Nr. 233. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.
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Wiederholte Demission von Benizelos.
Die Schicksalsstunde des Balkan.
Der aus dem Abschiedsgesuch von Venizelos ersichtliche neue Konflikt zwischen der Anschauung des Königs, hinter dem zweifellos der jetzige Generalstab steht, und derjenigen des gegenwärtigen Kabinetts hat die Spannung auf dem Balkan noch um ein Moment bereichert. Wenn der König erklärt hat, er könne der Politik des gegenwärtigen Kabinetts nicht bis zu Ende folgen, so ist über diese Erklärung keine andere Deutung zulässig, als daß der König die dem unbedingten Anschluß an die Entente zudrängende Haltung des jetzigen Kabinetts nicht billigt. Es fragt sich nun,ob der vom König in Audienz befohlene frühere Ministerpräsident Eunaris genügend Rückhalt beim Volk zu haben glaubt, um gerade im jetzigen Augenblick, da die Ententeheere sich zur Landung anschicken, dem Staatssteuer eine Wendung geben zu können, die eben doch eine starke Erschütterung zur Folge haben müßte. Die Venizelospresse hat die eingetretenen Ereignisse gut vorbereitet; womöglich hat Venizelos gar diesen Schritt des Vierverbands in Saloniki gewünscht, denn es ist nicht einzusehen, warum das Expeditionsheer zur Unterstützung Serbiens gerade durch griechisches Gebiet marschieren muß, da ihm dazu doch auch noch andere Wege offen standen. Ein bewaffneter Protest würde aber Griechenland in große Schwierigkeiten bringen. Die ganze griechische Küste wäre den Geschützen der feindliechn Flotte ausgesetzt, und die Versorgung Griechenlands mit Lebensmitteln und Kriegsmaterial hat der Vierverband auf die Neutralitätserklärung hin sowieso für etwaige Fälle auf ein Minimum beschränkt. Vor allem England hat hier ja wie gegenüber allen kleinen Staaten, die sich seiner Diktatur nicht unterworfen haben, allem Völkerrecht zum Hohn die rücksichtsloseste Erpressungspolitik getrieben. Die in nächster Zukunft zu erwartende Lösung der erneuten Kabinettskrisis dürfte aber sofort Schlüffe Anlassen, wie sich die Haltung Griechenlands in dem neuen Valkan- krieg gestalten wird. An eine Schwenkung Bulgariens ist heute nicht mehr zu denken.
Die Vierverbandspreffe beschäftigt sich denn auch schon mit den Plänen eines gegen Bulgarien gerichteten Feldzugs. Dabei kommt die Anschauung zum Ausdruck, daß die erste Phase eines solchen rein maritimen Charakter tragen würde. Das ägäische und das schwarze Meer würden von der Vierverbandsflotte beherrscht, und wenn eine Landung an den bulgarischen Küsten für notwendig erachtet werde, so sei Bulgarien doch vollständig außerstande, eine Landung zu verhindern, so furchtbar auch seine Landmacht sein möge. Was die Landungsmöglichkeiten anbelangt, so können wir eine Erörterung darüber vorerst beiseite lassen, auch der Balkankrieg wird ebenso wie der europäische nicht durch die zahlenmäßig überlegene Ententeflotte entschieden, sondern durch den Landkrieg. Hier stehen aber die Aussichten für die Entente nicht so günstig. Wir glauben immer noch nicht, daß der Vierverband ein so großes Hilfskorps, dessen Verpflegungs- und Nachschubsbedingungen sich noch schwieriger wie bei der Dardanellen- aktion gestalten würden, auf den Balkan wird werfen können, daß man in der Lage wäre, das serbische Heer vor dem ihm von zwei Seiten drohenden Vernichtungsschlag zu retten, selbst wenn man alle Dardanellentruppen. wie gemeldet wird, auf den Balkan werfen sollte. Es würde sich also dann um etwa 400 000 Mann handeln. Uebkigens richtet auch die feindliche Presse an die Regierungen die dringende Mahnung, nicht anzunehmen, daß 150 000 Mann genügend seien, um die Balkanfrage im Sinne des Vierverbands zu lösen. Erzwingen aber die Zentralmächte den Durchgang durch
Serbien, wodurch sie in die Lage kommen, über Bulgarien nach der Türkei zu gelangen, so wird dadurch nicht nur die militärische Lage der Türken gestärkt, es mißlingt auch gleichzeitig der Plan, die Zentralmächte wirtschaftlich zu isolieren, da uns dann Versorgungsmöglichkeiten verschiedenster Art zur Verfügung stehen.
So werden die kommenden Ereignisse auf dem Balkan dazu beitragen, den Monat Oktober zu dem entscheidungsschwersten des ganzen Krieges zu machen. Auf den großen Kriegsschauplätzen des Osten und Westen herrscht augenblicklich eine beklemmende Ruhe, die Ruhe vor dem neuen Sturm, der wohl noch einmal fürchterlich in Europa wüten wird
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Demission von Venizelos.
(WTB.) Paris, 6. Okt. Die „Agence Havas" erfährt aus Athen, daß Benizelos gestern vom König empfangen wurde, der ihm erklärte, er könne der Politik des gegenwärtigen Kabinetts nicht bis zu Ende folgen. Benizelos hat dem König sein Abschiedsgesuch cinge- reicht.
Bor der Entscheidung.
(WTB.) Berlin, 6. Okt. Dem „Secolo" wird laut „Berliner Tagebl." aus Saloniki mitaeteilt, daß bisher 18 große französische Transportdampfer in Kara- burnu bei Saloniki eingetroffen sind. Das Expeditionsheer besteht lediglich aus weißen Franzosen, nicht Kolonialtruppen. An der griechisch-bulgarischen Grenze sei eine 2 Kilometer breite neutrale Zone ausgemeffen, um Konflikte zu verhindern. — Nach der „Jdea Nationale" werden 00 000 Mann gelandet.
(WTB.) Berlin, 6. Okt. Wie der „Berliner Lokalanzeiger" schreibt, war bis Mitternacht über eine Antwort Bulgariens auf das ruffische Ultimatum eine Meldung den hiesigen maßgebenden Stellen nicht zugegangen. — Das „Berliner Tagebl." bemerkt: Nachrichten brauchen jetzt, um von Sofia nach Berlin zu gelangen, durchschnittlich 16 Stunden. Die Entscheidung der bulgarischen Regierung kann also heute im Laufe des Morgens hier eintreffen. Es gilt fortgesetzt als selbstverständlich, daß die bulgarische Negierung sich dem Willen Rußlands nicht unterwerfen wird.
Köln, 5. Okt. Die „Köln. Zeitg." meldet von der italienischen Grenze: Die römische „Tribuna" berichtet aus Saloniki, daß zwei russische Geschwader den bulgarischen Hafen Warna unter Feuer halten. Aus Widdin wird der Uebertritt vieler serbischer Reiter über die bulgarische Grenze gemeldet.
Der Vierverband.
(WTB.) Mailand, 5. Okt. Der Sonderberichterstatter des „Lorriere della Sera" drahtet aus Petersburg, daß das russische Ultimatum an Bulgarien im Namen aller Regierungen des Bicrverbandcs überreicht worden sei, die hinter dem Wortlaut des Ultimatums ebenso geschloffen stünden, wie sie in dem Entschluß einig seien, für die Folgerungen aus dem Ultimatum den König Ferdinand verantwortlich zu machen.
(WTB.) London, 5. Okt. Das Reutersche Bureau erfährt, auf Grund der jüngsten Ereignisse werde angenommen, daß die bulgarische Regierung die Borschläge der Verbündeten, auf die keine Antwort gegeben wurde, verworfen hat und die Vorschläge damit verfallen seien.
Bulgarien.
Sofia, 5. Okt. Im Königspalast finden nach der „Deutsch. Tagesztg." ununterbrochen Beratungen statt, zu denen alle leitenden Staatsmänner und hohe Offiziere herangezogen werden. In Sofia herrscht erhitzte Stimmung, wie sie vor dem Ausbruch eines Krieges zu sein pflegt. Eingeweihte Politiker waren auf diese kritische Wendung der Dinge vorbereitet. Wie der Korrespondent der Telegraphen-Union von bestinformierter amtlicher Stelle erfährt, wird Bulgarien auf das Ultimatum Rußlands abschlägige Antwort erteilen. Die diplomatischen Bertreter Italiens, Frankreichs, Serbiens und Montenegros haben ihre Pässe verlangt, die ihnen auch zugestellt wurden, und sind bereits abgereist. Nur der englische Gesandte verbleibt auf seinem Posten, das letzte Angebot der Entente zu unterbreiten, das jedoch zu spät eintraf, da die endgültige Entscheidung bereits getroffen war.
Sofia, 5. Okt. Hier sind sichere Nachrichten eingetroffen, wonach der Vierverband bereits begonnen hat, die Truppen von der Halbinsel Eallipoli zurückzuziehen. Es gilt als sicher, daß der Vierverband die Dardanellenaktion endgültig aufgibt. Die hiesigen Gesandten des Vierverbands sollen nach Informationen russenfreundlicher Kreise widersprechende Instruktionen erhalten haben, so daß über deren etwaigen neuen Schritt betr. die Vorschläge an Bulgarien große Differenzen entstanden.
Sofia, 5. Okt. Ministerpräsident Radoslawow erklärte den Vertretern der regierungsfreundlichen Parteien: Wir stehen vor dem Kriege und müssen unsere nationalen Interessen verteidigen. Wir müssen unseren Gegnern alles das, was sie vor zwei Jahren genommen haben, mit bewaffneter Hand entreißen und uns für jene Beleidigung volle Genugtuung verschaffen. (D. T.)
Griechenland.
Wien, 5. Okt. „Vilag" meldet aus Athen: Im gestrigen Ministerrat führte der Ministerpräsident Benizelos aus, Griechenland würde nicht genügend Kräfte haben, um einer eventuellen Landung von Truppen des Viervrrbandes Widerstand leisten zu können. Am besten sei es daher, wenn es dem natürlichen Zwange gehorche und den Vierverbandsmächten nachgebe. Die Regierung solle in einer Protestnote erklären, daß das Landen von Truppen des Vierverbandes eine ungesetzliche Verletzung der Neutralität Griechenlands sei, im übrigen aber nach diesem Protest den Durchmarsch der betr. Truppen durch griechisches Gebiet dulden. Der Ministerrat teilte diese Haltung des Ministerpräsidenten. Nachdem aber die Krone in dieser Frage einen vollkommen gegenteiligen Standpunkt einnimmt, beschloß der Ministerrat die Demission des gesamten Kabinetts. Venizelos erschien nach der Konferenz beim Könige, um diesem die Demission des Ministers zu überreichen. Der König hat sich die Entscheidung Vorbehalten und die Staatsmänner Gunaris, Theotokis und Rallis zu sich geboten. Man meint, daß, im Falle Rallis mit der Bildung des neuen Kabinetts betraut werden sollte, der gegenwärtige Eeneralstabschef Dusmaris auf seinem Posten verbleiben werde.
Lugano, 5. Okt. Der Kriegsberichterstatter Mag- rini berichtet aus Saloniki an den „Secolo": 2. Oktober abends. Die Stadt ist in größter Aufregung im Bewußtsein der bevorstehenden Ereignisse, welche den Blick ganz Europas auf diesen Fleck Erde lenken werden. Die griechischen Behörden und die Regierung werden gegen die Truppenlandung protestieren und sie als eine Verletzung der Neutralität erklären. Der Protest hat