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AUerrsteitt. Samstag den 23. Juli 1938

85. Jahrgang

Sas Semvnitrativnsverbot gemildert

Berlin, 22. Juli. Nachdem in de» letzten Tagen Störungen der öffentlichen Ordnung wesentlich nachgelassen haben, hat der Reichsminister des Innern eine Verordnung erlassen zwecks Milderung des bestehenden Demonstrationsderbotes. Das Ver­bot für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen gilt nach der neuen Verordnung, die mit dem Sonntag, 24. Juli, i in Kraft tritt, nicht mehr für Gedenkfeiern, Trachtenfeste und : sonstige Veranstaltungen, die der Förderung künstlerischer, kul- § tureller oder heimatlicher Zwecke dienen. Doch sind auch diese Veranstaltungen 48 Stunden vorher anzumelden und könne« - bei Gefahr verboten werden. 2« einem Rundschreiben an die I Läuderregierungen wird daruf hingewiesen, daß kirchliche Ver« ' «nstaltungen, auch Geländeübungen ohne demonstrativen Cha- ! »aller ebenfalls unter die Milderung fallen und in gewissen - Fällen für 24. Juli eine Ausnahme von der 48stündige« An- j meldungsfrist gemacht werde» kann. ^

MerwachlingsauSschuß des RelchAagS

Berlin, 22. Juli. Die Sitzung des lleberwachungsausschusses i des Reichstages wurde am Freitag nachmittag vom Abg. Hei- - mann (Soz.) eröffnet. In dieser Sitzung waren außer den i Nationialsozialisten die Vertreter der Deutschnationalen, des j Landvolks und der Deutschen Volkspartei nicht erschienen. Der - Reichstagspräsident Löbe nahm an der Sitzung teil. Ein Ver- :

treter der Reichsregierung war nicht anwesend, dagegen waren i

einige Gesandte von Länderregierungen erschienen. Zum stellv. ' Vorsitzenden des Ausschusses wurde der sozialdemokratische Ab- ! geordnete H ö g n e r - München gewählt. Die Frage der recht- ^ mäßigen Einberufung des Ausschusses wurde von dem volks- ) konservativen Abgeordneten von Lindeiner-Wildau aufgeworfen, ? der die Fraktion des Christlich-sozialen Volksdienstes im Aus- - schuß vertrat. Reichstagspräsident Löbe erwiderte, daß der Aus- »

. schuß auf Ersuchen der Mehrheit der Mitglieder einberufen wor- ?

. Len sei, nachdem feststand, daß der Vorsitzende aus politischen s

Gründen die Arbeiten des Ausschusses sabotiere. Die Abgg. Weg- s mann (3.) und Dr. Breitscheid (Soz.) stimmten der Auffassung > des Präsidenten zu. Abg. von Lindeiner-Wildau erklärte dem- ! gegenüber, daß er nicht einsehe, welchen Sinn die Tagung des s lleberwachungsausschusses neun Tage vor der Wahl haben sollre, s da der Ausschuß Beschlüsse mit Eesetzeswirkung nicht fassen könne. <

° In der Abstimmung erklärten sich sämtliche Anwesende für die : Rechtmäßigkeit der Einberufung mit Ausnahme des Abg. von ^ Lindeiner-Wildau. -

Der Ausschuß nahm zunächst mit allen Stimmen gegen die s , des Abg. von Lindeiner-Wildau einen Antrag des Abg. Dr. ^ ^ Pfleger (BVp.) an, durch den der Vorsitzende des Ausschusses, s Abg. Straffer (NS.) abberufen wird. Zur Beratung des dem ) Ausschuß vorliegenden zahlreichen Antragsmaterials wurde von i der Ausschußmehrheit die Anwesenheit des Reichskanzlers und ! des Reichsinnenministers verlangt. Ein Antrag auf Herbei- . Zitierung der beiden Vertreter der Reichsregierung wurde gegen ^ die Stimme des Abg. von Lindeiner-Wildau angenommen. Die :

> Sitzung wurde für kurze Zeit unterbrochen, um der Regierung :

von dem Beschluß Kenntnis zu geben. °

Sozialdemokraten und Zentrum haben inzwischen übereinstim- : , mende Anträge eingebracht, wonach der Ausschuß von der Reichs- ^ regierung die Außerkraftsetzung der Notverordnung Uber die : ' Einsetzung des Reichskommissars in Preußen und über die Ver- s Hängung des Ausnahmezustandes für Berlin und Brandenburg ! verlangt. Sozialdemokraten und Zentrum fordern darüber hin- , aus die Aufhebung der bei den Notverordnungen gegen politische s Ausschreitungen. j

Reichsregierung und lleberumchungsausschuh

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei hat an den Reichs- ^ ^ tagspräsidenten Löbe folgenden Brief gerichtet: ^

Nach einer mir soeben zugegangenen telephonischen Mitteilung ' hat der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung ! gegenüber der Reichsregierung beschlossen, die Anwesenheit des Herr» Reichskanzlers, des Herrn Reichsministers des Innern . und des Herrn Reichswehrministers zu verlangen. Im Aufträge des Herrn Reichskanzler beehre ich mich, hierzu mitzuteilen. !

> daß die Mitglieder der Reichsrcgierung bereit find, sich an den Beratungen des Ausschusses zu beteiligen, soweit der Gegenstand der Beratungen sich im Rahme» der verfassungsmäßigen Zu- ständigkeit des Ausschusses hält. Ich darf demgemäß darum bit­ten, mir mit tunlichster Beschleunigung die Anträge zuzuleiten, deren Beratung der Ausschuß beabsichtigt.

Da der Herr Reichskanzler im Begriff ist. zu einer Konferenz der Ministerpräsidenten zu verreisen und der Herr Reichsminister des Innern Berlin bereits verlassen hat, wäre der Herr Reichs- ' kanzler sehr dankbar, wenn ihm und den anderen Herrn Reichs­ministern die Einladung zu der Sitzung so rechtzeitig zuginge, daß er mit Sicherheit an ihr reilzunehmen in der Lage ist.

DkMWand »erlmm

Gm Erklärung Deutschlands in Genf

Genf, 22. Juli. In der Sitzung des Hauvtausschusses der Ab­rüstungskonferenz gab der deutsche Vertreter. Botschafter N a- dolny, im Auftrag der Reichsregierung folgende Schlußerklärung ab:

Die deutsche Regierung ist bereit, auch weiter an den Ar­beiten der Abrüstungskonferenz teilzunebmen und mit aller Kraft dazu beizutragen, daß im Sinne des Artikels 8 der Völ­kerbundssatzung ein wirklich entscheidender Schritt in der Rich­tung auf die allgemeine Abrüstung getan wird. Namens der deutschen Regierung muß ich heute aber aussprechen, daß ihre Mitarbeit nur möglich ist, wenn die weitere» Arbeiten der Konferenz auf der Grundlage der zweifelsfreien Anerkennung der Gleichberechtigung der Nationen erfolgen.

Die Gleichberechtigung der Nationen ist das fundamentale Prinzip des Völkerbundes, ebenso wie der Staatengemeinschaft überhaupt. Mit dem Gefühl nationaler Ehre und internatio­naler Gerechtigkeit wäre es nicht vereinbar, wen» die Konferenz die Regeln und Grundsätze für die allgemeine Abrüstung der Staaten festlegen wollte, aber gleichzeitig Deutschland oder an­dere Staaten an diesen allgemeinen Regeln und Grundsätzen nicht teilnehmen ließe, sondern irgend einen Staat einem diskrimi­nierenden Ausnahmercsime unterwerfen würde. Das würde auch die vertraglichen Ansprüche verletzen, die Deutschland zu­stehe», und auf die es unter keinen Umständen verrichten kann.

Die deutsche Regierung muß nun zu ihrem tiefen Bebauern feststellen, daß die vorliegende Resolution diesem Stand­punkt keineRechnung trägt. Sie hat aus der Arbeit der verflossenen ersten Periode der Konferenz, insbesondere auch den Besprechungen der letzten Tage vielmehr annehmen müssen, daß diese notwendige Voraussetzung noch nicht von allen Regierun­gen verstanden und anerkannt wird. Die deutsche Regierung hält es nicht für möglich, daß bei dieser Unklarheit über eine Grundfrage des ganzen Abrüstunssproblems ersprießliche Ar­beit geleistet werden kann. Sie muß deshalb darauf bestehen, daß diese Zweifel dadurch beseitigt werden» daß die Gleichheit aller Staaten hinsichtlich der nationalen Sicherheit und hinsicht­lich der Anwendung aller Bestimmungen der Konvention ohne weiteren Verzug zur Anerkennung gelangt. Soweit die einzel­nen Fragen, die sich aus der Anwendung des Grundsatzes der Gleichberechtigung ergeben, einer Klärung bedürfen, ist die deutsche Regierung zusofortigenVerhandlungen hier­über mit den beteiligten Staaten bereit. Die deutsch« Regie­rung muß aber schon heute darauf Hinweisen, daß sie ihre weitere Mitarbeit nicht in Aussicht stelle« kann, wenn eine befriedigende Klärung dieses für Deutschland entscheidenden Punktes bis rum Wiederbeginn der Arbeite« der Konferenz nicht erreicht wer­de» sollte.

Botschafter Nadolnv fügte dieser Erklärung folgende Worte hinzu:

Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die Voraussetzung, von der Deutschland seine weitere Haltung abhängig machen muß. bald erfüllt sein wird, und daß wir gemeinsam mit ihnen in die zweite Phase der Konferenz werden eintreten können, von der ich hoffe, daß sie ergebnisreicher sein wird als die erste, und daß sie uns ans Ziel bringen wird.

Berliner Blätter zur Nadolny-Rede

Berlin, 23. Juli. Die gestrige Rede des deutschen Dele­gationsführers in Genf, Botschafter Nadolny, wird von einer Reihe von Zeitungen besprochen.

DieDeutsche Allgemeine Zeitung" tadelt die geringe Akti­vität der deutschen Abordnung in Genf.

DerLokalanzeiger" bezeichnet es als nicht ganz ersichtlich, worüber eigentlich auf diplomatischem Wege verhandelt werden solle, denn die Gleichberechtigung Deutschlands sei eindeutig im Diktat von Versailles festgelegt. Angesichts der Tatsache, daß eine Mehrheit der Abrüstungskonferenz die gegen Deutschland gerichtete Vertagungsformel annehme, muhte die deutsche Dele­gation eigentlich die einzig mögliche Folgerung ziehen, nämlich zunächst einmal die Verhandlungen der Abrüstungskonferenz ohne jede weitere Teilnahme an sogenannten Technischen Kom­missionen abzubrechen. Wenn das Kabinett von Papen diesen Weg nicht noch in letzter Minute wähle, dann müsse es darüber sich im klaren sein, daß die bis jetzt von der deutschen Delegation in Genf eingeschlagene Taktik der Anschauung der nationalen Kreise Deutschlands nicht entspreche.

Nach Ansicht derVossischen Zeitung" habe es niemals einen Zweifel darüber geben können, daß Deutschland keine Ab­rüstungskonvention unterschreiben werde, die nicht der Grund­forderung der Gleichberechtigung Rechnung trage. Nach allem, was vorangegangen sei, werde man sich außerhalb Deutschlands nicht darüber täuschen dürfen, daß die Ankündigung, sich an den künftigen Verhandlungen nicht mehr zu beteiligen, keine leere Drohung sei.

DieGermania" fragt, wird die deutsche Reichsregierung, wenn in der Zwischenzeit nicht der unwahrscheinliche Fall einer diplomatischen Einigung über die Gleichberechtigungsfrage ein- tritt, unter gar keinen Umständen mehr nach Genf zurückkehren, oder will sie sich diese Möglichkeit weiterhin offen lassen? Sollte das Letztere der Fall sein, so würde uns das Verständnis für

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dieses Entgegenkommen fehlen. Wenn nicht ein grundsätzlicher Wandel der Auffassungen vor allem in Frankreich eintritt, so ist ein weiteres Verhandeln vollkommen sinn­los und Deutschland würde sich an einer Verschleppung und Verschleierung des Abrüstungsproblmes durch seine weitere Be­teiligung mitschuldig machen.

Nie Vorgänge in Mußen

Dr. Bracht im Run-funk

Berlin, 22. Juli. In seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter des Reichskommissars für Preußen hielt Dr. Bracht im Rund­funk eine Rede, aus der wir hervorheben:

Es lag nicht in der Absicht der Reichsregierung, mit der Amts­enthebung des Ministerpräsidenten und Innenministers den mi­litärischen Ausnahmezustand zu verbinden. Erst die Erklärung des Staatsministers Severing, sich der Verordnung des Reichs­präsidenten nicht fügen und nur der Gewalt weichen zu wollen, machte einen beschränkten Einsatz der Machtmittel des Reiches notwendig. Die Aufgabe, die wir der Reichskanvler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar gestellt hat, bat mit irgend wel­chen parteipolitischen Manövern nichts zu tun. Sie ist nur ganz einfach das Ziel, die Staatsautoritlä und die öffentliche Sicher­heit und Ordnung in Preußen auf überparteilicher Grundlage wiederherzustellen. Die staatsrechtliche Stellung Preußens .st durch die Maßnahmen unberührt geblieben. Ich möchte gegen­über der Verwirrung, die die politische Agitation in dieser Frage angerichtet hat, einmal ganz deutlich feststellen, daß es nicht angeht, die Selbständigkeit eines Landes unter dem Ge­sichtspunkt zu prüfen, wie weit die Landesregierung die Möglich­keit besitzt, die Reichsregierung parteipolitisch zu bekämpfen.

Wer den Staat zu verrieten hat, übernimmt stets die Pflicht gerecht zu sein. Die Entwicklung der politischen Verhältnis;» in Preußen bat diesen Grundsatz nicht mehr an allen Stellen klar zum Ausdruck kommen lassen. In den Teilen des Landes, m denen das Gefühl, gerecht regiert zu werden, bei überwiegenden Teilen des Volkes nicht mehr bestand, mußte schleunigst di» sraatsautorität durch die Entfernung von Persönlichkeiten, die sich objektiver Entschlüsse nicht immer fähig gezeigt haben, wie­derhergestellt werden. Die Staatsregierung wird sich auch in der Zukunft bei der Betreuung von Persönlichkeiten mit öffent» 'ichen Aemtern nicht nach der Parteizugehörigkeit, sondern ledig- rtch nach der fachlichen Eignung und Objektivität des Amis- trägers richten. Es genügt nicht, wenn die Staatsgewalt gegen Störungen erst eingesetzt wird, wenn sie erfolgt sind,' es genügt nicht, die kommunistischen Terrorgruppen zu bekämpfen, wenn sie Feuerüberfälle auf demonstrierende Massen eingeleitet haben, sondern derartige Versuche müssen, bevor sie zur praktische« Auswirkung kommen, unterdrückt werden. Ich werde deshalb meine Maßnahmen, die auf diesem Gebiete zu treffen sind, nicht auf Eingriffe beschränken, die erst wirksam werden, nachdem die Pistolen losgeschossen sind, sondern ich werde systematisch dafür sorgen, daß die Waffen aus der Bevölkerung verschwinden. Da» Vorgehen der Reichsregierung und der ihr erteilte Auftrag ha­ben nicht das geringste mit einer Absicht für Wahlbehinderung zu tun; im Gegenteil: es ist meine erste und wichtigste Aufgabe eine Terrorisierung des Wahlkampfes zu verhindern. Zu» Schluß möchte ich mit aller Offenheit meinem sehnlichen Wunsch» Ausdruck geben, daß es auch in Preußen gelingt, alsbald ge- ordnete parlamentarische Verhältnisse herzustellen und die kom- missarische Verwaltung des Landes zu ersetzen durch eme vom Landtag gewählte Regierung.

Die Neuordnung

An der vom Reichskanzler von Papen telegraphisch auf Sams­tag nach Stuttgart einberufenen Konferenz der Mi­nisterpräsidenten aller Länder werden von der Reichsregierung außer dem Reichskanzler der Reichsinnenmmi- ster Freiherr von Gayl und der Reichsarbeitsminister Schäf- fer teilnehmen, dieser deshalb, weil er Württemberger ist. Der Reichskanzler will den Ländern über die Gründe seines Vor­gehens gegen Preußen Erklärungen abgeben. Daß er die Mi­nisterpräsidenten nicht wie sonst üblich nach Berlin berufen hat. soll eineliebenswürdige Geste" gegenüber den Ländern bedeu­ten. Die Ministerkonserenz soll am Samstag noch Zu Ende ge­führt werden, weil der Kanzler und die beiden Reichsminister am Sonntag wieder in Berlin sein wollen.

Das Reichskabinett betrachtet mit der Absetzung einer Anzahl politischer Beamter in Preußen zunächst die Maßnahmen für das Eingreifen in Preußen illr beendet. Die abgesetzten Staatssekretäre, Oberpräsiüentcn. Regierungs­präsidenten und Polizeileiter gehören sämtlich der bisherigen Weimarer Koalition an. Von den abgesetzten Staatssekretäre» gehören zwei der Sozialdemokratischen Partei an, einer Dr. Abegg, den Demokraten. Von den vier abgesetzten Obcrpräfi- denten sind drei Sozialdemokraten, einer, der Magdeburger Obervräsident Falck Demokrat. Im Amt geblieben ist der demo-