Schwarzwälder Tageszeitung
,Serie 3
Ar. 208
Treue über den Tod hinaus
Ein Heldenlied deutsche» Ftierierlams / Von Kriegsberichter Harald 3ansen
M Es war in der großen Angriffsnacht auf Avranches, als die deutschen Bomben heulend im Massenwurf in die Tiefe ^üren und die Motoren der schweren Kampfflugzeuge stürzend «»de Lieder sangen. Als die englische Flak einen dichten Wirbel E tausend girrenden roten Sprengpunkten setzte und bei der klaren Sicht des Vollmondes rundum die Nachtjäger ihre Sperr- ikiume auskämmten, als die Kampfflieger den Grenadieren halfen In dieser Nacht vergaß der Flugzeugführer und Kriegsfreiwillige Feldwebel die Jugend seiner dreiundzwanzig Jahre «nl> war über die Pflicht hinaus einem Kameraden getreu bis
in den Tod. .
Sie hatten schwerste Kaliber geladen und flogen nnt ihrem Kampfflugzeug im deutschen Bomberstrom. Es war eine der drückend schwülen Nächte. Der Feldwebel E. hatte die Faust über die beiden gelben Knöpfe d-er Gashebel gelegt und schob sie langsam vor bis zum letzten Anschlag. Steil zog das schwere Kampfflugzeug auf Angriffsposition. In der Höhe schwamm ein milchiger Dunst. „Noch zweihundert Meter", sagte E., „dann stür- zen wir". Der Schütze auf semem Sitz stemmte den Rücken gegen die Beobachterlehne und hielt sich mit einer Hand an der Zurrung der Vord-waffe fest. Da schießt draußen im Dunst ein Schatten heran, schwarz, schlank — Jäger. Ein Schrei geht kurz und ruckhaft nach vorn: Rechtskurve und gleich darauf Linkskurve. Messerscharf ändert die Maschine über die Fläche hinweg den Kurs. Aber zu spät, es reicht nicht mehr. Ein Rattern und Knallen! Wie ein Wurf Kieselsteine rieselt es auf Flächen und Rumpf. Kanoneneinschläge auf Kauzelglas und Rumpfbeplankung. Grauer, beiziger Pulverschleim dreht sich durch die Kanzel jund wird vom Luftzug wieder hinausgezogen. Steil und schreckhaft ist die Höhe weg, die Scheibe des Mondes fällt aus den blinkenden Seitenfenstern heraus und in eine stumpfe Tiefe.
Der Feldwebel umkrampft mit beiden Fäusten den Steuerknüppel, zerrt ihn an den Bauch, will abfangen, diesen rasenden Sturz zu Ende bringen. Aber das Flugzeug reagiert nicht mehr, geht noch steiler auf den Kopf. Am Staudruckmesser zittert die Nadel erregt sechshundert Kilometer, sechshundertfünfzig. '„Aussteigen — die anderen!" In feinen Nacken, über sein Gesicht fällt ein zerrender, kalter Sog. Hinten haben sie das Funkerdach abgeworfen, denkt er, und springen. Gut so, jetzt geht der Beobachter. In die Kanzelschnauze hinein gleist die Zielmarkierung, leuchten die farbigen Bodenmarken. Erst sollen sie noch ihre Bomben bekommen! Der dreiundzwanzigjährige Uckermärk-r reißt den Bombenzug auf. Torkelnd taumeln sie aus den Schächten und lösen sich vom Rumpf. Wie die Flakgarben links und rechts vorbeiströmen, geht es ihm durch den Kopf, als er sich umwendet und nach rückwärts zum Funkersitz kriecht. Er will " Len Oberkörper eben unter der Kanzelspantehwegziehcn, als er quer vor sich»zusammengesunken, einen Körper liegen sieht. ..Der Schütze", denkt er, „Herrgott, der Schütze!"
„Dickerchen", brüllt er, so haben sie ihn immer genannt. Mus, verstehst Du nicht? Raus!" Der regt sich vcht. Bewußtlos oder tot? Aber das geht doch nicht. Er kanndoch ncht das Dickerchen in die Tiefe sausen lassen. Die beiden anderen, Funker «d Beobachter hängen schon draußen am Schirm, pendeln «ine Höllenfahrt zwischen Flak, Bomben und Jägern zu den Tommys. And der Feldwebel G. kämpft mühsam sich wieder nach vorn, bekommt den hm- und herschlagenden Steuerknüppel M fassen und zwängt sich zurück in den Sitz. Abfangen jetzt! Er hängt sich mit seiner ganzen Kraft an die Steuersäule, zieht und zieht. Ein Druck wirft sich auf ihn, quetscht ihn zurück in den Sitz, preßt ihn an die Panzerplatten der Rückenlehne, der Sturz ist zu Ende! Die Kanzeffchnauze richtet sich auf, die Erde verschwindet daraus und der Himmel guckt rein mit seinem Mißen Dunst und den Sprengblitzen der schweren Flak. Dicht über dus System der englischen Stellungen braust das schwere Kampfflugzeug auf Eiidkurs den eigenen Linien zu. Automatisch nimmt die Linke die Gashebel zurück und drosselt aus Sparflug.
, Mit wechselndem Kurs fliegt der llckermärker über die Linien und sucht einen Landeplatz. Aber der Höhenmesser ist ausgefallen, er kann nicht auf Tiefe gehen. Wolken hängen dicht über Grund, auf denen sich spielend der Mond legt, so daß kein Durchblick möglich ist. Kein Scheinwerfer dringt durch. Nack «mer Stunde weiß er, daß er abspringen muß.
Mit dem Daumen schiebt er Kurssteuerungshebel in die Raste Mb zwängt sich wieder nach hinten. Ep tastet sich wieder an den
Funkersitz heran, sucht die Hand des Schützen. Sie ist kalk. Ganz ruhig hockt er sich daneben und fühlt den Puls. Die er hält, ist kalt, der Pulsschlag erloschen.
Grau schwimmen die Wolken vorbei an dem führerlosen Flugzeug. Er braucht an die 10 Minuten, bis er den toten Kameraden von seinen Gurten gelöst, bis er eine Leine geknotet und von dem Fallschirmgriff bis zu einer Rumpfstrebe verbunden hat. Dann kommt des Schwerste. Der Tote sitzt auf dem Not- griff der Wanne. Er muß ihn aufrichten und den Hebel herumschlagen. Der Fahrtwind packt ihn und reißt ihn fast heraus. Die. Bodenwaxnne fällt in die Tiefe, und der Kamerad mit ihr. Mit einem Sprung ist er auf dem Funkersitz und wirft sich rechts über Bord in den Luftschraubenstrahl, der ihn am Leitwerk vorbei in die Nacht stößt.
Als es hell wird, beginnt er die Suche. Er findet seinen Kameraden unter der Seide des weißen Fallschirms, der ihn still zugedeckt bat.
Iesurjck klärt die Lage
Von ^-Kriegsberichter Johann Johannsen (PK.)
Der Amerikaner hat eine beherrschende Ferme in der Hauptkampflinie besetzt. Soeben brachten Melder die Nachricht, daß die rechte Gruppe des 1. Zuges sich kämpfend zurückziehe. Der Gruppenführer wurde schwer verwundet/Gefahr ist im Verzüge.
Der Obersturmführer schaut dem Grenadier Jesurick in die Augen. Schlank und drahtig steht er da, dem wägenden Blick seines Kompaniechefs weicht er keinen Herzschlag lang aus. Gestern noch hat ihm der Bataillonskommandeur das Eiserne Kreuz II. Klasse ins Knopfloch gesteckt. Die beiden Streifen für Panzervernichtung aus dem rechten Oberarm weisen auf, wofür. Soll man ihm auch diese neue Aufgabe anvertrauen? Eine Aufgabe, die nicht nur den Mut des Einzelkämpfers, sondern auch Führereigenschaft verlangt. Der Obersturmführer entschließt sich: „Jefurick, Sie übernehmen die Gruppe, gehen vor und klär« die Lage. Seien Sie vorsichtig!"
Jesurick findet eine Gruppe in einem Bombentrichter versammelt, er reißt sie heraus: „Los, wir stürmen die Ferme. Seht Ihr da die Sturmgeschütz«? Wenn die merken, daß wir vorwärts springen, werdendste schon flachkommen."
Die Sturmgeschütze kommen nicht nach. Dafür schießt der neben der Ferme haltende Shermann wie verrückt in die Gegend. Jesurick rennt unter Beschuß 1500 Meter zurück, holt die Panzerfaust, ^schießt jedoch vorbei und jagt nochmals die 1500 Meter zum Gefechtsstand. Schweißtriefend und keuchend kommt er mit der neuen Panzerfaust zurück. Da dreht der Sherman ab, ehe Jesurick zum Schuß kommt. Drei Mann von Jesuricks Gruppe sind noch unverwundet. Mit drei Mann stürmt er die Ferme. Wird er sie halten können? In Rudeln flüchtet der Amerikaner. Wann kommt er verstärkt zurück? Wieder macht Jesurick sich auf zum Eesechtsstand. Aber er kommt nicht weit, die feindliche Artillerie schießt Sperrfeuer in Richtung des Eefechtsstanbes. Also links heraus, Sprung um Sprung. Mein Gott, irgendwo müssen hier doch Deutsche liegen. Endlich Stimmen: eine Nachschubkolonne leer auf dem Rückmarsch. „Herr Feldwebel, ich brauche acht Mann für kurze Zeit." Der Feldwebel winkt ab. „Ich habe keine Zeit. Wer find Sie den?" Jesurick wird dringlich, bittet. „Kein General würde mir die acht Mann verweigern, es geht um ein Stück wiedergowownene Hauptkampflinie." — „Na, dann nur los!" lächelt der Feldwebel und folgt mit seinem ganzen Haufen.
An der Ferme weist I. die Männer ein und trabt gleich , wieder los zur Meldung an den Kompanieführer. Was wird der ^ sagen? Vor Stunden hat der junge Grenadier seine Befehle entgegeugenommen. Als er sich jetzt vor seinem Obersturmführer aubaut mit der Meldung, weiß er noch nicht, daß das seine große Stunde ist. Bis vor zehn Tagen hat er außer auf dem Schießstand keinen Schutz Pulver gerochen. Bei Kriegsausbruch ging ^r noch zur Schule, aber als es heute hieß: „Jesurick, Sie übernehmen die Gruppe und klären die Lage!", da begnügte er sich nicht mit der befohlenen Aufklärung. Da bedeutete das für ihn: Ich kann nicht zurückgehen, ohne zu melden, daß die Amerikaner herausgehauen und die alten Stellungen besetzt wurden.
Jesurick ist Jahrgang 1926, einer von den vielen. !
Alles hing an einem Mann
Wiirttcmdergischer Unteroffizier er hielt das Ritterkreuz
nsg Es war eine verdammt mulmige Angelegenheit damals bei Kishinew und daß alles gut ging, ja, der weit überlegene Jwa« eines mächtig auf die Nase bekam, lag wirklich nur bei einem Mann: dem Zugführer Oberwachtmeister Roth, von Reichenbach an der Fils.
lieber seine heldenhafte Bewährung wird folgendes berichtet: In der Nacht kam die Ablösung nach vorn. Die Essenträger waren auch bereits dagewesen, man wechselte die Löcher und Posten und alles schien in bester Ordnung. Doch mitten in di« Ablösung beim linken Nachbarn von Roth platzten die Sowjets. Plötzlich waren sie da, schossen wie wild um sich und stießen mit mit etwa 100 Mann auch gleich durch. Die Hauptkainpfliini« hatte ein tiefes Loch und die Sowjets schoben Kräfte nach. Damit saßen sie genau auf der Naht der württembergisch- badische» Gebirgsdivision, der die Aufklärungsabteilung von Roth angehört, hatten die Möglichkeit nach D. üurchzustoßen und Reserven um diese Beule auszubügelen waren noch keine vorhanden.
Hier konnte nur sofortiges Eingreifen.helfen. Und Roth handelte. Ohne einen Befehl abzuwarten, raffte er seinen schwache« Zug zusammen und griff an. Geschickt 'schob er sich mit seinen Männern in die alte Hauptkampflinie, riegelte damit den Einbruch ab und sperrte das Zuführen weiterer Gruppen. VerzrM- felt warfen sich die Sowjets auf die Männerr vom Zug Roth. Von Schützenloch zu Schützenloch spriitgend, jeden Grenadier einweisend, hielt der schneidige Wachmeister seine Männer eisern zusammen. Doch um Mitternacht wurde es kritisch. Den abge- fchnürten Sowjets schien der Boden zu heiß zu werden und sie versuchten energisch zu ihren Hauptkräften zurückzustoßen. Zug Roth lag danmit zwischen zwei Feuern, in der Zange eines im Rücken und Front übermächtigen Gegners. Der Zugführer gl'.:- derte rasch um.
Stunden wogte der erbitterte Kampf. Keine Minute in ö.r nicht von jedem Mann das Letzte an Anspannung, kalter lleber- legung und jenem rücksichtslosen Einsatz gefordert wurde, die den deutschen Ostkämpfer immer wieder auszeichnen. Am Morgen haten sie es geschafft.. Die Bolschewisten waren restlos aufgerieben. 41 Feindtote bedeckten das Gefechsfeld. Gefangene wurden eingebracht und die Zahl der erbeuteten Waffen war groß.
Oberwachtmeifter Roth, der schon während des Kampfes schwer verwundet wurde, trotzdem bei seinem Zug blieb und durch seine Führung und die ihm eigene Ruhe und Kaltblütigkeit seine Männer zu ihrer Standhaltung befähigte, trägt heute für seine kampfentscheidende Lat das ihm vom Führer verliehene Ritterkreuz, Er wurde am 26. März 1916 in Reichenbach/Fils geboren, ist aktiver Soldat und in Reichenbach wohnhaft.
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Erdmuthe hat inzwischen begonnen. Vaters Brief zu leien Merkt aber bald, daß sie nicht allzuviel davon behalten hat. Denn I>e har gerade überfegt, daß ta heute schon Donnerstag ist und daß bis zum Sonnabend n«<r noch zwei Tage sind. Und daß Helling dann doch eigentlich, Kuchen backen müßte. Aber dann ärgert sie sich schon wieder über sich selbst. Was hat sie nur tür törichte Gedanken im Kopf. Und mit energischem Ruck dreht sie Vaters Brief um und beginnt feine vielen Anweisungen noch einmal von vorne, allerdings auch diesmal mit keinem viel besseren Ergebnis. —
Am Spätnachmittag des Sonnabend trifft Lorenz Greiner ein. Erdmuthe hat ihn mit dem kleinen Einspänner von der Bahn geholt, weil die Männer noch all« aiff dem Felde find. Und Greiner hatte geschrieben, daß er Mutter Hollbergs Vorschlag gerne an- »ahme und noch einige angesangens Bilder und Skizzenbücher Mitbrächte, da sie ihm bei seiner Wirtin doch nicht recht sicher seien, vo komm! er st'-wer bepackt auf der kleinen Station an.
Die beiden jungen Menschen begrüßen sich wie gute Kameraden, die sich schon lange kennen. Und bald ist eine lebhafte Unterhaltung zwischen ihnen im Gange.
.Heute lernen Sie unser Gut einmal von der anderen Seit« kennen. Letztes Mal war ja böses Wetter."
^ „Dasür ist es aber heute um jo schöner. Und warm wie im sommer. Dabei kann keine Jahreszeit solche Farben zaubern Mi« der Herbst."
Sie nickt eifrig.
„Da haben. Sie recht. Und ich habe oft an Sie denken müssen. Menn ich meine Gänge übers Feld durch all diese Schönheit machte Da hätten Sie manches Motiv zum Malen gefunden."
In seinem braunen, kühnen Gesicht ist heute etwas Frohes Entspanntes.
„Ich vermute fast, dieser Sonntagsausflug wird mir darin koch einiges schenken. Wie könnt« es auch anders sein aus einem Märchönschloß." -
Sie lacht.
„Warum reden Sie eigentlich immer von einem Schloß, Herr Greiner? Damit tun Sie doch unserem schlichten, einstöckigen Hause zu viel Ehre an."
Aber er schüttelt den Kops. Seine Augen gehen versonnen in die blauende Ferne.
„Jcr, meine «ich gar kein Schloß im realen Sinne Fraulein Hollberg. Aber sin, Märchenichioß ist es inu -sein,in Frieden und der tiefen inneren Harmonie d>« es ausitrahli."
Er stock! einen Augenblick, dann war er sehr leise:
„Vielleicht muß man iahrelana heimatlos' gewesen lein, um ' das zu empfinden."
Da ahn! sie in leiier Schsa. was in ihm vorgeh!, und sie wagt nicht mehr daran zu rühren.
Es wird dann wieder sin ichöner gemütlicher Abend. Lorenz Greiner zeigt den Frauen ieine Kunst,nappen und da dürien sie einmal einen Blick in sein wahrstes Inneres tun. Denn nichts ist wohl kieister Ausdruck des wahren Menichen ais ieine Kunst. Bor allem Skizzen die er draußen im Felde hinwar-. oit wohl mitten im feindliche» Feuerhagel, tragen erschütternde Züge
Dann letzt er sich noch ein wenig an den Klügel. an dem Erd- muihe die.beiden Kerzen' entzündet hat.
Verionnen meint sie:
„Als ich Sie zuerst tpielen hörte, da meinte ich. Sie wären Musiker "
Aber er schüttelt üen Kops.
,.D nein Fräulein Hollberg, dazu hätte es bei mir doch nie gereicht. Wenn ich auch die Musik io iehr liebe. Fast ebenso wie die Malkunst. Aber ich glaube wem die Muse hold ist. Sem gibt sie auch ein bißchen von allen ihren Gaben."
Und dann spielt er während die Frauen lauschend in der dämmrigen Ecke des Zimmers sitzen
Es ist spät, als sie auseinandergehen und Erdmuthe zu ihrem kleinen Giebelstübchen hinauisreigt. Diesmal hat die Musik keine trübe Stimmung in ihr erweckt ein großes starkes Freuen ist in ihr und das Erleben dieses Abends kling! iriedvoll sp ihr nach. Es paßt dies alles zu der grenzenlosen Herrlichkeit dieser letzten HerbMage. und ihr ist. als müßte sie jede dieser ionnigen stunden auskoiten. um einen Lichlschatz zu iammein in ihrem Herzen für dunkle Zeit. Wie ein Ahnen kommt es manchmal über sie daß diese dunklen-Zeiten nich! ausbleiben werden war doch'das stille Holl- bertzhaus bisher von dem großen Leid des Krieges verschont geblieben das so unzählige Familien schon betral.
Erdmuthe atmet lies. Es ist io warm daß sie beide Fensterflügel weit offen hat. Ein halber Mond schwimmt im Blau des Nachthimmels, der wie tiesdunkler Samt ist. bestickt mit Millionen Sternen. „Der Mantel der Gottesmutter" sagten die Alten, und es war ein ichöner Sinn in diesem Wort. '
Erdmuthe mag noch nicht zu Bett gehen. Verschläft man nicht viel zu viel unwiderbringliche Schönheit? Aut das niedere Fensterbrett setzt sie sich und sieht in die Nach' hinaus. Still ist es. ganz still nur die Bäume im Park raunen leise. Und da draußen im Osten tobt die Materialschiacht. diese furchtbarste Kampfform, wo Menschen die Menschen zerfleischen mit den ungeheuerlichsten
-stahlkolossen, die sie je ersannen. Ist denn das möglich, daß da draußen die Geschütze donnern, und di« Flugzeuge ihre verderbenbringende Last in heulendem Sturzflug niedersenden? Daß ein Volk da draußen seinen Lebenskampf kämpft utn Sein oder Nichtlein? Ist das alles denn nicht nur ein schwerer, furchtbarer Traum"
Erdmuthe schaudert.
Und da hinaus würde -Lorenz Greiner wieder ziehen m wenigen Tagen. Und er will es selbst. Er der die Schönheit und die Ztille w iehr liebt. Ist das nicht alles io widersinnig? Oder gib! es Zeiten, in denen der menschliche Wille — vielleicht mehr, noch der männliche Wille — bedingungslos das bejaht, was das Schicksal an Unabweiidlichsn von ihm fordert"
Ein seiner Stich durchzuckt Erdmuthes Herz. Sie empfindet beute zum erstenmal, daß das Weib die «ee!« eines Mannes nie ganz wird ergründen können. Daß da immer sin ungelöstes Rätsel -sin wird — eins verborgene Kammer. Sie dem anderen Menschen g,e Lem Weib verschlossen bleibt Aber vielleicht ist es umaekich ebenso
Eromuihe ist vusgesianden und reckt ö,e schlanke Gestalt. Sie will nicht grübeln heut« abend. Dazu war der heutia« Tag zu -chön. Und morgen — morgen ist noch einer! —
Ja. es wird noch einmal sin Herbstionnlag, wie er osr Erde nur ststlen geschenkt wird. Schon irüb verzieht sich der leichte Nebel und die Sonne scheint io warm, vom Himmel, daß man fast mit einem Gemüter rechnen könnte.
Erbmurhe zieht vor lauter innerer Sonnerffreude noch einmal sin weißes Kleid an. obgleich der Kalender dieiem eigentlich spottet, und Mutter heimlich den Kopi schüttelt. Im Garten schneidet sie die letzten blühenden Löwenmäulchen die dem Morgenreit noch itandgehasten haben, und ,n einer geschützten Südecke linde, üe ioaor noch ein paar Rosen. Die will sie aus den Mittags- tisch st sti n und sie gehl leise singend ins Haus.
Während sie aus dem Eßtisch, der dem Gast zu Ehren mit Müllers gutem Meißner Porzellan und schönem, altem Silber gedeckt ist. ihre Rosen in einer kelchförmigsn Kristallvase ordnet, tritt Lorenz Greiner ein. -««in Blick umfängt das sonnige Zimmer, die geschmückte Tale! und das blonde Mädchen im weißen Kleid.
Er atmet lies.
„Ist das schön. Fräulein Hollbsrg. Ganz, wie man sich's von einem Morchenichloß erträumt. .Deutscher Sonntag' müßte man unter das Bild. schreiben."
Sie sieht ihn froh an.
^Sie sehen immer alles in Bildern. Aber läßt einen nicht so e,n «onnensonnkag vergessen, daß du draußen Krieg und unsagbares ^eid ist? Man möchte einmal das Denken ausschalten ain' sich nur treuen."
Er nickt. (Fortsetzung folgt.i