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84. Aahrgang
Rcm RMrordnung
Derordvung des Rächsprästdeulen z»r Bekämpfung politischer Ausschreitungen
Berlin, 28 März. Der Reichspräsident hat auf Grund des Artikels 48 eine Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen erlassen, die die Befugnisse der Behörden auf dem Gebiete des Perjammlungs rechts und hinsichtlich der politischen Druckschriften in einer Anzahl von Punkten erweitert. Im Paragraph 1 der Verordnung wird bestimmt, daß Sssenlliche politische Versammlungen sowie alle Ansammlungen «nd Aufzüge unter freiem Himmel spätestens 24 Stunden vorher der Ortspolizeibehörde angemeldet werden müssen. Sie können hpim Mni-sieaen beit'mmter Voraussetzungen verboten werden, vor allem dann, wenn zü befürchten ist, daß zum Ungehorsam gitM u-eietj vver rinoroaungen der Behörden ausgesordert oder angereizt wird, der Staat oder seine leitenden Beamten beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden oder eine Religionsgemeinschaft beschimpft wird. Statt des Verbotes kann «ne Genehmigung unter Auslagen erfolgen. Die gleichen Vorschriften gelten für poritische Umzüge aus Lastwagen. Unterlassung der Anmeldung oder öffentliche Aufreizung zu Gewalttaten wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Mir Gefängnis nicht unter sechs Monaten wird bestraft, wer eine Schußwaffe unbefugt führt und eine Gewalttätigkeit mit ihr begeht oder androht.
Wer eine Schuhwaffe unbefugt führt und eine Gewalt tätigte! t mit ihr gegen einen anderen begeht oder ihm androht, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe anerkannt werden.
Wer Plakate und Flugblätter politischen Inhalts der vessentlichkeit zugänglich macht, die nicht der zuständigen Behörde zur Kenntnisnahme vorgelegt worden sind, wird mit Gefängnis bis zn drei Monaten bestraft. Auch Druckschriften, ia denen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen ausgesordert wird, oder Organe usw. des Staates böswillig verächtlich gemacht werden, oder eine Neligionsgesellschast des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen usw. beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden, können polizeilich beschlagnahmt und eingezoge» werden. Handelt es sich um periodische Druckschristen, so können sie, wenn es Tageszeitungen find, bis aus die Dauer von acht Wochen, in anderen Fälle« bis aus die Dauer von sechs Monaten verboten werden. Für die gleiche Dauer können periodische Druckschriften verboten werden, als deren verantwortlicher Schriftleiter zuwider jemand bestellt oder benannt ist, der nicht oder nur mit besonderer Zustimmung oder Genehmigung strafrechtlich verfolgt werden kann.
Abschnitt 3 regelt die Zuständigkeit für die zu erlassenden polizeilichen Maßnahmen. In der Hauptsache sind die Ortspolizeibehörden dir aussührcnden Organe. Gegen die getroffenen Mahnahmen ist in einigen Fälle» die Anfechtung nach den Bestimmungen des Landesrechte, in allen übrigen Fällen die Beschwerde an einen vom Präsidium zu bestimmenden Senat des Reichsgerichts gegeben.
Berlin, 29. März. Zu der Notverordnung des Reichspräsidenten wird von der preuhischen Regierung daraus hingewiesen, daß es die Aufgabe einer gerechten polizeilichen Handhabung der Verordnung sein wird, jede kleinliche und den Sinn der Verordnung widersprechende Behandlung zu vermeiden.
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MesWmmen zur Notverordnung
Berlin, 29. März. Die den Regierungsparteien nahestehenden Zeitungen begrüßen die Maßnahmen der Regierung als ein Mittel zur Beruhigung der politischen Atmosphäre. Die Rechtspresse gibt ihrer Genugtuung über die Ankündigung der Regierung Ausdruck, daß besondere Maßnahmen gegen die Beschimpfungen der religiösen Einrichtungen und Religionsgemeinschaften geplant sind, äußert jedoch Bedenken über das politische Ausmaß der Verordnung, die unter Umständen jede oppositionelle politische Propaganda unterbinden könnte.
Der „Vorwärts" billigt die Absicht, von der die Verordnung ausgeht behält sich jedoch die Kritik im einzelnen vor. Das starke Hervortreten des Religionsschutzes lasse den Zentrums- einfluß deutlich erkennen. Die „Vossijche Zeitung" spricht von einem Akt der Notwehr, den man bedauern könne, zu dem die Regierung aber durch die Verrohung des politischen Lebens gezwungen worden sei. Die „Germania" bezeichnet die Verordnung als eine notwendige Tat, von der eine segensreiche Wirkung erhofft werde Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" ist der Ansicht, daß niemand gegen die Anwendung des Artikels 48 zur Wiederherstellung gesunder Verhältnisse Einspruch erheben werde. Allerdings enthalte die Verordnung ganz außerordentlich weitgehende Bestimmungen und „Küutschukparagraphen". Auch die „Vörsenzeitung" heißt die Tendenz gegen die Verrohung der politischen Sitten und die widerliche Religionshetze rückhaltlos gut. Aber auch diese Zeitung befürchtet, daß gewisse Bestimmungen der Verordnung von sozialdemokratischen Behörden ausgenutzt werden könnten, um die Betätigung ihrer politische» Gegner, auch wenn sie sich in gesitteten Formen halte, einzuschränken Aehnlich äußern sich „Deutsche Tageszeitung", „Kreuzzeitung" und die Scherl-Blätter. Der Schutz gegen die Hetze der Gottlosen-Verbände sei erfreulich, die Blätter sehen aber in der Notverordnung andererseits geradezu eine Verschärfung des Republikfchutzgesetzes. Die „Deutsche Zeitung" sieht in der Notverordnung das Höchstmaß an Eingriffen in die politische Freiheit, das praktisch dem Belagerungszustand gleichkomme.
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RMssvvoMn fordert ZinMMung der Rotvrrordmms
Don der Reichsregierung wird zur Begründung betont, daß der politische und auch kulturelle Radikalismus sich in der letzten Zeit in Formen bewege, die für das deutsche Volk nicht nur beschämend seien, sondern geradezu einen Einbruch in die Kultur bedeuteten. Dabei seien in gleicher Weise der Staat und seine Hoheitszeichen w>e auch die religiösen Gesellschaften und deren Einrichtungen in einer Weise angegriffen worden, die den Staat selbst berührten. Auch antisemitische Ausschreitungen zählten hierzu. Die Notverordnung wolle hier vorbeugend wirken. Der Reichstag habe sich allein dem Ziel gewidmet, den Etat parlamentarisch zu verabschieden, womit er eine Voraussetzung zur Stärkung des deutschen Kredits geschaffen habe. Aehnlich geordnete Verhältnisse mußten auch aus innerpolitischem Gebiet -«schassen werden. Die Regierung übe absolute bürgerliche Toleranz, sie wolle jedem die Möglichkeit geben, sich im Rahmen feiner UeLerzeugung und Weltanschauung zu bewegen. Es gehe «ei der Notverordnung also nicht um die Einschränkung der Gedankenfreiheit, sie bezwecke nur die Eindämmung der Auswüchse. Das Nebeneinanderleben der einzelnen Stände und Gruppen in Deutschland müsse sich in Formen vollziehen, die «er Kultur des Volkes entsprächen.
An die Innenminister der Länder hat Dr. Wirth ein Rund- «legramm gerichtet, in dem er auf den Erlaß der Notverordnung hmwejst und besonders darauf aufmerksam macht, daß aus Grund meier Verordnung die das christliche Empfinden schwer vcrletzen- o°n kommunistischen Anti-Ostcrkundgebungen, insbesondere Fahr- verhindert werden können. Auch an die Kirchcnorganisa- «onen wird sich der Reichsinnenminister in einem besonderen schreiben wenden, von denen die lebhaftesten Beschwerden über «le Auswüchse auf kulturellem Gebiete erhoben worden sind. An leer Stelle wird er die Bitte richten, auch ihrerseits alles zu einer Befriedung des öffentlichen Lebens zu tun. Er wird da- "achsuchen, in ihrer Polemik gegen Dissidenten eine Sprache 'lihren, die der schwierigen innerpolitischen Lage Deutfch- Apn dem Geiste der Notverordnung angemessen sei. Als Illtten dieses Schre-bens kommen der Deutsche Evangelische «5?°"llusschuß, die Vorsitzenden der Fuldaer und Freisinger „ l^Aokonferenz und die Arbeitsgemeinschaft der Jüdischen »ndesverbände des deutschen Volkes in Frage.
Berlin» 30. März. Die Vertreter der Rechtsopposition haben, nach einer Meldung des „Montag", auf einer Tagung in Nürnberg am Sonntag eine Entschließung gefaßt, in der nach einer überaus scharfen Kritik der Leistungen des Kabinetts Brüning und der Tätigkeit der im Reichstag verbliebenen Parteien die Forderung der Rechtsopposition auf Einberufung des Reichstages angekündigt wird. Die Rechtsopposition werde auch in den Ländern, die zur Aufrechterhaltung ihrer „von der Verordnung verletzten Souveränität" gebotenen Schritte tun. In der Entschließung wird weiter die Erwartung ausgesprochen, daß der Reichspräsident sich nicht länger „einseitig von den Parteien unterrichten laßt, sondern auch einmal die Vertreter der nationalen Opposition hört, hinter denen die Mehrheit seiner ehemaligen Wähler steht". Die Entschließung macht der Notverordnung den Vorwurf, daß sie nicht nur zur Abwehr der Eott- losenpropaganda bestimmt sei und fordert zum Schluß den Reichspräsidenten auf, bei der Reichsregierung die Aufhebung der Notverordnung durchzusetzen oder sich von seinen gegenwärtigen Beratern zu trennen.
Nriand zum Zollabkommen
Paris, 29. März. Im Senat wurde die Generaldebatte über das Budget des Ministeriums des Auswärtigen fortgesetzt. Der Vorsitzende des Senatsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten Viktor Verard, sprach über die deutsch-österreichischen Zoll- vcrhandlungen. Er erklärte, in der letzten Zeit habe es so ge- schienen, als ob alles dem Frieden zugewandt sei, bis die deutsch« Diplomatie einen unerwarteten Schlag geführt habe. Er sei davon überzeugt, daß die Vereinigung Oesterreichs und Deutschlands formell gegen den Friedensoertrag von Versailles verstoße. Die Unabhängigkeit eines Landes sei ebenso bedroht durch wirr- schaftliche Abmachungen wie durch politische Akte. Schließlich wies Senator Berard auch auf das Protokoll vom 4. Oktober 1922 und auf Artikel 88 des Vertrages von St. Germain hin. Oesterreich könne seine Freiheit in bezug auf die Zolltarife und die Handelsabmachungen nur aufrecht erhalten unter einem Regime, das nicht geeignet sei, seine Unabhängigkeit zu verletzen. Von den Mächten, denen gegenüber sich Oesterreich 1922 ver- pfichtet habe, nämlich Italien, England, die Tschechoslowakei.
und Frankreich, seien drei der Ansicht, daß Oesterreich seine Verpflichtungen verletzt habe. Eine rasche Zusammenarbeit sei' wünschenswert, und man müsse versuchen, eine solche zu erreichend
Senator Lamerq erklärte: Wenn das deutsch-österreichische Abkommen definitiv werden sollte, würde es eine Verletzung der Verträge von Versailles nud St. Germain und mehrerer anderer Vereinbarungen bedeuten. Das deutsch-österreichische Abkomme» hätte also vorher der Prüfung des Völkerbundes unterbreitet werden müssen Es laufe dem Geist und dem Buchstaben sämtlicher von Deutschland und Oesterreich abgeschlossener Verträge und Abkommen zuwider. Er verletze außerdem das Völkerbundsstatut.
Außenminister Vriand erklärte, die Beziehungen Frankreich» zu den Sowjets seien nicht besonders gut. Was Italien be» tresfe, sei eine sehr nützliche Entspannung für den europäischen Frieden zv verzeichnen. Wenn es jemand gibt, der ein peinliches Gefühl anläßlich des jüngsten diplomatischen Zwischenfalles hat empfinden können, so bin ich es wohl. Was man als einen Höslichkeitsmangel bezeichnet hat, hat besonders den französischen Außenminister treffen müssen. Die Tatsache, die sich ereignet hat, kann in keiner Weise das Prestige Frankreichs berühren Das soll aber nicht heißen, daß Frankreich demgegenüber unempfindlich bleiben kann. Vor einigen Jahren standen wir vor einem politischen Anschlußunternehmen nud nicht vo<e einem Zollprosekt. Das war eine ernste Gefahr und ich Hab« davon auf der Tribüne in Genf gesprochen und zwar in Anwesenheit des Reichskanzlers. Damals habe ich erklärt: Wenn Sie soweit gehen, bedeutet das den Krieg. Man hat mich beruhigt. Die Propaganda hat nachgelassen und es ist eine Entspannung eingetreten. Am ernstesten in dieser Angelegenheit ist die Art, in der dabei vorgegangen wurde. Sie ist nicht richtig, sie ist beunruhigend. Sie widerspricht dem, was ab- gemacht wurde, und sie widerspricht de« Bedingungen für eine europäische Zusammenarbeit. Wie haben Oesterreich erklärt, es habe nicht das Recht, eine Handlung vorzunehmen, die in formellem Widerspruch zu de» Verträgen und zu dem Abkomme» von 1922 steht.
Vriand erklärte weiter: Wir haben von anderen Ländern die gleichen Schritte gefordert. Sie sind ausgeführt worden. Man erklärt von England, seine Haltung sei nicht klar und energisch genug gewesen. Es hat uns gesagt: Weiter als man bis jetzt gegangen sei, könne man nicht gehen. Erst müsse der Völkerbundsrat gefragt werden. Gewiß wird das, was jetzt geschehen ist, einen Stillstand ln unsere» Beziehungen zu Deutschland bringe». Mit Oesterreich haben wir Handelsverträge abgeschlossen, die Rücksicht genommen haben auf seine wirtschaftliche Lage. Wenn diese sich verändert, muß die Frage neu aufs Tapet gebracht werden. Schon haben sich die Zollausschüsse von Kammer und Senat mit vollem Recht mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Deutscherseits habe ich, das ist wahr, schon Enttäuschungen erlebt. Wenn ich auf meinem Posten bleibe, werde ich trotzdem die Aktion fortsetzen, die ich mit dem Willen unternommen habe, bis zum Ende zu gehen, d. h. zu erreichen, daß die beiden in Frage kommenden Länder nicht bei ihrer Absicht bleiben, feierliche Verpflichtungen zu verleugnen. Die Rede Briands hat bei der übergroßen Mehrheit der Senatoren Beifall gefunden.
Englische Kritik an der Entschließung des französischen Kammerausschusses
London, 28. März. Der Pariser Korrespondent der „Times" kritisiert die Entschließung der französischen Kammeraucschusses für Handelsfragen zu den deutsch-österreichischen Wirtschaftsver- einbarungen in bemerkenswert ablehnender Weise Er schreibt, diese Resolution würde wahrscheinlich nicht mehr erreichen, als Vriand in Verlegenheit zu bringen, da darin die Behauptung wiederholt werde, daß das Abkommen gegen diese Verträge verstoße, eine Behauptung, die nirgends außerhalb der Grenzen Frankreichs vielleicht mit der Ausnahme von Prag vorbebaltlose Unterstützung gefunden habe. Dadurch, daß die Entschließung den Dispur auf das wirtschaftlich« Feld verschiebe, versorge sie dir Extremen mit neuen Waffen gegen das Abkommen, und der zum Schluß gemachte Vorschlag auf Bildung eines allgemeinen Wirt« schastsbiindnisses unter Ausschluß von Deutschland und Oesterreich könnte vielleicht einigen Schaden anrichten, selbst wenn man damit nicht sehr weit komme
Weitere Reichsratsbeschlüsse
Der Reichsrat nabm ferner die Verordnung über den Zusammenschluß der Zuckerindustrie an. Er hält an dem Wortlaut der Begründung für die in der vorigen Sitzung beschlossenen Ei», spriiche gegen die vom Reichstag angenommene Novelle zum Brrngejev uns gegen sie Wiedereinführung des rollireien De- srierfleischkontingentes fest. Aus dem Verordnungseinwurf zur Ausführung des Weingesetzes wurde einstweilig nur die Bestimmung über die Dessertweine in Kraft gesetzt. Eine neue Fassung der Biersteoer und ueue Ausführungsbestiwmunge« zu diesem Gesetz genehmigte der Reichsrat. Dabei wurde beschlossen, daß Hausbrauereien, die Bier verkaufen, ihre gesamten Biermengen normal versteuern müssen, also des Steuerprivilegs verlustig gehen. Auf Wunsch der Branntweinmonvolverwaltung erhöhte der Reichsrat das Brennrccht der landwirtschaftlichen Kartoffelbreu- uereieu von 69 auf 70 Prozent. Zustimmung fand schließlich auch eine Verordnung über die Ermäßigung der Kraftsadrreugsteue« für gröbere Personenwagen, die bereits über 5 Jahre alt sind.!