Bezirk und Na«hbars«tzaft.

Talw, den 3. August 1914.

Mobilmachung in Calw.

O trauerbange Stunde! Den Samstagnachmit- taq über lebte alles nur dem einen Gedanken: Wann kommt die Mobilmachung? Auf der Stadt lag's voll Erwartung. Das Telephon klingelte in einem fort: noch nichts da? bis endlich abends ein Telegramm am Postgebäude mit dem Befehl der Mobilmachung angeschlagen wurde. Droben vor dem Rathaus stand der Tambour bereit und etwa ^7 Uhr wirbelten die ersten Schläge durch die Gassen und Straßen der Stadt das wohl längst erwartete aber trotz allem so Bittere, Grausame. Das Vaterland ruft zum Schutz seiner Ehre! So sei's denn. Die Leute standen in Gruppen beieinander, die Frauen darunter meist mit verweinten Augen, und besprachen das nunmehr zur schrecklichen Wahrheit Gewordene ernst und sorgen­voll. Die Männer zogen, z. T. am Samstag abend schon, ihrer Pflicht getreu, aus ihrer engeren Hei­mat und Vaterstadt fort. Frauen und Kinder in un­tröstlichem Schmerz zurücklassend, selbst auch tiefge­beugt. Es war ein Jammer, das mitansehen zu müssen. Kein Haus, keine Familie in der Stadt, die nicht direkt oder indirekt von der Mobilmachung be­troffen würde. Vis zu 6 Brüder müssen die Familien hier hergeben. Aber größer kann der Schmerz auch bei solchen nicht sein, als etwa bei einer jungen Frau, die sich mitten aus ihrem lachenden Glück herausge­rissen sieht, und statt einer fröhlichen, einer so dunk­len Zukunft entgegensehen mutz. Und warum das ganze schreckliche Mutz? Um der dreistesten Ueber- hekmng des serbischen Packs willen. Um der Ausdeh­nungsgelüste eines großen Reiches willen, das in sei­nem so unsäglich dummen Hatz gegen das Deutschtum blind geworden ist und vermeint, mit der Zahl seiner durch keinerlei Schulkenntnisse beschwerten Soldaten allein das deutsche Reich verblüffen zu machen. O Rußland, wie viele, viele Flüche hast du auf dich herabbeschworen in den letzten Tagen! Flüche friedlicher Frauen, die ihrer Männer Feier­abendheim mit trauter Liebe schmückten, Flüche alter Eltern, denen der Stolz des Alters vielleicht für im­mer entrissen wird, Flüche zitternder Bräute, die ihr Liebstes opfern! Herrgott im Himmel und du fährst nicht mit deinem allmächtigen Zorn darein und rottest diese Gesellen aus, die unser Deutschland in dies namenlose Weh stürzen? Wir alle, die wir unter dem schmerzlichen Eindruck der gegebenen Tat­sachen stehen, dürfen aber nicht den Kopf verlieren. Heute gilt's nicht nur für die Männer, sondern in oanz besonderem Matze für unsere Frauen, mutig zu sein, furchtlos und treu. Kein Schmerz darf zur Verzweiflung, zur Tatenlosigkeit treiben. Das bitterste Geschick mutz die edelsten Kräfte eines Herzens aus die Wacht rufen und wirken lassen, muh die Kunst, sich ins Unab­änderliche mit fester Entschlossenheit zu fügen, in die Tat umsetzen. In diesem Sinne sollten jetzt sich alle, die Ausmarschierenden wie die Daheimbleibenden, betätiaen. Es war eine erhebende Stunde, gestern, als in der Frühe die Klänge desBefiehl du deine Wege" herab vom Kirchturm, hin über die Häuser der Stadt und hinein in die Herzen schwangen und noch erhebender, ergreifend war die Feier in der Kirche am Abend, wo die Ausmarschierenden und deren Angehörige das hl. Abendmahl empfingen.

lieber der Stadt lag's und liegt's begreiflicher­weise tiefernst. Auch die heiteren Episoden, die sich, unausbleiblich bei dem zur Zeit außerordentlich le­bendigen Verkehr in den Straßen und auf den freien Plätzen, gelegentlich ereignen, sind nur wie der vor­überhuschende heitere Zug auf einem kummervollen Gesicht. Die Zeitlage bringt es mit sich, daß Aufre­gungen und Spannungen an der Tagesordnung sind. Doppelt dringend ersuchen wir, durch keine Nachricht und durch kein Gerücht sich aus der Fassung bringen zu lassen, sondern unter allen Umständen Ruhe zu bewahren. Auch dürfte es sich sehr empfehlen, daß sich nicht jedermann an der Verbreitung unwahrer Gerüchte beteiligt; man überlasse das den Zeitun­gen, die in den letzten Wochen ihr möglichstes taten, sich selbst zu blamieren.

Dringende Bitte an die Calwer Ladenbesitzsr aller

Branchen.

Der Wochenmarkt am vergangenen Samstag hat mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, wie sehr jetzt schon die Preise für Waren aller Art in die Höhe ge­trieben werden und zwar zu einem gut Teil ab­sichtlich und durch gar keinen Grund berechtigt. But­ter, Eier, Schmalz, Mehl, Zucker, gerade auch die bei­den letztgenannten Verkaufsartikel, schnellten in ihren Preisen nur so hinauf. Es ist unerhört, wenn man für ein Kalkei 10 und 12 Pfg. und für 1 Pfund But­ter 1,60 Mk. fordert, wo sollen die Haushaltungen denn das Geld dazu auftreiben, solch übertriebenen Ansprüchen der Händler gegenüber gerecht zu wer­den? Es war eine ganz angebrachte Verfügung des Stadtschultheitzenamts, daß es den wildesten Ausge­burten von Geldmacherei beizeiten einen ordentlichen Riegel vorschob, indem es mit militärischer Schnei-

digkeit drohte, bei weiteren Versuchen einer Preis­steigerung werde der Eemeinderat die Lebensmittel­preise festsetzen, und diesen Entschluß durch Extrablatt in der ganzen Stadt verbreiten ließ. Besonders dank­bar aber waren ihm die Hausfrauen dafür, dgtz es eine Höchstgrenze einiger der zu verkaufenden Markt- gegenstände festsetzte und durch den Ausscheller be­kanntgab, daß für Butter nicht mehr als 1,40 Mk. für das Pfund gefordert werden dürfe, für 1 Ei nicht mehr als 7 Pfg. und für 1 Pfund Kartoffeln gleich­falls nicht mehr als 7 Pfg. Aber auch andere Le­bens- und Genutzmittel, vor allem Zucker und M ehl, zogen z. T. in ganz beispielloser Weise an. Uns wurde gesagt, daß für einen Zentner Mehl, der vor vier Wochen noch mit 32 Mark bezahlt wurde, 39 Mark zu bezahlen gewesen seien. Es gibt zwar auch noch solche Bäckereien und Händler, die billiger (34 Mk. der Zentner, 22 Pfg. das Pfund) verkaufen, aber der angeführte, für die jetzigen Verhältnisse un­verantwortlich hohe Preis zeigt, wohin die Reise aehen soll. Beim Zucker ist das um kein Haar anders. Vor ein paar Tagen noch bezahlte man beim Einkauf von 6 Pfund mit 1,15 Mark, heute kostet dieselbe Menge teilweise schon 1,50 Mark. Und ist doch, wie schon oesagt, gar kein Grund vorhanden, hinaufzu­gehen, jedenfalls nicht so rasch und um so viel. Es steckt auch ein gut Stück Vaterlandsliebe darin, seinen Mitbürgern in so ernsten Zeiten nicht das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon der Fall ist. Man sollte sich auch als Geschäftsmann und als Kaufmann seines Christentums und seines Bür­gersinns befleißigen gerade dann, wenn diese beiden schönen Tugenden einmal die Probe aufs Exempel bestehen sollen.

Sparkassen und Neichsbanknoten.

Die Berliner Korrespondenz schreibt:Ange­sichts der an einzelnen Orten auftretenden Besorg­nisse der Bevölkerung wegen ihrer Spareinlagen in den öffentlichen Sparkassen hat der Minister des In­nern unter dem 30. ds. allgemein darauf hingewie­sen, Latz kein Anlatz zu irgendeiner Beunruhigung be­steht. Für jede öffentliche Sparkasse haftet ihre Stadt oder ihr Kreis oder der sonstige Kommunalverband, der sie errichtet hat, mit seinem ganzen Vermögen und seiner gesamten Steuerkraft. Die Gelder der öf­fentlichen Sparkassen sind ferner auch im Falle eines Krieges als Privateigentum absolut sicher und jedem Zugriff des eigenen Staates sowohl wie des Feindes entzogen. Die öffentlichen Sparkassen bieten daher den Einlegern die denkbar größte Sicherheit, und es kann den Sparern nur empfohlen werden, auch im Falle eines Krieges alles verfügbare Geld dort nie­derzulegen, nicht aber ihre Ersparnisse abzuheben." Die genannte Korrespondenz schreibt ferner:Die letzten Tage haben wieder den Beweis geliefert, daß in weiten Kreisen des Publikums eine völlige Un­kenntnis über den Zahlungswert der Reichsbanknoten herrscht. Es wird deshalb darauf aufmerksam ge­macht, daß durch Gesetz vom 1. Juni 1909 (Reichs- Gesetzbl. S. 515) den Reichsbanknoten volle gesetzliche Zahlkraft beigelegt ist. Die Neichsbanknoten sind des­halb ebenso wie Goldmünzen von jedermann in jedem Betrage zu ihrem vollen Nennwerte in Zahlung zu nehmen. Wer die Annahme einer ihm ge­schuldeten C ummein Reichsbank note n ablehnt, setzt sich den Folgen des An- nahmeverzügs aus. Eine Umwechslung der Reichsbanknoten in Goldmünzen erscheint deshalb völlig zwecklos.

Pfadfinder als Helfer bei der Ernte.

Im Kriegsfälle sind der Landwirtschaft fast die gesamten Arbeitskräfte entzogen, so daß Gefahr be­steht, daß das Einbringen unserer reichen Ernte ge­fährdet ist; das Korn und die übrigen Feldfrüchte fallen dem Verderben anheim, weil sie nicht rechtzei­tig geerntet werden können. Beachtung und Nach­ahmung verdient deshalb ein Aufruf, den die Füh­rerschaft des Pfadfinderkorps Magdeburg an ihre Mitglieder erlassen hat. Sie richtet an diese die Auf­forderung, falls es der Ernst der Lage erfordere, s t ch alle bereit zu halten und der Landbe­völkerung bei der Ernte zu helfen. Gleichzeitig wird an die Gemeindevorstände die Bitte gerichtet, Nachricht zu geben, wo Hilfe nottut. Das Pfadfinderkorps vertrit die Ueberzeugung, daß eine große Anzahl Jungen im Aler von 13 bis 18 Jahren als Handlanger oder Ernte-Arbeiter tüchtig etwas leisten können und den Gemeinden willkommen sind.

Die Milchversorgung. Vom dritten Mobilma­chungstage, also vom Mittwoch an, treten in der Be­förderung von Milch mit der Eisenbahn Aenderun- gen ein. Nähere Bekanntmachungen werden auf den einzelnen Stationen angeschlagen. Im übrigen hat die Eisenbahnverwaltung für die Milchbeförderung nach Inkrafttreten des Militärfahrplans vorläufige Anordnungen getroffen und wird bemüht fein, diese Lurchzuführen, soweit es die militärischen Rücksichten zulassen. Da gleichwohl mit Störungen zu rechnen ist, empfiehlt die Verwaltung in geeigneten Fällen die Milchbeförderung mittels Fuhrwerks oder Kraft­wagens.

Weitere Nachrichten.

Weinheim (Baden), 1. Aug. Die Lederfabrik Freudenberg hat für die Familien der eingezogenen Reservisten jeden Tag 1000 Mark zur Verfügung ge­stellt. 3000 Arbeiter und die Beamten der Firma haben beschlossen, die verheirateten 10, die ledigen 15 Prozent ihres Lohnes für die Familien der ein­gerückten Reservisten abzugeben.

Wiesbaden, 2. Aug. Die Deutsche Gesellschaft für Kaufmannserholungsheime hat ihre Heime in Wiesbaden, Traunstein (Oberbapern), Bühl (Ba­den), Salzhausen (Oberhessen) mit zusammen über 500 Betten dem Kaiser als Lazarette zur Verfügung «.'stellt.

Münster i. W., 1. Aug. Das Zentral- und Lo­kalkomitee für die Vorbereitung des 61. Katholiken­tags in Münster i. W. haben beschlossen, den Katho­likentag wegen Kriegsgefahr zu vertagen.

Berlin, 2. Aug. Die in kürzester Zeit einsetzende Transportbewegung verlangt von den Eisenbahnen die größte Leistung. Es ist gänzlich «ausgeschlossen, daß Gesuche von industriellen Werken, Händlern und Privaten auf Beförderung von Gütern in der Zeit der Mobilmachung und der Versammlung des Heeres entsprochen werden kann. Die Militär-Eisenbahn­behörden haben strengsten Befehl, derartige Gesuche abzuweisen. Die schwere Arbeit dieser Behörden wird wesentlich erleichtert, wenn solche Gesuche, weil aus­sichtslos, ganz unterlassen werden.

Beschränkungen für den Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehr.

1. Postverkehr mit dem Ausland.

Von jetzt ab werden nach dem Ausland und den deutschen Schutzgebieten mit nachstehend «aufgeführten Ausnahmen nur noch offene Postsendungen in deut­scher Sprache angenommen und befördert. Pakete sind nicht mehr zulässig. Private Mitteilungen in geheimer (chiffrierter oder verabredeter) Sprache oder in anderer als deutscher Sprache, ferner solche über Rüstungen, Truppen- oder Schiffsbewegungen oder andere militärische Maßnahmen sind verboten, es sei denn, daß sie von militärischer Seite als zuge­lassen bescheinigt sind.

Wertbriefe und Kästchen mit Wertangabe sowie Postaufträge nach dem Ausland und den deutschen Schutzgebieten können jedoch unter folgenden beson­deren Bedingungen zur Beförderung übernommen werden: Die Auflieferung ist nur unmittelbar bei Postämtern zulässig, soweit sie nicht militärischer- seits für bestimmte Bezirke ganz verboten wird; die Auflierferung bei Postagenturen, Posthilfstellen und durch die Landbriefträger ist demnach verboten. Briefliche Mitteilungen, soweit sie überhaupt zuläs­sig sind, müssen in deutscher Sprache abgefatzt sein und dürfen keinen verdächtigen Inhalt haben. Die Sendungen sind bei den Postämtern offen vorzulegen und demnächst unter Ueberwachung der Beamten zu verschließen und zu versiegeln. 2. Telegraphen- und Fernsprechverkehr mit dem Ausland und im In­land. Privattelegramme nach dem Ausland und im Inland müssen in offener und deutscher Sprache ab­gefatzt sein. Telegramme in fremder oder in gehei­mer (chiffrierter oder verabredeter) Sprache sowie solche über Rüstungen, Truppen- oder Schiffsbewe- gungen oder andere militärische Maßnahmen sind verboten.

Die Telegramme müssen bei der Auflieferung mit Namen und Wohnung des Absenders versehen sein. Auf Verlangen müssen sich Absender und Emp­fänger über ihre Persönlichkeit ausweisen. Der pri­vate Fernsprechverkehr nach dem Ausland und nach einigen am Schalter zu erfragenden Grenzgebieten des Inlands wird eingestellt. Außerhalb dieser Grenzgebiete dürfen Gespräche im innern deutschen Verkehr nur in deutscher Sprache geführt werden und keine Mitteilungen über Rüstungen, Truppen- oder Schiffsbewegungen oder andere militärische Maß­nahmen enthalten. Rüstungen, Truppen- oder Schiffsbewegungen oder andere militärische Maß­nahmen enthalten.

Der Funkentelegraphenverkehr wird eingestellt.

Weitere Beschränkungen oder Erleichterungen des Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehrs blei­ben Vorbehalten.

Da die Postverwaltung eine namhafte Zahl ihrer Beamten zum Feldheere teils für den Dienst mit der Waffe, teils zur Wahrung des Feldpostdien­stes abgegeben hat, werden voraussichtlick an manchen Orten die Boamtenkräfte nicht mehr «ausreichen, um die seitherigen Dienststunden der Postämter für den Verkehr mit dem Publikum in ihrer vollen Ausdeh­nung aufrecht zu erhalten.

Die Postämter sind daher ermächtigt worden, die gedachten Dienststunden einzuschränken, soweit die unabweisliche Notwendigkeit dies bedingt und es ohne wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrsbe­dürfnisse geschehen kann.

K. Generaldirektion der Posten u. Telegraphen.

Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner Druck und Verlag der A- Oelschläger'schen Buchdruckerei