Kriegstod.
„Ihn hat e4 weggerissen, er liegt mir vor den Füßen, als wärs ein Stück von mir."
Von solchem Sterben reden nun die langen unheimlichen Namenreihen, die jetzt die Zeitungen füllen. Das anspruchslos nüchterne Wörtchen „gefallen", was umschreibt es nicht für ein unsagbares Leid. Wie waren wir stolz, daß wir in den letzten 40 Jahren dem Todesland Schritt um Schritt Vodenab- gewonnen hatten, daß das Leben siegreich wurde über Kindersterblichkeit und Seuchen aller Art. Die Ee- sundheitsausstellung in Stuttgart wollte uns eben noch mehr erziehen für den erfolgreichen Kampf des Lebens mit dem Tode. Und nun kommt eine Periode des Todes, wie wir sie gewaltiger noch nicht erlebten. Und die Sterbenden standen nicht vorn auf der Anwärterliste des Todes, sondern waren voll Lebensmut und Tatkraft auf der Höhe ihres menschlichen Schaffens, „die Trommel rief zum Streite". Das normale Sterben der andern geht jetzt nur so nebenher, wie eine belanglose Selbstverständlichkeit gegenüber diesem gigantischen Kriegstod. der sich seine Opfer aus der blühendsten Manneskraft holen darf. Wem krampst sich nicht das Herz zusammen ob so viel jählings zerstörtem Glück, ob so viel geknickten Hoffnungen, daß jedes einzelne Glied un- j seres Volkes das alles recht tief und voll empfinde, nicht um dann sich dem Schmerz hinzugeben, sondern um sich klar zu werden, welch große Verantwortung und Pflicht wir haben, dies große Sterben nicht vergebens sein zu lassen. Das tapfere Wort des bayerischen Kronprinzen „Jetzt ist nicht Zeit zu trauern, jetzt gilt es zu handeln" ist väterlicher, als wenn er sich in Trauer verzehrt hätte, und ein befreundeter Arzt schrieb dieser Tage nach Hause, diese Opfer sind nur erträglich, wenn sie siegreich genützt werden.
Alle, die auszogen, waren erfüllt von dem Bewußtsein, daß die Schicksalsstunde unseres Volkes und Vaterlandes geschlagen habe. Um dieses gewaltigen Kampfpreises willen trat alles zurück, was ihnen sonst Herz und Wille ausfüllte, was das Denken und Streben beherrschte. Es hat unser Gefühl früher manchmal fast verletzt, wenn wir in den „beiden Grenadieren" die Stelle hörten:
„Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind,
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen."
Und doch begreifen wir jetzt, daß alle Einzelschicksale sich in der einen großen Schicksalsfrage des Volkes vereinigen müssen, um so alles daran setzen zu können, wie es jetzt notwendig ist. Wie unpersönlich mußten die Männer werden, als sie ihr Leben an die eine große Aufgabe des Volkes Hingaben. Wir würden sie gar nicht verstehen, wenn wir sie nur an dem Maßstab des privaten behaglichen Vür- gerdaseins messen ^ wollten. Die Weltgeschichte ist Zwischen sie und ihre Familien, ihre Geschäfte, ihre Interessen getreten und mit einem Schlag sind sie nicht mehr nur die Unseren, sie gehören einer größeren Sache und wir verstehen sie erst wieder, wenn auch wir selbst uns auf solche Lebenshingabe einstellen. Wie manche Gattin und Mutter mag es nicht recht verstanden haben, daß ihr Mann, ihr Sohn so plötzlich erfüllt war von der neuen Aufgabe,
daß ein inneres „Muß" sie beherrschte, das nur in großen Stunden und vor gewaltigen Aufgaben kommt. Dann tritt alles persönliche zurück und es entsteht die Stimmung, die in der Bibel zwischen dem Sohn und der Mutter zum Ausdruck kommt: „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen." Und nur wenn wir selbst innerlich uns so einstellen, können wir auch den Kriegstod tragen und mit ihm fertig werden.
Ich weiß, das ist für uns, die wir daheim im alten Rahmen, im gewohnten Pflichtkreis, in den geschäftlichen Alltäglichkeiten drinnstehen, schwieriger, als für die Draußenstehenden. Aber eben darum ist es not, diese Gesinnung bewußt und planmäßig zu wecken und zu pflegen. Denn wenn das teuerste Kriegsopfer nicht nutzlos gebracht sein soll, dann müssen wir uns stark machen, allem Schmerz gegenüber, um auf den neuen Fundamenten wieder weiterzubauen, deren Elemente durch das Blut der tapferen Toten verbunden sind zu unlöslicher Einheit. Das Wort des alten Rauschebart beim Tod seines Sohnes Ulrich „Erschreckt nicht, der gefallen, ist wie ein anderer Mann", müssen auch wir lernen, nicht um gefühlos, herzlos zu werden, aber um die seelische Kraft zu behalten, aufrecht und tapfer das Werk weiter zu führen, für das die treuen Streiter fielen. Und eines noch zum Schluß. Ich hoffe, wir werden innerlicher, tiefer, ruhiger in allem, was uns noch zu tun und zu tragen bleibt. Es ist noch so viel Geschwätzigkeit, so viel unwürdiges Getriebe. Wir haben zu Hause noch nicht so unser Kriegsgewand, wie die im Felde, das möge uns angesichts des Todes unserer Krieger wachsen ihnen zur Ehr und uns zur Wehr. .
Joh. Fischer, Landtagsabgeordneter.
Weitere Nachrichten.
Schwarze und Engländer.
Ein Mitkämpfer schreibt nach Hause: Die schwarzen französischen Soldaten sind die übelsten Leute, welche die Welt je gesehen hat. Sie stechen alle Verwundeten nieder, und dabei gibt es noch Menschen, welche diese Gesellschaft schonen wollen. Wir hoffen hier alle, daß man zu Hause die Schwarzen ordentlich arbeiten läßt und sie nicht zu gut verpflegt. Man sollte sie mit den Engländern, deren Waffenbrüder sie ja sind, zusammensperren, dann sie auch in der Gefangenschaft immer recht nahe bei einander bleiben und die Weißen sich an die Wohlge- rllche der Schwarzen gewöhnen. Wenn man das durchführt, meldet sich in England sicher kein Mensch mehr zum Eintritt in das Heer. Es muß nur in England bekannt werden, daß Engländer und Schwarze nebeneinander sitzen. Das genügt.
Markt.
Herrenberg, 19. Sep. Auf den heut. Schweinemarkt waren zugeführt: 52 Stück Milchschweine, Erlös pro Paar 22—25 <N; 10 Stück Läuferschweine, Erlös pro Paar 45—60 -A. Verkauf schlecht.
Für die Schriftl. verantwortlich: I. V. Or. P. Nadig. Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei
Aus Stadt und Land.
Calw, den 21. September 1914.
Dom Roten Kreuz.
Calw, 20. Sept. Gestern gingen vom Roten Kreuz über 60 Sendungen in Form von Doppelbriefen an unsere Soldaten ab mit für den einzelnen passenden Socken, Fußlappen, einem Schächtelchen Fußsalbe und Chokolade, soviel 250 Gramm zuließen.
Da Pakete von der Feldpost noch nicht angenommen werden können, möchten wir das Vorgehen auch für unsere Landorte empfehlen. Als Packmaterial dienen am besten Papiersäcke mit Feldadresse aus der Fabrik von I. L. Kraut in Feuerbach, welche hier zu haben sind,' das Porto kostet 20 Pfg.
Das erste Erfordernis für alle Feldsendungen ist die peinlich genaue Angabe des Truppenteils.
Das Rote Kreuz empfiehlt, es möchte auf den Landorten von den dort weiter ersammelten Geldern Wolle zum Stricken angekauft werden; die Socken sollen in erster Linie den eigenen Ausmarschierten dienen, maßgebend sind die vom k. Oberschulrat erteilten Vorschriften. Das Porto sollte für Unbemittelte gleichfalls von der Sammlung bestritten werden. Bei Angabe der Adresse und des Sockenmaßes wird die Absendung auch von hier aus (Eeorgenäum) besorgt. Später werden Knie- und Pulswärmer nötig; Muster für elftere können von Calw bezogen werden.
Hemden und Unterhosen zu verschicken, ist zur Zeit unmöglich. Im Bedarfsfall werden diese Gegenstände den Soldaten vom Militärbestand geliefert.
Sobald die Möglichkeit geboten ist, an das Re- serve-Jnfanterie-Regiment Nr. 119 bei dessen I. Bataillon die meisten Bezirksangehörigen stehen, heranzukommen, werden wir versuchen, Pakete aus dem Bezirk mit Liebesgaben und Wäsche mittelst Kraftwagen abzusenden; Herr Fabrikant Sannwald hat sich bereitwilligst angeboten, die Fahrt zu unternehmen.
Von der Post.
Für die Bezirke der Ober-Postdirektionen Danzig und Straßburg (Elsaß), in denen der Postkreditbrief-, der Postnachnahme- und der Postauftragsverkehr seither eingestellt war, wird dieser Verkehr mit der Maßgabe wieder zugelassen, daß die genannten Ober-Postdirektionen berechtigt sind, in Grenzteilen ihrer Bezirke, wo es die Sicherheit erfordert, den Verkehr- durch Verfügung an die Postanftalten auszuschließen. Da es nach Lage der Verhältnisse nicht angängig ist, von solchen Ausschließungen die andern Postanstalten zu benachrichtigen, müssen die Absender von Postaufträgen nach Orten im Grenzgebiete die Gefahr in Kauf nehmen, daß die Sendungen den Bestimmungsort nicht erreichen. Solche Sendungen werden mit Angabe des Grundes zurückgeleitet.
Unter denselben Voraussetzungen wird für den Ober-Postdirektionsbezirk Königsberg (Pr.) der Postanweisungs-, Zahlkarten- und Zahlungsanweisungsverkehr wieder zugelassen. Postnachnahmesendungen nach oder aus dem Elsaß dürfen bis auf weiteres nur solche schriftlichen Miteilungen enthalten, die die Eeldeinziehung bereffen.
Feldpostbrief. I
(G. K. G.) Grand R..., 6. Sept. 1914.
Liebes Calw er Tagblatt!
Der Ferienmond ist herum und eine Woche fast dazu, und ich sollte eigentlich jetzt längst wieder in meiner Schule stehen — nun sitze ich hier oben auf einem hohen Vogesenberg im Schützengraben, das Gewehr neben mir, zum Schuß fertig, und um uns herum donnern von den Bergen die Kanonen, knattern die Kleingewehrfeuer. Schon seit diesem Morgen warten wir auf die bösen Franzmänner, aber heute wollen sie uns den Gefallen nicht tun und kommen — obwohl ihnen von unserer Seite ein guter Empfang sicher gewesen wäre! — Da wandern nun gern — ich war eben auf Vorposten draußen und bin abgelöst worden, also ein klein bischen dienstfrei — die Gedanken der Heimat zu, den Lieben, die wir dort zurückgelassen, den Freunden, die auch unser in Treuen gedenken. Was haben wir schon alles erlebt in diesen Tagen, seit wir, es ist nun gerade ein Monat, im Morgengrauen noch einmal an unsrer schönen Stadt Calw vorbeifuhren! Die herrliche Begeisterung unsrer Schwarzwälder, die uns mit ihren 'Liebesgaben überhäuften, der starke Wille zum Sieg in allen den Kameraden, mit denen wir zusammen- trafen, das Entwirren des großen militärischen Chaos in einem tadellos sich vollziehenden Aufmarsch, die großen Vorbereitungen für eine Belagerung Straßburgs, die wohl hunderttausende von Landstürmlern an die Arbeit rief, die Aengste der Bewohner, die im Falle einer Belagerung Haus und Hof verlassen sollten — es war ja gottlob nicht nötig: der herrliche Sieg bei Metz-Saarburg vereitelte der Feinde Plan — und jetzt den mühevollen Kleinkrieg
I in den Vogesen! Da ziehen wir oft tagelang bergauf, bergab, den schweren Tornister auf dem Rücken, vor uns her die Franzmänner treibend, und wenn wir sie an einem Tage vorne zurllckgeworfen haben, kommen sie am andern in der Flanke wieder. Dabei hatten wir nun schon 20 Verluste, und böse Gefechte liegen hinter uns. Am Montag bekamen wir unsre Feuertaufe; wir hatten mit den Bayern zusammen eine Höhe im Sturm zu nehmen. Glücklicherweise war der Feind etwas schwach und zog es vor, sich bei unsrem letzten Anlauf auf die Socken zu machen, und unsre Verluste waren nicht schwer. — Schlimmer wars am Mittwoch. Da lagen wir auf einer Höhe in Schützengräben vor unfern Kanonen, und plötzlich wurden wir vom Wald her von französischen Alpenjägern angefallen. Die Kugeln pfiffen uns um die Ohren, kaum erhob einer den Kopf und schließlich krachten noch feindliche Schrapnels nah und immer näher, und über uns — das waren bange Momente! Vor uns ratterten dazu noch zwei Maschinengewehre — eine schaurige Musik! Und als der Feind dann in der Flanke gefaßt und verjagt war, da lagen unsrer sechs da so blutig und bleich, mit grausigen Wunden, und so manchen hatten sie blutend weggetragen. Letzten Freitag marschierten wir vor und wurden wieder in einen recht heftigen Kampf verwickelt. Wir eroberten beinahe eine feindliche Batterie, beinahe-denn als wir sie schon
in unfern Händen glaubten, platzten auf einmal unsre eigenen Kanonenkugeln über uns — und wir mußten auf die Palme verzichten und zurück. Wenn Gottes schützende Hand nicht über uns gewaltet hätte, es hätte uns an diesem Tag schlimm gehen können. Auch zwei feindliche Maschinengewehre standen oben, die uns gefährlich geworden wären. Wenn wir dann
abends einmal ins Quartier kommen — seit Ludwigsburg natürlich nur noch Strohlager rn Scheunen oder im Freien, von einem Bett lassen wir uns dann träumen — da kriegen wir gewöhnlich die Nachricht: „Keine Bagage da, kam in feindliches Feuer!" — und man schläft sich den Hunger weg und gibt dem Magen, wenn er morgens noch nicht zufrieden und kein Kaffee und kein Brot da ist, frisches Wasser zur
Beruhigung-Wir haben in der letzten Woche
hungern gelernt und — durften. In den Häusern unten im Tal ist auch alles aufgegessen, kaum ein Ei ist noch aufzutreiben und ein Schluck Milch. Feuer machen dürfen die Leute nicht, weil der Rauch öfters schon dem feindlichen Nachrichtendienst diente, da ists mit dem Kochen und Backen übel bestellt. Aber wir trafen auch schon guten französischen Wein, und ehe ein Wirt die verborgensten Winkel seines Kellers uns gezeigt hat, glauben wir sein „nieu" nicht. Da sind schon recht verstaubte Flaschen herausgekommen, in denen feine Tropfen waren, die den armen Magen wieder einrichteten, und 25 Sous — eine Mark zahlen wir gerne dafür. Unsere Kameraden, die Bayern, auf unsrer rechten Flanke, sind im Zahlen allerdings nicht so prompt; sie leerten kürzlich den Weinkeller einer Villa gründlich und in dem Haus eines Pastors, der erschossen wurde, sollen sie auch viel Nützliches und Schönes gefunden haben. Nun, e'est la Kuerrs!
Nun ists einstweilen Abend geworden, und ein kaltes Lüfterl weht da oben. „Man lagert im Felde Lei sternheller Nacht" wie's meine Pfadfinder singen, wird wohl heute wahr werden. Indem ich alle meine Calwer Freunde, Bekannte und Schüler herzlich grüße, bin ich Ihr
I. Schmid, Hauptlehrer.