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Alten steig, Donnerstag, den 29. November 1934
5 7. Jahrga«,
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Von E. K. Veltzig.
Die Versuche mit der chemischen Waffe in der Militärluftfahrt, die zuerst von den Amerikanern und neuerdings uuch von den Sowjets angestellt wurden, sollen die in sie gesetzten Erwartungen nicht befriedigt haben. Die Russen führen dies „Versagen" zum größten Teil auf den Umstand zurück, daß eine wirksame Geländeverseuchung eine für den jetzigen Stand der Luftstreitkräfte viel zu große Mengenbe- MLerung chemischer Kampfstoffe bedingt. Dazu käme noch -je leichtflüchtige Art der meisten „Gase", die einem Gasangriff aus der Luft die wünschenswerte Wirkung nähme.
Alle diese Versuche können sich nicht aufs kriegspraktische Erfahrungen stützen, denn weder im großen Kriege, noch in den letzten Konflikten in Mandschukuo kamen Luftgasan- grisse zur Ausführung. Der Schweizer Hauptmann Diplom- Ingenieur Dr W. Volkart nahm kürzlich in längeren Ausführungen Stellung zu den Anwendungsmöglichketten von chemischen Kampfstoffen bei Luftangriffen. Der Gelehrte 'führte u. a. aus, daß die in letzter Zeit von französischer -Seite so oft bekanntgegebene Erfindung neuer chemischer Kampfstoffe von einer alles vernichtenden Kraft stark übertrieben sei. Denn sollte ein solches Wundergas von Chemikern Frankreichs wirklich erfunden worden sein, jo sei zu berücksichtigen, daß all die bekanntgegebenen Erfolge lediglich Laboratoriumsersolge sind. Der große Krieg aber habe gelehrt, daß gerade die „hochgiftigen" Gase nicht immer die militärisch wertvollsten seien!
Die Versuche der Sowjets mit der chemischen Waffe bei Luftangriffen erbrachten einige, gerade für Abwehrmaß- nahmcn beachtliche, Aufschlüsse. So war zum Belegen wertvoller Ziele mit Gasbomben im feindlichen Hinterland eine riesige Anzahl modernster Nachtbomber erforderlich. Die Zuladung der schweren Nachtbomber betrug 2000 Kilogramm Gasbomben, die kleineren, schnelleren Tagbomber schleppten je 600 Kilogramm mit sich. Schon bei einem Anflugweg von 250 Kilometer zeigte es sich, daß die Flugzeuge mit der genannten Menge überladen waren. Das Ladegewicht mußte bei einem Flug von 250 Kilometer um 25 o. H. und bei 475 Kilometer gar um 50 v. H. ermäßigt werden.
Dagegen konnren die Flugzeuge, die den chemischen Kampfstoff aus großen Behältern abregnen ließen, viel mehr reinen Giftstoff mit sich führen Bei diesem Verfahren fällt das Gewicht für die Mäntel oder Hülsen der Gasbomben fort. Die Höhe, die ein wirkungsvolles Abregnen des Giftes bedingte, war so gering (zwischen 200 bis 400 Meter!), daß im Ernstfall ein solcher Angriff auf ein einigermaßen geschütztes Ziel kaum durckführbar sein dürfte.
Hauptmann Volkart machte eingehende Versuche mit dem kenfgas. Seine Versuche ergaben, daß wenigstens 10 bis lL Gramm Senfgas zur Verseuchung einer Fläche von einem Eeviertmeter nötig find. Nach diesen Versuchen wären zur Verseuchung eines angenommenen Zieles von rund 15 Ge- oiertkilometern (wertvolle Industrien und lebenswichtige Betriebe) — theoretisch 150 Tonnen Giftgas nötig. Die russischen Manöver — es handelte sich bei diesen Uebungen natürlich um Versuche in viel kleinerem Rahmen — bewiesen, daß in der Praxis die oben genannte Menge nicht genügen würde. 150 Flugzeuge modernster Bauart, welche diese Menge schleppen könnten (jeder Bomber mit 1000 Kilogramm Kampfgas — Reingewicht — beladen), hätten diesen Angriff nicht nur gleichzeitig, sondern auch mit einer vollkommenen Sicherheit durchzuführen. Außerdem .de.
§ V O*
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h um die Easwirkung möglichst lange zu erhalten, eine dreimalige Welle, die alle 30 Minuten wiederkehrt, notwendig sein. Das heißt also: die 150 Flugzeuge hätten dreimal die Ladung von 150 000 Kilogramm Giftstoff über das Ziel zu bringen. Amerikanische, englische und französische Wurfübungen aus mittleren und größeren Höhen zeigen — im friedlichen Manöver —, daß die Treffsicherheit nicht über 50 v. H. hinausgeht. Daher ist anzunehmen, daß im Kriege, unter erschwerten Umständen und mutmaßlich aus noch größeren Höhen, diese 50 v. H. T" ""cherheit bei weitem nicht erreicht werden dürfen.
Die russischen Versuche erbrachten aber noch eine vielleicht wichtigere Feststellung! Sie zeigten, daß es gewisse Landstriche gibt, die gegen Gasbombenangriffe einfach immun sind. Das Wetter über ihnen machte ein Verseuchen der Gegend zeitweise unmöglich. Da über diese, in Rußland festgestellten Tatsachen genaue Einzelheiten nicht zu erfahren sind, mögen die Beobachtungen des Hauptmann Volkart, welcher ähnlich gelagerte Verhältnisse in der Schweiz feststellte, hier erwähnt werden.
„An durchschnittlich 46 Tagen des Jahres liegt in Zürich Schnee. Dieser verschluckt die Gaskampfstoffe und macht sie unwirksam. An rund 85 Tagen ist die Temperatur unter 0 Grad, so daß alle Gaskampfstoffe durch Erniedrigung ihres Dampfdruckes viel langsamer verdampfen — wenn sie es überhaupt tun — und in ihrer Wirkung kolossal verzögert werden. Etwa 100 Tage sind Regentage. Master aber zersetzt die Kampfstoffe und nimmt ihnen ihre Wirkung. An etwa 25 Tagen wird Wind über fünf Meter je Sekunde verzeichnet, der den verdunstenden Kampfstoff zu rasch mit Luft verdünnt. Etwa 40 Hochsommertage verflüchtigen die
chemischen Stoffe zu rasch, ehe sie überhaupt zur Wirkung gekommen sind. Wenn man demnach in Betracht zieht, do'z das Wetter weder zu kalt noch zu heiß, weder naß, neblig oder windig sein darf, dann kommt man auf etwa 235 Tage im Jahr, an denen ein Gasangriff keine oder nur ganz geringe Aussichten auf Erfolg bietet."
Eine völlige Sicherheit gegen Gaskampfstoffe kann nicht gegeben werden. Ein Volk, gegen bas Krieg geführt wird, muß trotz aller passiver Schutzmaßnahmen damit rechnen, einen Teil seiner Volksgenossen zu verlieren. Daß diese Opfer klein bleiben, ist jedem Volke durch die Schaffung eines aktiven Luftschutzes in die Hand gegeben.
Kranke Weine
Es ist kerne erfreuliche Ausgabe, von kranken Weinen zu sprechen. Der Wern als der Freudenbringer des Lebens sollte gepriesen und besungen werden, denn Wein und Freude gehör« nun einmal von altersher zusammen. Und wenn er grüngolde» im Glase glänzt und mit seiner Blume die Sinne umschmeichelt, wer sollte dann nicht den Wein als die köstlichste der Eottes- gsben vreisen! Aber der Weindoktor kennt auch die andere Seite. Er weiß um die Nöte dos Winzers und steht im Wein nicht nur den Sorgenbrecher, als der er dem trinksreudigen Zecher erscheint, sondern oft nur bas Sorgenkind des geplagten Kellermeisters. Ei: weiß, daß auch der Wein seine Fehler und Krankheiten hat, und daß es zuweilen schwer ist, ihn von solchen Leiden zu heilen. Denn da ist guter Rat oft teuer. Der Wein iit ein sehr empfindlicher Patient und verträgt keine scharfen Mittel und Kuren. Leicht fällt er wieder um und alles Verbessern und Schönen bleibt dann ohne Erfolg. Ein wirklich kranker Wei, ist zumeist ein hoffnungsloser Fall.
Der Herbst 1934 hat uns leider solche Fälle in übergroßer Zahl gebracht. Es war zu heiß während der Lese und die Gärung setzte zu schnell und zu stürmisch ein. In den warmen Kellern entwickelten sich neben der Hefe auch Bakterien aller Art. Hier wurde der Keim gelegt zu den zahllosen Erkrankungen, die >m Lause der letzten Wochen zum Vorschein gekommen sind und die manches Winzers Herz mir Sorge und Enttäuschung erfüllen.
Wer gutem Rate folgend seine Moste vor der Gärung schwefelte. wer gleich nach der Gärung die Fässer aussüllte und den Abstich rechtzeitig vornahm, der weiß freilich nichts von diese» Sorgen und Nöten. Der sreut sich heute über seinen gesunden, sauberen Wein und lobt den Jahrgang 1934, daß er alles gehalten habe, was er versprach.
Anders sieht es dort aus, wo man aus Vergeßlichheit oder aus falscher Ueberlegung Las Schwefeln der noch süßen Moste versäumte, wo man den Keller warm hielt und die Hese aufrührte, um die „Nachgärung" zu beschleunigen. Dort hat man alles getan, was der Vernunft und der kellerwirtschaftliche» Erkenntnis entgegenstand. Man hat die Krankheiten gefördert, statt sie zu bekämpfen, das Verderben beschleunigt, statt «s aufzuhalten
Heute ist da kaum noch zu helfen. Die Weine zeigen fast durchweg den sogenannten M i l ch s ä u r e st i ch, eine Krankheit, die bei uns ielten ist, zu deren Entstehung aber die Säurearmut der 1934er Weine und die hohe Gärtemperatur alle Vorbedingungen schuf. Soweit sich nicht neben oder aus dem Milchsäureftich schon ein Essigstich entwickelt hat. kann durch starke Schwefelung mit 12 bis IS Gramm Kaliumpyrosulfit pro Hektoliter, durch Filtration und durch sehr kühle Lagerung dem weiteren Verderben noch oorgedeugt werden. In den meiste» Fällen zeige» aber die Kostprobe und die chemische Untersuchung übereinstimmend. baß schon größere Mengen flüchtiger Säuren vorhanden
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<10. Fortsetzung.»
Die schöne, kleine Christa! Die ganz anders war, als die hübschen, rotbäckigen Bauernmädel ringsum, der die hingen Bauernsöhne in Scharen nachliefen, trotzdem sie doch alle wußten, ^atz Christa arm war.
„Christel!"
Der Oberhofvau^r flüsterte den Namen. Und feine Augen brannten auf der schlanken, kraftvollen Gestalt feines Sohnes, der an Christel vorüberging, als sei er blind. Er sprach freundlich mit ihr, er ging mit ihr und dem Bater auch zur Kirchweih, aber was alle anderen Mngen Männer sahen, das schien er nicht zu bemerken.
Würde es immer so bleiben? Würde Ernst in den nächsten Jahren doch eine andere heiraten? Und wen? Grete kam längst nicht mehr in Frage. Der Simanhof var unter den Hammer gekommen. Eine Schande, die der stolze Oberhofbauer lange nicht verwinden konnte.
Christel!
Der Oberhofbauer dachte daran, daß er immer gehofft, Ernst würde die kleine, schöne Christel heiraten. Aber — hatte er es wirklich — gehofft? Hatte er es nicht vielmehr — gefürchtet? Und war er insgeheim nickt froh, «aß der Sohn sich nichts aus dem Mädchen machte? Keine Aeschönigung half! Es mar schon so! Er, der Vierund- lütifzigjährige, liebte Christa!
Stürzte denn der Himmel nicht ein über dieser Erkenntnis? Und — pfiffen es die Spatzen nicht hohn- lachend im Gebüsch, trillerte es die Lerche nicht schaden- ftoh droben in den Lüften: „Ein Vierunofünfzigjähriger «ebt ein Mädel von zweiundzwanzig!" War es so furchtbar? War es nicht auch schon dagewesen? War er nicht ein Narr, den man einsperren mußt«?
Hell und klar klangen die Sensen durch die Stille. Die Sensen, die unbarmherzig das saftige Gras und die vielen bunten Blumen umlegten.
Was würden die Leute sagen, wenn sie wüßten —?
Wieso wüßten?
Wer sollte denn von dieser Narretei des Oberhofbauern etwas erfahren?
Er selbst würde nie mit einem Menschen darüber sprechen.
Christel!
Wenn sie ihm ein bißchen gut sein könnte! Wenn ihre Dankbarkeit sie den Altersunterschied vergessen ließe! Wenn das Glück auch noch einmal zu ihm käme! Wenigstens für einige Jahre — ehe er starb. Er hatte doch eigentlich bisher so gar nichts vom Leben gehabt. Nur Arbeit und Pflichten. Nichts weiter! Er hatte nicht wieder geheiratet. Weshalb hatte er es eigentlich nicht getan? Dann wäre er davor verschont geblieben, jetzt auf seine alten Tage noch an Liebe denken zu müssen.
Liebe!
Hatte er früher dieses Wort nicht stets belächelt? Und heute, wo sie ihm kaum noch geschenkt werden würde, heute dachte er sich diese früher stets verlachte Liebe als das Köstlichste, was dem Menschen auf dieser Welt begegnen konnte.
Wenn Christel ihn zum Manne nähme.
Der Oberhofbauer duckte sich.
Es war ein Verbrechen, auch nur daran zu denken. Dies Mädchens blühende, zarte Schönheit mußte einem jüngeren Mann gehören. Das andere wäre doch nur Unnatur!
Der Oberhofbauer wandte sich zum Gehen. Aber seine Schritte waren seltsam müde. Und wieder kamen ihm beim Dahinschrerten die Gedanken an Christa.
Ob einer der Großbauern sie wirklich heiraten würde? Und wenn der dann nicht gut zu ihr war, nachdem sich der erste Rausch gelegt hatte? Nein! Das durfte nicht sein! Christa mußte in rechte Hände kommen. Sonst mochte sie lieber auf dem Oberhof bleiben.
Gewiß, solange er lebte, war sie dort geborgen vor aller Not. Wenn aber Ernst eines Tages heiratete, und eine junge Frau auf den Hof kam, dann mutzten sich allerlei Unstimmigkeitenf--geben, soviel war jetzt schon klar.
Weshalb eigentlich ging Ernst an Christa vorüber? War er denn in diesem Kalle mit Blindheit geschlagen? Wenn der Sohn Christa heiraten würde, dann wäre alles gut. Und er, der Vater, hätte seine törichte Liebe ganz tief in seinem Herzen zu verschließen. Für ihn mußte eS genügen, sich am Glück der Jungen sonnen zu dürfen.
Tief atmete der Oberhofbauer auf.
Seinem Sohne würoe er Christa gönnen. Sonst keinem! Keinem!
Aber Ernst blieb gleichgültig!
Hatte er am Ende eine schlimme Erfahrung hinter sich? Aus der Zeit, als er so viele Jahre von daheim fori war? Und mochte er nun vorläufig nichts von einer Heirat wissen?
Daß in seinem Jungen ein starker Mannesstolj schlummerte, war dem Oberhofbauern nicht fremd. Mädels hätte der hochgewachsene, schlanke Ernst Oberhoi in Menge haben können. Doch als Frau war ihm keine« gut genug gewesen.
In letzter Zeit war Ernst etwas zugänglicher geworden. Nicht mehr so finster und schweigsam. Aber Christa betrachtete er immer noch als die Waise, von der der Vater wünschte, daß man sic gut behandle. Das hatte der Sohn getan! Ganz gewiß konnte man sich da nicht beklagen! Aber sonst blieb er dem Oberhofbauern ein Rätsel.
Und dennoch freute es ihn.
So furchtbar egoistisch ist die Liebe!
In letzter Zeit kamen die Jettloffs häufig aus de« Oberhof. Im Dorfe tuschelte man schon, denn der Schulze hatte eine Anspielung gemacht, als letzthin Ernst mit der Tochter gemeinsam von der Kirche nach Hause gegangen war.
Katharine Jettloff war ein nettes Mädchen mit schwarzen Kirschenaugen und dunklen Haaren. Sie strotzte vor Gesundheit und lachender Jugend. Ma« war schon immer mit den Oberhofs befreundet gewesen, und seit Ludwig Feiler, mit dem Katharine versprochen gewesen, im Krieg geblieben war, mußten sich die Jctt- loffs doch nun langsam nach einem anderen Schwiegersohn Umsehen. Denn sie hatten nur diese eine Tochter, die später den Hof erben sollte. Wenn die jetzt noch de» Obcrhofsohn bekam, wurde das di« reinste Millioucn- hochzeit. (F«"ts. folgt.)