Nr. 234. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

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Donnerstag, den 7. Oktober 1918.

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WM der diplMillWll VezWM BW RnWd nnd Bülgarien

Die Würfel rollen.

Der erste Teil der englisch-französischen Offensive hat mit einer außerordentlich schweren Niederlage für die Feinde geendet; sie können heute die Tatsache nicht mehr ableugnen, daß sie ihre Pläne, die deutsche Front in einem aufenthaltslosen Vorstoß zu durchbrechen, nicht zur Erfüllung zu bringen vermochten, trotz riesiger Vorbereitung und Einsetzung zahlenmäßig weit über­legener Streitkräfte. Mit dem Einstellen seiner Ge­samtangriffe giebt der Gegner zu, daß er mindestens eine Ruhepause für weitere Operationen nötig hat, die nach den verschiedentlichen Andeutungen jetzt auch auf andere Teile der Front ausgedehnt werden sollen. Wir können aber wohl heute schon sagen, der schwerste An­sturm dürfte für unsere heldenmütigen Verteidiger im Westen überstanden sein. Die vom Feind benötigte Ruhepause wird selbstverständlich auch von unserer Heeresleitung ausgenützt werden. Die Russen sind im Bereich von Dünaburg, an das unsere Truppen jetzt bis auf 15 Kilom. herangekommen sind, und von Wilna wiederholt zu Teilvorstößen übergegangen, die wie alle bisherigen russischen Versuche, den Vormarsch der ver­bündeten Heere aufzuhalten, nur den Erfolg hatten, daß sie Tausende blutiger, aber nutzloser Opfer ver­langten. Die Gegenoffensive der Russen in Ostgalizien und Wolhynien ist nun vollständig zum Stillstand ge­kommen, und nur von der bukowinischen und bessarabi schen Grenze werden noch vereinzelte starke feindliche Vorstöße unter lebhafter Artillerieunterstiitzung gemel­det, die ihren rocht durchsichtigen Zweck nicht zu ver­bergen vermögen. Es scheint überhaupt auf allen Kriegsschauplätzen eine gewisse Ermattung unserer Geg­ner Platz zu greifen. Auch die Italiener haben mit ihren fruchtlosen Angriffen gegen die österreichischen Stellungen anscheinend vorübergehend genug gekriegt, wobei wir vorerst die von verschiedener Seite geäußerte Vermutung, daß italienische Truppen nach der Westfront verschoben worden seien, in unserem Urteil unberück­sichtigt lassen möchten.

Es ist aber auch möglich, daß der vorübergehende Stillstand der Operationen auf den Hauptkriegsschau- plätzen in ursächlichem Zusammenhang mit den kommen­den Ereignissen auf dem Balkan stehen, wo die diplo­matische Entwicklung schon so auf die Spitze getrieben ist, daß der Eintritt kriegerischer Ereignisse nur noch eine Frage von Stunden sein kann. Rußland hat auf die unbefriedigende Antwort seiner befristeten Note an Bulgarien seine diplomatischen Beziehungen zu diesem Staat abgebrochen, das bedeutet allerdings ja nicht unter allen Umständen die Ankündigung kriegerischer Maßnahmen, aber so wie die Dinge auf dem Balkan jetzt liegen, ist mit Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, daß Rußland und mit ihm seine Bundesgenossen aus ihrem diplomatischen Vorgehen auch die weiteren sonst üblichen Konsequenzen ziehen wird. Man sagt zwar, innerhalb des Kabinetts Viviani und Asquith habe das brüske Vorgehen Rußlands gegen Bulgarien unange­nehme Ueberraschung hervorgerufen, aber wir glauben, daß dahingehende Aeußerungen, wenn sie überhaupt ge­macht worden sind, denselben heuchlerischen Beweggrün­den entsprungen sind, wie seinerzeit bei der Kriegs­erklärung der Türkei. Der Zweck des vom gesamten Vierverband gestellten Ultimatums war doch einerseits nur, sich Klarheit über die endgülige Stellungnahme Bulgariens zu verschaffen, und andererseits vielleicht zu erreichen, daß die andern Balkanstaaten eingeschllch- tert werden. Ein starkes Veschleunigungsmoment in der neuerlichen Entwicklung der Valkanlage dürfte in der Rückkehr von Venizelos zur Leitung der griechischen Regierung gefunden werden. Von dem Augenblick an,

da dieser sich unverhohlen als Vierverbandsfreund be­kennende Staatsmann wieder die Leitung der Regie­rungsgeschäfte übernommen hatte, setzte, sicherlich mit seiner Hilfe, dfe Ententediplomatie alles dran, einen Konfliktsfall zwischen Griechenland und Bulgarien zu konstruieren, als man Bulgarien verloren gab. Veni- zelos hat nun so offensichtlich auf einen Anschluß an den Vierverband hingearbeitet, daß der griechische König ihn zu einer Audienz befohlen hat, um ihm die Miß­billigung der Krone über seine Politik auszusprechen. Daraufhin hat ja wie bekannt Venizelos fein Demission angeboten, zugleich sich aber in der Kammer ein Ver­trauensvotum über seine auswärtige Politik geben lassen. Mit einer Mehrheit von 40 Stimmen, wobei mehr als soviel Abgeordnete fehlten, und verschiedene sich der Abstimmung enthielten, hat er von der Kammer die Zustimmung zu seiner Haltung erreicht. Die näch­sten Stunden werden uns wohl also darüber Klarheit bringen, ob der König die politischen Machtmittel der Entlassung des Ministerpräsidenten und der Heimschick­ung der Kammer in Anwendung bringen wird. Der König befindet sich in schwieriger Lage, da die trotz des formellen griechischen Protestes in Saloniki gelan­deten französischen und englischen Truppen seine Ent­schlußfreiheit gehörig beschränkt haben, und Venizelos, dem das natürlich nur recht ist, auf die Erfüllung des serbisch-griechischen Vertrags dringt, der eine Hilfe Griechenlands erheischen soll, falls Serbien von Bulga­rien angegriffen wird. Diesen Gefallen hat Bulgarien aber Herrn Venizelos bisher nicht getan und wird ihn vorerst der jetzigen griechischen Regierung auch nicht tun. Deutschland hat nun bei der griechischen Regierung dagegen Verwahrung eingelegt, daß sie zum Nachteil der Zentralmächte die Landung von Truppen feind­licher Mächte zulasse. Die Antwort steht noch aus, sie wird aber wohl davon abhängen, wie sich die neuerliche Kabinettskrisis löst. Erklärt die griechische Regierung, daß sie außerstande sei, gegen diese Landung militärisch > einzufchreiten, so wird sie auch den Gegenmaßnahmen ! Deutschlands und seiner Bundesgenossen nichts in den Weg stellen dürfen, sofern sie nicht ihre neutrale Stel­lung ganz aufgeben will. Aus Rumänien verlautet, daß die rumänische Regierung immer noch gewillt ist, auf ihrer Neutralität zu beharren. Eie wird also auch beim Beginn kriegerischer Ereignisse noch Gewehr bei Fuß stehen. Eigentümlich berührt es, daß Italien eben­sowenig bei den diplomatischen wie bei den militäri­schen Unternehmungen auf dem Balkan vertreten ist. Man erhält den Eindruck, daß ihm im Hinblick auf die griechischen und serbischen Interessengegensätze eine ge­wisse Passivität angeraten worden ist, damit diese Staa­ten, die sich für den Vierverband opfern sollen, nicht noch mißtrauischer werden.

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Die bulgarische Antwort überreicht.

(WTB.) Sofia, K. Okt. (Agence Bulgare.) Die bulgarische Antwort auf das englisch-französisch-russische Ultimatum ist am Nachmittag überreicht worden. Am Morgen ist seitens der bulgarischen Regierung den Vertretern des Vierverbandes die Antwort auf ihre Borschläge vom 14. September mitgeteilt worden.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland und Bulgarien abgebrochen.

(WTB.) Petersburg. 7. Okt. (lieber Kopenhagen.) Nach einer Meldung derPetersburger Telegraphen­

agentur" aus Sofia vom 5. Oktober ist die Antwort der bulgarischen Regierung auf das russische Ultimatum dem russischen Gesandten um 2.40 Uhr nachmittags übergeben worden. Da ihr Inhalt unbefrie­digend war, hat der russische Gesandte dem bulgari­schen Ministerpräsidenten den Abbruch der diplomati­schen Beziehungen mitgeteilt. Der Schutz der In­teressen der russischen Untertanen ist dem Königlich N iie d e rlä n d i s ch e n Geschäfts­träger anvertraut worden.

Geschichte der Heuchelei.

(WTB.) Berlin. 6. Okt. Das Wolfssche Bureau schreibt: Am Montag nachmittag haben die Vertreter der Entente in Sofia an die bulgarische Regierung die Forderung gerichtet, binnen 24 Stunden die diploma­tischen Beziehungen zu Deutschland und Oesterreich- Ungarn abzubrechen und sämtliche, gar nicht vorhan­denen deutschen Offiziere aus der bulgarischen Armee zu entlassen. Es sind, wohlgemerkt, die Vertreter der drei Mächte, die unter dem Motto:Freiheit und Recht" für-den Schutz und die Unabhängigkeit der kleinen Staaten in den Kampf gezogen sind, die diese in das Selbstbestimmungsrecht Bulgariens so tief einschneiden­den Forderungen gestellt haben. Die bulgarische Re­gierung wird die gebührende Antwort auf die Zumu­tung zu finden wissen, die das wahre Gesicht der En tente enthüllt, die von-hohlen Phrasen über die Huma­nitären und völkerbefreienden Ziele des gegenwärtigen Krieges überflietzt, alle ihre schönen Grundsätze aber fallen läßt, sobald sie glaubt, daß das ihren Interessen dienlich ist. Gleichzeitig mit dieser diplomatischen De­marche in Sofia haben unsere Gegner der griechischen Regierung die beabsichtigte Ausschiffung französischer und englischer Truppen in Saloniki, angeblich zur Un­terstützung Serbiens, notifiziert. England hat sich durch diesen Schritt selbst die heuchlerische Maske vom Ge­sicht gerissen, mit der es seit Beginn des Krieges die Verletzung der belgischen Neutralität dazu benutzt hat, um in der ganzen Welt in der würdelosesten Weise ge­gen Deutschland Stimmung zu machen. Wie verschieden aber liegen die beiden Fälle. Im Falle Belgiens war das Vorgehen Deutschlands durch den drohenden fran­zösischen Vormarsch begründet; es handelte sich um Not­wehr in einer Lebensfrage für das Deutsche Reich. Die Verletzung der griechischen Neutralität durch Frankreich und England ist ein Bölkerrechtsbruch lediglich zur Wahrung egoistischer Interessen. Wedqr hätte die Existenz Englands oder Frankreichs auf dem Spiele gestanden, wenn die Landung unterbliebe, noch hatte die Entente Gründe für die Annahme, daß eine Ver­letzung der griechischen Neutralität durch ihre Gegner geplant war. Auch ist die Hilfeleistung an Serbien nur ein Vorwand. Der wahre Grund ist, Serbien in seinem Widerstand gegen Deutschland und Oesterreich- Ungarn zu ermutigen, damit es sich, ebenso wie Bel­gien, auf dem Altar der Interessen der Entente weiter verblutet. Deutschland soll der Weg nach Konstantinopel mit Hilfe Serbiens verlegt werden, nachdem der Ver­such, den Bundesgenossen des Deutschen Reiches und Oesterreich-Ungarns an den Dardanellen niederzu­zwingen, dank des heldenmütigen Widerstandes der ottomanischen Armee, kläglich gescheitert ist. Um dieses militärische Fiasko vor der öffentlichen Meinung der eigenen Länder zu verschleiern, ist die Uebersührung der englischen und französischen Truppen auf griechisches Gebiet gleichfalls bestimmt. Die griechische Regierung