Nr. 283. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

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Freitag, de« 3. Dezember 1312.

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Italiens

Die italienische Kammertagung.

Wir kennzeichnen die Haltung Italiens am besten, wenn wir den Kommentar desGiornale d'Jtalia" zu Sonninos Rede anläßlich der Eröff- nung des Parlaments vorausschicken. Das Blatt des Ministers des Aeußern meint nämlich. Sonninos Erklärungen hätten einen neuen Beweis für die unbedingte Loyalität, Redlichkeit und diamant- artige Reinheit der italienischem Politik geliefert. Wenn wir den Inhalt der Komödie lesen, deren äußere Aufmachung wir in richtiger Beurteilung des italienischen Nationalcharakters schon vorher uneingesehen bekannt zu geben vermochten, so fällt es uns im ersten Augenblick schwer, uns darüber klar zu werden, ob wir mehr über die allen bürger­lichen Begriffen Hohn sprechende unverfrorene Heu­chelei der italienischen Staatsmänner und Politiker erstaunen sollen, oder aber über die Stupidität des Parlament und Volks, das derartige grobe Fälschun­gen der Tatsachen als etwas Selbstverständliches hinnimmt. Das können wir ruhig sagen, imab­solut" regierten Deutschland hätte keine Regierung sich solche Rösselsprünge mit der Wahrheit erlauben dürfen. Allerdings hat das demokratische Italien den immerhin bemerkenswerten Borteil gegenüber den tyrannisierten Deutschen, daß es einen ganz er­heblichen Prozentsatz an Analphabeten aufzuweisen hat, mit deren geistiger Inferiotität jede italienische Regierung im schlimmsten Falle immer wird rech­nen können. Die Kenntnis dieser Eigenschaft eines großen Teils des italienischen Volks ist für Leute von der Sorte des Halbengländers Sonnino und seiner Helfershelfer natürlich durchaus vorteilhaft gewesen.

Sonnino hat also wieder einmal den gespannt lauschenden Volksvertretern die Gründe dargelegt. warum Italien den Krieg an Oesterreich-Ungarn erklärt hat, nämlich weil Oesterreich-Ungarn die vitalsten Punkte des Dreibundvertrags verletzt habe, weil es mit Vorbedacht Serbien (dessen In­teressen bekanntlich letzten Endes ebenfalls anti­italienisch sind) angegriffen habe, und weil es die Verhandlungen zum Scheitern gebracht habe, die die Regierung, geleitet von dem Wunsche, dem Land das Unglück des Kriegs zu ersparen, angeknüpft hatte. Deshalb mußte Italien (bitte Atem holen) zur Verteidigung seiner vitalsten Interessen, zur Verteidigung seiner Freiheit (!) und Unabhängig­keit (!) und zur Verwirklichung seiner fundamental­sten nationalen Aspirationen an die Waffen appel­lieren. Natürlich wurde die Kriegserklärung an die Türkei mit der alten abgeschmackten Phrase von der Erregung feindlicher Stimmung in Libyen abgetan. Sonnino hat begreiflicher Weise einige zur Klärung der Sachlage uns wichtig erscheinende Tatsachen außer Acht gelassen, so das ungewollte Geständnis Salandras, daß Italien schon im November 1914 trotz seiner loyalen Neutralitätserklärung zum Ueberfall auf den im Stich gelassenen Bundesgenos­sen entschlossen war, daß die Italiener schon anläß­lich des von der Entente gutgeheißenen Raubkrieges gegen die Türkei einen wesentlichen Teil des Drei­bundvertrages gebrochen hatten, der tatsächlich die vitalsten Interessen der Zentralmächte berührte, ohne daß diese Anlaß nahmen, Italien wegen der naiven Unverschämtheit zur Rede zu stellen, und er hat rveiter vergessen, sich darüber Rechenschaft zu geben, daß Oesterreich-Ungarn auf Grund offen-

Stellung im A

barer Beweise gezwuirgen war, seine Großmacht- stellung gegen die Unterwühlung seines Ansehens durch einen gekauften Kleinstaat zu wahren.

Bezüglich der Haltung Italiens in dem Welt­krieg machte Sonnino manche beachtenswerte Be­merkung, deren Wert jedoch weniger in positiven Momenten liegt als in den verschiedenen Deutungs­in ögl'ichkeiten, die sich daraus ergeben. Die Rede weist auf den furchtbaren Druck der italienischen Armee hin, der sich deutlich darin gezeigt habe, daß Oesterreich-Ungarn im Herbst große Truppen­massen von Galizien nach den Alpen habe werfen müssen, wodurch den Rüsten die erfolgreiche Gegen­offensive in Wolhynien (die bekanntlich schon wieder eingeschlafen ist) ermöglicht worden sei. Was die Beziehungen Italiens zum Balkan anbelangen, so verfolge die Regierung hier ihre traditionelle Po­litik. die beseelt sei von dem Prinzip der Natio­nalitäten und der Unabhängigkeit der Nalkanvöl- ker. Man besinnt sich angesichts solcher Heuchelei un­willkürlich auf ein Beispiel ähnlicher Moralität, und fragt sich, ob Herr Sonnino seinen Halbbruder Grey nicht noch um ein Beträchtliches an diplomati­scher Fähigkeit übertreffe. Zur Haltung Griechen­lands meint der Minister, sie habe eine Augenblick eine gewisse Spannung hervorgerufen, aber jetzt (nachdem man seinestets respektierte Unabhängig­keit" beschnitten hat) seien Argwohn und Miß­trauen geschwunden, wahrscheinlich aber nicht auf griechischer Seite, was wir uns noch zuzufügen er­lauben. Bezüglich der Lage Serbiens führte Son­nino denselben Eiertanz auf wie sein Genoste Grey. Die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Serbiens entspreche einer vitalen Notwendigkeit der Existenz Italiens als Großmacht. Eine politische und wirtschaftliche Aufsaugung von Serbien durch Oesterrech-Ungarn würde für Italien eine schwere und ständige Gefahr bedeuten und gleichzeitig un­serer wirtschaftlichen Ausdehnung auf der jenseitigen Küste des Adriatischen Meeres eine unüberwindliche Mauer errichten Deshalb müsse als unumgänglich notrvendiqes Ziel die Wiederherstellung des serbi­schen Volkes in seiner vollen Unabhängigkeit be­trachtet werden. Sonnino wußte es mit virtuoser Beredsamkeit in Einklang mit Italiens Beziehun­gen zu Serbien und Griechenland zu bringen, daß man Ansprüche auf albanisches Gebiet im Intereste der italienischen Machtverhältnisse im adriatischen Meer erhebt. Interessant ist dann wieder die Er­klärung Sonninos. wie er sich die Hilfe für Serbien denkt. Er führte aus: Wir werden sobald wie mög­lich was von uns abhängt, tun. um der serbischen Aunee Hilfe zu bringen, indem wir im Einverneh­men mit unseren Verbündeten ihre Versorgung mit Lebensmitteln und Munition sichern und ihre Kon­zentration erleichtern und indem wir ferner den Augenblick erwarten, da die Anwesenheit unserer Fahne auf dem anderen Adrianfer auch die tradi tionelle Politik Italiens hinsichtlich der Adria wieder bekräftigen lvird. welche jetzt wie in der Ver­gangenheit ein Interesse ersten Ranges für uns bildet, da unser Schicksal eng mit dem Gleichgewicht an der Adria verknüpft ist. Herr, dunkel ist der Rede Sinn, möchte man da mit Schiller sagen, denn wie sich die Italiener eigentlich die Hilfe vorstellen, wenn die Serben nur noch an der Adriaküste kleben, das ist uns bis heute nach unfern allerdings unmaß­geblichen militärischen Erfahrungen unerfindlich. Die wichtigste Mitteilung Sonninos für uns aber

»eltkrieg.

die, daß Italien sich dem Londoner Not- und Tod­oertrag angeschlossen hat, das klärt die Lage für alle Teile ganz wesentlich.

Italien und der Londoner Vertrag.

Paris, 2. Dez. Wie der Mailänder Korrespon­dent desMatin" versichert, hat der italienische Botschafter in London erst am 30. November seine Unterschrift unter den Londoner Solidaritätsver­trag vom 5. September 1914 vollzogen.

Italien und Deutschland.

(WTB.) Bern, 2. Dez. DieStampa" bringt einen Be­richt ihres römischen Mitarbeiters, wonach der Sinn de, Rede Sonninos der sei, daß sich Italien mit Deutschland im Krieg befinde. Zm jetzigen Augenblick sei es nicht mehr an­gängig. von dem italienischen Krieg als einer fern des euro­päischen Streitfalles stehenden Tatsache zu sprechen. Da» Land müsse sich also in die Folgen schicken, die sich aus einer derartigen Lage ergäben. Das Ende des Krieges bestehe in der Riederringung des Germanentums und der Zerschmette» rung Deutschlands, da dieses sich als führende Macht de» feindlichen Blockes fühle. Italien erscheine für immer an die Abmachungen mit dem deutschfeindlichen Block gebunden. Der entschlossene Wille des Vierverbandes entscheide einen Schicksalvspruch. Diese Anschauung spiegele die Gedanken fast des ganzen Parlaments wieder.

Das bescheidene Italien.

Berlin. 3. Dez. Verschiedenen Movgenblättern zufolge soll Lod Kitchener in Saloniki dem engli­schen General mitgeteilt haben, daß Italien für

seine Teilnahme an der Balkanaktion geradezu un­annehmbare Forderungen gestellt habe. So habe Italien die lleberlassnng von ganz Albanien ge­fordert.

Ein Stimmungsbericht.

Berln, 2. Dez. Aus Lugano wird demBerl. Tagebl." gemeldet: DerAvanti", das einzige Blatt, das etwas frei z:i sprechen wagt, stellt fest, daß die Mehrheit der Kammer das eintretende Ministerium mit eisigem Schweigt« emp­fangen habe. Als Sonnino heuchlerisch erzählte, wie die Re­gierung bis Mai alles aufgeboten habe, um dem Lande die Schrecken des Krieges zu ersparen, ging ein Murren durch die äußerste Linke und durch einen Teil des Zentrums, wo man sicb erinnerte, daß doch Salandra nach seinem eigenen neuer­lichen Bekenntnis bereits November 1814 den damaligen Abgeordneten Orlando zum Eintritt in die Kammer eiulud, um zusammen den Krieg gegen Oesterreich vorzubereiten" Don Deutschland erwähnte Sonnino nur kurz, daß es die Kriegserklärung Italiens an Oesterreich mit dem Bruch der diplomatischen Beziehungen beantwortete.Was haben Sie Deutschland erwidert? warf der Sozialist Marchesano ein. Lebhaften Beifall erntete Sonnino bi der Mitteilung, daß Italien den Londoner Vertrag unterschrieben habe.

Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.

Die deutsche amtliche Meldung.

(WTB.) Großes Hauptquartier, 2. Dez. Amt­lich. Westlicher Kriegsschauplatz. Außer Artillerie- und Minenkämpfen an verschiedenen Stel­len der Front keine besonderen Ereignisse. Nordwest­lich von St. Quentin fiel ein wegen Mltorschaden nicdergegangener Doppeldecker mit zwei englischen Ossizieren in unsere Hand.