Nummer 268

I

Sie ailmtkanW-japimWe Spannung

Von Otto Corbach.

Die Raumverhältnisse im Stillen Ozean bringen es vor­läufig noch mit sich, daß sich japanische wie amerikanische unverantwortlicheStrategen" gegenseitig wie homerische Helden beschimpfen können, ohne daß es ernste Folgen nach sich zu ziehen brauchte. Die Luftrüstungen haben gewiß die Sicherheit, die denkbar günstige Bedingungen für die Ver­teidigung zur See Japan verbürgen, stark beeinträchtigt, aber die Ausweitung fernes Machtspielraums auf dem Kon­tinent verspricht auch diesen Nachteil auszugleichen. Ankün­digungen wie die, daß Amerika 50Zeppeline" bauen würde, um im Kriegsfälle Japans große Städte in Schutt und Asche zu legen, machen im Fernen Osten kaum noch Eindruck. Man ist dergleichen gewöhnt and dagegen abge­stumpft. Amerikanisch orientierte Publizisten brachten in Schanghais! Blättern schon aufregende Schilderungen über eine solch massenhafte Herstellung von Flugzeugen in Ame­rika, daß eine große Armee samt Ausrüstung darin über den Stillen Ozean fliegen könnte, um in China gegen die Ja­paner zu kämpfen.

Die fortgesetzten Enttäuschungen über die Hilfsgesten Wa­shingtons und Genfs haben es dahin gebracht, daß die bloße Wirkung japanischer Propaganda ohne neuen militärischen Kraftaufwand größere Wunder vollbringt, als die sagen­haften Posaunen der Kinder Israel, deren Schall die Mau­ern von Jericho zum Einstürzen brachte.Der pratiotische Geist", klagt die chinesische ZeitungSchun pao", ist in Nordchina im Absterben. Das ist die Ansicht von Leuten, die aus dem Gebiet soeben zurückgekehrt sind. In der Kriegs­zone stehen nicht nur chinesische Schmuggler und Verräter in engen Beziehungen zu den Japanern, auch gebildete Chi­nesen" befreunden sich mit den japanischen Offizieren. Die Bevölkerung der Kriegszone respektiert die Zentralregie- rung noch weniger als die des Südwestens (Kanton) es tut. Die Bevölkerung betrachtet die Verräter wohl als solche, aber das Wort hat gar keine Bedeutung für sie. Das Schlimmste ist vielleicht, daß viele junge Chinesen in der Kriegszone Japanisch lernen. Vom psychologischen Stand­punkt ist das verheerend. Von dem Betragen Weniger darf man nicht auf die große Menge schließen,' es zeigt aber, rvoher der Wind weht und wie groß der Einfluß der japani­schen Propaganda ist." Dasselbe Blatt sieht voraus, daß die japanische Herrschaft längs der Großen Mauer sich mit friedlichen" Mitteln unaufhaltsam weiter ausbreiten wird. Nachdem die Japaner die Mandschurei fest in Händen hät­ten, suchten sie selbstverständlich die Mongolei zu durchdrin­gen.Sie bemühten sich jetzt aber, dieses Gebiet auf fried­lichem Wege an sich zu bringen. Wenn sie die Mongolen bewegen könnten, sich von China zu trennen und sich der Mandschukuo-Regierung anzuschließen, dann bedürfte es nicht der Anwendung der Gewalt, was Japan jetzt, wo es seine Energie für einen Krieg mit Rußland aufzusparen har, recht teuer zu stehen kommen würde. Nach Japans Me­thode der friedlichen Eroberung würde der erste Schritt darin bestehen, die Mongolen für einen Anschluß an Man­dschukuo zu gewinnen. Es mag in Erinnerung sein, daß in der berühmten Kundgebung Tanakas die Errichtung eines .mongolischen Reiches erwähnt wurde. Wenn die Einverlei­bung der westlichen und östlichen Mongolei stattgefunden hat, dann steht der Verwirklichung eines mongolischen Staa-

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Rotnan von Gert Nothberg

Urheber-Rechtsschutz durch Verlag O. Meister, Werdau / Sa.

1. Fortsetzung

Mütterchen?"

Keine Antwort.

Mütterchen!"

Alles still.

Da griff es dem Kinde plötzlich ans Herz. Es stürzte hin zum Lager und preßte das Gesicht auf die Hand der Mutter, die so weiß und schmal auf der Bettdecke lag. Die Hand war eiskalt.

Mütterchen, liebes gutes Mütterchen, Hab' mich doch lieb, Mütterchen! Mütterchen, nicht wahr, du bist nicht gestorben? Mütterchen!" Aber alles blieb still.

Christa weinte und schrie. Lang ausgestreckt lag der kleine Körper zuckend am Boden.

Die Mühlerten kam herein. Sie sah die stille Frau im Bett und das Kind am Boden und wußte Bescheid. Sie hob das Mädelchen auf, sagte:Die Mutter ist nun in den Himmel gegangen, und du mußt ganz ruhig fein, sonst ist sie böse auf dich. Wenn einer gestorben ist, will er feine Ruhe haben, da darf man ihn nicht durch solch lautes Ge­schrei und Geweine stören. Höbst du?"

Gehorsam nickte Christa und sah wie bittend auf die tote Mutter.

Nicht mehr weinen, damit Mütterchen Ruhe findet, dachte sie tapfer.

Gerade vor Weihnachten! Eine unangenehme Ge­schichte! Was ist denn nu da?"

Der Ortsschulze stampfte durch die zwei kleinen, arm­seligen Stuben und prüfte unzufrieden den Hausrat.

Das langt doch kaum für ein Begräbnis. Hm. Ohne alles wird wohl niemand das Mädel haben wollen? Ob­wohl sie doch nu schon ganz Hübsch arbeiten könnte? Na?"

Die Mühlerten mochte diese Worte als eine Aufforde­rung für «sich betrachten, denn sie zeterte, daß sie selber nichts zu beißen habe, und was denn das Mädel schon lei-

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Altensteig, Freitag, den 16. November 1934

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Zwei- und Fünsmarkjiuckc als Schikler-Erdenkiniinzeu

tes unter lapantzchem Schutz nichts mehr im Wege. Japan wird dafür sorgen, daß zwischen Mandschukuo und der Mon­golei ein Vertrag abgeschlossen wird, der die letztere unter die Kontrolle Mandschukuos bringt. Und damit würde die Protektion, die Japan in Mandschukuo ausübt. auf die Mongolei ausgedehnt werden. Schließlich würden Mandschu­kuo und die Mongolei nach dem Muster Koreas von Japan annektiert werden. Damit gewänne Japan oberste Kontrolle über Asien und würde dann unbesiegbar sein."

Inzwischen scheint die Nankingregierung selbst gegenüber japanischen Forderungen schon fast jeden Halt verloren zu haben. Der Wiederaufnahme des durchgehenden Zugver­kehrs zwischen Mukden und Peiping unter für China demü­tigenden Bedingungen folgte fast auf dem Fuße eine Zollre­vision, die japanischen Waren in ganz China gegenüber europäischen und amerikanischen eine stark bevorzugte Be­handlung sichert. Noch bezeichnender ist der weichende Wider­stand gegenüber der alten Forderung Japans ,die sogenann­tenNischihara"-Anleihen anzuerkennen. Es handelt sich um eine aufgelaufeneSchuld" von rund 900 Millionen Yen, die aus Vorschüssen herrühren, welche die Japaner der in den Jahren 1918/10 in Peking herrschenden Anfu-Cli- que leisteten. Das Geld wurde zur Finanzierung eines Feld­zuges gegen die Kuomintang-Negierung im Süden ver­wandt, soweit es nicht in den Taschen der Mitglieder der Anfu-Clique verschwand, die sich dadurch ein bequemes Asyl in japanischen Konzessionsgebieten sicherten, nachdem sie der Kuomintang das Feld räumen mußten. Jetzt soll Nan­king nach japanischen Meldungen seinen bisherigen hart­näckigen Widerstand, die Anleihen anzuerkennen, aufzuge­ben bereit sein. Gleichzeitig treten die Japaner wieder mit ihrem alten Projekt eines Wirtschaftsblocks Japan-China- Mandschukuo hervor, der die Unterwerfung Chinas unter japanisches oder von Japan kontrollierbares Finanzkapital vollenden soll. Offenbar hält man in Tokio den psychologi­schen Augenblick zur Verwirklichung dieses Planes für ge­kommen.

Viel beschämender für die abendländischen Mächte als die Ratlosigkeit, womit sie dem machtvollen Vordringen Javans

sten könne. Nichts! Rein gar nichts! Sie möchte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun Haben, und wer ihr denn den einen Monat Miete bezahle? Wie käme denn sie dazu, ihr Geld einzubüßen?

Der Dorfschulze zuckte mit den breiten Achseln.

Na, dann wird sich's eben finden. Irgendwohin muß das Mädel natürlich. Ins Waisenhaus wäre das geschei­teste, aber da wird der Eemeinderat auch nicht mitmachen wollen. Denn da müssen wir zahlen, weil nun mal die Frau durch ihren dreijährigen Aufenthalt hier bei uns be­heimatet war. Diese Arbeit nu wieder! Immer wieder was Neues und nichts Gutes. Hm."

Er ging fort.

Und Christa faß indessen bei der toten Mutter und streichelte stumm deren Hände.

Der Gemeinderat wurde einberufen, und es ging sehr laut zu in der Hinterstube des GasthausesZum weißen Hirschen". Es war schon so, wie man vermutet: Keiner wollte das arme Mädel bei sich aufnehmen.

Bauer Friedrichs spuckte verächtlich aus, als man ihm sagte, er hätte nur ein Mädel, er könne das Waisenkind ganz gut mit aufziehen.

Ich? Nee! Daß mich der Teufel hol'! Meine Frau würde mir heimleuchten, wenn ich ihr dieses Weihnachts­geschenk ins Haus bringen wollte. Das gibt's nicht."

Der Pfarrer hätte die Kleine gern zu sich genommen, wenn er nur eine fcheidene Beihilfe bekommen hätte. Er hatte selber sechs Kinder und wußte manchmal nicht, wie er die vielen Mäuler stopfen sollte. Er wollte lieber noch war­ten. Und wenn es gar nicht anders ging, dann wollte er die Kleine eben mit zu sich in das alte Pfarrhaus nehmen. Du lieber Gott, wenn er nicht Mitleid haben wollte?

Dorfschulze, wie wäre es mit dir? Du hast keine Kin­der." Robert Tech, der Niederbauer, hatte es gesagt.

Ich? Ausgeschlossen! Meine Frau ist immer krank. Was soll uns da ein fremdes Kind? Der Bergmüller mag es nehmen. Der hat nur Jungens."

Der Müller, dessen Mühle am Fuße des Turtenberges lag, meinte behäbig schmunzelnd: Das Hexlein ist nicht übel, und meine Frau hat sich schon immer a Madel gewünscht"

Na also", sagte der Schulze erleichtert.

Der Müller jedoch fuhr fort:Aber es geht nicht. Meine gute Frau wird wir noch a Kindel schenken, und

aus oem a,,al,,qen Kontinent gegenllberstehen, ist. daß sie nicht nur, ohne sich dessen voll bewußt zu sein, mit eigener Hand die Grundlagen zerstören, die ihnen ihre frühere Kräfteentfaltung im Fernen Osten ermöglichte, sondern auch dem japanischen Imperialismus wider Willen jeden mögli­chen Vorschub leisten. Der jugendlich vorwärts stürmende ' japanisch-chinesische Industrialismus wird mit Rohstoffen gefüttert, die ihm zu Schleuderpreisen und auf langfristigen Kredit zur Verfügung gestellt werden, weil die Produktiv­kräfte der abendländischen Völker in der Verstrickung wu­cherischer Forderungsrechte immer mehr erlahmen. Die'wach- stnde Abhängigkeit überseeischer Rohstoffländer von der Schwungkraft industrieller Entwicklung im Fernen Osten verwandelt sie zusehends in Kolonien der Vormacht der zelben Raste. Australien droht aus der Ottawa-Front aus jubrechen, um freie Hand zur Sicherung ostasiatischer Märkte Ür seine Rohstoff-Üeberschüsse zu gewinnen, nachdem Ja­pan. das lym mehr denn fünfmal soviel abnimmt, als ee von ihm zu kaufen vermag, die Fortdauer seiner Kundschaft im bisherigen Umfang von größeren Lieferungen nach dem australischen Markte abhängig machte. Warum aber haben britische Dominien und lateinamerikanische Länder nicht längst aus europäischer Auswanderung eine genügende Be­völkerungsdichte gewonnen, um die Warenmassen, zu denen ihre Rohstoffe verarbeitet werden können, vorwiegend selbst zu verbrauchen?

2mChina-Journal", das in Schanghai erscheint, schreibt Stuarl Lillico:Der Ausbau der Eisenbahnen hat in der Mandschurei in den letzten Jahren die Ausmaße einer na­tionalen Industrie angenommen. Ueberall werden neue Li­nien gebaut oder alte Linien instandgesetzt; kein Teil des Landes scheint übersehen zu sein. Welche Einwände man gegen die Anwesenheit der Japaner in der Mandschurei aus andern Gründen erheben mag, in der Förderung der indu­striellen Entwicklung des Landes geht Japan in erstaun­lichem Tempo voran." Warum haben Europäer und Ame­rikaner sich nicht längst mit ähnlichem Eifer der wirtschaft­lichen Entwicklung ihrer Interessensphären im eigentlichen China gewidmet, dessen mangelhafte Verkehrsverhältnisse und industrielle Rückständigkeit heute die Hauptursache mili­tärischer Schwäche bilden?

Wenn England sich anschickt, sein früheres Bllndnisver- hältnis zu Japan in verschleierter Form wiederherzustellen, wenn Frankreich sich alle Mühe gibt, seine Sowjetfreunde im Fernen Osten Japan zuliebe zu verleugnen: wie soll da Japan im Ernst Grund haben, zu befürchten, daß die ame­rikanischen Rüstungen einen andern Sinn haben könnten, als den der Verteidigung gegen ein Uebergreifen japanischer Machtansprüche auf Ziele, die außerhalb der ostasiatischen Zone liegen? Solange sich die japanischen Rüstungen in Grenzen halten, die sich durch den Anspruch auf die Vor­machtstellung im westlichen Stillen Ozean rechtfertigen las­sen, spricht alle Wahrscheinlichkeit für eine amerikanisch­japanische Verständigung auf längere Sicht, um so mehr, als eine solche zuverlässige Entlastung von fernöstlichen Ver­antwortlichkeiten der Washingtoner Regierung die Möglich­keit sichern würde, nach Stärkung der panamerikanischen Front sich durch friedliche Eroberungen im atlantischen Kul- turkreise für Macht- und Prestigeverluste auf der asiatischen Seite des Pazifik schadlos zu halten

vielleicht wird's a Madel sein. Dann wird sie für das fremde Madel kein Interesse mehr haben. Und dann sind wir ja wirklich selber genug, und warum denn gerade sch mit meinen vielen Kindern, wo doch die andern im Ge­meinderat alle so schön drum reden tun."

Darauf war wohl nun nicht viel zu entgegnen.

Peter Seidelmacher, ein großer, sehr starker und brutal nussehender Mann, meinte schließlich:Was streiten wir uns herum? Der Reichste von uns allen wird die Klein« zu sich nehmen, und das ist der Oberhofbauer."

Stille.

Alle blickten aus den Oberhofbauer, der 'bisher ruhig dagesessen hatte, den mächtigen grauen Schädel gesenkt. Jetzt blickte er auf. Seine Hellen Augen blitzten über die Männer hin, seine kräftige Faust sauste auf die blank ge­scheuerte Platte des Tisches nieder.

Was hat's überhaupt zu reden gegeben? Ich nehm das Kind zu mir. Das Hab' ich von Anfang an gewollt. Aber eure Ausreden waren so lustig, daß ich sie mir eine Weile anhören mußte. Schämt euch! Ein Waisenkind bringt Glück. Ich werd's probieren. Abgemacht!"

Obcrhofoauer, Jtst könnt das Glück ja brauchen, denn Ihr wißt schon heute nicht mehr, wieviel Geld Ihr eigent­lich habt!" rief einer.

Der alte Bauer ignorierte diese Worte. Er griff nach einem Vierkrug und leerte ihn mit einem mächtigen Zuge. Dann stand er auf.

Ich nehme das Mädel gleich mit mir. Befindet es sich noch bei der Mühlerten?"

»Ja! Ich geh mit Euch, Oberhofbauer. Er ist noch eine Unterschrift nötig."

Gut also! Einen recht guten Abend wünsch' ich all­seits", wandte sich der Oberhofbauer an die Versammelten, zog seinen warmen Pelzmantel an, griff nach dem Stock und verließ die Wirtsstube.

Auch der Schulze schlüpfte in seinen Ueberrock und folgte dem Oberhofbauern. Er war heilfroh, daß sich das doch noch so geregelt hatte, so in aller Ruhe, und dabei kam die Kleine sogar auf den besten Vlatz, soviel war sicher.

Wortlos schritten die beiden Männer zum Hause der Mühlerten, wo noch Licht brannte. Ls war acht Uhr. Wenn nun die Kleine schon schlief?

(Fortsetzung folgt.>