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j Altensteig, Donnerstag den 21. April 1332
56 . Jahrgang
Sie Genfer Woche
Das ferne Ziel — Die Revolte der kleinen Mächte Die „großen Fünf"
Aus Genf wird uns geschrieben:
Ein Schritt vorwärts? Die angenommene Einschließung über die Abrüstung in Etappen wird in den Wandelgängen der Konferenz vielfach als ein großer Erfolg bezeichnet. Diejenigen, die der Konferenz von Anfang an mit hundertprozentiger Skepsis gegerrübsr- standen, bewahren ihre Zurückhaltung.
Die Beschießung des Redaktions-Komitees des Haupi- ausschusses sieht vor, „daß die Herabsetzung der Rüstungen, so wie sie im Artikel 8 vorgesehen ist, fortschreitend durch Revisionen erfolgen wird, die in angemessenen Zeitabständen aufeinander folgen sollen, nachdem die gegenwärtige Konferenz den ersten entscheidenden Schritt der allgemeinen Herabsetzung auf den möglichst niedrigen Stand vollbracht haben wird". Daraus geht hsrvor, daßdieAbrüstungbisaufweiteres einfernesZielbleibt. Vorderhand ist im besten Falle mit einer Rüstungseinschränkung zu rechnen, die in keinem Verhältnis zu der deutschen Abrüstung steht. Die einstimmige Annahme der Entschließung besagt noch nicht, daß man sich über den „möglichen niedrigen" Stand der allgemeinen Rüstungsherabsetzung einigen wird. Es muß vielmehr damit gerechnet werden, daß die verkappten Rüstungsfreunde, deren Zahl in Genf nicht gering ist, alles daran setzen werden, um die Dehnbarkeit der gefundenen Formel bis zum äußersten auszunutzen.
In dieser Hinsicht ist die Berufung auf den Artikel 8 der Völkerbundssatzung besonders bezeichnend. Der erste Absatz dieses Artikels lautet:
„Die Mitglieder des Bundes erkennen an, daß die Aufrechterhaltung des Friedens es nötig macht, die nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß herabzusetzen, das mit >rr nationalen Sicherheit und mit der Durchführung der d„:ch ein gemeinsames Handeln auferlegten internationalen Verpflichtungen vereinbar ist."
Dieser berüchtigte Absatz wurde von den Rüstungsstaaten, vor allen Dingen von Frankreich, wiederholt dazu benutzt, um zu „beweisen", daß man an die Grenze der zulässigen Abrüstung bereits gegangen sei. Die Berufung auf die nationale Sicherheit und auf die internationalen Verpflichtungen (Versailles!) bildet seit jeher die Grundlage für die französische Sicherheitsthese, die praktisch ja die allgemeine Abrüstung unmöglich macht.
Der übrige Inhalt des Artikels 8, der einen Modus der Abrüstung vorsieht, ist heute veraltet, da man inzwischen einen anderen Weg zur Abrüstung beschritten hat. Das einzige, was dabei noch Geltung behält, ist wiederum die Betonung des Sicherheitsgedankens, so etwa im zweiten Absatz:
„Der Rat bereitet unter Berücksichtigung der geographischen Lage und der besonderen Umstände jedes Staates die Pläne für diese Abrüstung zum Zweck einer Prüfung und Entscheidung durch die verschiedenen Regierungen vor."
Die Abrüstungskonferenz befindet sich erst am Anfang Ihrer Tätigkeit. Um die Klippen des Artikels 8 werden noch erbitterte Kämpfe stattfinden. Dies ist jedoch die Sache der fernen Zukunft. Vorerst steht die Frage auf der Tagesordnung, was man unter — Abrüstung überhaupt versteht! Es ist höchste Zeit, daß man sich einmal darüber einigt.
In dem Ausschuß der außerordentlichen Völkerbundsversammlung, der über den fernöstlichen Konflikt wachen soll, gab es neuerdings eine denkwürdige Sensation. Die kleinen Mächte haben vor der Ausschuß- fitzung eine Beratung abgehalten, um die Maßnahmen zu erwägen, die nun endlich ergriffen werden sollen, um den Krieg im Fernen Osten zu beenden. Man bezeichnst die Tat der kleinen Mächte als den ersten wirksamen Schritt im chinesisch-japanischen Konflikt. Die Aktion der kleinen Mächte ist beschämend für die größeren Staaten, die durch falsche Rücksichten auf Japan völlig aktionsunfähig geworden sind. Es bleibt nur zu hoffen, daß die kleinen Mächte auf dem nun einmal be- schrittenen Wege verharren und das nachholen, was die großen Staaten in sündhafter Weise unterlassen haben. Es ist höchste Zeit, daß die kleinen Mächte nun endlich aufhören, Trabanten der Großmächte zu sein, und sich darauf besinnen, daß sie vollwertige Mitglieder des Völkerbundes find. Beim Eintritt Deutschlands in den Völkerbund wurde im Kreise der kleinen Mächte die
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Um Abschaffung -er schweren AngrWwassen
! Genf, 20. April. Der Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz ! hat die Entschließung über die Abrüstungsmaßnahmen in der gestern beschlossenen Form angenommen. Gegen die Entschließung stimmte Rußland.
Der Ausschuß wandte sich dann der Frage der qualitativen Abrüstung zu. Henderson wies daruf hin, daß die angenommene Entschließung rasche praktische Arbeit zur Pflicht mache s und demgemäß die Amerikanischen, italienischen und französischen
- Vorschläge über Lis. Abschaffung bestimmter Waffen bezw. ihre ! Uebertragung. ausMin internationales Organ gemeinsam erörtert werdet,folleU.
Der enMstKhÄWenminister Sir John Simon eröfsnete die AssWHMWNwei Entschließungsentwiirse zugrunde lagen, eia englMA'WHch für den Grundsatz der qualitati- ! veNiELr,uAüM ausspricht und ein jugoslawischer, der we- ! sentjich^äüsführlicher gehalten ist und entsprechend der bekann- ! > teM,HchLungnahme der französischen Gruppe das Verbot ge- j,,''chDHer,Waffen nur im Zusammenhang mit ihrer (ZÄster Nation alisieung zulassen will. Der englische s Enkschließnngsentwurf hat folgenden Wortlaut:
Unbeschadet anderer Vorschläge, die im weiteren Verlauf der Tagesordnung zur Erörterung gelangen werden, erklärt sich die Konferenz mit dem Grundsatz der qualitativen Abrüstung einverstanden, d. h. dem Herausgreifen gewisser Waffenarten oder Typen, deren Besitz oder Verwendung jedem Staat durch ein
- internationales Abkommen verboten werden soll."
! Sir John Simon wies darauf hin, daß mit dieser Ent- ! schließung der von einigen Staaten aufgeworfenen Frage der
> Jnternationalisierung gewisser Waffen in keiner Weise vor- ! gegriffen werden solle. Der Entwurf der jugoslawischen Dele- ^ gation wolle vier oder fünf verschiedene Punkte gleichzeitig er- ! ledigen. Das wäre ungefähr so, als wenn alle Genfer Automobile auf einmal durch das gleiche Portal fahren wollten.
Unter größter Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung ergriff nach Sir John Simon der deutsche Vertreter, Botschafter Radolny, das Wort. In einer Rede, deren Wirkung sich zum i Schluß in außerordentlich starken Beifall bei einem großen Teil s der Delegierten äußerte, setzte sich Botschafter Radolny für die
> Abschaffung der schweren Angriffswassen ein, wobei er insbeson- i dere ausführlich die Deutschland durch den Versailler Vertrag i auferlegte einseitige Abschaffung dieser Waffen heranzog und au
> diesem Beispiel den Nachweis führte, daß die Forderung nach l Abschaffung dieser Waffenkategorien praktisch durchführbar ist. z Der deutsche Vertreter behielt sich seine endgültige Stellungnahme zu den französischen Vorschlägen vor, die darauf ausgehen, Liese schweren Angriffswaffen zu internationalisieren und dem Völkerbund zur Verfügung zu stellen. Er ließ aber keinen Zweifel. daß schon eine vorläufige Prüfung der französischen Vorschläge ergeben habe, daß ihre Durchführung zu einer wirklichen Abänderung nicht beitragen würde. Radolny schloß seine Ausführungen mit einem Appell an die Konferenz, indem er nach- drücklichst betonte, daß die Entscheidung über diesen ersten Schritt, den die Konferenz auf dem Gebiete der Abrüstung zu tun habe, vom deutschen Volk als ein Prüfstein dafür empfunden werde, ob die Konferenz tatsächlich den Willen habe, za wirkliche» uud entscheidenden Abrüstungsmaßnahmen zu gelangen.
! Nach dem deutschen Vertreter ergriff der jugoslawische Dele- ! gierte Schunenkowitsch das Wort, um den jugoslawischen An- ! trag zu begründen.
Hoffnung ausgesprochen, daß das Deutsche Reich sich ihnen angliedern werde. Diese Hoffnungen wurden leider getäuscht. Auch in der Sache des japanisch-chinesischen Konfliktes hat die deutsche Diplomatie es nicht auf sich s genommen, bei aller Freundschaft zu Japan eine völlig s eindeutige Stellung zu dem japanischen lleberfall auf China zu nehmen. Vielleicht wird die Initiative der > kleinen Mächte jetzt, in letzter Minute, auch auf die Großmächte eine heilsame Wirkung ausüben und die begangenen Unterlassungsfehler korrigieren.
Amerika gegen eine aene Stundung
Washington, 19. April. Die Ankündigung des britischen Schatzkanzlers im Unterhaus, daß keine Zahlungen au Amerika im neuen Haushalt eingestellt seien, hat im Senat Ueber- caschung und Unwillen erregt Senator Reed sagte, er i bezweifle, daß England seine Verpflichtungen an Amerika nicht ehrlicv zu reaeln bereit sei: für Amerika jedenfalls komme eine
Der italienische Außenminister Grandi erklärte seine volle Z»- stimmung zu dem englischen Vorschlag und begrüßte ihn gerade als eine allgemein einheitlich auswirkende Maßnahme, durch die auch dre quantitative Abrüstung erleichtert würde.
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Die Besprechungen -es Kanzlers
Genf, 20. April. Die Besprechungen des Reichskanzlers mit dem englischen und italienischen Außenminister haben zu einem wertvollen Gedankenaustausch über die Lausanner Konferenz und die Reparationspolitik geführt. In der Abrüstungsfrage hat sich ergeben, daß keine große Neigung besteht, vor den französischen Wahlen in das entscheidende Stadium der Abrüstungsfragen vorzustoßen. Die Donaraumfrage wurde weiter geklärt. Am Donnerstag wird der Kanzler einer Sitzung des Hauptausschusses der Abrüstungskonferenz anwohnen. Mit Macdonald, der am Donnerstag hier eintrifft, finden gleichfalls Besprechungen statt.
Französische Kritik
an der ersten Abriistuugsentschließiing
Paris, 20. April. Die Annahme der ersten grundlegende« Entschließung über die etappenweise Abrüstung durch die französische Delegation wird vom „Echo de Paris" tritisiert. Es sei zu befürchten, so schreibt das Blatt, daß damit ein Fehler begangen worden sei. Die Klausel „erste entscheidende Etappe der allgemeinen, möglichst weitgehenden Herabsetzung", die von Deutschland in den Entschließungsentwurf eingeführt wurde, werde durch Berufung auf Artikel 8 des Völkerbundsstaruts nicht ausreichend ausgeglichen, um so mehr, als dieser Artikel selbst nicht klar definiere, was unter nationaler Sicherheit un- unter gemeinsamer Aktion zu verstehen sei. Die erste Entschließung auf der Abrüstungskonferenz stelle also keinen Sieg der französische» Auffassung dar, und man müsse fragen, warum Paul Voncour es zugelassen habe, daß die Aussprache in dieser Weise in die Irre ging. Der neue Versuch der französischen Delegation, durch einen zweiten Entschließungsentwurf, der wiÄ>er auf Artikel 8 Bezug nehme, diese Scharte auszuwetzen, könne nicht, selbst wenn er gelinge, als Sieg ausgelegt werden, da dieser Entwurf nicht mit dem ersten französischen Vorschlag gleichwertig sei.
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Lar-Ieu reist mit Mm-onal- nach Genf
Paris, 20. April. Nach einer Unterredung mit Macdonald erklärte Ministerpräsident Tardieu: „Macdonald hat während seines kurzen Pariser Aufenthaltes eine freundschaftliche Aussprache mit mir gewünscht, worüber tch mich freue. Wir haben über die beide Länder interessierenden Fragen und besonders die gegenwärtig auf der Genfer Konferenz erörterten gesprochen. Ich habe beschlossen, heute abend gleichzeitig mit ihm nach Genf abzureisen. Wir werden im Zuge unsere Aussprache fortsetzen und auch noch im Laufe des morgigen Tages.
neue Stundung Nicht in Frage. Senator Borah erklärte, die Hoooer-Stuudung sei nicht im Interesse Englands, sonder« Deutschlands erklärt worden, und Amerika sehe keine Veranlassung, den ehemaligen Verbündeten entgegeuzukommen, schlänge sie nicht ihre Rüstungen herabfetzten, die Entschädigungs- frage lösten und den Versailler Vertrag änderten. Weitere Opfer zu Lasten des amerikanischen Steuerzahlers seien nutzlos, solange die gegenwärtige volitische Lage nicht geändert werde.
Washington, 29. April. Senator Borah, der Vorsitzende des Senatsausschnsses für auswärtige Angelegenheiten, erklärt z« dem Vorschlag des Bürgermeisters Smith, die Entschädigungsund Schuldzahlungen für zwanzig Jahre auszusetzen, Deutschland zahle für alle. Die Steuerzahler Englands. Frankreichs und Italiens zahlten nur für Rüstungen. Solange fiir Rüstungen Riesensunlme« ausgegebe« würde», könne eine Herabsetzung der Kriegsschulden »»möglich die Rückkehr z«r Wohlfahrt bringe». Amerika denke gar nicht a» eine Schuldenstreichuug, solange E»° ropa die Entschädignngsfrage nicht gelöst habe, di« den Schlüssel znr Lage Europas bilde. Auch Verhandlungen über weitere Anleihen seien vor der Lösung der Entschädignngsfrage ganz aussichtslos.