- und Me- lanchthon-, Bengel- und Alber-Nachkommen. Schwarze Schafe, wie sie in jeder Familie ein­mal zu finden sind, werden in den Darstellun­gen jener Zeit sorglichst weggelassen, unter Um­ständen auch ganze Familienzweige, die eswe­niger weit gebracht haben. Das Mottoaus kleinen, aber rechtschaffenen Verhältnissen durch eigene Tüchtigkeit hochgekommen wird immer wieder und auch dann betont, wenn die ältesten bekannten Ahnen sehr angesehene Leute waren: sie werden dann einfach nachträglich aufklein frisiert! In diesem Zusammenhang mag auch die heute längst widerlegte Legende von der Lu­ther-Abstammung der Familie' Mörike erwähnt werden, die erst aus dem frühen 19. Jahrhun­dert datiert und ihre Entstehung lediglich dem Geltungsbedürfnis eines einzelnen Familienan­gehörigen verdankt. Endlich sind viele Fami­lienlegenden, die von uralt adeligem Herkom­men sprechen, ins Reich der Fabel zu verweisen. So sind die Leininger, angeblich kärntischer Adel, tatsächlich Bauern aus Dußlingen; die Breitschwert, die sich von österreichischen Rit­tern ableiten, stammen aus einem Pforzheimer Bürgergeschlecht.

Die Fälschungen adeliger Ahnentafeln rühren von dem damals herrschenden Trugschluß her, als wäre der Adel noch immer eine homogene soziale Schicht. Tatsächlich war er schon längere Zeit stark mit Bürgerlichen durchsetzt. Dieser neue Adel (Briefadel) sah sich genötigt, durch Fälschungen sich demalten Adel gleichzustel­len. (Nur ganz wenige unter den neu geadelten Familien verschmähten solche Praktiken, so die Fugger, deren Gewicht durch ihren Reichtum gesichert war: sie haben immer mit Stolz auf ihrekleine Herkunft aus dem Leineweber­dorf Graben zurückgeblickt.) Soweit also im Sy­stem einer Ahnentafel die Adelswappen fehlten, wurde ganz offiziell vom kaiserlichen Hof ge­stattet, andere Adelswappen, z. B. das Wappen einer adligen Stiefmutter, oder auch ganz fremde, einzusetzen: das Bestreben des Barock, alles unter großen Gesichtspunkten zu schauen, konnte eben keine Lücken ertragen.

Besonders charakteristisch ist das Bild, das uns in dieser Hinsicht die Familie der Habs­burger bietet: auf dem geradezu monströsen Welt-Monarchien-Stammbaum, von etwa 1680 werden alle Reiche und Dynastien der Welt in politischen und genealogischen Zusammenhang mit dem Hause Habsburg gebracht und dieses so als der einzig legitime Erbe der Weltherr­schaft dargestellt. H. Mr.

Kulturelle Nachrichten

Für eine Bach- Gedenkstätte hat die Stadt Weimar einen Ideenwettbewerb ausge­schrieben, zu dem alle deutschen Künstler auf­gerufen sind.

Die Universitätsstadt Greifswald feiert .im Mai ihr 700jähriges Bestehen. Die Uni­versität wurde 1456 gegründet, während Greifs­wald das Stadtrecht am 14. Mai 1250 erhielt.

Der Leiter des Südwestfunkorchesters, Profes­sor Hans R o s b a u d , ist als Gastdirigent des Tonhalleorchesters für mehrere Konzerte nach Zürich verpflichtet worden.

Der KulturfilmUeber alle Zeiten,der deutsche Kunstdenkmäler zeigt, die den Krieg überdauert haben, wird auf der diesjährigen Biennale in Venedig gezeigt werden. Der Film ist vom Institut für wissenschaftlichen Film in Erlangen hergestellt worden.