Nummer 259
Neue Regierung — Neue WM?
Für oder gegen Versailles, das bleibt die Frage Von Werner Beringer.
8m Verlauf der letzten Wochen tauchte« an wichtigen ^Punkten Europas neue Gesichter in-den Kabinetten auf. ^eue Männer sehen wir in Portugal, in Südslawien, in -Belgien, in Frankreich an der Spitze der Landesleitung, und hon einem erneuerten Gesicht mindestens könnte man bei der ^britischen Negierung sprechen. Für manche Ohren klingt diese letzte Bemerkung zwar etwas befremdend. Aber zwischen einem kranken und einem gesunden Menschen besteht 'doch wahrlich ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht, wie zwischen zwei Welten. Der Mann der Londoner Regierung, der eigentlich der führende Kopf sein sollte, also Macdonald, war seit langem so krank und jo verbraucht, -daß sogar in der in solchen Dingen besonders taktvollen englischen Öffentlichkeit darüber gesprochen wurde. Mehr. Man rechnete mit diesem Zustand des Ministerpräsidenten wie mit einer politischen Zahl. Inzwischen reiste Macdonald jnach Kanada, trennte sich also von seiner großbritannischen -Umgebung und genoß zugleich die Vorzüge für Körper und Geist, die mit einer Seereise wie mit keinem anderen Erlebnis, das dem Menschen zugänglich ist, verbunden sind. Die Englische Öffentlichkeit rühmt seine braune Farbe, die Freunde Macdonalds sind begeistert über seine geistige Frische, und wir anderen können ja als Augenzeugen, das heißt mach der Wochenschau der Kinotheater, bekunden, daß Macdonald den Eindruck eine- hten Mannes macht.
Trifft der Augenschein ü.c Wahrheit, dann wäre das eine neue und eine bessere Zahl, mit der man in der europäischen -Politik rechnen müßte. London, Großbritannien, bleibt doch ffm Guten wie im Bösen die eigentliche Antriebskraft der europäischen und der Weltpolitik. Es ist mit uns allen im -Verlauf der letzten Monate außenpolitisch und deshalb auch außenwirtschaftlich so mäßig gegangen, weil die Kraft Großbritanniens eben nicht trieb, sondern eher bremste, beinahe völlig still stand. Leute in England, die das merkten, sprachen schon wieder von einem Zurückziehen Großbritanniens auf sich selbst, ohne allerdings das Schlagwort von der „splendid isolation" zu gebrauchen. Das Eigenschaftswort „splendid", glänzend, ließen sie weg. Was übrig blieb, nutzten sie als Blüte, um daraus Honig zu saugen, werden aber nun wohl erkannt haben, daß dabei auch für den saugkräs- tigsten Rüssel keine Spur einer Labe zu holen war.
Kann denn nun England die Politik eines außenpolitischen Bürokratismus, wie sie bisher der Außenminister Simon getrieben hat, durch eine Politik der außenpolitischen Gedankentätigkeit und Fruchtbarkeit ablösen? Es kann nicht nur, es müßte sogar. Und es bietet sich für London dafür eine außergewöhnliche Gelegenheit, weil sich die Gesichter der Regierung zu Paris nicht nur erneuert haben, sondern an wichtigen Stellen neue geworden sind. Die französische Öffentlichkeit will das allerdings nicht wahrhaben. Was heißt die französische Öffentlichkeit? Sehen wir sie uns genauer an. dann stoßen wir auf die französische Nüstungs- prefse. Laval, der neue französische Außenminister, steht ihr nicht ganz fern, dient ihr aber auch wiederum nicht so er-
Vom Kavallerie-Leutnant
zum Wüilenkuii....
Legionär 588 enthüllt...
Wahrheitsgetreuer Lebensbericht über die Tragödie eines nordischen Offiziers
Von Adalbert Schücking
„Marokko ist bezwungen — der Feind liegt auf dem Boden — es herrscht endlich Ruhe im Lande!" ist Frankreichs neue Parole, die von der ihm freundlichen Presse der ganzen Welt kritiklos ausposaunt wird. Dadurch soll wieder einmal die „Friedensliebe" der Großen Nation bewiesen werden. Nun, wir kennen sie, diese „Friedensliebe". Zn Wirklichkeit ist an eine Befreiung Marokkos überhaupt nicht zu denken, der Kampf geht weiter! Und die Kosten haben die Fremdenlegionäre zu tragen — jene Unglücklichen, die in leichtsinniger Verblendung den Verlockungen der französischen Werber nicht standzuhalten vermochten.
Ein dänischer Leutnant schildert sein Schicksal
Geben wir nun das Wort zu einem wahrheitsgetreuen Bericht dem Fremdenlegionär 588, vorher Kavallerie- Leutnant der königlich dänischen Armee. Heute ist er einfacher Wüstensoldat auf Vorposten in den -steinigen Bergen des Atlas:
. . . Vorweg möchte ich eins jagen: Ich würde dem Himmel ewig dankbar sein, wenn ich von meinen fünf Jahren, die ich mich verpflichtet habe, freikommen könnte. Ueber zwei volle Jahre habe ich hinter mir — die kommenden drei können nur noch furchtbarer, noch entsetzlicher sein. Ich sage das nicht etwa, weil ich ein Feind Frankreichs wäre — das öin ich gar nicht, ich stamme aus Dänemark, rechne zu den M Kriege neutral gebliebenen Völkern —, sondern weil ich es einfach nicht mehr aushalten kann! Tag für Tag in der glühenden, sengenden Sonne der Wüste, Tag für Tag im Kampf mit den Arabern und Berbern — das hält kein Europäer aus die Dauer aus. Ich schlage mich heute vor den Kopf und begreife nicht, wie ich hierher kommen konnte, bo will ich jetzt meine Geschichte erzählen.
Glückliche Tage als Offizier
Mein Vater war Pfarrer. Wir lebten in einer kleinen Etadt Jütlands, in der es uns verhältnismäßig gut ging. Meine Mutter bestellte unser Haus, das einen großen Obst- Md Blumengarten besaß. Auch Vieh hatten wir. Jeden Morgen half ich beim Melken der Kühe, und am Sonntag
Altensteig, Dienstag, den K. November 1934
Sehnsucht
Von Friedrich Schiller Ach, aus dieses Tales Gründen,
Die der kalte Nebel drückt,
Könnt ich doch den Ausgang finden,
Ach, wie fühlt ich mich beglückt!
Dort erblick ich schöne Hügel,
Ewig jung und ewig grün!
Hätt' ich Schwingen, hält' ich Flügel,
Nach den Hügeln zog ich hin.
Harmonien hör' ich klingen,
Töne süßer Himmelsruh',
Und die leichten Winde bringen Mir der Düfte Balsam zu.
Eoldne Früchte seh' ich glühen Winkend zwischen dunklem Laub,
Und die Blumen, die -dort blühen,
Werden keines Winters Raub.
Ach wie schön muß sich's ergehen Dort im ew'gen Sonnenschein!
Und die Luft auf jenen Höhen —
O, wie labend mutz sie sein!
Doch mir wehrt des Stromes Toben,
Der ergrimmt dazwischen braust;
Seine Wellen sind gehoben,
Daß die Seele mir ergraust.
Einen Nachen seh' ich schwanken,
Aber, ach der Fährmann fehlt!
Frisch hinein und ohne Wanken!
Seine Segel sind beseelt.
Du mutzt glauben, -du mutzt wagen,
Denn die Götter leih'n kein Pfand;
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland. Fldg.
itzeben uns so selbstlos, wie das für Barthou eine Selbstverständlichkeit war. Und dann haben sich auch die Zeiten in Frankreich geändert. Die große Hochachtung des französischen Volkes für den Präsidenten Doumergue ist gewiß un- - verändert geblieben. Wo er sich in der Oeffentlichkeit zeigt, -drückt ihm die Srunmung der Bevölkerung Vertrauen und , Ermutigung aus. Das gilt seiner Person, aber nicht unbe- >dingt seiner Außenpolitik. Auch in Frankreich wächst stündlich die lleberzeugung, daß man unmöglich aus die Dauer -ohne Nachteil, ohne Schaden im Angesicht der ganzen Welt sdie ausgestreckte Friedenshand des Deutschen Reiches ver- s kKEHeu darf. Schließlich gehören auch die Franzosen zu den ! Völkern, die von ihren Politikern verlangen, daß von ihnen nicht immer mit dem Schießen gedroht wird, wenn sich ihnen Verhandlungsgelegenheiten bieten. Die französische Regie- -rung kann heute nicht mehr annehmen, daß sie die innerpolitischen Schwierigkeiten durch außenpolitische Ablenkungsversuche auch nur noch zeitlich zu überbrücken vermag. Für eine derartige Absicht haben die vielverschlungenen Wege Barthous ihre Schuldigkeit getan. Aber genau besehen ist auch er am Ende seiner Möglichkeiten gewesen, als er die Reise des Königs Alexander einleitete und eine Romreise in Aussicht stellte, Pläne, von denen er selbst nicht mehr sagen konnte, ob sie die gewünschte Befestigung von Versailles ergeben würden.
nahm mich mein Vater mit in seine Kirche, in der er predigte.
Plötzlich starb er. Eine schwere Lungenentzündung hatte ihn dahingerafft. Ich war damals erst ein Kind von acht Jahren, hing aber sehr an meinem Vater, so daß mich der Verlust schwer traf. Meine Mutter war zuerst fassungslos, und es dauerte Monate, bis sie sich erholte. Heute, da lange, lange Jahre vergangen sind, scheint es mir, als ob damals das Unglück bereits seinen Anfang nahm. Meine Mutter war schwach, verzog mich, ihr einziges Kind, mehr als zuträglich war. Damals paßte es mir schon, aber -später habe ich eingesehen, wie verkehrt sie handelte.
Die Schuljahre gingen dahin. Ich machte das Abiturium und kam als Eleve -auf die königliche Heeresschule. Meine Mutter war ursprünglich dagegen, aber mit der Zeit gab sie ihren Widerstand auf. Auf der Schule entwickelte ich mich gut, wurde befördert und schließlich 1932 zum Leutnant der Kavallerie ernannt. Jetzt schien alles gut.
Das Unheil zieht am Horizont herauf Selbstverständlich verdiente ich als Leutnant nicht übermäßig viel, aber meine Mutter, die immer noch die Pension meines verstorbenen Vaters bekam, schickte mir jeden Monat Geld. Ich lernte Freunde kennen, machte Bekanntschaften und wurde mit der Zeit bekannt in jener Welt, von der man behauptet, daß sie sich nicht langweile. Der Dienst war zwar nicht leicht, aber gesund, aufmunternd, körperstählend, und als ich eines Tages mit meiner Mannschaft auf dem jährlichen Sommer-Manöver auf der Insel Fünen bei einem Großbauern einguartiert wurde, fühlte ich mich wie im Himmel. Licht, Luft, Sonne, herrliche Getreidefelder, im Süden die blaue See des Belts — konnte es etwas Schöneres auf der Welt geben?
In dieser Stimmung lernte ich meine spätere Braut kennen. Sie war die Nichte des Großbauern, schlank, hellblond, mittelgroß, mit einem entzückenden Naschen und einem Temperament, das man bei Däninnen eigentlich nicht vermuten sollte. Aber ich habe schon oft bemerkt, daß sich Ausländer gewöhnlich falsche Vorstellungen von den „kühlen nordischen Blondinen" machen. Alles, aber auch
alles schien strahlend hell für mich-„und der Himmel
hängt voller Geigen ..." --, als plötzlich die Kata
strophe hereinbrach, und zwar in Gestalt meines Hauptmanns — oder am Ende gar durch mich selbst? Ich weiß es nicht . . .
Eine sinnlose Tat-Peitschenhiebe
Zu jener Zeit war ich abends viel unterwegs, wurde von alten und neuen Bekannten eingeladen, und es konnte
5 7. Zahr,«»,
Damit kommen wir zu dem wichtigsten südosteuropäischen Kabinett, zu der neuen Regierung Uzunowitsch in Belgrad. Sie hat einige höchst bemerkenswerte politische Bekundungen in dem noch so kurzen Verlauf ihres Wirkens von sich gegeben, die über ihre Wege volle Klarheit schaffen. Die Ereignisse haben sie nicht über den Haufen geritten. Ihr genügt nicht die Bestrafung der Königsmörder, sondern sie verlangt auch die Aufklärung über ihre tatsächlichen Auftraggeber. Die Politik des Königs Alexander wird fortgesetzt, und die Regierung benutzte auch sofort den Beratungslisch der Kleinen Entente, stellte sich aber gleichzeitig auch den Besuchen Eörings mit so besonders betonter Freundlichkeit und Bereitwilligkeit gegenüber, daß man darin eine gewollte politische Geste nicht nur erblicken darf, sondern auär erblicken muß. Auch das heißt die Fortsetzung der Politik des Königs Alexander, also das Suchen einer politischen Weiterentwicklung nicht auf dem Wegen der Gewalt, also auch nicht unbedingt aus den Wegen von Versailles, sondern durch eine Politik des Lebenwollens und darum auch des Lebenlas- >sens. Nur wenn Versailles fällt, können wir einen Zustand hes weltpolitischen Ausgleichs und des weltpolitischen Wie- lderaufstiegs erwarten.
RtMdslMk
Mittwoch, 7. November:
10.15 Schulfunk — Stufe 2: „Ein Volk bricht auf"
11.30 Aus Frankfurt: Sozialdienst für die Saar 12.00 Nach Frankfurt: Promenadekonzert
13.15 Nach Frankfurt: „Ueber allerlei Handwerksleut!"
15.15 Tante Näle erzählt
15.30 Blumenstunde 15.45 Tierstunde
16.00 Aus Mannheim: Nachmittagskonzerr 18.00 Lernt morsen!
18.15 „Welche Fragen hat der Berufsberater immer wieder zu beantworten?"
18.30 „Für den Feierabend"
19.00 „Mit dem Spieß der sieben Schwaben...*
20.10 Nach Frankfurt: Unsere Saar — Den Weg frei zur Verständigung
20.35 Stunde der jungen Nation: „Nationalsozialismus "
21.00 Orchesterkonzert
22.30 „Es war einmal..."
24.00 Aus Frankfurt: Nachtmusik.
Wettessen um die Braut
In einem elsässischen Ort veranstalteten kürzlich 21 Durscheu ein Froschschenkel-Wettessen um das schönste Mädchen des Orts. Ter Sieger sollte sie freien. Nach den notwendigen Vorbereitungen ging die Konkurrenz los, und der Sieger brachte es dabei auf 205 Schenkel. Er schlug damit alle anderen Teilnehmer sicher aus dem Felde. Als der Preisgekrönte nun bei dem anschließenden Tanzvergnügen sein erworbenes Recht beanspruchen wollte, waren die Geschlagenen damit nicht einverstanden und es kam zu einer regelrechten Keilerei, als deren Opfer drei Schwerverletzte in das nächste Krankenhaus eingeliefert wurden.
nicht ausbleiben, baß man so manches Mal „einen über den Durst trank". Meine Braut warnte, ich zügelte mich auch, aber meine Nerven müssen bereits zerrüttet gewesen sein, sonst hätte ich nicht eine so unsinnige Wut, einen so grundlosen Haß gegen meinen Vorgesetzten entwickeln können. Ich machte meiner Braut Vorwürfe — fand, daß sich der Hauptmann zu stark für sie interessiere, aber sie lachte und meinte, ich sähe Gespenster. Oh, ich wünschte, ich hätte wirklich nur Gespenster gesehen. Statt dessen — — eines Abends, als ich in die Laube meines Stammlokals trat, sah ich Karin, meine Braut, hinten am Gartenzaun stehen, während sich der Hauptmann über sie beugte und einen Kuß auf ihre Lippen drückte. Es war ein warmer, milder Septemberabend, ich entsinne mich noch genau. Plötzlich schoß eine Wutwelle in mir hoch, ich hörte Karin leise lachen, glaubte, sie mache sich über mich lustig, warf mich -auf den Hauptmann, so daß er zu Boden fiel, und schlug besinnungslos mit der Reitpeitsche auf ihn ein.
Kriegsgericht — Degradation!
Vierzig bis fünfzig Menschen sahen dem Vorfall zu. Ich wußte gar nicht, was ich eigentlich tat, und als ich wieder zu mir kam, war es zu spät. Man hatte den blutüberströmten Hauptmann bereits davongetragen, und wenige Sekunden später war die Armee-Gendarmerie zur Stelle. Heute weiß ich, daß ich mich hätte zügeln müssen, daß es meine Pflicht gewesen wäre, den Hauptmann zur Rede zu stellen. Statt dessen schlug ich in sinnloser Berserkerwut
blindlings darauf los-konnte ich da erwarten, daß
man bei solcher Pflichtverletzung Mitleid mit mir zeigen würde? Durfte sich ein Soldat, ein- Offizier, zu einer solchen Tat Hinreißen lassen?
Das Urteil war hart, furchtbar hart, aber nicht abzuwenden:
Degradation! Entfernung aus der Armee!
Der Kriegsgerichtsrat schlug die Akten zu. „Nehmen Sie das Urteil an, oder wünschen Sie Bedenkzeit?"
Ich war furchtbar niedergeschmettert. Dann sah ich dem Richter in die Augen und sagte: „Ich nehme die Strafe an!"
Einige Sekunden herrschte Stille. Dann trat der diensthabende Eerichtsoffizier auf mich zu und legte mir die Hand auf die Schulter. Eine verdächtige Feuchtigkeit lag in seinen Augen — ich wußte, was mir bevorstand. Stumm überreichte ich ihm meinen Degen — ratsch, wurden mir die Achselklappen von meinen Schultern gerissen. Das lederne Koppel sank auf die Erde — und dann war alles vorbei.
(Fortsetzung folgt.)