Eine Ministeraudienz wegen Bekämpfung des Notstandes.

In der Besprechung, die die sozialdemokratischen Abgeordneten Keil, Lindemann und Hey­mann gestern mit dem Minister des Innern Dr. v. Fleischhauer wegen der Bekämpfung des Notstandes gehabt haben, teilte letzterer mit, daß in den allernächsten Tagen die Neckarkorrektion in Angriff genommen werde, wodurch allein 3000 Per­sonen auf zwei Monate mit Erdarbeiten beschäftigt werden; ebenso werden die Arbeiten an der Lan­deswasserversorgung fortgeführt werden; ungefähr 120 Personen werden in dem Stollenbau hejchäf- tigt; ferner soll die Rohrlegung fortgesetzt werden. Im Eisenbahndepartement und bei der Lrndes- wasserversorgung kommen einige Hochbauten zur Ausführung. Das Empfangsgebäude für den Stutt­garter Hauptbahnhof kann jedoch vorläufig noch nicht begonnen werden. Ferner sind einige Straßen- bauten in Aussicht genommen. In einem Erlaß sind, wie der Minister weiter mitteilt, die Städte und größeren Gemeinden aufgefordert worden, die vorgesehenen Bauten nunmehr auszuführen. Be­züglich der Leistungen von Unterstützungen an die Arveitslosen meinte der Minister, daß für Erhal­tung des Obdachs durch Bundesratsverordnung ge­sorgt sei, die am 1. Oktober, wenn der Mietzins wieder fällig werde, erneuert werden müsse. Die Gemeinden müßten für Nahrung und Kleidung der Notleidenden sorgen und auch der Staat werde Zu­schüsse geben. Ferner sei dieses Jahr mit einem gu­ten Ernteertrag zu rechnen, und die Regierung werde die Bekämpfung einer Verschleuderung von Vieh im Auge behalten. Der Minister erklärte seine Bereit­willigkeit. mit den Nachbarstaaten wegen Festsetzung der Höchstpreise für den Großhandel mit Mehl und Kartoffeln in Unterhandlungen zu treten. Ein Preisaufschlag für Zucker sei jedoch wegen der reich­lichen Mengen unbegründet. Der Besitz eines mäßi­gen Sparkassenguthabens sei kein Grund, der Fa­milie eines Kriegsteilnehmers die Leistung der Kriegsunterstlltzung zu versagen. Zum Schluß ver­sicherte der Minister, gerne dafür eintreten zu wol­len, die durch den Krieg geschlagenen wirtschaftlichen Schädigungen auf jede Weise zu mildern.

Don der Post.

Feldpostkarten mit Antwort an das Heer können von allen Postanstalten zum Preise von 1 Pfg. für 2 Stück bezogen werden. Von den Absendern der Doppelkarten ist auch die Adresse auf dem Antwort­teil deutlich und genau niederzuschreiben, da die Einrichtung erst dann zum Vorteil für die Kriegs­teilnehmer im Felde wird, wenn ihnen die Mühe des Adresseschreibens genommen wird.

Warenhauspolitik.

Die Firma Hermann Tietz (Stuttgart) hat, wie dem Beobachter geschrieben wird, in letzter Zeit ihren sämtlichen angestellten Fräulein ein Schrei­ben zur Unterschrift vorgelegt, in welchem bekannt gegeben wird, daß die Firma fortan das Gehalt in Krankheitsfällen nicht mehr wie das gesetzlich vor­geschrieben ist, 6 Wochen weiterbezahlt, sondern sich berechtigt hält, das Gehalt vom Tage der Erkran­kung an zu entziehen. Mit dieser Anordnung muß­ten sich alle Fräulein unterschriftlich einverstanden erklären. Einzelne, die nicht unterschreiben wollten, wurde bedeutet, daß das nicht so wirklich gemeint sei, und daß die Firma selbstverständlich in ernsten Fällen bereit sei, das Gehalt weiter zu zahlen! Das tut eine Firma, die vor kurzem beim 25-jährigen Eeschäftsjubiläum prahlerisch verkünden ließ, daß 100 000 Mark zu Wohlfahrtszwecken für das Per­sonal reserviert seien! In gegenwärtig ernster Zeit, wo jede größere, leistungsfähige Firma das denkbar größte Entgegenkommen gegenüber ihren Angestell­ten zeigt, hat die Firma Tietz ungeordnet, daß ab Monat September jedem Fräulein ein entsprechen­der Betrag im Krankheitsfall an ihrem Gehalt ge­kürzt werde. Das spricht für sich selbst!

Angehörige von Militär- und Zivilpersonen in unseren Kolonien seien bezüglich Befürchtungen wegen längerem Ausbleiben von Nachrichten darauf aufmerksam gemacht, daß sowohl der telegraphische als der Postverkehr mit unseren Kolonien unter­bunden ist und daß somit aus dem Ausbleiben von Nachrichten noch keine Folgerungen bezüglich des Lebens solcher Angehörigen hergeleitet werden dürfen.

Unentgeltliche Beförderung der Erntearbeiter. Die Eisenbahnverwaltung hat zur Erleichterung der Erntearbeiten verfügt, daß die zugezogenen Ernte­arbeiter bei Vorlegung der erforderlichen Ausweise unentgeltlich auf der Bahn nach ihrem Bestimmungs­ort befördert werden sollen. Im Interesse der in der Industrie beschäftigten Arbeiter sind Erleichter­ungen in der Ausnützung der Arbeiterwochenkarten eingeführt worden. _

Zuffenhausen, 2. Sept. Nach dem Genuß einer jedenfalls verdorbenen Wurst erkrankte vor einigen Tagen hier ein 17j8hriger Sattler. Der junge Mann ist nun gestern unter gräßlichen Schmerzen gestorben.

Stuttgart, 31. Aug. (Neuernannter Stadt­pfarrer.) Zum 2. Stadtpfarrer an der Kreuzkirche in Stuttgart ist Pfarrer Jlg in llnterreichenbach O.»A. Calw ernannt worden. Seine Einführung wird am Sonntag, 11. Okt. stattfinden.

Me Geschichte vom Gespeifterschiss.

3) Von Wilhelm Hauff.

(Schluß).

In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich suchte den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich es angreifen müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgend eines Fre­vels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, als wenn man die Bretter, auf denen sie liegen, losmache. Mir gehöre von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Gütern, weil 'ch es gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheim halten und ihm ein kleines Geschenk von meinem lleberfluß machen, er wolle dafür mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich ver­sprach ihn reichlich zu belohnen, und wir machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unfern glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns zu retten.

Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie ans Land rudern, um sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurück­kamen, die Toten haben ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, so wie man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir fuhren fort, die Toten abzusägen, und vor Abend waren alle ans Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord, als der, welcher am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze zu ziehen, keine Gewalt ver­mochte ihn auch nur ein Haarbreit zu verrücken. Ich mußte nicht, was anzufangen war, man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu führen.

Doch aus dieser Berlegenhei thalf Muley. Er ließ schnell einen Sklaven ans Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete die Erde auf das Haupt des Toten. So­gleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in seiner Stirn fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme.

Wer hat mich hierher geführt? sprach er, nachdem er sich ein wenig erholt zu haben schien.Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qua­len errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu meinen Vätern gehen." Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen Zustande gekommen sei, und er sprach: Vor fünfzig Jahren war ich ein mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu trei­ben. Ich hatte dieses Geschäft schon einige Zeit fort­geführt, da nahm ich einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine Ge­sellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die Hei­ligkeit des Mannes, vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen hatte, über­mannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit mei­nem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wü­tend über das, was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan hätte sagen lassen, stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich und meine Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser Haupt auf die Erde legen. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich gegen mich. Mit fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine Anhänger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch die Empörer unterlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein

Weitere Nachrichten.

3« de« letzten deutsche« Erfolgen

schreibt dieWiener Allgemeine Zeitung": Ueberall sind die deutschen Truppen in stetigem Vormarsch anzunehmen. In Frankreich ist ein Triumphzug. bezwingend in einer heroischen Pracht, seiner Schnelligkeit, Methodik und exakten Gewalt, er­schütternd durch das Beispiel des herrlichsten, mensch­lichen Opfermutes, treuester Tapferkeit und Selbst­losigkeit. Als ebenbürtiger Partner stellt sich zur Seite die deutsche Ostarmee. Ueberraschend ist der Sieg oon Neidenburg, wo geniale, strategische Dis­position und unvergleichlicher Heldenmut einer Minderzahl zum Teil nicht aktiver Truppen 5 feind­liche Armeekorps zerschmetterten, drei von ihnen fast glatt zersprengten und vernichteten mit einer Ziffer von 70000 Gefangenen und einen Erfolg erzielten, der an den Sieg von Sedan heranreicht.

Die Lage in Brüssel.

Rotterdam, 2. Sept. Daily Expreß meldet, daß die vier reichsten Belgier, die Herren Solvay, Baron Lampert-Rotschild, Waroque und Baron Em- pain, die Brüssel von den Deutschen auferlegte Kriegssteuer von 200 Mill. Francs bezahlen werden. Daily Telegraph meldet, daß die Lebensmittel in Brüssel anfangen knapp zu werden. Nur wenige können noch Fleisch, Eier und Milch bekommen. Eine Vorstadt muß täglich 400 Flaschen Wein, eine an­dere 40 000 Pfund Fleisch, Brüssel selber 70 000 Pfund Brot liefern.

Einem neuen Sedan entgegen"

lautet der Titel eines Buches, worin der nationalist­ische Abgeordnete Major Driant, Boulangers Schwiegersohn, mit wahrhaft prophetischem Blick das Unheil vorgesehen hat, in welches sich Frank­reich durch englischen Eigennutz hat verlocken lassen. Wir entnehmen dem Buch: Hätten scharfsichtige Franzosen vor 1870 allerorten dem Lande zuge­rufen:Man stößt euch in einen Abgrund, indem man euch gegen Deutschland hetzt; das Heer ist nicht kriegsbereit, die Festungen sind leer, die Deutschen sind zehnfach stärker und zahlreicher als ihr", mit wel­cher Dankbarkeit hätte man ihre patriotischen Warn­rufe anerkannt! Die Lage ist heute wieder dieselbe geworden. Was sage ich, sie ist noch schlimmer ge­worden! Gewiß, wir haben Befestigungen, Per- pflegungsvorräte, ein Geschützmaterial, wie wir es 1870 nicht hatten; wir sind selbst in gewissen Punk­ten bester ausgestaltet als unsere Nachbarn, aber das moralische Element fehlt uns. Die frühere Or­ganisation, Führung und Manneszucht haben wir nicht mehr. Unter solchen Umständen in den Kampf

großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir den Der­wisch in die See geworfen, erwachte ich und alle meine Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir konn­ten nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. So segeln wir seit fünf­zig Jahren, können nicht leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbe­kannter Retter; wenn Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff, als Zeichen meiner Dankbarkeit."

Der Capitano ließ sein Haupt sinken, als er so ge­sprochen hatte, und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn am Lande; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen andere mit großem Gewinn ein­getauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley reichlich, und schiffte mich nach meinem Vaterland ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. «Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren er­staunt über meine Reichtümer und mein Glück und glaub­ten nicht anders, als ich habe das Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden. Ich ließ sie bei ihrem Glauben; von nun an aber mußten die jun­gen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um, gleich mir, ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und im Frieden, und alle fünf Jahre machte ich eine Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken, und für den Capitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein Paradies aufnehme.