Nummer 3VV ^ Altensteig, Donnerstag, den 27. Dezember 1934

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SnnllpoWAe Klärung in Sowielrußland

Die Verhaftung von Sinowjew und Kamenew Hinter­gründe der Ermordung Kirows

Die Welt horchte unwillkürlich auf, als im Smolny-Jn- stitut zu Leningrad Kirow, einer der engsten Mitarbeitr Stalins einem Revolverschuß zum Opfer fiel. 2n der fünf­zehnjährigen Geschichte der Sowjetunion sind außer den Mordversuchen an Lenin keine Attentate auf führende Per­sönlichkeiten der Kommunistischen Partei oder des Sowjei- regimes verübt worden. Was hatte dieser Mord an dein Sekretär der kommunistischen Parteiorganisation, einem der höchsten Funktionäre des bolschewistischen Systems, zu be­deuten? War es das Signa! eines neuen Umsturzes, der sich vorbereitete? Oder die Tat eines Fanatikers, der aber außer Zusammenhang mit irgendwelcher revolutionären Organisation als Einzelgänger gehandelt hatte? Steckte hinter der Affäre der GPU., der vor nicht langer Zeit erst ihre außerordentlichen Vollmachten beschnitten worden wa­ren? Oder war das Ganze überhaupt unpolitisch? Ein menschlicher Racheakt, eine Eifersuchtstragödie? Der Täter war einer der Untergebenen Kirows, und man sagt, daß Kirow als Vorgesetzter nicht gerade bequem gewesen sei. Es hat an Deutungen nach der einen wie nach der anderen Richtung nicht gefehlt. Aber bei der völligen Undurchdring­lichkeit jowjetrussischer Zustände war es kaum möglich, die wirklichen Hintergründe des Attentates zu erkennen

Die Sowjetmachthaber selbst behandelten es von Anfang an als politische Angelegenheit. Massenverhaftungen, Maj- senverschickungen, über 100 Erschießungen, Erneuerung der revolutionären Vollmachten für die GPU. alles deutete darauf hin, daß man mit einer Lerrorwelle revolutionäre Keime wenn nicht mehr in Blut ersticken wollte. Trotz­dem hat man im Auslande vielfach bezwetfelt, ob sachlich wirklich ein Anlaß zu solchem Vorgehen vorlag, oder ob das Attentat Stalin und den anderen Sowjetgrößen nicht ge­legen kam, um von kritischen Erscheinungen des Regimes durch den Alarmruf von der drohenden Gegenrevolution abzulenken. Die Beisetzung der Asche von Kirow fand mit dem üblichen Sowjetprunk als großes Volksschauspiel statt. Eine große Truppenparade schloß sich an, und es geschah alles, um nach außen hin die Sowjetmacht wirksam in die Erscheinung treten zu lassen. Vor allem aber sollte bei allen Unzufriedenen und kritisch Gestimmten Furcht und Schrecken ausgelöst werden.

Inzwischen wird die Verhaftung von Sinow­jew u n d Kamenew gemeldet. Beides ehemalige hohe Sowjetfunktionäre aus dem Kreise derer um Trotzki, vor Jahren wegen ihrer opositionellen Haltung zu Stalin ihrer Aemter entsetzt und später dann nach feierlichem Widerruf neu in die Partei ausgenommen, wenn auch der Weg zu einflußreichen Parteistellungen ihnen auch dann versperrt blieb. Mit diesem Vorgehen gegen Sinwjew und Kamenew bekommt die ganze Aktion nun ihr besonderes politisches Ge­sicht, mindestens dasjenige, das die Sowjetregierung ihr zu

eben wünscht. Man muß sich erinnern, welche Rolle die

eiden zusammen mit dem in der Verbannung lebenden Trotzki seinerzeit gespielt haben. Trotzki war Vertrauter Lenins, geriet aber nach dessen Tode in immer schärferen Gegensatz zu Stalin. Ihm gegenüber hielt er als radikaler Bolschewist an dem Standpunkt fest, daß die Durchsetzung der Weltrevolution das Schicksal des Bolschewismus sei.

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Das Tannenberg-Denkmal nach der Umgestaltung

! Nach dem Willen des Führers soll das Tannenberg-Denkmal zur Hindenburg-Rnhe- und Gedächtnisstätte umgestaltet werden. Der jetzt vom Führer genehmigte Entwurf stammt von den Erbauern des Tannenberg-Denkmals, den Architekten Walter und Jo­hannes Krüger.

Daraus wollte er die Politik der Sowjetunion und der bol­schewistischen Partei abgestellt sehen. Außerdem vertrat er dis These, daß die Partei sich in erster Linie auf das Fab­rikarbeiterproletariat gründen müsse. Er predigte deshalb den Kampf gegen die dem bolschewistischen System wider­strebende Bauernschaft im Gegensatz zu Stalin, der bekannt­lich gewisse Konzessionen nach dieser Seite hin machte. Si­nowjew und Kamenew waren Kampfgenossen Trotzkis. Trotz ihrer späteren Bekehrung wird man annehmen müs­sen, daß sie im Grunde ihre einstige Ueberzeugung nicht auf­gegeben haben, und zumindest werden sie den Sowjetmacht­habern verdächtig geblieben sein. Der Kurs, den Stalin steuert, kann im Augenblick eine allzu deutliche Propa­ganda für die Weltrevolution nicht vertragen. Im Zeichc der sowjetrussisch-französtschen Allianz kann man nicht die blutrote Fahne des Vernichtungsfeldzuges gegen den Welt­kapitalismus heraushängen. Außerdem fühlt Stalin viel­leicht, daß sein Stern vor dem russischen Volke etwas ver­blaßt ist. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verschärfen sich von Jahr zu Jahr, statt daß sie eine Abmilderung er­führen. Die Massen, von denen in jedem Winter Hundert­tausende Hungers sterben, sagen sich aber schließlich, daß man von Theorien, und seien sie noch so schön, nicht leben kann. Man fängt an zu zweifeln, und wenn das, was hier etwa an Opposition keimen könnte, auch aus einer ganz an­deren Richtung kommt, als die der Sinowjew und Kame­new, so kann es doch eines Tages gefährlich werden. Man sagt, Stalin erblicke seine letzte Stütze in derRoten Ar­mee". jener Truppe, die Trotzki einst schuf und in der heute

57. Jahrgang

vseneral Blücher, der populärste Mann ist. Aber selbst die,- Flucht in die schützende Armee der bewaffneten Macht hat für Stalin heimliche Schrecknisse. Schon nennen viele in Sowjetrußland General Blücher denRoten Zaren". So­lange er im Fernen Osten die Wacht gegen Japan hält, mag er politisch ungefährlich sein. Wie aber dann, wenn in Ostasien die Spannung einmal nachläßt und die Armee ihr Gesicht wieder nach Europa wendet? Im Sowjetsystem, in dem alles morsch ist, ist das Heer der einzige wirkliche Machtfaktor. Der Mann an seiner Spitze, der obendrein bei seinen Soldaten äußerst beliebt sein soll, könnte, wenn ihn der politische Ehrgeiz packt, seine Diktatur an der Stelle der Stalins aufrichten. Alles, was der Ermordung Kirows folgte, verrät ein reichliches Matz an Nervosität. Es muß Grund zu ihr vorhanden sein.

KN das SösiMa! Sinowjew?, Kamenews und Genossen

Moskau^26. Dez. Auf die Veröffentlichung des Volkskammiss«. rints Los Innern über sic Verhaftung von Sinowjew, Kamenew uns 18 ihrer Anhänger in Moskau treffen aus allen Teilen Ser Sowjetunion Entschließungen von Parteiversammlungen ein, die die Todesstrafe für diese ehemaligen Politiker fordern. In der Hauptsache wollen sich die Absender durch diese Forderungen bei der Sowjetregierung einschmeicheln, denn es ist bekannt, daß Si­nowjew und Kamenew und nicht zuletzt auch Trotzki in der Par­tei unter den alten revolutionären Mitgliedern eine zahlreiche Anhängerschaft besaßen. Man glaubt, daß Kamenew und Sinow­jew sowie Federow, Sar--.oow, Wardin, Salutzki und Jewdoki- mow nicht hingerichtet, sondern verbannt werden

MMlNWMkom in MchMhno

Tokio, 2b Dez. Die große Verwaltungsreform Mandschukuos ist nunmehr in Kraft getreten. Der Kolonialminister wird aur der Verwaltung ausscheiden, an seiner Stelle übernimmt Kriegs- Minister Hayaschi das Mandschukuo-Bllro im japanischen Kabi­nett. Dem Reichstag, der feierlich eröffnet wurde, ist der Re­organisationsplan der Verwaltung Mandschukuos zugeleitet wor­den. Gleichszitig wurde ihm der Haushalt unterbreitet, der u. a. eine zusätzliche Bauernhilse und einen Selbstverwaltungsplan für 'Formosa vorsieht. Unter den weiteren Vorlagen befinden sich auch die Kündigung des Washingtoner Flottenvertrages, die Bil­dung eines staatspolitischen Ausschusses, genanntGehirntrust", ein Ansiedlungsplan für 2 Millionen Korea­ner i n d e r M a n d s ch u r e i, der im Verlauf von zehn Jahren drrrchgeführl werden soll, uird die Schaffung einer neuen Ab­teilung im Auswärtigen Amt, die durch den planmäßigen Aus­tausch von Proesssoren und Studenten mit anderen Ländern neue Verbindungen mit dem Auslande schaffen soll.

Ziehung der 4. ArMrsbefchaffniigsloiierie

München, 26. Dez. Die öffentliche Ziehung der 4. Arbeits- ebschaffungslotterie ergab: Die 20 Hauptgewinne entfallen mit je 8000 RM auf jede der beiden Abteilungen folgender zehn Losnummern: 66 842, 1 002 731, 1300 296, 1330 886, 1343 473.

1 817 996, 2 306 400, 2 448 732, 2 319 960, 2 970 236. Die 20 Prä­mien zu je 2500 RM. entfallen auf jede der beiden Abteilungen der zehn zuletzt gezogenen 20 RM.-Gewinne. Es sind dies fol­gende Nummern: 412 652, 864 644, 1 174 025, 1 440 808, 1550 946,

2 322 494, 2 460 275, 2 865 087. 2 925 516, 2 990 883. (Nummern ohne Gewähr.) Die Ziehungsliste wiA> am 2. Januar aus- gegeben.

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(28. Fortsetzung.)

Und niemand würde wissen, daß Andreas Oberhof diesen Frieden gesucht...

Der Sturm wütete weiter. Er trieb einen riesenhaften Block harten Schnees den schmalen Steig herab, riß mit sich, was sich ihm hindernd in den Weg stellte.

Leb wohl, kleine Christa. Ernst wird eines Tages frei sein, und dann kommt oas Glück auf unfern alten Oberhof!"

Triumphierend heulte der Sturm in den Lüften.

* *

*

Das Wetter hatte die Skifahrer zum Teil überrascht, aber sie gelangten doch noch bis zu der großen Schutz­hütte. Hier faßen sie nun zusammengewürfelt, Damen und Herren. Viele ohne sich bisher kennengelernt zu haben. Denn es waren jetzt Hunderte von Sporttreiben­den im Dorfe.

Frau Gisela Oberhof faß zwischen zwei luftigen Stu­denten. Die ulkten und unterhielten die ganze kleine Gesellschaft.

Ist man denn hier sicher?" fragte ein kleinerer Herr, Lindner mit Namen, den der Zufall heute höher Herauf­getrieben, und der sonst immer ängstlich aufs Wetter bedacht gewesen war. Er war hinter zwei reizenden Mädeln hergefahren und hatte dabei die Orientierung vollkommen verloren. Schließlich aber waren sie ihm doch aus der Reichweite gekommen, so daß das ganze Abenteuer umsonst gewesen war.

Draußen heulte es schauerlich, und der kleine, dicke Herr Lindner dachte reuevoll an seine Lisbeth, die da­heim im warmen Hotel auf ihn wartete.

Aus diesem Gedanken heraus hatte er die Frage ge­stellt.

Oh, was heißt sicher? Der Sturm ist fürchterlich. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir alle zusammen abwärts segeln. Wenn da einer mit dem Leben davonkommt, ist's ein Wunder," meinte jemand.

Herrn Lindner sank das Kinn schlaff herunter. Im Geiste sah er sich schon als verunglückten Skifahrer auf­gefunden und alle Zeitungen voll davon.

Furchtbar!

Die Tür ging noch einmal auf. Ein einzelner Herr trat herein.

Guten Abend. Ist's erlaubt?"

Er deutete auf die Bank, auf der noch ein Plätzchen frei war. Schon beim Klang der Stimme hatte Gisela aufgehorcht. Jetzt blickte sie aufmerksam in das Gesicht des Fremden, das ihr seltsam bekannt vorkam. Einer der Herren drehte in diesem Augenblick die große Laterne herum, und da wurde das Gesicht des Fremden hell er­leuchtet.

Der Bildhauer Wellin!

Er war also hier!

Vielleicht, nein, wahrscheinlich erst angekommen, denn bisher war er noch nicht unter den Sportlern und Kur­gästen zu sehen gewesen. War er ihretwegen hierher­gekommen?

Gisela sagte plötzlich:

Ah, Herr Wellin aus Rom! Oder irre ich mich?"

Die unbesonnene Frau wußte, was sie jetzt tat, aber es war ihr alles gleich. Sie wollte irgendein Abenteuer.

Der Künstler erhob sich sofort, ging voll Freude auf sie zu, beugte sich über die ihm enigegengcstreckte Hand und drückte einen feurigen Kuß darauf.

Gnädige Frau, dieses Glück konnte ich nicht ahnen! Heute früh bin ich hier angekommen, weil ich Sie Wieder­sehen mußte. Und nun verhilft mir ein gütiger Zufall schon viel eher zu diesem heiß ersehnten Wiedersehen. Ich freue mich, gnädige Frau, daß Sie mich erkannten. So darf ich hoffen, daß einer Ihrer Gedanken mich in dieser Zeit einmal gütig gestreift hat?"

Gisela lachte ihn strahlend an. Sie freute sich wie ein Kind über dieses völlig unerwartete Wiedersehen. Und sie gab sich dieser Freude auch ungehemmt hin, was der erfahrene Mann recht gut bemerkte und seine Schlüsse daraus zog.

..>>»»».

Er war nur ihretwegen lsierhcrgekommen. Wahr­haftig!

Da gab es gar nichts zu verschleiern. Obwohl er ge­waltsam versucht hatte, nach einer andern Seite hin sich zu betäuben. Immer wieder war Gisela im Geiste vor ihm aufgetaucht, bis er endlich beschloß, hierherznsahren. Wer wollte ihm denn das verwehren?

Nun hatten sie sich hier getroffen! Das war mehr als ein Zufall. In diesem Sinne sprach der Künstler zu der jungen Frau. Und sie lachte ihn verführerisch an.

Ach, gehen Sie doch! Ausgerechnet meinetwege werden Sie aus Rom hierhergekommen sein!"

Er legte beteuernd die Hand aufs Herz.

Ich schwöre es Ihnen! Nur die Sehnsucht nach Ihnen trieb mich in diese kalten Gefilde, glauben Sie mir doch."

Da muß ich wohl glauben. Aber jetzt wenn nur das Wetter nachließe, ich bin schon so lange von daheim fort. Meine Angehörigen werden sich ängstigen."

Ihm brannte eine Frage auf der Zunge. Nach einiger Ueberlegnng aber schwieg er. Wenigstens heute wollte er diese Frage noch nicht stellen.

Der Sturm grollte um die Schntzhütte, und sein Heuler klang immer wütender. Einmal sprangen alle entsetz» auf, denn der Boden schien zu schwanken.

Mit geschlossenen Augen lehnte sich Gisela gegen Wel­lin. Und wie schützend legte er deck Arm um sie. Er fürchtete sich nicht. Er war im Gegenteil dem Unwetter unendlich da^7i-,>^ ö->s ch'" ^i'^-n^'nentreffen er­möglicht hat

Freilich eui innerer ^eigem-mack Vneb. Er wußte nicht, wie weit er dieses Wiedersehen ausbauen sollte. Gefährlich war dieser große stolze Bauer auf alle Fälle. Wiederum hatte er jetzt schon die Gewißheit, daß dis junge Gisela sich nicht glücklich fühlte in ihrer Ehe, daß sie zu den unzufriedenen Frauen gehörte, die beizeiten nach einem Freund Ausschau halten.

Draußen wurde es ruhiger. Dieses letzte furchtbare Wüten des Sturmes war wahrscheinlich daS Ende des Unwetters gewesen. Ein hörbares Aufatmen ging durch die -Hütte, lind die Menschen machten sich eilends fertig, um so schnell wie möglich zu Ta! zu kommen.

(Fortsetzung folgt.)