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Sonntagsausgabe der Schwarzwälder Tageszeitung „Aus den Tannen"
Nummer 2/1V
^Anzeigenpreis: Die einspalt. Milli- ^ meterzeile 6 ^8, Reklamezeile 18
Altensteig, Sonntag, den 14. Januar 1834
Bezugspreis im Monat 50 Pfennig Die Einzelnummer ... 15 Pfennig
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Eomitagsgedanken
.und hätte der Liebe nicht"
2m 2ahr 996 wurde Persien von einer schweren Hungersnot heimgesucht, in der viele Menschen aus Mangel an Entbehrung starben, während manche Reiche noch im Üeber- fluß schwelgten. Da machte der weise Herrscher Agud bekannt, daß für jeden Armen, der verhungere, ein Reicher sterben müsse. Von jetzt an starb niemand mehr den Hungertod
Es ist merkwürdig, wie schnell wir Menschen helfen können, wenn dabei für uns etwas herauskommt, entweder eine Anerkennung oder ein Vorteil oder auch nur ein Gefühl der Befriedigung. Und was für schimmernde Namen halten wir dann bereit, unser Tun damit zu schmücken. Wir heißen's Barmherzigkeit, Opfer, Liebesdienst; und ist doch oft alles verdorben durch das Gift der Selbstsucht und der Eitelkeit, und fließt doch alles aus der trüben Quelle eines „argen Herzens" Wir wissen, wie die Bibel darüber urteilt: „Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, jo wäre mir's nichts nütze".
Wir haben wieder Weihnachten gefeiert. Das Fest der Liebe heißen wir es, weil ein Strom des Gebens durch die Häuser und Familien fließt. Aber mutet uns diese „Liebe" nicht leicht wie ein Saisonartikel an, der eine Zeitlang an- geboten wird, dann aber wieder verschwindet? Und hat jener Mann nicht recht, der „Liebe" das Wort nennt, „das gerade um Weihnachten herum eine so große Rolle spielt, aber eben nur zu sehr eine Rolle spielt, eine Gastrolle, eine Theaterrolle, eine unwahre Rolle?"
Gibt es denn unter uns überhaupt echte Liebe? Liebe aus reinem Herzen? Ja, einer ist's, dessen Leben lauter bedingungslose, restlose Liebe war: der in Bethlehem geboren ist und auf Golgatha hingerichtet wurde, Jesus Christus. Und wer in diese göttliche Liebe eingeht und sich von ihr ganz und gar umfassen läßt, in dem wird auch die Liebe geboren, die von Gott und darum echt ist. P. L.
Der Reichtum echter Liebe
Das Beste am Leben ist nicht die Arbeit, sondern der einzige kleine Augenblick reiner, himmelsklarer Liebe, der, was jene au Frohgekiihl brachte, weit überwiest. Schlotter.
Die Liebe dient frei umsonst, drum gibt ihr auch Gott wiederum frei umsonst alles Gute. Luther.
Ein Körnlein Liebe ist mehr wert, als ein Sack voll Kold.
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4. Fortsetzung
Vereinzelte Lichter blitzten über die Ebene. Die Luft war dampfig und trug den Geruch nassen Heues mit sich. Fein wie eine zartgeschnittene Silhouette hob sich die Sichel des Mondes in das Saphirblau des Himmels. Auch die letzten Reste der gewitterschwangeren Wolken waren hinweggeschwemmt. Nur wenn Klaus Süderbloem einem Ast zu nahe kam, sprühte er schillernde Tropfen nach allen Seiten.
„Da lebt man nun so dahin", sagte der Ebersbacher und wischte sich das Naß vom Aermel. „Man meint, jeder Tag müßte etwas schenken — und nur schenken, und es könnte einem gar nichts genommen werden. Und dann kommt einer, wie der heutige und reißt einem die Seele aus, türangelweit und zeigt, wie lächerlich ohnmächtig man ist und wie bitter arm einen der Herrgott in einer einzigen Stunde machen kann. — Und man muß noch danken auch, wenn man zur rechten Zeit zur Einsicht kommt. — Jetzt leb ich erst wirklich! —Mit wachen Augen, weißt du, Süderbloem. — Sag nichts! — Ich will nimmer dran denken, wie's wäre,
wenn-. Ich möchte nicht, daß du mich alten Menschen
heulen siehst."
Ueber den Waldspitzen, die unwirklich nahe gerückt standen, fiel ein Stern. Er zog eine kerzengerade Spur, mitten in die Wipfel hinein und erlosch.
Süderbloem fühlte, wie der Mann neben ihm zusammenzuckte, ließ die Pferde in Trab verfallen und erst, als sie am See vorllberkamen, gab er ihnen die Peitsche.
Ein Käuzchen schrie aus den Buchen. Leis knarrte das hohe Schilf im Wind. Es war, als flüsterten in dem nächtlichen Dunkel alle die Dinge, die tagsüber kein Leben in sich zu tragen schienen.
Kurz vor 1 Uhr setzte Klaus Süderbloem den Ebers- oacher vor dem Tor seines Hofes ab. Aus einem der hohen Fenster kam noch Licht. Dort schliefen die Zwillinge.
„Die Racker warten noch auf mich", sagte Ebersbach und legte dem Klausenhofer die Lederjacke noch fest über's Knie. „Bis auf morgen, Klaus!"
„Auf morgen, Heinrich!"
„Und sei bedankt, daß du mir deine Nachtruhe geopfert hast!"
„Das Opfer war nicht groß, es wäre ohnedies nur eine halbe geworden", entgegnete Süderbloem und reichte Ebersbach noch einmal die Hand vom Bock. „Und grüß mir deine Zwillinge!"
„Za! — Sie kommen morgen selber. — Auf Wiedersehen, Klaus!"
Langsam, Schritt für Schritt, ließ Süderbloem die Pferde heimwärts traben. Feiner Nebel kam aus dampfenden Gründen gekrochen, stieg hoch und umfächelte ihn wie ein weicher, zarter Hauch. Kleine, zierliche Schäferwölkchen schwebten über dem Himmel und ließen sich vom Mond versilbern. Aber er war ungnädig und versteckte sich hinter den Tannenwipfeln, die ihn nur halb zu verbergen mochten.
Der See tauchte auf, spärlich von Helle übergossen sah er aus wie etwas düster Drohendes. Das Käuzchen schrie noch immer. Vielleicht suchte es ein Junges, das sich verirrt hatte. Nur das Schilf stand unbeweglich und ließ die Tropfen, die von den Buchen fielen, geduldig über sich herabrieseln.
Die Uhr zeigte zwanzig Minuten nach Zwei, als Klaus Süderbloem die Pferde in den Stall brachte.
Hannes hatte alle Hände voll zu tun, um dem Ansturm der Gäste, die am nächsten Tag zum Klausenhof kamen, gerecht zu werden.
Zuerst trafen die Ebersbacher ein. Die alten Herrschaften mit den beiden Töchtern im Jagdwagen. Die Zwillinge mit ihrem Ponygespann. Sie purzelten aus der Chaise und liefen dem Hause zu, wo Klaus Süderbloem eben unter der Tür erschien. Hinter ihm tauchte Ruths dunkles Köpfchen auf.
Frau von Ebersbach, eine Walküre, wie ihr Mann ein verkörperter Zeus, wartete nicht, bis der Gatte ihr folgte, sondern steuerte sofort auf Süderbloem zu. „Heinrich wird Ihnen alles gesagt haben heute nacht. Ich konnte nicht kommen, weil ich den Schüttelfrost hatte vor Schrecken." Sie hob Ruth in die Arme und küßte den weichen Kindermund. „Sie müssen sich alles denken, Herr Süderbloem! Ich kann es nicht so zum Ausdruck bringen, was ich sagen
möchte.-Annemie", wandte sie sich an diese, „ich bin
eine alte Frau. — Aber man kann ausnahmsweise auch einmal eine alte Frau zur Freundin haben. - Kinder", gebot sie den Zwillingen, „gebt mir den Herrn Süderbloem für einen Augenblick frei. — Das sind meine Töchter, die Eret und die Dina. Ich glaube, dort kommen die Gerauer."
In eleganter Kurve bog das blitzende Gefährt in den Hof. Der große Eckstein bekam ein bißchen von den Rädern ab. Fritz Gerauer kutschierte selbst.
Die Alten saßen im Fond und konnten nicht früh genug zu Boden kommen. Annemarie kam herbeigelaufen und bot ihre Hände zum Gruß. Aber Fritz Gerauer stellte sich dazwischen und nahm sie für sich in Anspruch. „Ich bin doch auch dagewesen, am Sonntag, nicht wahr, Annemie, während der Papa in seiner Sitzung weilte, und die Mama mich wieder einmal verschachert hat."
„Um Gottes willen Fritz", stöhnte die alte Dame.
„Du glaubst es dach. Annemie?" beharrte er hartnäckig.
„Totsicher", lachte sie und half der alten Dame über das Trittbrett. Süderbloem kam und begrüßte die Gerauer, während die Ebersbacher von der Majorin ins Haus geleitet wurden.
Hannes wußte kaum mehr, wohin mit den Pferden. Die Ponys der Zwillinge standen verträglich neben den Jungrindern und fraßen mit diesen aus der Raufe.
Kurz darauf passierten die Lotter ein: Sechs Köpft stark. Selbst die verheirateten Töchter hatte man mitgenommen.
Das ganze Haus schwirrte von Lachen, Rufen, Fragen. Man verstand kaum mehr, was der einzelne sagte, deckn der eine unterbrach den anderen.
Im Erker saßen die Zwillinge bei den kleinen Mädchen auf den Heideschnuckenfellen und bauten aus bunten Hölzern einen Gutshof: Weit, geräumig, mit Ställen und Remisen und einem Herrenhaus. Man konnte nur nichr unterscheiden, ob es der Klausenhof oder ein anderer war.
Als man sich eben anschickte ins Speisezimmer zu wandern, wo den Zwillingen zu Ehren ein kleines Fest arrangiert war, fuhr die letzte Chaise in den Klausenhof ein.
Die Pferde waren von guter Rasse, die schlanken Fesseln bandagiert. Das Silber auf den Beschlägen war zwar verkratzt — aber echt. Kein billiger Nickelersatz.
Hannes grüßte die beiden Damen wie ein Haushofmeister. Vor keinem der Gäste hatte er eine solch tiefe Referenz gemacht wie eben jetzt, als er Margot Sturzbaecker von dem Kutschbock half.
Sie streifte die grauen Lederhandschuhe ab und fächelt« damit einem der Pferde Kühlung zu. Dabei sah sie in die Hellen, ehrlichen Augen, die ihr entgegenblickten. „Kenner Sie den Satan noch, Hannes?"
„Na und ob, gnädiges Fräulein!" Er trat vor das linke Wagenpferd und fuhr ihm die Flanken herab. „Mein Lebtag hätte ich nicht gedacht, daß der noch fromm wird."
„Na — fromm!" Sie legte ihm die Zügel über der. Arm und sah nach der Mutter, die mit langsamem Schritt dem Hause zuging. „Etwas vom Satan bleibt immer zurück. Teufel ist nun einmal Teufel. Aber die größten Mucken habe ich ihm abgewöhnt." Der Gaul fuhr mit vorgestrecktem Kopf ihren Arm herunter und scharrte ungeduldig auf dem gestampften Boden. „Viel Gäste, Hannes?"
„Alles ist da!"
„Auch die Lotter?"
„Die auch, gnädiges Fräulein — sogar sechs Köpfe stark." Sie lächelten einander zu und verstanden sich.
Gerade als Frau von Sturzbaecker die letzte Treppenstufe nahm, holte die Tochter sie ein. „Ein Wort noch, Mama — du klagst niemand etwas vor! — Nein?"
Die alte Dame schüttelte nur den Kopf.
„Du änderst nichts damit", sagte Margot. „Das bißchen Teilnahme, das man uns zeigt, ist nicht hoch zu bewerten."
„Aber Süderbloem?" Die Auge» von Mutter und Tochter tauchten ineinander.
„Ihm habe ich eine Andeutung gemacht. Das genügt."
Das Zwiegespräch wurde durch Klaus Süderbloem unterbrochen, der die Damen vom Fenster aus gesehen hatte und ihnen nun entgegenkam. Frau von Sturzbaecker sah in das schmale, stolze Gesicht und dann über den dunklen Scheitel hin, der sich jetzt über ihre Hand neigte. Warum konnte ihr Kind nicht auch solch einen Mann bekommen? Ihr Kind, das den rücksichtsvollsten, schönsten und liebenswertesten Gatten verdiente? Margot ahnte, was die Mutter im stillen erwog und riß das Gespräch an sich.
„Was soll ich Ihnen sagen, Herr Süderbloem, daß es nicht als Phrase klingt? Ich denke, das Gratulieren und Verhimmeln ob Ihrer Tat von gestern wird Ihnen wohl sckon über sein. — Aber ich Hütte es dem grünen Wasser drüben nie verziehen, wenn es Sie behalten hätte." —
„Ich danke Ihnen, gnädiges Fräulein." Die schmale Mädchenhand an seine Lippen hebend, fühlte er das Beben, das sie durchrann. Er dachte das gleiche wie die Mutter: „Wo war der Mann, der sich diese seltene Blüte zum Weide holte?"
Vom Speisezimmer her kam Gläser- und Tellerklirren. Die Majorin erschien zur Begrüßung, auch Annemarie machte sich für eine Minute frei, küßte der alten Dame die Hand und Margot auf beide Wangen.
Man rückte zusammen und legte noch zwei Gedecke auf. Fritz Gerauer bekam die junge Sturzbaeckerin zur Tischdame. Da die gesamte Jugend sich duzte, herrschte ungezwungenste Unterhaltung. Necken und Lachen klang über die lange Tafel, an deren Spitze wie immer die Baronin Hammerstein präsidierte.
Ab und zu flog ein Blick der Damen nach Annemarie, die wie ein Gast unter Güsten an der Längsseite des Tisches saß. Aber es schien alles voll Harmonie und Eintracht zu sein. Sie war immer ein liebes, bescheidenes Ding gewesen, die blonde Annemarie, und hatte jedenfalls freiwillig das Szepter des Hauses an die Tante abgetreten.