Nummer 94
Altensteig, Dienstag, den 24. April 1934
9 7. Juhrguug
Rostaberg vor dem Deutschen Sängerbund
Wahl des Bundesfiihrers
Berlin, SS. April. Im Sitzungssaal des Preußenhauses fand der 28. außerordentliche Sängertag des Deutschen Sängerbundes statt, in dessen Mittelpunkt eine große Rede des Reichsleiters des Kampfbundes für deutsche Kultur, Alfred Rosenberg, stand. Der außerordentliche Sängertag war einberufen worden zur Beschlußfassung über die Bundesverfassung und über die Wahl eines neuen Bundesführers, da der bisherige Bundesführer Brauner-Berlin sein Amt zur Verfügung gestellt hatte. Reichsleiter Alfred Rosenberg ergriff das Wort zu grundlegenden Ausführungen über den nationalsozialistischen Kulturwillen und di« deutsche Sangeskunft. Der Redner zeichnete in großen Züge« ein Bild des Kulturverfalls, der sich in der Jch-bedingten Epoche der letzten Jahrzehnte auf allen Gebieten gezeigt habe. AMh die Musik sei in den letzten 50 Jahren nicht freigeblieben von Krankheitserscheinungen. Auf der einen Seite gab es bei ihr ein« stark betonte Tradition, auf der anderen Äite Melodien, di« nichts mehr mit dem deutschen Volkslied und deutscher Volksmusik gemein hatten. In der nationalsozialistischen Bewegung, in der SA. und in der Hitlerjugend find ganz neue Lieder entstanden. Man weiß nicht, wer sie gedichtet, wer sie komponiert hat. Aber es geht ein einmütiger gewaltiger Rhythmus durch diese Gesänge hindurch und in der künstlerischen Durchbildung dieser Volksschöpfungen liegt eine große Aufgabe der Deutschen Sängerschaft. Einfach, schlicht und heroisch, nicht süßlich und verkitscht, sondern voll tiefer Zärtlichkeit und von starker Kraft sind diese Dichtungen, die die schwache Männlichkeit einer vergangenen Zeit nicht Hervorbringen konnte. Die deutsche Wiedergeburt vollzieht sich nicht nur auf dem Gebiete der Politik, beschränkt sich nicht nur auf die Gesundung der Wirtschaft, sondern sie muß tiefer gehen. Die nationalsozialistische Bewegung stellt keine machtpolitische Verlagerung dar, sie will den ganzen deutschen Menschen erfaßen, in seiner ganzen inneren Geistes- und Willensrichtung, in seiner gesamten Seelenhaltung, die auf das Ganze des deutschen Volkes hinzielt, von diesem Ganzen kommt und zu diesem Ganzen wieder geht. An dieser Aufgabe haben auch die deutschen Sänger ihren Anteil, denn im deutschen Liede und in der deutschen Musik stecken di« ewig sich erneuernden, die Millionen immer wieder bindenden Kraftquellen
Im weiteren Verlaus des Sängertages schlug der bisherige Bundesführer Brauner-Berlin zu seinem Nachfolger den Führer des Westfälischen Sängerbundes, Oberbürgermeister Meister- Herne, vor, der einstimmig gewählt wurde. Mit einer kurzen Ansprache übergab er dem neuen Bundesführer die Geschäfte. Der neue Sängerführer gab dann die neuen Satzungen bekannt, die auf dem Grundsatz des Führerprtnzips aufgebaut sind und di« einstimmig angenommen wurden. Ferner teilte er di« Zusammensetzung des Führerrates mit, dem der stello. Führer Dr. Bongard (Saarbrücken), der württ. Innenminister Dr. Schmid- Stuttgart, Oberbürgermeister Memmel-Würzburg, Milke-Kassel, der bisherige Bundesführer Brauner-Berlin, Dr. Langemann- Hannover, Dr. Laugs-Kassel und Dr. Hermann-Frankfurt a. M. «ngehören. In den Mufikausschuß wurden berufen Heinrichs- Hannover, Nagel- Eßlingen, Dr. Laugs-Kassel, Sauerstein- Karlsruhe, Rosenthal-Königsberg, Miesner-Verlin und Rellins- Hern«.
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(4L Fortsetzung.)
»Dasstimmt. Hat fie es Ihnen erzählt?"
Die Malerin lachte.
„Nein! Die Dame war über ihre erste Ehe sehr ver>
„Nein! Die Dame war über ihre erste Ehe sehr verschwiegen. Um so mehr sprach sie von ihrem zweiten Gatten. Von Egon von Falke erzählte mir nur besten Tochter, die im Hause der Frau Staniecki eine Art Aschenbrödelsiellung bekleidete. Das Mädchen führte dort ein geradezu bejammernswertes Dasein und tat mir in der Seele leid. Sie schloß sich ein wenig an mich an. Auf diese Weise wurde rch in die Familienverhältniste der Falles eingeweiht."
„So hat jede Familie ihr Gespenst im Schrank," sagte die Gräfin und gähnte herzhaft. „Kinder, findet ihr nicht, daß es Schlafenszeit ist?"
Ernst Meersburg erhob sich sofort, aber der Justizrat nahm von dem deutlichen Wink seiner Gastgeberin keine Notiz.
Wieder musterte er Senta Bratt prüfend.
„Die Enkelin meines Klienten führte im Hause Staniecki ein Aschenbrödeldasein?"
„Stimmt ohne Uebertreibung. Sie mußte kochen, putzen, scheuern, backen, nähen und die Wäsche in Ordnung halten. Sie lebte nicht bester als eine überbürdete Dienstmagd, nur bekam sie keinen Lohn. Dafür durfte sie an keinem Vergnügen teilnehmen und wurde lieblos behandelt."
Justizrat Klein lachte.
„Liebes Fräulein Bratt, Sie beurteilen die Dinge wohl etwas zu scharf. Ich finde es ganz in der Ordnung, wenn ein zunges Mädchen häuslich erzogen wird und sich entsprechend betätigen muß. Ich weiß, dergleichen gilt heute als altmodisch. Jedenfalls hat Fräulein von Kalke auf mich den Eindruck einer häuslich geschulten «am«, aber sonst durchaus keinen unterdrückten Ein
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DeutscheMeltsfront
Nanblttumtlhodm öiterr. Behörden im kleinen Walierial
Mittelberg, 21. April. Ein unerhörtes Stück haben sich in der vergangenen Nacht die österreichischen Behörden im Kleinen Walsertal geleistet.
Nach Mitternacht wurde der Arbeiter Adrian Heim, der im Verdacht nationalsozialistischer Betätigung stand, von einem in aller Heimlichkeit zusammengezogenen Aufgebot von Gendarmen und „Heimattreuen Walsertalern" in seiner Wohnung überfallen mit Chloroform betäubt und dann noch in der Nacht über den Paß nach einem Vorarlberger Gefängnis geschleppt.
Es ist wohl in keinem Kulturstaate üblich, daß die Exekutive gegen Menschen, die keinen anderen Verdacht auf sich geladen haben als den der Betätigung für eine der Herrschenden Gruppe nicht genehme Bewegung, nach dem Rezepte der amerikanischen Gangster vorgeht.
Von Augenzeugen konnte einwandfrei festgestellt werden, daß sich unter den freiwilligen Helfern dieser Banditentat auch ein gewisser Amann befand, der eine der bekanntesten Gaststätten im Kleinen Walsertale besitzt und ausschließlich von retchsdeutschen Fremden lebt.
Das Kleine Walsertal ist das einzige österreichische Gebiet, das von der deutschen Ausreisesperre befreit ist und hat in der abgelaufenen Wintersaison 120 000 Nächtigungen zu verzeichnen gehabt, von denen 99 Prozent auf Reichsdeutsche entfielen. Das ganze Tal hat eine Einwohnerzahl von 1800 Seelen.
Es ist selbstredend, daß das Kleine Walsertal sich damit seine einzige wirtschaftliche Möglichkeit verscherzt hat. Kein Bürger des Deutschen Reiches wird weiter Lust haben, sich
in ein Gebiet zu begeben und dort sein Geld los zu werden, in dem man die Anhänger der Bewegung, die in Deutschland den Staat darstellt, nach Strauchritterart überfällt und vergewaltigt, wo letzten Endes auch schließlich Deutsche aus dem Reiche solcher Behandlung gewärtig sein müssen. Jeder Deutsche, der noch Würde hat — und die gehört eigentlich wohl notwendig zu jedem, der auf diesen Ehrentitel Anspruch erhebt, wird in Zukunft das Kleine Walsertal meiden müssen.
Segelflieger stattet vom..Grcf Zeppelin"
Friedrichshafen, 23. April. Der Deutsche Luftsport-Verband veranstaltet am Pfingstsamstag und -sonntag eine 36 Stunden dauernde große Deutschlandfahn mit dem Luftschiff „Graf Zeppelin". Die Fahrtroute führt das Luftschiff vorwiegend über Städte hinweg, die auf seinen bisherigen Fahrten noch nicht berührt wurden. Am Pfingstsamstag. morgens 5.30 Uhr, erfolgt der Start in Friedrichshafen von dort geht es über Ulm—Göppingen—Stuttgart—Mannheim—Frankfurt a. M.—Remscheid- Duisburg—Hamborn—Recklinghausen—Bochum — Dortmund — Iserlohn—Lippstadt—Paderborn—Hameln—Hannover — Braunschweig—Magdeburg—Brandenburg—Eberswalde nach Berlin. Das Luftschiff wird gegen 7 Uhr abends auf dem Tempelhofer Feld landen. Nach einer halben Stunde Aufenthalt, in dem der Passagierwechsel vorgenommen wird, startet das Luftschiff zur Weiterfahrt
Der „Graf Zeppelin" wird hier erstmalig ein Segelflugzeug an Bord führen, das nach einer kurzen Schleife über dem Flughafen abgeworsen wird. Das Segelflugzeug wird von dem Piloten Wiegmeyer geführt werden. Außerdem wird augenblicklich für diese Deutschlanüfahrt in Friedrichshofen der Versuch gemacht, erstmalig Lautsprecher an dem Luftschiff anzubringen, die es infolge ihrer großen Lautstärke ermöglichen sollen, über den einzelnen Städten zur Bevölkerung zu sprechen. Von Berlin aus fährt dann das Luftschiff über Stettin mit Schleifenfahrten über Rügen, pommersche Küste und Ostsee nach Königsberg, wo es am Pfingstsonntag gegen 6.30 Uhr landet. Um 7 Uhr geht es über Braunsberg—Elbing (evtl. Marienburg)—Danzig— Bütow—Rummelsburg—Deutsch Krone—Landsberg a. d W — Frankfurt a. O.—Kottbus—Spremberg—Dresden — Freiberg — Chemnitz—Plauen—Hof—Kulmbach—Bamberg—Dinkelsbühl — Ulm nach Friedrichshafen. Die angegebene Strecke ist noch nicht endgültig. Auf den drei Fahrtetappen können jeweils zwölf zahlende Passagiere teilnehmen, die Buchung derselben geschieht grundsätzlich durch die Geschäftsstellen der Hamburg-Amerika- Linie. Die Fahrpreise je Person find: Friedrichshafen—Berlin 1200 RM., Berlin—Königsberg 600 RM. und für die Rllckflug- strecke Königsberg—Friedrichshasen 900 RM.
Noch immer zahlreiche Austritte aus der
römisch-katholische« Kirche iu Oesterreich
Wien, 23. April. Die ständig sich häufenden Meldungen über Austritte aus der römisch-katholischen Kirche, besonders in den Provinzen, laßen entgegen anderslautenden Darstellungen ein stärkeres Abflauen der Austrittsbewegung noch nicht erkennen, obwohl von seiten der Behörden vielfach besonders auf di« Staats- und Gemeindebeamten ein starker Druck zum Wiedereintritt in die römisch-katholische Kirche ausgeübt worden ist. Der Umfang der Austrittsbewegung wird aus einer Meldung ersichtlich, nach der m einem kleinen Ort in Niederösterreich über 600 Personen aus der katholischen Kirche ausgetreten und protestantisch geworden find.
druck gemacht. Sie ist immer heiter und vergnügt gewesen."
Wäre eine Bombe vor Senta Bratt eingeschlagen, sie hätte nicht verblüffter sein können.
„Sie haben Fräulein von Falke gesehen?" fragte sie atemlos.
„Gewiß. Ein recht fröhliches Mädchen und durchaus nicht die Jammergestalt, die Sie heraufbeschwören."
Senta Bratt klammerte sich vor Ueberraschung an den Tischrand.
Hier stimmte etwas nicht!
„Wann und wo haben Sie das Mädchen gesehen?" fragte sie kurz.
Die Gräfin achtete nicht auf die beiden, sondern kramte die Karten zusammen, und Meersburg half ihr beim Ordnungmachen. Dem alten Rechtsgelehrten entging die Erregung der Malerin nicht. Unter anderen Umständen hätte er wohl kaum über die Verhältnisse seines Klienten gesprochen, aber Fräulein Bratt benahm sich höchst seltsam, und er wollte wissen, was hinter ihrer Erregung steckte.
„Ich habe Fräulein von Falke in Elmshorn gesehen," sagte er. „Ich fuhr im Aufträge des Freiherrn zu Frau Staniecki. Mein Klient hatte Nachforschungen nach seiner Enkelin anaestellt. Er wünschte das Mädchen zu sich zu nehmen. Wir ermittelten Frau Staniecki in Elmshorn, und ich fuhr dorthin, um von der Frau die Zustimmung zu erwirken. Nach Erledigung einiger Formalitäten wurde die Sache denn auch glatt erledigt.
„Sonderbar!"
»Das kann ich nicht finden. Es ist doch ganz natürlich, daß der Freiherr seine Enkelin um sich zu haben -wünscht. Und wenn die junge Dame in Elmshorn Küchendienste verrichtet hat, so können Sie jetzt Über ihr Schicksal ganz beruhigt sein. Sie führt ein sorgenfreies Leben auf der Falksburg und nimmt durchaus die Stellung ein, die ihr zukommt."
Senta Bratt starrte den Notar an. Tausend Fragen lagen ihr auf der Zurme, aber sie nahm sich zusammen. Diese Sache wollte in Ruhe erwogen und überdacht sein.
Ernst Meersburg war der halblaut gefübrten Unterhaltung nur mit einem Ohr gefolgt. Fremde Kamilien-
verhültnisse interessierten ihn nicht sonderlich. Nur bei dem Namen Staniecki horchte er auf.
„Frau Staniecki, nunmehrige Konsulin Eschental weilt zur Zeit mit ihrem Gatten Nummer drei in Berlin," sagte er. „Ich habe sie neulich im Alhambra-Hotel gesehen."
„Freiherr von Falke nimmt stets im Bristol Quartier," brummte Klein. „Er wird also kaum mit der Frau Zusammentreffen. Es ist verständlich, daß er sie nicht zu sehen wünscht."
„Mir ist die Dame ziemlich unsympathisch," erklärte Meersburg.
„Gott segne Ihren gesunden Instinkt, Durchlaucht," agte Senta Bratt, die sich langsam von ihrer Verblüf- üng erholte. „Kommen Sie, Justizrat. Der Gräfin allen vor Müdigkeit die Augen zu, und wenn wir noch änger hier hocken, werden wir hinausgeworfen."
„Halten Sie mich nicht für ungastlich, meine Lieben, aber ich bin wirklich gräßlich schläfrig," gab die Gräfin zu.
Senta Bratt und Klein stiegen die Treppe empor.
An seiner Wohnungstür kramte der Justizrat nach seinen Schlüsseln, aber die Malerin faßte ihn am Arm.
„Kommen Sie mit mir ins Atelier hinauf, Justizrat. Ich habe mit Ihnen zu reden."
Seltsam beklommen stieg der alte Notar hinter der Malerin ins Ateliergeschoß empor. Es war still in der kleinen Wohnung. Anne und Ursel schliefen bereits. Senta Bratt schob den Justizrat ins Atelier und schaltete die Lichter ein. Dann führte sie ihren späten Besucher vor Annes Porträt.
„Wissen Sie, was das ist, Herr Justizrat?"
Der Notar beäugte das Bild.
„Hm, ein ausgezeichnetes Porträt, meine Liebe. Famose Technik! Aber was soll das alles, Fräulein Bratt?"
„Wen stellt es dar, Justizrat?"
„Natürlich Ihre reizende junge Freundin."
„Mein Lieber," sagte die Malerin trocken, „das ist die einzige und wahre Enkelin Ihres Klienten. Das ist Anne von Falke, Egon von Falles Tochter."
Der Justizrat fiel auf einen Stuhl und starrte Senta Bratt an. (Fortsetzung folgte