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Vas unglaubliche verbrechen begehen und Paris verteidigen!! Ein kalter Schauer durchzittert mich. Meine Frau neben mir drängt mich, einen Soldaten zu fragen. Ich tue das. Seine Antwort war ein auch unter Soldaten geläufiges Wort mit acht Buchstaben.
Als die Nacht hereinbrach, sagten sich alle Leute Du. Ich werde ein Schinkenbrot verschlingen, das letzte, und mich dann in- Kornfeld legen. Meine Frau will mit dem Hund im Wagen bleiben. Um meiner Gattin zu beweisen, das; ich trotz aller Strapazen und Enttäuschungen den Kopf nicht verliere, erklärte ich ihi soeben, daß sie endlich Gelegenheit habe, das Geheimnis eine, Juninacht in freier Natur zu erleben. Ich zeigte ihr den Widerschein der untergegangenen Sonne (es ist inzwischen 10 Uhr vorbei) und empfahl ihr aufzupaffen, wie sich gegen 2 Uhr nacht! die letzten Schimmer des fortgegangenen Tages mit dem erster Licht des Morgens am Firmament vermischen. Nach einer halber Stunde brach ein furchtbares Gewitter aus. Der Regen goß. Di« Nacht war schwarz wie eine Dunkelkammer. Die Militärtrans- Porte hörten die ganze Nacht hindurch nicht auf. Ich hatte mick m den Wagen gerettet und war am Steuer eingeschlafen.
hunderttausend Mäuse in einer Falle
Donnerstag, den 13. Juni. Es ist 9 Uhr abends. Wir find ir Bellegarde, also etwa 90 Kilomerer südlich Paris. Sei! heute morgen 5 Uhr haben wir ungefähr 150 Kilometer zurückgelegt. Wir sind wie Jrrstnige in dem Viereck: Melun—Etam- pes—Bellegarde—Montargis im Zirkelkreis herumgefahren. Hunderttausend Mäuse in einer Falle. Unmöglich aus dem Gevier! einen Weg nach Süden zur Loire zu finden. Die Sonne brannte wie toll. Nichts zu essen, nichts zu trinken, nichts zu rauchen Keine Minute das Wagensteuer aus der Hand. Der Autler, de« einen Augenblick seinen Platz verließ und unglücklicherweise in dem Moment, als der unaufhörlich wachsende Flüchtlingsstrom kOO Meter vorwärts rollte, wurde auf die Seite geschoben Ar rin Weiterfahren konnte er nicht mehr denken. Wer aus de, Reihe war, galt als tot. Wer versuchte, sich seitwärts wieder ir die Reihe zu schieben, lief Gefahr, gelyncht zu werden. Zur Vorsicht wurden ihm die Reifen zerschnitten. Der Gedanke, ein« Wagenlänge zu verlieren, war für diese hunderttausend kopflos gewordenen Mensche« völlig aus dem Bereich des Möglichen gerückt. I« einer Stunde habe ich 60mal den Wagen angedrsh! «ud 60mal den Kontakt ausgefchaltet. Benzin war kostbai wie Blut.
Während dieser 150 Kilometer Tarantella waren wir u »unter- »«che« mit einem Rad auf der Straße. Das andere schwebt« Irgendwo über der Böschung. Ich wußte gar nicht, daß ich Kunst Dchrer war. In beiden Richtungen auf der Straße Militärtranspotte. Ich schätze die Masse der Militärzüge, die sich an uns vor- heiwälzten, auf fünf bis sechs Divisionen. Einige Soldaten, mb »enen ich gegen Abend bei Pithiviers ins Gespräch kam, erklärten mir, daß es sich um zwei im Rückzug befindliche Armee» handle. Wahrscheinlich wird Paris doch nicht ernstlich verteidigt; «Der Weygand nimmt hinter der L " feste Stellung.
Seit Beginn des Nachmittags st. aus allen Richtungen, ruf allen Feldwegen und Pfaden neue Flüchtlinge herber kin jammervoller Anblick. Pferdebespannte Vauernwagen, Och- ien- und Kullgcspanne, Handkarren, Fahrräder, Kinderwagen, Fußgänger alles... rennet... rettet... flüchtet...
Auf jeder Fuhre die gleiche Habe aufgetürmt: einige Bünde! sieu und Stroh, ein Sack Mehl, Bettdecken, Stühle, Schränke Kleiderballen, eine Kiste mit Hühnern und Kaninchen, Heiligenbilder, oft eine Ziege zum Melken oder ein Schwein zum Schlachten. Dazwischen Großmütter und Kindeskinder. Die Männer und Kreise gingen zu Fuß. Auf Handkarren und Fahrrädern zogen und schoben die Flüchtlinge das unglaublichste Gepäck. Wo sollen die Unglücklichen auf unserer Landstraße Platz finden? Der Weg ist bereits derart mit Militär und Flüchtlingen überfüllt, doch inan kein Zweimarkstück auf die Erde legen könnte.
Deutsche Flieger über uns
Vor Pithiviers wurden wir zum erstenmal von Fliegern in sehr niedriger Höhe überflogen. Ich konnte die Farben eines deutschen Flugzeuges deutlich erkennen. Die Soldaten eilten feld- einwärts und legten sich zur Erde. Einige Flüchtlinge krochen unter die Kanonen und Militärkraftwagen. Die meisten rührten sich nicht von der Stelle, denn es war ein Ding der Unmöglichkeit, aus den Schlünden der verpackten Autos herauszukommen odei lwn den berghoch verstauten Vauernwagen herabzuklettern. Die Flieger schienen dieses einfach unvorstellbare Drama zu beobachten. Drei-, viermal kamen sie wieder. Es fiel weder eine Bombe noch ein Schuß.
- Einge Soldaten mahnten uns zur Vorsicht. Ein Unteroffizier ßigte hinzu, die Deutschen müßten ja wahnsinnig sein, mit Rücksicht auf uns Zivilisten eine ganze Armee ruhig zum Loire-Fluß ziehen zu lassen, um sie dort Aufstellung nehmen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß seit 24 Stunden Paris zur ^offenen Stadt" erklärt wurde. Diese Nachricht lief wie tm einer Zündschnur durch die Flüchtlingskolonnen. Von zwei Tagen hieß es in Paris: „Sauve, qui peu!" — Rette sich, wer Kinn! — „Paris wird Haus um Haus verteidigt werden." Zwei Millionen Pariser wnrden aus die Straßen Frankreichs hinausgepeitscht. Heute ist Paris eine offene Stadt.
Ich sah manche geballte Faust. Viele Mütter weinten. Soldaten verteilten etwas Brot und Büchsenmilch an die Kinder. Ein Autler bot mir 1000 Franc für zehn Liter Benzin. Ich hatte selbst »ur noch vier Liter im Wagen.
- Ich glaube zu träumen. Es ist nicht Wirklichkeit, was ich heute sah. Diese Armee... Viele Schwarze... Dieses Elend... Kinder, die vor Hunger schreien... eine alte, kranke Frau in einem Handkarren, den ein zwölfjähriges Mädchen schob... Mütter, die nach verlorenen Kindern rufen. Ihre Stimmen erstickten im Höllenlärm der Motoren. Heulende Hunde suchen ihren Herrn... Benzin... Benzin für morgen. Mir schwindelt... Bei Bellegarde siel ich todmüde auf eine Wiese und Mief ein.
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Samstag, den 15. Juni, morgens 10 Uhr. Wir stehen schon seil -zwölf Stunden am selben Fleck, etwa 2 Kilometer von Sully, also rund 1,5 Kilometer vor der Loirebrücke. Ich versuche zu erfasse», was seit Freitag früh geschah. Keine Zeit nach Worten zu suchen. jEs gibt gar keine Worte, um das auszusprechen. Jedes Wort, geder Sinn müßte um ein Fünffaches gesteigert werden, um annähernd das dantische Jnfernum zu beschreiben, in dem wir seit 4V Stunden kreisen. 40 Stunden am Steuer! Von der Wiese bei Dellegarde, auf der ich am Freitag abend zum letztenmal schrieb, Dis hierher können es höchstens 30 Kilometer sein.
Wiehende Armeen
Hundert gewaltige Eindrücke sausten wie Hammerschläge auf «ein Hirn nieder. Elend ohne Ende, fliehende Armeen, Hunger. Verzweiflung, Sonnenbrand, niederkommende Frauen. Jammer.
Menschen, die zu Hyänen werden... Ich will meine ganze Kraft aufraffen, um nach Worten zu suchen — was sind hier Worte? — das niederzuschreiben, dessen ich mich mit einiger Klarheit entsinne.
Am Freitag, also gestern früh, erwachte ich auf der Wiese bei Bellegarde starr vor Kälte. Es muß gegen 3 Uhr morgens gewesen sein, denn im Osten färbte sich der Himmel schon. In westlicher Richtung, also gegen Orleans, heftiger Kanonendonner. Ich weckte meine Frau, die sitzend im Wagen schlief. Ein Mann, der neben mir eingeschlafen war, redete mich an. Es war ein Lederreisender aus Orleans. Von ihm erfuhr ich, daß Orleans geräumt wurde. AlsokeineSchlachtbeiParis. Wie dei Herr aus Orleans nach zwei Tagen irrsinniger Fahrt nach Bellegarde auf diese Wiese kam, konnte er mir nicht erklären.
Dieser praktische und sympathische Mensch machte mir folgende» Vorschlag: Wenn wir seine sechs Liter und meine vier Lite« Benzin in einen Wagen gießen, haben wir zehn Liter. Wd hängen einen Wagen an den anderen und kommen so über di« Loirebrücke von Sully. Gesagt, getan. Ich steuerte.
In seinem Wagen, den wir mit einem Seil anhingen, wäre» seine Frau, seine Tochter, von deren Mann seit der Fl-andern- schlacht keine Nachricht mehr eintraf, und ein 15 Monate altes Kind. Ein prächtiger Junge. Wir nahmen noch zwei Fabrikarbeiterinnen aus Paris in den Wagen. Beide waren zu Fus von Paris nach Vellegarde marschiert. Sie waren barfuß unk bluteten aus allen Zehen. Die Direktion ihrer Munitonsfabril hatte am Montag abend dem gesamten Personal Befehl erteiltz sich „mit eigenen Mitteln" nach Elermont-Ferrand zu begeben- »m dort innerhalb 48 Stunden die Arbeit wieder aufzunehmen
Ein toller Tanz
llm 4 Uhr morgens begann der Tanz. Ein toller Tanz. Dei Weg Richtung Sully war mit Militärautos, Geschützen aller Kw liber, Truppentransporten, Privatautos, Bauernwagen, Fahr rädern und Handkarren derart verstopft, daß sich nicht einmal dtl Flüchtlinge zu Fuß hindurchwinden konnten.
Wie schon gestern nachmittag, kamen auch jetzt wieder feil Morgengrauen aus Waldwegen, Pfaden und quer über Wiese» und Aecker neue Karawanen flüchtender Vanern. Die Straße fl« tete schon über. Aus allen Richtungen neueSturzbächevo» Flüchtlingen der Lorre-Gegend. Jetzt stoppte alles, Militär und Zivil.
Vor dem Loire-Aebergang von Eien und bei Montargis, erzählten die Bauern, sei es noch schlimmer. Nach zehn Stunde» Wartezeit unternahmen trotzdem einige tausend Privatwagen unterstützt von vielen Militärautos, Tanks, Pferdewagen unl Fußgängern auf einem Feldweg einen kühnen Vorstoß i» Richtung Eien. Ich wurde mitgeschoben. Nach 500 Met« scheiterte der Angriff. Jetzt stand der Wagen aus Orleans, de» ich zog, vor meinem Kühler. Es war schon spät nachmittags, als «vir uns wieder auf die Straße nach Sully zurückgerungen hatten
vier Armeen durcheinandergewürfelt
Seit drei Tagen waren wir von aller Welt abgeschnitten. Di, Soldaten kamen von Amiens, Arras, Reims, Paris, von dei Somme, der Seine und der Marne; drei, vier Armee» durcheinandergewürfelt. Sie hatten seit drei Tage» keine Feldküche, keinen Offizier mehr gesehen. Eine Schlacht südlich der Loire? Die Soldaten lachten mich aus. Jetzt erst begriff ich das Unermeßliche der Niederlage.
Gegen Abend mischten sich die Soldaten unter uns. Radler unk Fußgänger erkletterten die Geschütze und Munitionswagen. We« kein Benzin mehr hatte, band sein Auto an eine Kanone, a» ünen Sanitätswagen.
Hier und da ging es um eine Wagenlänge vorwärts. Dies« ostbaren fünf bis sechs Meter wurden dasurch erobert, daß irgent In Autler wegen physischer Erschöpfung aufgab und seine» Vagen in den Straßengraben umkippte. Ununterbrochen schickte» Nilitär und Flüchtlinge „Aufklärer" in die vor der Loire ge- egenen Bauernhöfe, um Wasser und Brot zu holen. Immer wie- -er kamen sie mit leeren Händen zurück. Trotzdem eilten wieder -ändert mit der gleichen Hoffnung voraus. Die Nacht kam. Ein, chreckliche Nacht. Der gorgonische Knäuel des Flüchtlings- iromes und der ausgelösten Divisionen ballte sich immer wüster usammen. Ein homerisches Ringen. Eine Hölle. Lao- vons Kampf mit den Schlangen ist dagegen ein Kinderspiel.
Von Mitternacht bis 11 Uhr morgens sind unsere zwei an- rnandergefesselten Wagen gut 1 Kilometer vorwärts geschoben oorden, ohne daß ich den Motor ein einziges Mal andrehte.
In der Ferne sehe ich das grüne Tiefland der Loire. Tochter Hand im Loirebogen die gedrückte Silhouette der alt- ömischen Basilika von Saint-Venoit, in der schon Pipin der Lrrrze und die Jungfrau von Orleans beteten. In südlicher Rich- uug erkenne ich dps alte Schloß von Sully aus der Zeit des tönigs Henry IV. Dort, in diesem Schloß mit dem berühmte« Vachstuhl aus Kastanienholz, hat der große Finanzminister Maximilian Sully das Wort geprägt: „Weide und Ackerplatz, das sind >ie zwei Euter, die Frankreich Kraft und Leben geben." — Wenn sully seine Bauern des Loiret und der Sologne mitten in die- em Corneillischen Drama sehen könnte... O, Ironie!
kine Höllennacht
Sonntag, den 16. Juni. Es ist 4 Uhr nachmittags. Ich erwachte wr einer halben Stunde aus einem todesähnlichen Schlaf. Der Mmnel ist blau wie ein Vergißmeinnicht. Ein Sonntagstimmel! Ich liege an einem Waldrand unter einer großen eiche, etwa 40 Kilometer südlich der Loire, eisige Kilometer südlich des Ortes La Motte-Beuvron.
Im Städtchen Sully, diesseits der Loirebrüäe, das ich «sc «rei oderv ier Stunden durchfahrenh abs, warfen uns Solda- -e« derplnndernde Armee Schokolade, Sardinen und isige Paare Pantoffeln zu. Ein großes Büschel Haare meiner stau ist über Nacht schneeweiß geworden. Sie weiß es noch nicht. Rein Puls hämmert. Mein Blut kocht wie Hochofenglut. Ich will ersuchen, sachlich zu notieren.
-o«y Image, vag im Lause dieser Höllennacht 300 000 bi« 400 000 Mann der fliehenden Armee» an u», vorbei fluteten. Die Zahl der Flüchtlinge, die sich gester, abend vor der Hängebrücke der Loire angestaut hatten, betruz sicher 400 000 bis 500 000. Gestern brach ich meine Aufzeichnunge» gegen Mittag ab und stand in diesem Augenblick ungefähr 2 Kilometer vor der erlösenden Loirebrücke. 2m Laufe des gestrige, Nachmittags, die ganze Nacht hindurch und bis heute morgen 10 llhr kamen keine 500 Flüchtlinge über die Brücke. Offizier« und bewaffnete Soldaten bewachten den Brückenkopf und hatte» Befehl, vorerst alles Militärmaterial hinüber,zuschaffen. De« Flüchrlingsstrom löste sich in ein wi!des Chaos auf. Ich hielt am Steu.-r meines Wagens die gun.re Nackt aus.
Das Unbeschreibliche der während 20 Stunden vorbei, flieh cndenArmee kann ich nicht in Worte fassen. Tragi sches, Groteskes. Jammervolles und Heroisches folgten sich Ai, Bilder eines schlechten Kinostückes: 20 Lastwagen mit Bettwäsche Munitionskisten, Telephongeräten. Tornistern, Gewehren, St» cheldraht, einige Marokkaner und 30 lachende und weinende P» riser Kinder obendrauf. Dann 75-Millimeter-Eeschütze ohne Be- mannung. Endlose Karawanen von Sanitätswagen mit Verwundeten. auf den Kotflügeln einige Zivilisten. Einige hunder! Neger auf gestohlenen Fahrrädern. Wieder Sanitätswagen. Riesengroße Kanonen, auf den Begleitwagen neben den Soldate« Frauen, die ihre Kinder an die Brust pressen Endlose Schlange, Munitionswagen, obendrauf ein frischgcschlachteter Hammel Weinfässer, Kisten mit Sekt. Einige Dutzend Pariser Autobusse, diese Ungetüme, vollgestopft mit Flüchtlingskindern, Infanteristen, Fahrrädern, Maschinenteilen. Artilleristen und Kavalle- risten zu Fuß, oft ohne Schuhe, in Pantoffeln oder barfuß. Viele Soldaten hatten rot aufgelaufene Augen. Einige sangen. Manche weinten. Die meisten sahen grau aus wie Mumien. Auf einem Abwehrgeschütz saß ein kleines Mädchen, das als einzige Flüchtlingshabe in jedem Arm einen neugeborenen Hund hielt. Wieder Lastwagen rurmhoch voller Kisten, Koffer, Motorräder, Maschinengewehre und Tornister. Aus einem Sanitätswagen streckte eine große Kuh den Kopf heraus. Mein Freund aus Orleans war im Nu oben und melkte in ein Kochgeschirr. Die Straße dampfte und rauchte. De Luft war dick zum Schneiden. Die Nervosität der Flüchtlinge wuchs von Minute zu Minute.
Vor Einbruch der Dunkelheit machte neben uns ein Flieger- abwehrgeschütz halt. Ein Soldat richtete sich hoch auf. Er schien zehn Meter hoch in die Dämmerung hineinzuragen. Den endlose» Flüchtlingszug überschauend, rief er uns zu: „Freund! Um Himmels willen, laßt alles stehen und liegen! Geht ins Feld! Wenn die Flieger kommen, seid ihr verloren! Seht ihr denn nicht ein, daß man euch alle hier warten läßt, um uns vor Fliegerangriffen z, decken?!"
Dieser Alarmruf wirkte wie ein Trompetensignal. Ueber um kreiste ein deutscher Flieger. Die Panik war ungeheuer. Die Soldaten liefen ins Feld. Zivilisten hißten weiße Taschentücher, hysterische Schreie zerrissen die Luft. Manche Autler benutzten die Gelegenheit, um sich in den Militärzug hinein- zuschmuggeln. Sie kamen nicht weit. Die Aufregung der Flüchtlinge war so groß, daß sich trotz der Fliegergefahr Männer und Frauen auf den Eindringling stürzten und seinen Wagen, samt Kind und Kegel, in den Straßengraben warfen.
Ich legte mich mit meiner Frau mitten in ein Kornfeld. Totentille. Der Flieger sauste über uns hinweg. Keine Bombe.
KeinSchuß. Ich sah die Maschine wieder höher klettern, dem Bogen der Loire zusteuern, dann einSturzflugderVrücke ju. Eine furchtbare Explosion. Wie ich nachher erfuhr, streifte die Bombe den Mittelpfeiler der Hängebrücke. Kein Zivilist war verletzt worden. Der Flieger überkreiste noch einmal di« Straße, dann verschwand er in nördlicher Richtung.
Welch prächtige Propagandabilder!
Die Warnung war unzweideutig. Seit vier Tagen dauert nun das Theater. Ein Hohn! Man hält uns als Deckung hier zurück! Welch herrlicher Artikel in englischen und amerikanischen Zeitungen! Welch prächtige Propagandabilder: die barbarischen Deutschen haben unschuldige Flüchtlingskolonnen ermordet!
Alle Soldaten teilen die unbändige Empörung der Flüchtlinge. Wir müssen rasch eine in Eeburtswehen schreiende Frau in eine» Sanitätswagen tragen. Dann kam die Nacht. Eine traurige; schwarze, unheimliche Nacht.
Sonntag, den 16. Juni, abends 9 Uhr. Es ist noch derselbe gottvolle Sonntagshimmel. Im Laufe des Nachmittags käme» auf der Straße Sully—Veuvron fast ausschließlich Flüchtlinge auf Fahrrädern. Ich wußte nicht, daß es auf der Welt so viel« Fahrräder gibt. Viele zersprengte Truppenteile zogen vorbei. S« baten uns dringend, nicht auf der Straße zu übernachten uni halfen uns, die zwei Autos — wir hatten keinen Tropfe» Benzin mehp: — etwa 300 Meter abseits an den Rand eins kleinen Wäldchens zu schieben. Hier notiere ich weiter.
Gestern Nacht dauerte jenseits der Loirebrückeder Vorbeimarsch der Truppen ununterbrochen an. Es war geisterhaft. Gleich nach Beginn der Nacht erfolgte ein zweiter; umfassenderFIiegerangriffaufdieBrücke. Zahlreiche Bomben prasselten in unserer Nähe nieder. Die Brück wurde beschädigt, aber nicht zerstört. Nur eine Zivilperson soll verwundet worden sein. Nach Mitternacht übermannte mich di» Müdigkeit. Das Wagensteuer ließ ich nicht aus der Hand.
Beim Morgengrauen riß mich der Donner der Abwehrgeschütze aus dem Schlaf. Jeder rettete sich, wohin er konnte. Die Tatsache, daß die Bomben mit großer Präzision stets einige hundert Meter vor uns in der Nähe der Loirebrück niedergingen und wir nie Maschinengewehrfeuer erhielten, brachte einige Beruhigung unter die Flüchtlinge und nicht zuletzl auch unter die Soldaten.
Nach einem neuen heftigen Fliegerangriff auf Truppenansannu» lungen außerhalb des Städtchens Sully, südlich der Loire, verbreitete sich die Nachricht, daß drei Fallschirmjäger abgesprungen seien. 2m Nu hatte die Panikstimmung wieder den pathetischen Höhepunkt des Vorabends erreicht.
llm 8 Uhr hatte ich, wie viele andere, keinen Tropfen Benzin mehr. In diesem Augenblick war ich zwischen einigen Vaueru- gespannen eingekerkert, die ruhig und unbekümmert um Kanonen, Drohungen der Offiziere und Fliegerbomben der Brücke zu« steuerten. Ich wurde, an einen Pferdewagen gepreßt, mitgezoge«. Aber 300 Meter vor der Brücke war Schluß.
Mein Freund aus Orleans und ich faßten den Entschluß, unsere zwei Wagen die Straßenböschung Hinunterrollen zu lasse» und zu Fuß einige Kilometer rückwärts zu marschieren. Soldate» behaupteten, wir würden in den sicheren Tod gehen, da uns die Deutschen auf den Fersen seien'und unsere Artillerie nicht weit nordwärts Sully Aufstellung genommen habe.
Wo aber Benzin herdekomme«? rr-—
Wir versuchten, die Wagen zu schieben. Sie waren zu schwer beladen und die Steigung zu stark. Auf der verzweifelten Such« nach Benzin kam ich etwa 300 Schritte rückwärts i« dem Augenblick vor ein Haus, in dem einerschossenerFallschirm- jäger hineingetragen wurde. Ich sah mir das Opfer an. Ts «ar ein junger, schöner Mensch. Kohlschwarzes Haar, hohe Stirn, dunkle Hautfarbe, scharfgeschnittene Rase. Er hatte einen Kopfschuß iu die linke Stirnseite erhalten.
Fortsetzung auf Sette 5