Nummer 281
Altensteig, Montag, de« 14. Dezember 1838
MordpkM Frankfurt« abgrWMn
Urteil wirb schriftlich zugesteilt
Lhrrr, 13. Dez. Am Morgen des 4. Verhandlungstages des Mvrdprozesses David Frankfurter in Chur beendete zunächst der Verteidiger des Angeklagten Dr. Curti, sein Plädoyer. Er versuchte, das vernichtende Ergebnis der Anklage und der Prozeßverhandlung abzuschwächen und stellte den Angeklagten als einen von Krankheiten körperlich und geistig erschütterten Menschen hin. Er bedauerte, daß der Sachverständige nicht die völlige Unzurechnungsfähigkeit im Augenblick der Tat festgestellt habe. Die Behauptung des Verteidigers, daß man Frankfurter auch im Schweizer Kleid habe vernehmen können, weil er das Berner Dlitsch mit absoluter Geläufigkeit spreche, wird sichtbar unter den Schweizer Zuhörern mit Ablehnung ausgenommen. Der Verteidiger stellte dann das Vorliegen eines Komplotts in Abrede und wandre sich erneut dem Kapitel der „Judenverfolgungen" zu, bei dem er die Ereuelmärchen des Vortages wiederholte und die verlogene Emigrantenliteratur als Dokumente tzinzustellen sich erkühnte. Die Verteidigung bestreitet auch den Vorsatz. Die ungehörige Behauptung, daß der Mörder Frankfurter noch tapferer als Wilhelm Teil war, erregt im Saale mit Ausnahme des jüdischen Blocks empörtes Gelächter.
Der Verteidiger führte dann die Prozeßfälle Conradi, Schwarzbard und Teilirian an und plädierte auf den Paragraphen 45, in dem mangelnde Zurechnungsfähigkeil angenommen wird, wenn jemand im Augenblick der Tot sich in einem Zustand der Verwirrung der Sinne befindet. Er bat Las Gericht, die Frage des Mordes zu verneinen und höchstens auf Totschlag zu erkennen. Mord sei die widerrechtliche Tötung mit Vorbedacht. Vorbedacht sei aber nicht identisch mit der Absicht. Er zitierte dann aus einem Gesetzentwurf eine Definition des Mordes, nach der nur Raub- und Lustmord als Mord anzusehen seien und behauptete, daß im Falle Frankfurter eine Affekthandlung vorliege, die sich ans einen längeren Zeitpunkt erstreckte. Man könne hier von einem schleichenden Affekt reden.
Professor Grimm klagt an
Nach den Ausführungen des Verteidigers erhob sich der Prozeßvertreter der Nebenklägerin Frau Gustloff, Prof. Dr. Grimm-Essen zu einer groß angelegten, durch ihre ruhige Sachlichkeit und ihre außergewöhnlich tiefe juristisckie Fundierung hervorragende Rede.
In dem Beschluß des hohen Gerichts vom 20. November 1936 ist gesagt: „Das Gericht hat gern davon Kenntnis genommen, daß die Verteidigung in bestimmtester Form erklärt hat, ihrerseits werde sie den Prozeß keineswegs zu einem politischen Angriff mißbrauchen." Wir haben die Ausführungen der Verteidigung gehört. Und ich bin selbst häufig genug Verteidiger gewesen, um zu wissen, daß man die Rechte der Verteidigung nicht beschränken soll. Ich weiß, daß die Juden- srage und ihre Behandlung in Deutschland das Motiv Frankfurters ist. Das wird von uns nicht bestritten. Man konnte also ^r Verteidigung das Recht nicht nehmen, m gewissem Rahmen
.se delikate Frage zu erörtern, aber das hätte in einem ge vissen Rahmen bleiben müssen, im Rahmen des Er- .ebnisses der Hauptverhandlung und im Rahmen des eigenen Vorbringens des Angeklagten. Als ich aber heute die stundenlangen Ausführungen des Gegners mitanhören mutzte, Dinge, ^re zum Teil offensichtlich unrichtig sind, Dinge, auf .e der Angeklagte selbst sich nicht berufen hat, habe ich mich immer wieder gefragt: „War das nötig?" Ich werde nicht in den
gleichen Fehler verfallen. Ich lehne das ab. Ich werde mich strikt an die mir gestellten Aufgaben halten. Ich habe als Rechtsanwalt immer dem Recht gedient, dem Rechte, und ich nehme meine Aufgabe wahrhaftig ernst.
! Es sind hier Dinge vorgetragen worden, es ist eine Literatur zitiert worden, die so niedrig ist, daß ich es ablehnen muß, mich damit auseinanderzusetzen. Auf dieses Niveau steige ich nichr i herab. Das Judenproblem in Deutschland und die Behandlung.
hie die Judenfrage in Deutschland erfahren hat, ist ein i historischer Vorgang von säkularer Bedemung. Seit Jahrhunderten beschäftigt das Judenproblem nnmer wieder die Völker j Europas, nicht nur Deutschland, sondern alle Staaten, England, Frankreich, Spanien, Rumänien, auch die Schweiz. Die Ausfas- j sungen haben gewechselt. Die einen halten diese Behandlung I für richtig, andere jene. Daß es ern ernstes Problem ist, wohl das ernsteste überhaupt, wird von niemandem bestritten.
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- Weltbild (M).
Englands neuer König
Nach der Abdankung König Eduards VIII. besteigt der Bruder -es bisherigen Herrschers, der Herzog von Port. als König Georg VI. den englischen Königsthron.
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Professor Grimm wandte sich den von dem Verleidiger vorc.e- brachten Präjudizien zu, bei denen die Behauptung ausgestellt wurde, daß man in Deutschland den politischen Mord leicht genommen habe. Das sei nicht richtig. Er erinnerte an seine eigenen Ausführungen bei dem Schweriner Prozeß in der schwersten Notzeit Deutschlands, wo er gesagt habe' „Ich bekenne mich zum Ordnungs- und Rechtsstaat, aber ich lasse keine Staatsraison zu. die als Recht will, was Unrecht ist." Politischer Mord ist Mord, habe ich damals gesagt und habe erklärt, daß ich den politischen Mord verurteile. Trotzdem wird uns der Vorwuri gemacht, wir hätten den politischen Mord leicht genommen.
Zur Tat selbst führte Professor Grimm aus: Selten habe er einen Mordfall erlebt, der so kaltblütig und überlegt, fast pedantisch genau wie diesen ousgeführt worden sei. Er wies hin auf die unumstößlichen Tatsachen der Schießübungen und der Zigarettenschachtel und erklärte, das nirgends die Anzeichen einer Affekthandlung, nirgends Leidenschaft festzustellen seien. Einen schleichenden Affekt aber gebe es nicht. Selbst die Freunde des Täters bezeichneten ihn als einen Phlegmatiker. Die Zeugen sagten, daß er in allen Dingen objektiv eingestellt gewesen sei, auch zum Nationalsozialismus. Keinerlei Gefühle seien zu erkennen. Als er auf der Treppe Frau Gustloff gegenübergestanden habe, habe er nach seiner eigenen Aussage das Gefühl unterdrückt, weil der Entschluß zum Mord fest in ihm stand. Heute solle alles das reflexmäßiaes Handeln gewesen sein.
Er umriß dann noch einmal das Bild des Mörders, wie es sich in der Verhandlung ergeben hat. als eines verbummelten, seinem Triebleben hingegebenen Studenten über den das vernichtendste Urteil sein eigener Vater am Tage der Tat geschrieben habe. Dieser abschreckenden Erscheinung des Täters stellte er dann die makellose Persönlichkeit Wilhelm Gustloffs gegenüber, der für die Idee, für den Führer und für Deutschland gelebt habe. Wilhelm Gustloff sei ern Kämpfer gewesen, aber von hoher anständiger Warte aus habe er seinen Kamp? geführt. Professor Grimm verlas dann den Brief, den Gustloff zu Neujahr 1936 an Gauleiter Bohle geschrieben hat und in dem - u. a. heißt:
„Wieder geht ein altes, reiches und kampferfülltes Jahr zu Ende, das viel Mühen und Sorgen, die Sie bewegten, mit in die Vergangenheit nimmt. Vor uns aber steht leuchtend das große Ziel, das uns unser Führer gegeben hat: „Deutschland". Wenn auch die Widerstünde im neuen Jahr, die man Ihnen und uns allen entgegensetzt, noch so groß sein werden, so kann und wird uns doch nichts non dem beschritte- nen Wege abbringen, auf dem uns unser Führer vorangeln. Keine Macht dieser Welt wird uns abhalten können, getreu unserem Schwure unsere Pflicht für unseren Führer und unsere stolze Bewegung und damit für unser geliebtes Vaterland zu erfüllen. Sie können sicher sein, daß die Landesgruppe Schweiz in stolzer Geschlossenheit, aufrichtiger Kameradschaft und unerschütterlichem Kampfgeist weiter schaffen wird, uw ihrem Ziel der Zusammenfassung aller Deutschen zu dienen. Sie können auch sicher sein, daß ich meinerseits auch im neuen Jahre meine ganze Kraft einsetzen werde um diesem Wollen und diesem Ziele zu dienen."
Selbst diesen Brief habe man falsch ausgelegt, als wenn man nicht wüßte, daß, wenn in Deutschland von Deutschen gesprochen werde, Deutsche gemeint seien, und wenn von Schweizern gesprochen würde, auch Schweizer gesagt werde. Mit solchen Aus- legungskünstcn könne und wolle er sich nicht verständigen. Er wandte sich dann der Behauptung der „scheinbaren Legalität" Gustloffs zu, die entgegen der Versicherung des Verteidigers, daß er die unantastbare Persönlichkeit Gustloffs nicht schmähen wolle, eine schwere Schmähung des Ermordeten s:i, -leaen die er Einspruch erbeben müsse.
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Roman von Z. Schneider-Foerstl
Urheber-Rechtsschutz durch Verlag Oskar Meister, Werdau 3. Fortsetzung
Als der Zunge zum drittenmal von dem gebratenen Huhn nahm und den Kompotteller zum wer weiß wie vielten Male bis an den Rand vollmachte, sah sie mißbilligend nach ihm hinüber. „Wie kann man nur!"
Er blickte auf, sah aber statt nach der Mutter zu seinem Bruder hinüber. „Du gönnst es mir doch, Markus?"
„Das brauchst du nicht erst zu fragen, mein Zunge. Uebrigens sind die Kirschen an der Südmauer bereits im Reifen. Verdirb dir aber den Magen nicht. Und bleib jetzt", mahnte er, als der Knabe aufspringen wollte. „Es gibt noch einen Erdbeerkuchen."
Als die Bärbel mit Hilfe des Küchenmädchens das Geschirr abräumte, ging es schon nahe gegen zwei Uhr. Die Zofe der Baronin faß auf dem Balkon und besserte Wäsche aus. Das Zimmermädchen gähnte und fegte gemächlich über die Hellen Möbel der Diele. Soviel fremdes Personal im Hause war der Bärbel ein Greuel. Aber es ging nicht anders. Woher hätte man das Dutzend Hände hernehmen sollen, das man benötigte, um bei solch anspruchsvollen Gästen mit der Arbeit zurechtzukommen? Hohmann hatte der Mutter eigenhändig einen bequemen Liegestuhl unter den Nußbaum getragen und drückte sie behutsam hinein.
„Und du?" fragte sie zu ihm auf.
„Ich pflege nie nach Tisch zu schlafen, Mama."
„Kannst du dann ab und zu ein Auge auf Gustav haben?"
„Gern."
Sie faßte nach seiner Linken und drückte sie an die Wange. Er schob ihr die beiden Seidenkissen zurecht und neigte sich über ihre Stirn. 2
Dann war sie allein. Eine Hummel surrte vorüber. Mücken tanzten im Schatten, den die alten Bäume warfen. Sie hörte das Summen der Bienen in Gräsern und Kelchen. Von den Wiesen herauf schimmerte es weiß. Ihr Blick
ging darüber hinweg und blieb an dem Massiv der Berge hängen. Die breiten, langgestreckten Sandräusen glänzten in gelber Färbung. Die Schneefelder der Tauern lagen als flimmernde Silberplatte, und in der Tiefe schimmerte das Stückchen See, das man von Oberilm aus zu sehen vermochte. Was da hin und wieder aufblitzte, waren Segel, die wie spielende Wellen ihren Platz veränderten.
Nun war es wieder da, das alte, selige Erinnern an die Zeit, die überlange schon entschwunden war. Sie begriff ihren Aeltesten, daß er nicht fort wollte von hier, daß er blieb und wahrscheinlich auch bleiben würde bis ans Ende seines Lebens. War sie nicht selbst so über die Maßen gerne hier gewesen und so bitter schwer gegangen, als die Liebe ein zweites Mal an ihre Tür klopfte?
Sie schloß die Lider und träumte der Vergangenheit nach: Siebzehnjährig war sie gewesen, als sie dem praktischen Arzt Dr. Hohmann hierher in die Einsamkeit der Berge gefolgt war. An ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie bereits ihren ersten Sohn in den Armen gehalten und von diesem Tage an schien das Glück kein Ende nehmen zu wollen. Der kleine Markus war der Inbegriff aller Seligkeit für sie beide, denn sie empfand kaum, daß es eigentlich eine ungeheure Einsamkeit war, die sie umgab.
Zhr Mann vergötterte sie. Der Junge gedieh und die Wonnen ihres Zusammenseins steigerten sich noch, als sie sich nach acht Zähren ein zweites Mal Mutter fühlte. Die Baronin sah nach den Bergen, die unwirklich nah in die Bläue des Himmels wuchteten und dann nach dem See, der als weißer Leib heraufleuchtete, schloß von einem Schauer durchrieselt die Augen und wandte das Gesicht zur Seite.
Damals war es nicht Sommer gewesen wie heute, sondern ein strenger, unwirtlicher Zanuartag. Gegen vier Uhr war ein Anruf von Freunden gekommen. Ihr Mann sollte zu einem Dämmerschoppen in die benachbarte Stadt fahren. Er war sehr müde und abgespannt gewesen und wollte nicht. Da hatte sie ihn gedrängt, sich doch ein bißchen Zerstreuung zu gönnen.
Er war gefahren und nicht wiedergekommen. Er hatte den Tod im See gefunden, dessen Eisdecke sich als trügerisch erwies. Sie wußte es noch wie heute: sie saß gerade mit dem Kinde auf dem Schoß am Fenster und suchte nach den Lichtpünktchsn der Höfe, Li» ringsum verstreut lagen.
Da rief das Telephon. Ein Kranker wahrscheinlich, und sie konnte nicht Bescheid sagen, wann ihr Mann zurückkam. Die Bärbel stand schon am Apparat. Sie konnte nicht hören, was sie sprach, denn es lagen zwei Räume dazwischen. Als sie dann aber herllberkam, war sie ganz bleich und mußte sich am Türpfosten festhalten. Der Zunge glitt zu Boden, so rasch war sie auf die Füße geschnellt. „Was ist passiert?"
Die Bärbel schüttelte nur den Kopf. Sie wollte an ihr vorüber nach dem Telephon laufen, als die Alte sie zurückhielt.
„Um Gottes willen, Frau Doktor. Sie müssen an Zhr Kind denken!"
Schrecklich war es gewesen, bis sie dann endlich tropfenweise die Wahrheit erfuhr. Und dann kam die Nacht, kamen die fürchterlichen Tage und Wochen, in denen jede Stunde ein einziges Warten gewesen war. ob der See nicht doch sein Opfer herausgäbe.
Doch er behielt es.
Nach sechs Monaten kam ihr zweites Kind zur Welt. Wiederum ein Sohn. Aber er war nicht lebensfähig. Wochenlang schwebte sie zwischen Sterben und Genesen. Und als sie nach all dem Fürchterlichen das erstemal wieder in den Spiegel sah, zeigte er ihr eine gebrochene Frau. Eine Witwe von kaum fünfundzwanzig Jahren.
Das Leben forderte sein Recht. Das Vermögen, das ihr der Gatte hinterlassen hatte, war nicht allzu groß. Die Freunde ihres Mannes rieten, einen Vertreter zu nehmen. Sie bat, man möchte ihr bei der Wahl behilflich sein. Und das war gut so. Es war ein älterer Herr, dem die Praxis in der Stadt zu mühevoll geworden war. Der kam nun und war ihr und Markus ein Vater. „Meine Kinder fürchten sich", pflegte er zu sagen, wenn er im Freundeskreise saß und man ihn nötigen wollte, länger, als er es gewohnt war, zu bleiben.
So gingen die Jahre, allmählich legte sich der Schmerz, wie alles und jedes einmal zur Ruhe kommen muß. Markus wuchs heran und kam auf das Gymnasium. Sie war mit dem alten Arzt allein. Man munkelte und spitzte die Ohren. Aber man munkelte und spitzte umsonst, es bahnte sich nichts zwischen den beiden an.
(Tortsetzung folgt.)