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. 90. Jahrgang.

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Montag, den 14. Juni ISIS.

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Bedeutsame Fortschritte in Nordwestrußland und Galizien.

Die amerikanische Note

Wir hatten zur Beurteilung von Reuters Alarmnachrichten über die zweite amerikanischeLu- sitania"-Note sofort daarauf hingewiesen, daß die Reutermeldung in erster Linie den Zweck verfolge, die öffentliche Meinung in Deutschland gegen Ame­rika in Harnisch zu bringen. Der Inhalt der Note hat uns rechtgegeben. Zwar trägt auch diese Note, wie das bei der bisherigen Auffassung der amerika­nischen Regierung über Neutralität eines Staates vorauszusehen war, den Charakter einer völlig ein­seitigen Orientierung, aber vom Ton eines Ultima­tums ist sie noch ein gutes Stück entfernt.

Die Note berührt zuerst die Fälle der amerika­nischen DampferCushing" undEulflight", welche von deutschen H-Booten torpediert worden sind, wo­bei die Regierung mit Befriedigung davon Kenntnis nimmt, dag Deutschland den Grundsatz voll aner­kennt, wonach alle Teile der offenen See für neu­trale Schiffe frei sind. Die Note vergißt aber hin­zuzusetzen, daß man in Washington bisher noch nicht den Versuch gemacht hat, trotz aller Schikanen, denen die amerikanische Handelsschiffahrt durch England ausgesetzt ist, auch bei dem englischen Vetter diesen Grundsatz zur Anerkennung zu bringen. Dann be­handelt die Note den Fall des englischen Dampfers Falaba", bei dessen Torpedierung ein Amerikaner das Leben eingebüßt hat. Der Dampfer hatte be­kanntlich versucht, dem I7-Boot zu entfliehen und hatte durch drahtlose Telegraphie Hilfe herbeizu­ziehen versucht. Nun ist die amerikanische Regierung erstaunt", daß die deutsche Regierung die Auffas­sung vertreten hat, daß diese Umstände die Torpe­dierung des Schiffes gerechtfertigt hätten unter Nichtachtung des Lebens der Passagiere. Also mit andern Worten: das feindliche Schiff mag ruhig zu entfliehen versuchen und um Hilfe rufen, und so das deutsche H-Boot in die Gefahr der Vernichtung bringen, letzteres ist ganz gleichgültig, wenn nur dem ^amerikanischen Passagier sein Spaß nicht gestört wird, der ausgerechnet auf einem feindlichen Han­delsschiff eine Vergnügungsreise durch das Seekriegs­gebiet machen muß.

Dieselbe einseitige Parteinahme findet sich auch in der Auffassung über denLusitania"-Fall. In erster Linie glaubt die amerikanische Regierung die deutsche Behauptung widerlegen zu müssen, daß die Lusitania" Kanonen und Munition an Bord, und daß sie den Charakter eines Hilfskreuzers gehabt habe. Die amerikanischen Beamten hätten nach die­ser Richtung ihre Pflicht getan, und den Dampfer untersucht, hätten aber keinerlei Ladung gefunden, die ein Einschreiten der amerikanischen Regierung nach den Landesgesetzen gerechtfertigt hätte. Die deutsche Regierung müsse also falsch informiert ge­wesen sein. Wenn die deutsche Regierung jedoch glaube, daß die Beamten der Vereinigten Staaten ihre Pflicht nicht pünktlich erfüllt hätten, so solle sie das Beweismaterial zur Prüfung liefern. Hier steht also vorerst Behauptung gegen Behauptung; die deutsche Regierung wird wohl aber das überzeugende Veweismaterial in Washington übergeben.

Die Note verfällt nach dieser einigermaßen sach­lichen Auseinandersetzung in eine moralisierende Stimmung, und führt aus, daß die Versenkung von Passagierdampfern eben auch die Grundsätze der Menschlichkeit berühre. Die Regierung der Vereinig­ten Staaten bemühe sich um etwas Größeres, als bloßes Eigentumsrecht oder Handelsprivilegien. Sie

bemühe sich um nichts weniger Erhabenes und Hei­liges als die Rechte der Menschlichkeit. Nur tatsäch­licher Widerstand oder die Weigerung anzuhalten, hätte dem Führer des H-Bootes die Berechtigung ge­ben können, das Leben der an Bord Befindlichen in Gefahr zu bringen. Eigentümlicherweise weist die Note im nächsten Satz darauf hin, daß dieser Grund­satz am 3. Aug. 1914 durch die deutsche Admiralität anerkannt worden sei. Wenn sich nun Herr Wilson die Mühe gegeben hätte, über die Gründe nachzudenken, welche Deutschland zur Aufgabe dieses Standpunktes veranlaßt haben, nämlich die Bewaffnung der eng­lischen Schiffe und Rammungsversuche, die von der englischen Regierung eigens empfohlen sind. Maß­nahmen, die den Untergang eines unserer hervor­ragendsten H-Bootsührer zur Folge gehabt haben, so hätte er sich sofort hinsetzen müssen, um eine ent­sprechende Note nicht an Deutschland, aber an Eng­land zu verfassen, das von dem Zeitpunkt an. in dem es die Nahrungsmittelzufuhr nach Deutschland ab­zuschneiden versuchte, alle schärferen Maßnahmen der deutschen Admiralität durch seine fortgesetzte Ver­letzung des von Deutschland bis dahin anerkannten Seekriegsrechts veranlaßte. Wir nehmen an, daß Präsident Wilson doch noch nicht soviel englisches Denken sich angeeignet hat, daß er nicht mehr die klaren logischen Kettensätze zu verfolgen vermöchte, deren Anwendung sich aus der von England beliebten Seekriegführung für Deutschland von selbst ergab. Solange wir nicht gegenteilige Beweise haben, lassen wir uns vorerst von dem Optimismus leiten, daß Herr Wilson in seinem diplomatischen Unterbewußt­sein auch so etwas nebelhaft empfindet, daß der He­bel zur Sicherung des neutralen Handels eben doch in London angesetzt werden muß, denn mitVer­gnügen" hat er die wiederholt kundgegebene Bereit­schaft der deutschen Regierung aufgegriffen, mit Eng­land zu einer Verständigung bezüglich der Seekrieg- fllhrung zu kommen, sofern es seine Aushungerungs­politik aufgibt. Wilson hat sich als Vermittler an­getragen. Diese Vermittlerrolle wird aber für Deutschland dann wertlos, wenn die amerikanische Regierung nur einseitige Vorschläge macht, wie auch diese letzte Note sie darstellt, die nur das deutsche Vorgehen verurteilen, die Gründe aber, die die deut­sche Admiralität zu diesem Verhalten veranlaßt, aus nicht näher zu erörternden Motiven heraus ein­fach übersieht.

Es ist für das deutsche Rechtsbewußtsein direkt unverständlich, wenn die Regierung der Vereinigten Staatenernst und feierlich ihre Vorstellungen er­neuert. unter Stütze auf die Grundsätze der Mensch­lichkeit und die allgemein anerkannten Anschau­ungen des internationalen Rechts", da sie doch recht gut darüber orientiert ist, daß die Völkerrechts­verletzungen immer zuerst von England begangen, wurden, wogegen Amerika nie einen ernsten Protest erhoben hat, so daß Deutschland eben Zug um Zug gezwungen war, Gegenmaßregeln zu ergreifen- Ed wirkt auch für deutsche Menschlichkeitsbegriffe sehr eigentümlich, wenn dieselbe Regierung die Gesetze der Menschlichkeit in Anspruch nimmt, die ihreNeu­tralität" erst dadurch zu einerstrikten" gestempelt zu haben glaubt, daß sie ungeheure Munitionsliefe­rungen an nur einen Teil der kriegführenden Mächte zuläßt. Der Ton der Note ist also weder vom recht­lichen noch vom menschlichen Standpunkt aus ge­rechtfertigt, und wir glauben deshalb auch nicht, daß die deutsche Regierung einen Finger breit von ihren Maßnahmen und Anschauungen abweichen wird, so­lange die amerikanische Regierung es nicht fertig

bringt, die Achtung des internationalen Seerechts zuerst von England zu erzwingen.

Im übrigen sind in der Note so manche Wege offen gelassen, die die beiden Staaten begehen kön­nen, sodaß wohl keine stärkere Erkaltung der diplo­matischen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten zu erwarten ist. O. 8.

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ZurLusitania"-Frage.

(WTB.) Berlin, 14. Juni. Aus Amsterdam geht demBerl. Tagebl." folgende Meldung zu: Der wegen angeblicher falscher Zeugenaussage in Sachen der Bewaffnung derLusitania" gefangen genom­mene Deutsche Stahl leugnet entschieden^ daß er falsch ausgesagt habe. Er blieb bei seiner Behaup­tung, auch als der Richter ihm vorhielt, daß ein Heer von Zeugen Stahls Angaben, daß Kanonen an Bord derLusitania" gewesen seien, entkräften könnten. Viel besprochen wird in amerikanischen Blättern fol­gende Aeußerung Stahls: Als man ihn fragte, ob er denn für sein Vaterland auch 20 Jahre ins Gefäng­nis wandern wolle, antwortete er: Sagen Sie 100 Jahre, ich würde es tun.

Die Ansprüche

englischer Versicherungsgesellschaften.

Genf, 13. Juni.Tribüne" meldet aus London: Die englischen Versicherungsgesellschaften haben für ihre Verluste beim Untergang derLusitania" bei den eng­lischen Gerichten Regretzansprüche gegen die deutsche Re­gierung w Höhe von 182 Millionen Schilling einge­bracht und in dieser Höhe den Arrest auf beschlagnahm­tes deutsches Eigentum nachgesucht und erhalten.

Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.

* Die Offensive in Galizien ist nach kurzem Still­stand wieder, wie vorauszusehen war, in Fluß ge­kommen. Die nordgal-izische Armee hat den sehr wich­tigen Brückenkopf Sieniawa, rechts des San, nörd­lich von Jaroslau, genommen, und dabei noch die erhebliche Anzahl von 5000 Gefangenen gemacht, ein Zeichen, wie stark die russische Truppenzahl dort gewesen sein muß. Auch östlich von Jaroslau und Lemberg lebt der Kampf wieder auf, wie der deut­sche Tagesbericht so schön sagt, das heißt, daß die verbündeten Truppen nach dem kurzen Aufenthalt, dem die Heranziehung von Reserven gewidmet war, nun wieder frisch drauf los gehen. Man merkt das auch schon aus den Berichten der feindlichen Presse, die von der Räumung Lembergs redet. Sehr er­freulich ist die Nachricht, daß die Oesterreicher nun auch den Feind aus der Bukowina vertreiben, und schon die russische Grenze überschritten haben. Damit kommen sie auf bessarabisches Gebiet und in Buka­rest kann man nun sehen, wie es sich tatsächlich mil der Abtretung der Bukowina durch das großmütige Rußland an Rumänien verhält. Recht schwere Kämpfe stehen für die nächste Zeit allerdings noch um die Dnjestrlinie bevor, die stark befestigten Stellungen werden aber schon von den Verbündeten angegriffen, und es ist wohl kaum anzunehmen, daß die Russen sich, da sie auch hier über kurz oder lang in der Flanke bedroht sein dürften, lange halten können.

Im Nordoften sind anscheinend wieder größere Operationen im Gange, die sich sowohl gegen Osten (an der Bahnlinie SzwaleLibauf entwickeln, als auch gegen die Festung Kowno. Auch der nordpol­nische Festungsgürtel steht wieder unter stärkerem deutschen Druck.