Nr. 177. (Erst.. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

»LM

Mrs;

Erscheinungsweise: 6 mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Talw für die einspaltige BorgiSzeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Psg.. Reklamen 25 Psg. Schluß für Inseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon S.

Montag, de« 2. August ISIS.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Poft- bezugspreis für den OrtS- und NachbarortSverkettr Mk. l.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.

Ein Jahr Weltkrieg.

Ein Rückblick und Ausblick.

Lin tiefergreifender Schauer durchrieselt uns heute nach einem Jahre noch, wenn wir zurückdenken an jenen Nachmittag des 31. Juli 1914, als der Te­legraph bis in den kleinsten Ort unseres Vaterlandes den Erlaß unseres Kaisers getragen hatte: das deut­sche Reich befindet sich im Kriegszustand. Wohl hat­ten die letzten Tage vorher das Volk in einem ein­zigen Zustand der Erregung und höchsten Spannung gehalten, man war zu keiner ruhigen Arbeit mehr fähig. Drohend verkündete die trotz der persönlichen Bemühungen unseres Kaisers fortschreitende Mobili­sierung des gesamten russischen Heeres die Absicht Rußlands, den Bundesgenossen Deutschlands, Äester- reich-Ungarn zu demütigen, wobei Deutschland nur die Wahl blieb, dem Freunde beizustehen oder aber für die Zukunft den einzigen verläßlichen Bundesge­nossen zu verlieren, und damit die vollständige Iso­lierung des deutschen Volkes zu besiegeln. Wir sehen heute klarer als damals, was dieser Krieg für die Entwicklung der Weltgeschichte bedeuten sollte. In jenen Stunden der höchsten Krisis war sich die über­wiegende Mehrheit des deutschen Volkes nicht in dem Umfange der Gründe bewußt, die eine Welt von Feinden dazu bewegt haben, die Existenz des deut­schen Volkes zu bedrohen. Wir wollen es heute da­hingestellt sein lassen, ob es klug oder unklug war, die öffentliche Meinung Deutschlands darüber unauf­geklärt zu lasten, wie sich ringsum uns seit Jahren ein immer größer werdender Ring haß- und neider­füllter Feinde bildete, die immer offener und rück­sichtsloser die berechtigten Interessen des deutschen Volkes bekämpften, die durch eine in großem Maß­stabe organisierte Weltpresse systematisch die Völker gegen uns aufhetzten und die schließlich zuletzt, als alle Maschen des raffiniert gestrickten Netzes gebildet waren, zum Wurf über den regungslos daliegenden Körper des gutmütigen Michel ausholten. Wir wis­sen heute, welche Pläne die Tripleentente unter den heuchlerischen Losungsworten der Vernichtung des weltbedrohenden deutschen Militarismus", des Kampfesfür Recht, Freiheit und Zivilisation" der Völker zu verwirklichen bsabsichtitge, wir wissen, daß durch die Vernichtung Deutschlands England den zu stark gewordenen Konkurrenten auf dem Weltmarkt erdrosseln wollte, den es auf friedlichem Wege nicht mehr zu besiegen vermochte, daß das perfide Albion dadurch seine Meerherrschaft und damit den Besitz seines Weltkolonialreiches weiter zu befestigen glaubte, während es andererseits seine europäischen Freunde auf leichte Art empfindlich zu schwächen ge­dachte, wir wissen, daß es Frankreich um die Wieder­eroberung von Elsaß-Lothringen und womöglich noch weiteren deutschen Landes bis zum Rhein zu tun war, um die Zertrümmerung der Einigkeit der deut­schen Stämme, damit es wieder wie ehedem die Vor­herrschaft in Westeuropa hätte übernehmen können, und wir wissen endlich, daß Rußland seinen Plan der Eroberung Konstantinopels und damit der Be­herrschung des Balkans und Kleinasiens, sowie der Erreichung des Mittelländischen MSeres durch Ber­lin und Wien durchkreuzt sah. und deshalb sich für die von England inszenierte Koalition gerne gewin­nen ließ. Und heute sehen wir auch nur zu deutlich, daß Italien, der schuftigste Genosse der Entente, schon Jahre lang Mitwisser und Mitförderer dieses Kom­plotts gewesen ist, das dann zur Verdeckung seiner räuberischen Instinkten die Welt mit jenen unerhör­ten Verleumdungen und Schmähungen über deutsche

Weltherrschaftsgelllste und deutsche Barbarei erfüllte. Die wenigen Neutralen waren einerseits durch eine gekaufte oder unwissende Presse beeinflußt, anderer­seits aber durch die scheinbare Uebermacht der Geg­ner Deutschlands eingeschllchtert und ihre Furcht ging sogar soweit, daß sie sich die gröbsten Verletzungen ihrer Neutralität und außerordentliche Schädig­ungen ihres wirtschaftlichen Verkehrs, alles aber zum Nachteil Deutschlands und seines Verbündeten ohne weiteres gefallen ließen. So standen die Zentral­mächte und ihr einziger treuer Verbündeter, die Tür­kei, die ebenfalls den Kampf um ihre Existenz auf­nehmen mußte, militärisch und wirtschaftlich isoliert, gegen eine überwältigende vielfache Uebermacht, was Zahl, geographischer und wirtschaftlicher Besitz anbelangt, und es klingt beinahe wie eine Wunder­mär, daß heute, nach einem Jahr des fürchterlichsten Ringens, das je die Welt gesehen hat, Deutschland und seine Verbündeten nicht nur die von seinen Fein­den geplante Sturmflut aufgehalten haben, sondern daß die verbündeten Zentr almächte mit Hilfe der Türken heute militärisch stärker als je dastehen, und im Begriffe sind, den entscheidenden Schlag gegen den stärksten Gegner auf dem Festland zu führen, und damit, wenn nicht ganz unvorhergesehene Momente eintreffen sollten, den festländischen Krieg in abseh­barer Zeit für unsere Waffen glücklich zu beendigen.

Es lohnt sich, einen Ueberblick darüber zu ge­winnen, wie sich die Gewinn- und Verlustseiten in diesem Kriegsjahr bei uns und unfern Gegnern ge­staltet haben, um zu sehen, wie weit unsere Gegner von ihren Kriegszielen entfernt sind, und uns darüber klar zu werden, was unsere heldenmütigen Heere in diesem mit ungleichen Waffen geführten Existenz­kämpfe geleistet haben. Deutschland und Oesterreich- Ungarn befinden sich heute im Besitze feindlichen Ge­bietes in der Größe von 18V vvv gkm, ein Gelände, das mehr als sin Viertel des ganzen deutschen Rei­ches ausmacht. Wir haben weite Strecken von Nord­westrußland, und Polen besetzt, beinahe ganz Bel­gien und einen großen Landstrich von Frankreich. Demgegenüber haben unsere Feinde nur einen Ge­ländegewinn von 11 050 gkm zu buchen, der aus dem kleinen Gebiet in den Vogesen und den österreichisch- ungarischen Landesteilen Galiziens und der Buko­wina besteht. Die Verschiebungen in den Kolonial­besitzungen sind dabei natürlich nicht gerechnet, weil sie für die Entscheidung bei den Friodensverhand- lungen nur ganz wenig oder gar nicht in Betracht kommen. Zu diesem großen Pfand, das wir für alle Fälle in den Händen haben, und wohl noch erwei­tern werden, gesellt sich noch eine riesige Gefangenen­zahl, die Ende letzten Monats auf 1 7V0 vvv gestie­gen ist; und zwar sind es 1 330 000 Russen. 268 000 Franzosen, 50 000 Serben, 40 000 Belgier, 24000 Engländer; dieser Zahl gegenüber können unsere Feinde keinerlei Aequivalent aufbringen, ebenso­wenig wie bezüglich der sonstigen Kriegsbeute. In einem ähnlichen Verhältnis wie beim Landkrieg stehen auch die Verluste unserer Feinde in der See- kriegführnng den unsrigen gegenüber. Während der Verlust unserer Feind« an Kriegsschiffen bisher einen Gesamttonnengehalt von 331 870 ausm-achte, beträgt der deutsche Verlust 95 307, Handelsschiffe hat Deutschland bisher im Gesamtgehall von 255 977 verloren, unsere Feinde dagegen 790 000 Tonnen. Nicht berücksichtigt sind dabei die in den feindlichen Häfen bei Kriegsausbruch zurückgehaltenen deutschen Handelsschiffe. Von Bedeutung ist bei Beurteilung dieser Zahlen, daß der weitaus größte Teil der Ver­

luste auf das Konto unseres stärksten maritimen Gegners, England fällt.

Aber nicht nur militärisch haben sich unsere Geg­ner mit ihrem Ueberfall auf das deutsche Reich ver­rechnet, sie haben trotz der ungehindert eu.^ Zufuhr von Rohstoffen, Lebensmitteln uno -Kriegsmaterialien auch in wirtschaftlicher und finanzielle oftnsich: r, eil­aus größere Schwierigkeiten zu überwinden, als das von allen Seiten abgeschlossene Deutschland und seine Verbündeten. Während durch eine unvergleichlich glänzende Organisation, hingebende Opfertätigkeit und straffe Disziplin des deutschen Volkes sowohl auf dem Gebiet der Ernährungsfraqen, als auch der Be­schaffung von Kriegsmaterial und der finanziellen Rüstung die Absichten unserer Feinde vereitelt wur­den, haben diese selbst nicht vermocht, sich den Vorteil ihrer Lage zu Nutzen zu machen, ja ihre volkswirt­schaftliche Entwicklung ist gegenüber der deutschen nicht nur ins Hintertreffen gekommen, sie ist gerade im jetzigen Augenblick der Gegenstand für uns recht ergötzlicher Auseinandersetzungen in den maßgeben­den Kreisen der feindliryen Länder. Man hatte in England geglaubt, im Vergleich zu der Vernichtung Deutschlands sei der englische Einsatz ein Pappen­stiel, und nun wird es denen drüben überm Kanal immer deutlicher, daß es mit demandauernden Ge­schäftemachen" doch seine eigene Bewandtnis hat. Wie die englische Handelsbilanz ergeben hat, ist die Ausfuhr Englands im Kriege in einem für den eng­lischen Krämer erschreckenden Maße gefallen. Im ersten Halbjahr 1914 hat England für 5180 Mill. Mark Waren ausgeführt, im ersten Halbjahr 1915 für 3740 Millionen, also für 1f/> Milliarden weni­ger. Die an und für sich schon große Einfuhr wurde noch um beinahe 2f4 Milliarden vergrößert. Den Profit yaben die Vereinigten Staaten eingesteckt, die in der Bergleichszeit ihre Ausfuhr unr 3 Milliarden erhöht haben. Infolge des deutschen I7-Bootkrieges haben sich außerdem noch alle Preise für eingeführte Waren beträchtlich erhöht, sodaß die englische Bevöl­kerung mehr wie wir unter der Teuerung zu leiden hat. Zieht man dann noch die Kriegskosten in Be­tracht, die England in dll>.n Kriegsfall zu bezahlen hatte, es ist die stattliche ?uinme von 15 Milliarden Mark, so kann man sich etwa oorstellen, daß es heute Herrn Grey schwer fallen würde, zu behaupten. Wenn wir an dem Kriege teilnehmen, so rverden wir nur wenig mehr zu leiden haben, als wenn wir uns beiseite halten." Wenn England sein Noidge- fllhl zuriickgehalten hätte, so wäre erstens wahrschein­lich kein Krieg entstanden, b. falls Rußland doch, was sehr unwahrscheinlich ist, gewagt hätte, mit Deutsch­land anzubinden, so hätte die englische Volkswirt­schaft zu ihrer üblichen Ersparnis von 43 , Milliarden Mark in einem Friedensjahr noch ein Erhebliches mehr legen können. Was aber für die wirtschaftliche Niederlage Englands gilt, gilt in noch höherem Grade für seine Verbündeten. Rußland, das sowieso finanziell von England und namentlich Frankreich abhängig ist, ist durch den Krieg in eine geradezu katastrophale volkswirtschaftliche Lage gekommen, da es aus eigener Kraft seinen Verpflichtungen nicht Nachkommen kann, und seine Ernteerträgnisse nicht abzusetzen vermag. Was Frankreich anbelangt, so hat es zur Befriedigung seines Geldbedarfs schon Transaktionen vornehmen müssen, die denen der Assignatenwirtschaft seligen Angedenkens verzweifelt ähnlich sehen, und außerdem liegt die französische In­dustrie völlig darnieder. 68 der Kohlen-, 90N der Eisenerzgewinnung, 85^ der Roheisenfabriko