Nummer 18V
Altensteig, Montag, den «7"Aügllst1934
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Bor zwanzig Jahre» begann der Krieg . ..
Sind wirklich zwanzig Jahre verflossen, daß Europa, ja hie Welt vom Kriegsbrand ergriffen wurde? Gewiß wäre es eine billige Philosophie, tiefgründige Betrachtungen anzustellen über den Wert des Lebens und den Begriff der Zeit. Schließlich wäre auch nur die Generation zu solchen Spekulationen berechtigt, die bei Ausbruch des Krieges an der Schwelle des vierten Lebensjahrzehntes stand. Obwohl gerade von ihr heute noch Millionen am Leben sind, ist ihren Händen die Entscheidung über die Geschicke des Vaterlandes entwunden. Nicht aber ihre Mitarbeit, wenn auch eine jüngere Generation in Verbindung mit dem Front- kämpsergeschlecht heute die Zügel fest in der Hand hält.
Nach Beendigung des Krieges mußte erst ein ganzes Jahrzehnt vergehen, bis sich die wissenschaftliche und systematische Geschichtsforschung mit der Vorgeschichte des Krieges und seinen Ursachen befassen konnte. Freilich vermochte sie es in einem Ausmaß wie es den Historikern früherer Zeiten niemals vergönnt gewesen war. Durch den Staaten- Umsturz wurden die Tore der früher ängstlich und verschlossen gehaltenen Archive geöffnet, sodaß den Forschern Quellen in Hülle und Fülle zur Verfügung standen. Auch die Siegerstaaten konnten sich diesem Beispiel nicht verschließen. Mit Ausnahme von Frankreich, das auch jetzt erst, nach zwanzig Jahren die Zahl seiner Toten veröffentlicht hat, öffneten sie ihre Archive, sodaß mack mit Fug und Recht sagen kann, es gibt heute kein Geheimnis mehr aus dem Jahre 1914, das wir nicht kennen. Nimmt man noch hinzu die unendliche Fülle der Memoiren, Erinnerungen, Denkschriften und Zusammenstellungen, die die meisten der europäischen und amerikanischen Staatsmänner inzwischen veröffentlicht haben, die zwar wegen der Subjektivität der Darstellung gewiß nicht immer eine objektive Eeschichts- quelle darstellen, aber als psychologische Hilfsmittel wertvolle Dienste leisten, ist fast der Schluß berechtigt, daß die Bearbeitung aller dieser Materialien ein Sisyphusunter- nehmen ist, das die Kraft eines einzelnen Menschen übersteigt.
Dennoch ist die Kriegs- und Nachkriegsliteratur, zu der sich noch die Fülle der militärischen Veröffentlichungen gesellt, heute bereits völlig ausreichend, um sich ein klares, unretouchiertes Bild der Begebnisse zu machen. Der primitive Generalnenner, auf den man zu Anfang des Krieges die Lösung bringen wollte, daß nämlich nur Neid, Hatz und Eifersucht und Mißgunst die eigentlichen Triebfedern des Krieges gewesen seien, hat natürlich heute seine Geltung verloren. Wir sind inzwischen genug geschult worden, die politischen Gründe von den wirtschaftlichen, die militärischen von den nichtmilitärischen zu unterscheiden. Wir wissen heute, datz die eine Wurzel in der Abtretung Elsaß-Lothringens nach dem Kriege 1870/71 zu suchen ist, die andere in der Konkurrenz um die Erschließung der Petroleumquellen in Klein-Asien. Die Flottenrivalität zwischen England und Deutschland auf der einen Seite steht unmittelbar neben dem unterirdischen Treiben der serbischen und italienischen
Jrredenta. Die Ansprüche des Allslaventums erdrücken die berechtigten Selbsterhaltungsinteressen des deutschen Mitteleuropas. Das alles sind aber nur Teilausschnitte aus dem Riesengemälde des Europas von 1914, zu dessen Fertigstellung die reichhaltige Farbenskala einer geschichtlichen Palette nicht ausreichen würde. Das alles wissen wir und noch tausend andere Einzelheiten dazu. Jedes Detail, in das wir uns vertiefen, gebiert ein halbes Dutzend neuer. Jeder Versuch, eine Unbekannte in dieser Riesenrechnung zu lösen, führt uns auf zwei neue, die den Entwirrungsprozetz immer mehr erschweren.
Man kann überhaupt nicht bei den Einzelheiten beginnen, sondern muß mit dem Gesamtergebnis anfangen, und dann kommt man zu dem erschütternden Ergebnis, daß die Schuld an diesem furchtbaren Kriege das ganze Geschlecht trifft. Umso unsinniger, ja um so verlorener ist deshalb das Diktum des Versailler „Vertrags", das die Alleinschuld an diesem Kriege dem deutschen Volke aufzubürden versucht. Wenn je, dann ist gerade in dieser Stunde, da wir uns anschicken in das Gedenken der Augusttage von 1914 anzutreten, nicht gerechtfertigter als die leidenschaftlicher Zurückweisung gerade dieser Weltlüge !
Als vor zwanzig Jahren der große Krieg entbrannte, zerrissen alle geistigen Verbindungen zwischen den kriegführenden Nationen, gerieten alle menschlichen Beziehungen in unheilvolle Verwirrung. Das alte Europa wurde auf einem Scheiterhaufen verbrannt, zu dem die Wälder, die Städte und Dörfer, der fruchtbarsten Länder das Holz lieferten. Das Furchtbare aber ist, daß auch heute noch einzelne Scheiter dieses Holzstoßes nicht nur weiter glimmen und schwelen, sondern gewissenlose Menschen darauf bedacht sind, sie aufs Neue zusammenzutragen, um sie abermals zu einer Flamme zu entfachen. An uns, der heutigen Generation im neugeeinten Deutschland liegt es, auch die letzte Flamme zu ersticken. Das sei das heutige Gelöbnis in dieser ernsten Erinnerungsstunde.
Kriegsschuld und Flottenbau
Von Kapitän zur See a. D. v. W a l d e y e r - H a r tz.
Zwanzig Jahre find seit Kriegsausbruch vergangen. Hundertfältig strömt die Erinnerung auf uns Aeltere ein; schon um derentwillen, weil das Diktat von Versailles uns noch immer der furchtbaren Schuld bezichtigt, den Weltkrieg ausgelöst zu haben. Die Eingeweihten spotten darüber. Aber das Volk glaubt es. Und man muß leider jagen — hübe» und drüben! Denn auch bei uns wollen die Stimmen jener Pseudo-Weisen nicht verstummen, die behaupten, der Tirpitzsche Flottenbau habe das Unglück zwar nicht gerade heraufbeschworen, aber doch reifen lasten. Wie stand es in Wirklichkeit darum? Die Stunde scheint gegeben, um sich Rechenschaft darüber abzulegen.
Es ist ein alter englischer Spruch, daß die Flagge dem Handel folgt: in doppelter Hinsicht: einmal, indem fast all» kolonialen Gründungen zunächst handelsmäßig erschlösse« und später erst staatlich geschützt wurden; zum anderen aber auch in der Hinsicht, daß erstarkender Handel ei« Wachse»
oer Glorie nacy pch zog. Wer dre englische Geschichte kennr, kann sich unschwer ein Bild davon machen. England hat von jeher, nicht zu Unrecht, seinen Anspruch, die stärkste Seemacht zu sein, mit der Ausdehnung und Bedeutung seines Handels begründet. Und auch heute noch bemißt es immer wieder das Maß seiner Rüstungen zur See nicht nach rein militärischen Gesichtspunkten, sondern nach dem Grundsätze: was muß ich tun, um meinen Handel zu schützen, wenn die Seewege durch Krieg gefährdet sind.
Wie sah es bei uns in dieser Hinsicht aus? Im Jahre 1860 stand Deutschland mit seiner Ausfuhr an vierter Stelle hinter England, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Jahre 1898 hatte es bereits die zweite Stelle erobert. Und das Besondere hierbei war, daß England seinen Vorsprung nicht im alten Abstand von der zweiten Macht beibehalten hatte, sondern wesentlich zurückgegangen war, nämlich von 25,2 v. H. des Welt-Außenhandels auf 17,1 v. H. Während Deutschland im Jahre 1860 noch um 16,4 v. H. hinter England zurückblieb, betrug der Abstand im Jahre 1898 nur noch 5,3 v. H. Und dieses Verhältnis verschob sich dauernd zu ungunsten Englands, so daß Deutschland im Jahre 1914 mit nahezu 20 Milliarden Mark Außenhandel immer dichter aufrückte.
Wie verhielten sich demgegenüber die Rüstungen zur j See? Im Jahre 1883, wo in England noch niemand daran j dachte, in Deutschland einen Nebenbuhler zu erblicken, den ! man fürchten oder — richtiger gesagt — beseitigen müsse, im Jahre 1883 war die deutsche Flotte die d r i t t st ä r k st e der Welt. Eine unglückliche Flottenbaupolitik brachte es zuwege, daß sie bis zum Jahre 1899 auf die sechste Stelle zurücksank. Sie war also von England gewiß nicht zu fürchten. Trotzdem hatte bereits im Jahre 1897 — und das ist das Wichtigste unserer Betrachtung — die Hetze gegen Deutschland eingesetzt, indem von der Londoner Wochenschrift „Saturday Review" in schärfster Form die Vernichtung des Nebenbuhlers Deutschland gepredigt wurde. „Völ- ^ ker haben jahrelang", so hieß es damals, „um eine Stadt
> und um Erbfolgerechte gekämpft. Müssen sie nicht um einen
> jährlichen Handel von 5 Milliarden Krieg führen?"
! Und dieser Anschauung ist England treu geblieben, bis ! in den Krieg hinein und über den Krieg hinweg. Die deut- ! sche Flotte, die im Jahre 1897 von den Flottengesetzen ei- - nes Tirpitz noch nicht berührt war, ja sogar 1899 — wir wiederholen es — noch an sechster Stelle stand, kann somit unmöglich als der Stein des Anstoßes bezeichnet werden, der England in das Lager unserer Feinde trieb. Gewiß, man hat beim Erstarken der deutschen Flotte ein zunehmendes Unbehagen empfunden, man hat aus dem Verhandlungswege, der von uns nie verschüttet wurde, unseren Flottenbau aufzuhalten, wenn nicht gar zurückschrauben wollen. Dies alles aber nur, weil man in ihm den starken Beschützer des deutschen Außenhandels erblickte, dessen Aufblühen man mehr fürchtete als das Anwachsen der deutschen Flotte.
Als England gegen uns zu Felde zog, hat es nach unserer Meinung aufs falsche Pferd gesetzt. Im Vertrage von Washington (1922) hat es die Flottengleichheit mit den Vereinigten Staaten von Amerika anerkennen müssen, die im Jahre 1898 noch an vierter Stelle standen. Japan meldet verwandte Ansprüche an. Frankreich ist mit seiner L-Bootflotte ein ungemein gefährlicher Gegner geworden,
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> Copyright: PriSma-Korrespondenz, Berlin-Schöneberg.
HL Fortsetzung. Nachdruck verboten)
„Justl!" sagte heute Degenkolb zu seinem Freunde Brösicke. „Du jefällst mir nich mehr! Sin' wir deine juten Freunde oda nich?"
, „Natürlich feid ihr siel" stimmt Brösicke ihm zu.
- „Denn erleichtere dich eenmal dein jequältet Vaterherze!" . Dankbar sah ihn Brösicke an.
„Det haste jut gesagt, Wachtmeesta! Mein jequältes Vataherze! Seit meine Jrete von Hause weg is, da jefällt mich alles nich' mehr! Und wat meine Schwiegermutter iö... na ihr kennt ja die olle Krantzewitzen...!"
„Du, die is mehr wie een Witz! Det is ne Groteske!" fiel Rübis ein. „Du... da muß ick immer an die olle Hofdame, das Fräulein von Plettenhausen denken! Dieselbe Marke! Die macht dir das Leben schöne sauer, wat?"
, „Und ob, Ede!"
„Mensch, schmeiße ihr doch raus!"
„Det jetrau' ick mir nich, Ede! Seht mal, weil die Grete jetzt -et Jeschäft uffjezogen hat... des wegen will se fort von hier! Eene Villa im Tiergarten! Und ich mag nich in det vornehme Viertel. Ick bin nu ja schon allahand vornehm jeworden, aber so sehr doch nich! Wat sich die Olle denkt! Hundertmal habe ick ihr schon Bescheid stoßen wollen, aba es ging eben nich! Wenn sie mir ankuckt, da is aus! Jawoll!"
„Ick wees een feinet Mittel, Justl!" sagte der Wachtmeister.
„Und?"
„Du kümmelst dich heute mal eenen an und denn bringen wir dir mit Musste nach Hause! Und wenn dann die Olle kommt, denn werden wir saugrob. Wir müssen dir mal een bißken unta die Arme greifen!"
„Ach ja! Und... det von den Artikel in die Zeitung... det habt ihr doch ooch jelesen?"
^ Alle nickten.
Rübis fragte: „Haste denn den jungen Schnösel raus- jeschmissen?"
„Nee, der iS so pickfein, wenn der mir eenen Vortrag hält, denn kann ick nischt sagen! Ick vastehe ja von die Sachen nischt! Und jetzt wo ick so ville Jeld an die Glückö- hütter Kohlengrube injebüßt habe... der redt mich ein, det es ein Glück is."
„Ich will dir wat sagen, Justl!" warf der alte Glasermeister ein. „Een Napfkuchenmann biste! Du... da habe ick meine Olle anders jezogen! Wie ick heirate... in Anfang, alles Zuckalecken! Jawoll! Vier Wochen späta... kommt die Olle an, wat meine Schwiegamutta war. Erscht alles jut, een Herz und eene Seele, aba dann jeht das Mäkeln loS. Uebaall hat sie die Neese rinjesteckt. Und ick... ick habe keenen Ton jesagt... ick bin einfach jeden Tag ins Wirtshaus gegangen. Meine jute Frau sagt erscht nischt... denn aber wirds ihr zu bunt. Sie stellt mir zu Rede. Ick sage: Ja, mein Schnuteken, ick jehe imma aus, weil deine liebe Mutta da iS, wenn die wieda in Treuenbrietzen is... denn wirste sehen, det ick nur mit dich zusamm' ausjehe!"
„Und... hat das jeholfen?"
„Aba janz jut! Ick sage euch... in eene Woche dampfte sie ab. Wat meine Jute war, die machte eenmal Krach, als sie wieda so stänkerte und dann hat sie gesagt: Mutta, es is bessa du ziehst wieda nach Treuenbrietzen und denn is die olle Dame abjedampft und denn haben wir uns knorke vatragen."
So redet man hin und her, zwischendurch spielte man Skat. Brösicke verlor einen Grand mit Vieren mit Pauken und Trompeten, denn er hatte den Eichelober für den Alten gehalten.
Die Stimmung wurde zum Schluß noch ganz gemütlich; als es 1 Uhr schlug, da hatte Brösicke einen kleinen Affen erwischt. Die Freunde begleiteten ihn naeb Hause.
*
Frau Lydia hat eben ihrer Tochter begreiflich gemacht, wie unsolid die Skatabende ihres Gatten sind. Eveline nahm für ihren Mann Stellung, ein kleiner Zank entstand.
Unfreundlich trennte man sich gegen 11 Uhr.
Frau Lydia konnte vor Aufregung nicht so gleich ein- schlafen. Gegen einhalb 2 Uhr hörte sie plötzlich singende Männerstimmen vor der Villa.
Sie öffnete empört das Fenster und rief hinunter.
„Ich bitte um Ruhe! Unerhört um diese Zeit so Krach zu machen!"
„Jnädige Frau!" rief Rübis von unten, „reden Sie sich man keene Franzen! Wir bringen man nur Ihren lieben Schwiegasohn nach Haus. Komm Herzensbruder, jib mich den Schlüssel, ick werde dir uffschließenl"
„Jawoll... jawoll... da... da schließ auf!"
Frau Lydia ist außer sich, sie wirft sich ein Kleid/ über und läuft nach der Diele, in die eben das Quartett" ziemlich geräuschvoll tritt.
„Das ist ja unerhört!" kreischt sie auf.
Oben lauscht das ABC, auch Eveline ist aufgestanden, aber sie hält sich noch zurück. :
„Pscht... gnädige Frau!" sagt der pensionierte Wachtmeister Degenkolb. „Reizen Sie ihn nicht... er hat eben einen Wutanfall gehabt! Er hat einen Schutzmann geohrfeigt. hat ein Schaufenster eingeworfen und einen Berliner Schm sterjungen verprügelt! Ick warne Ihnen, -madige Frau!"
Frau Lydia ist einer Ohnmacht nahe.
Brösicke starrt seinen Freund an, dann begreift er alles. Er ist durchaus nicht sehr betrunken, er steht fest auf den Beinen, aber er findet es jetzt gut, es zu mimen.
„Kreuzdonnerwetter...!" legt er los. „Was stehste hier, oller Dragoner! Scher dich ins Nest! Am Tage läßte mir keene Ruhe... und in die Nacht willstc mir oocd noch kommen! Fort sage ich!"
Frau Lydia kreischt hysterisch auf.
„Die Polizei! Hier muß sich die Polizei reinlegen!" und damit entfleucht sie nach oben.
Die Vier sehen sich an, dann kichern sie.
„Los Kinder!" kommandiert Brösicke. „Jeht koche ich noch 'ne Tasse Kaffee! Als oller Konditor und Bäcker kann ick det sehre jut! Kommt man rin, gleich in die Küche!"
Frau Eveline hört, wie sie in der Küche verschwinden.
Sie seufzt auf, als sie an den kommenden Tag denkt, aber sie versteht den Gatten und sie hat Humor.
Sic weiß, daß er jetzt einmal den starken Mann gespielt hat, was er sich sonst nicht trarrt. Sie weiß welche Lammsgeduld er die ganze Zeit der Dk-tter gegenüber bewiese« hat und sie weiß auch, daß der bescheidene Mann, nur chr zu Liebe Ruhe hält. '
Fortsetzung folgt!