N u mmer 218 I Alten steig, Montag, den 17. September 1934 ^ 87. z»Hr»«»g

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EnMAe Perspektiven

MacKenna oder Oswald Mosley?

Von Christian U r h a m m e r-Hamburg.

In England ist das Alte eng mit dem Neuen verwoben. Es gehört zur Größe des englischen Volkes, daß der konser­vative Kern immer die Kraft zur Angleichung an neue Zeit­strömungen erwiesen hat. Die Engländer sind realistisch. Realistischer Weitblick kennzeichnet den angesächsischen Ger­manen. Gewaltsam reformiert wird in England selten. Gern unterhält man sich indessen über Reformen und läßt sie langsam wachsen, aber man bleibt vorsichtig dabei und geht nie wild auf Dinge los.

Vieles hat sich zwar in den letzten Jahren auch in Eng­land verändert. Die explosive Wucht des deutschen Umstur­zes hat auch den ruhigen Engländer zu politischen Per­spektiven wie Diktatur usw. geführt, was uns kaum wahr­scheinlich dünken will; dennoch fanden sie in einem Teil der englischen Bevölkerung Sympathien. Nicht umsonst ist Sir Oswald Mosley der größte politische Redner der englischen Gegenwart geworden. Aber er vereinigt bisher aus tak­tischen Gründen wohl schließt er sich and seine Partei von den Wahlen aus, keine Stimmen aus sich.

Die S ch w a rz h e md e n, die vor allem m der Provinz Fuß gefaßt haben, haben eine starke Anhängerschaft zu ver­zeichnen, die straff organisiert ist. Die Londoner Presse hat sie totgeschwiegen, bis sie nun mit einemmal riesengroß eine beängstigende Tatsache geworden ist. Der sehr objektiv informierendeObserver" schätzt die festorganisierte Anhän­gerschaft auf einige Hunderttausend, das ist für englische Parteiverhältnisse eine fast unglaubliche Stärke. DerPres­selord" Rothermere nutzte das bereits für sich aus und brachte in derDaily Mail" und in LenEvemng News" eine intensive Propaganda für den Führer der neuen Be­wegung. Am 22. April trat Mosley zum allererstenmal als Führer der Britischen Faschisten in London öffentlich auf. Eine große politische Versammlung war einberufen. Die Albert Hall" war bis zum Zerplatzen gefüllt. Man fragte sich bald: welcher Politiker hat das in England außer Mos­ley fertig gebracht? Und dazu ist Mosley nur wenige Jahre bekannt. In England kent man es nicht, daß ein junger Politiker ohne jahrelange Praxis sich durchsetzt. Freilich schwächt Mosleys Person viel vom faschistischen Mythos ab. Er hat bereits einmal 1918 als konservativer Abge­ordneter begonnen. Seiner Vermählung mit der Tochter Lord Curzons und damit der Heirat zweier Mitglieder der ruling families" wohnte das englische Königshaus bei. Darauf wechselte Mosley 1924 zusammen mit seiner Frau ins Labourlager hinüber. Das kommt dem nüchternen Eng­länder ein wenig romanhaft vor. Vor allen Dingen: er ist nicht mehrneu", und das ist für eine faschistische Bewe­gung eigentlich Voraussetzung, seine faschistische Maske könnte manchem allzu durchsichtig erscheinen.

Faschistisch aber sind die neuen Parolen: Aktion statt Programm, Schwung einer Nachkriegspartei. Der Krieg hat schließlich auch in England eine tiefere Wirkung gehabt. Er bedeutet wie überall so auch hier eine Revolution und schließlich eine nationale Revolution. Was man erhoffte, war die Rückkehr zu der sorgenlosen, ausgeglichenen Vor­kriegszeit. So dämmerte die innenpolitische Abkehr und Um­kehr. Auch in England wird man das Ende des Liberalis­mus von Versailles ab datieren müssen. Diese allgemeine so­ziale und nationale Ernüchterung führte zuerst zu einem

Urheberschutz C. Ackermann, Romanzentrale Stuttgart

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Ob sie wirklich liest?" dachte Wladko,oder ob sie sich nicht doch nach mir sehnt?" Plötzlich fiel ihm ein, daß Margaret, von ihm allein gelassen, sich vielleicht nach den Ihren sehnen könnte. Sie hatte ihm oft erzählt, wie schön Weihnachten daheim gewesen war, wenn die Brüder gekommen und sie alle so fröhlich und vergnügt gewesen_

Gewiß wurde das alles heute wieder lebendig in ihr. Es konnte kaum anders sein. Sein Bild würde ver­blassen, ihre Seele wieder daheim bei den Ihren sein, von denen sie sich nie ganz losgelöst hatte trotz allem und allem!

Vielleicht hatte sie nur darum kein Wort gesagt weil sie allein sein wollte!

^ Warum ließ er sie auch allein? Er gehörte doch zu ihr! Alles andere ging ihn nichts mehr an, war ihm gleichgültig...

Der Gedanke, sie könnte sich nach den Ihren, nach der deutschen Heimat, nach all dem, was sie aufgegeben hatte um seinetwillen und das sie verges en sollte, zu­rücksehnen, machte ihm siedendheiß.

; Mühsam unterdrückte er ein Stöhnen.

?Sagtest du etwas?" fragte der Alte.

'Nein. Aber ich habe Kopfschmerzen... unerträg­liche Kopfschmerzen..."

Während er sprach, formte sich bereits der Ent­schluß in ihm, die ganze Weihnachtsfeier bei Mate ein-

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Das älteste U-Boot der Welt

Im Berliner Museum für Meereskunde befindet sich das erste m Deutschland gebaute U-Boot, das im Jahre 1851 bei der ersten Probefahrt versank und erst im Jahre 1887 als Wra^ im Kieler Hajen geborgen werden konnte.

Einströmen der Söhne alter Familien in die Reihen der Labour Party, von der man sogar in diesen Kreisen eine Wendung der Politik und des Geschickes erwartete. Die Ent­täuschungen mit der Labour Party, welche die junge Arbei­terschaft teilt, geben dem britischen Faschismus beträchtliche Aussichten. Aber er hat von der anderen Seite eine stolze parlamentarische Tradition gegen sich, oie nicht so erbärm­lich negativ gewesen ist wie die deutsche parlamentarische Vergangenheit. Diktatorische Absichten haben daher in Eng­land eine weniger liebevolle Aufnahme zu erwarten. Dage­gen hat die Parole von dervölkischen Freiheit" auch für den Engländer einiges für sich. Hier ist das Plus der Mos- leyschen Politik. Ökonomische Begründungen sind in Eng­land ausschlaggebend, Weltanschauung usw. spielt keine Rolle. Und daher das Interessante an der faschistischen Ak­tion in England: Bei aller Betonung des FUHrerprinzips und der Massendisziplin deckt sie sich im Sachlichen durchaus mit der englischen Empirepolitik. Nur, daß sie MacKennas Erfolgsprinzipien mißachtet und ihrerseits für eine strenge Autarkie des britischen Eroßwirtschaftsraumes und für ein Einfuhrverbot für ausländische Waren eintritt.

fach im Stich zu lassen und zu Margaret zurückzukehren, s Ja, das wollte er_mußte er! >

Es wird wohl besser werden. Sonst kann dir Mate ! ja etwas dagegen geben. Wozu ist er denn Arzt?" meinte der alte Jeglic.

Sie hatten Matijas Wohnung erreicht. Lisika klin­gelte. Da sagte Wladko plötzlich:Nein, ich kann nicht! Der Schmerz ist zu arg... ich mag auch nicht. Ich will Heini und zu Bett_"

Was fällt dir ein! Wenigstens die Feier wirst du wohl mitmachen können!"

Unmöglich. Gute Nacht... und viel Vergnügen!"

Damit eilte Wladko bereits die Treppe wieder hinab und im Sturmschritt nach Hause.

Margaret wollte sich eben zu ihrem einsamen Abendbrot setzen, als er die Tür t ufriß und hastig ein­trat. Erst erschrak sie.

Hast du etwas vergessen?"

Nein," er atmete heftig, seine Augen ruhten mit brennendem Glanz auf ihr,aber ich wollte bei dir sein .schickst du mich wieder weg, Margaret?"

Mit einem jubelnden Schrei warf sie sich an seine Brust.

Ich dich wegschicken? O, Wladko... Wladko! Und ich wollte doch warten auf dich ... und Hab uns ein Bäumchen geputzt... und freute mich so ... komm nur sieh" sie zog ihn ins anstoßende Schlafgemach und küßte ihn ganz närrisch vor Glück und steckte die Lichter des Bäumchens an...

Es wurde der schönste Abend, den sie je erlebt. So innig verschmolzen, so ganz und gar eins waren sie noch nie gewesen.

Und es kümmerte Wladko gar nicht, daß ihn Vater und Schwester am nächsten Tag mit Vorwürfen über­schütteten und erzählten, Mila habe spöttisch über ihn

Mosleyist kein Pazifist. Heer und Flotte sind stark für ihn eingenommen. Doch, wenn auch somit unmittelbare Chancen für einen Umsturz vorhanden wären und im Volke die deutschen Ereignisse das ihre taten, jo wird in Eng­land doch kaum ohne parlamentarische Mehrheit gesiegt werden können. Die Fascist Party hält sich daher auch klu­gerweise von den nächsten Wahlen zurück, sie spekuliert auf den Mythos des Kampfes; im nüchternen Ringen mit MacKenna würde sie unterliegen müssen. MacKenna, der die Ursache des Siechtums der Weltwirtschaft richtig in den falschen bürokratischen Eingriffen der Staaten in die inter­nationale (nicht nationale!) Wirtschaft erkannte, trat zu­erst in England aktiv fürfreie Devisenkurse" ein. Dem folgte die englische Devalvation,, die ungehindert Waren­austausch mit allen Ländern gestattete. Die Fesseln der Goldwährung und Devisenstabilisierung waren abgeschüt- telr. So hat England billiges und reichliches Geld. Der Zins der Staatsanleihen ist auf 3 Prozent gesenkt. Die Produktion steigt ohne öffentliche Hilfe. Die Roheisener­zeugung hat mit 503 000 Tonnen im März den Höchststand seit Oktober 1929 erreicht. Während in den Ländern des Goldblockes Sparmaßnahmen am Staatshaushalt auf der Tagesordnung sind, beginnt England, in der Staatskasse Ucberschüsse zu haben, im letzten Jahr sogar 39 Millionen Pfund. Steuern wurden ermäßigt (Äutomobilsteuer 25 Prozent, Einkommensteuer 10 Prozent). Der Abbau der Veamtengehälter von 1931 wurde um die Hälfte rückgängig gemacht. Die Arbeitslosenunterstützung wurde auf die alte Höhe gebracht. Danach zahlt England die höchsten Unter­stützungssätze und hat demzufolge fast keine Kommunisten. Im April ds. Js. hatte der Außenhandel bereits um 86 Millionen Pfund zugenommen. Die Zunahm, der Einfuhr betrug 10 Prozent, die der Ausfuhr 14 Prozent. Die Bele­bung des Welthandels in Ein- und Ausfuhr der Länder steichzeitig, die Ingangsetzung oes Stoffwechsels innerhalb der Gesamtwirtschaft ist das Werk MacKennas. Eoldortho- doxie und internationale Bankinteresjen wurden beiseite geschoben, ein freier Handel mit dem Ausland brachte auch die nötige innere Ankurbelung der Wirtschaft.

Das istMacKenna als Erzieher. Sollte es zur Grün­dung einer neuenNationalpartei" des Macdonald- und Simonflügels kommen, die anscheinend auch von Baldwin und Chamberlain gebilligt wird und die von einer bedeu­tenden Presse gestützt würde, würde die schon jetzt in Mini­sterreden zum Ausdruck gebrachte ParoleDemokratie gegen Diktatur" offenbar siegen. Lediglich die jungen Konservati­ven stehen diesmal gegen die Sache ihrer Väter. Und Ju­gend hat sicherlich allerhand zu bedeuten. Aber wir sind in England. Die Vorkriegspolitiker sitzen hier noch fester im Sattel als in Paris. Mosley aber hat, wenn es sich um die konservativen Kreise, insbesondere die des Landes handelt, die alteruling family"-Tradition auf seiner Seite. Das schwächt das Abenteuer ab und bietet auch dem puritani­schen Bürgertum AltenglanVs Motive des Zutrauens. Während Südengland und die Schwer- und Großindustrie sich erholen, leidet das Land in Mittel- und Nordengland sehr. Kandidiert Mosley später einmal, weiß er, daß er hier restlos siegt.

Vorläufig würde jede Dreieckswahl eine Chance für die Labour Party sein, die von der Arbeit Mosleys gewinnen würde. Aber doch auf dessen Konto: Sofort würde er die nationalen" Kräfte gegen diePartei"regierung aufrufen können. 1936 ist der nächste Wahltermin

gelacht, und Matija habe ihn einen Pantoffelhelden ge­nannt!

Mögen sie! Mögen sic! Beide wissen nicht, was Liebe ist!"

Margaret aber hatte an diesem WeihncrchtsadeLt' stillschweigend das Wandbrett abgsräumt und BismarL neben Schiller und Goethe in einen Schrank verschlossen.

Was sie gemeint hatte, nie tun zu können dar tat sie nun freiwillig aus Liebe zu ihrem Gatten. Und ihr war dabei gar nicht, als beginge sie einen Verrat an ihrem Volkstum, wie sie einst gemeint. Es schien-r nur natürlich, daß auch sie ihm zuliebe ein Opfer bringe, da er die Seinen geopfert hatte. Denn so faßte sie es auf.

9. K a p i t e l.

Es war am 16. Januar und bitterkalt, als Wladko Jeglic aufgeregt seine Wohnung betrat. Am Morgen, als er ins Amt ging, hatte er einen Brief seines Va­ters erhalten, der ihm schon viel zu denken gab. Kurz vor Amtsschluß war er dann zum Vorstand gerufen worden.

Nun brannte er daraus, Margaret alles zu erzählen. Gottlob, daß Lisika gerade heute bei Mila zu Tisch ge­laden war! So konnte man ungestört reden.

Er fand Margaret im Eßzimmer auf dem Divan liegen, von dem sie sich auch bei seinem Eintritt nicht erhob. Sie war blaß und auf ihrer Stirn standen kleine Schweißperlen.

Aber Wladko war viel zu erregt, um es zu bemerken.

Margaret denke dir, Dr. Weberitsch in Spil­lersdorf hat gestern der Schlag gerührt!! Er wollte eben eine Tagfahrt über Land antreten, da sank er neben dem Wagen zu Boden. Eine Viertelstunde spä­ter war er tot."

(Fort!. lolatZ