Tageszeitung

An

Altensteig. Donnerstag den 18. D ;ember »L130

53. Jahrgang

Schauerliches aus der Äumsa-Sammlung eines großen Verlags - Das Konsektioaslexikon - W««o Mark für reu

bedeuteatsten DWer der Gegenwart - Ein Selbstmord am Weihnachtsabend.

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diese Postkarte ging vor einiger Zeit im Verlag F. A. Brockhaus, , ' Leipzig, ein. Mitnichten Hub in den Räumen des Hauses sofort ein großes Kopfzerbrechen an, was mit den 711 Eiern geschehen solle. Die Mitglieder dieser Firma schüttelten nur zum 10 OVO. Male tief- bekümmert die Köpfe. Griffen nach einem Glas Wasser. Sahen den Tag mit stürmischen Schritten kommen, wo ihre Gesundheit solchen An­griffen nicht mehr gewachsen sein würde. Nur ein besonders Prominenter, sein Name sei schamhaft verschwiegen, äußerte verträumt:Vielleicht: aufheben und etwaigen bösen Kritikern an den Kopf werfen!" Er lächelte dabei innig, denn diese phantastische Vorstellung erschien ihm sehr schön.

Aber der bittere Alltag verjagte allzuschnell die holden Bilder. Jemand forderte HerrnBrockhaus in leipzick Berlin Wien" streng auf, ihm unverzüglichPreis Kurat von Tauben" zu senden. Ein biederer Bemme ersucht dieEhrliche Buchhandlung während gnädige Versendung des Buch-Verzeichnis, welcher Ihre Verlag ausgegangen", während ein grimmiger Lothringer denNeuapostolischen Verlag" um dasNeuapostolische Gesangbuch, aber mit Noten" bittet. Eines Tages schreibt ein stolzer Magyar den ver­ängstigten Inhabern, daß erBesitzer Ihrer werten Firma" sei. Eine bei­nahe ebenso er­schreckende Vision beschwört der Be­richt über eine Stenographen-Ta- gung herauf, der in einer Zeitung veröffentlicht wur­de. Beim Festessen trägt ein Drama­turg folgende entrüsteten Verse vor, die ihm angeblich als Antwort auf seine Bitte um eine Festadresse von der Firma Brockhaus zugegangen seien

Oie §teno§!-apden roll iob /ereen?

O/s züesen üerart micä anä OaA /eite/' Oeutnäe rrÜFt ou/re/rüe.

Im l'o/'temo/l/ia/s Ä/e vielen LL/rcke.

All die entsetzlichen Dinge, die hier noch geschildert werden müssen', entspringen keineswegs der Schauerphantasie des Berichterstatters. Er ist kein Edgar Allan Poe. Vielmehr haben sich diese Vorkommnisse wirklich und wahrhaftig ereignet. Ein bekannter Verleger zu sein, ist ein Fluch und der schwerste Beruf, den es gibt. Der Name Brockhaus genießt im Volke aber anscheinend eine besondere Beliebtheit, die in den sonderbarsten Variationen zum Ausdruck gebracht wird. Diesen Eindruck hat der gewissenhafte Chronist der oben schon erzählten und noch folgenden gruseligen Begebenheiten, die denMord in der rue de la Morgue" in tiessten Schatten stellen, gewinnen können, weil ihm der Verlag freund­licherweise Einblick in seine merkwürdige Sammlung von Kuriosa gewährt hat.

In den Augen des Mannes, der den Verlag alsLexikonfabrik" titulierte, lebt sicher die Vorstellung von einer Mammut-Maschine, einer Art 8. Weltwunder, in die oben leere Papierrollen gesteckt werden, um unten als fertige Lexika herauszukommen. Ein sehr einsaches und

-bittet um Muster von Kurz-, Woll- und Galanteriewaren

Anfrageschnellem s es möglich wäre" heischt. Einen findigen Kopf besitzt auch der N freund, dem der reizende Gedanke zugeflogen war, sich von dem Bk s-Verlag ein Eigen-Blockhaus erbauen zu lassen, natürlich kostenlo- Jedem Deutschen ein Blockhaus vom Blockhaus- Verlag! Der> verkehr der Eisenbahn hätte dann für die nächsten Jahrhunderte ausg rgt und der Verlag auch. An dem Irrtum des Bittstellers ist wohl oieses prämiierte Berschen schuld:

k^re ein Oic/rter okns Feäe?-,

^ie ein okns Ileüie?-, k^r'e ein okne LkockkauL,

ein Deutsche/' okne

Auf einen kleinen Stück Papier Hab ich das Werk gesehen von der Tätigkeit des Klebmittels Syndetikon. Wem es tatsächlich so ist, so sei es unentbehrlich so möchte ich sofort einen Versuch machen also schreiben sie mir näheres mit genauer Gebrauchsanweisung daß nicht mißlingen erfolgt.

Vielleicht haben sie mehriges ähnliches zum Beispiel schöne Lackier­mittel für glastische Mamorn und Feuerdichtungen.

Schreiben sie mir ich warte mit großer Sehnsucht."

Nachdem der arme Verleger der Menschheit ganzer Jammer packt mich an auch diesen Briefschreiber wegen seiner Abwesenheit nicht mit Keulenschlägen hat bestrasen können, kommt ein Herr ins Haus, der einen Witz erzählt. Kein Gerechter könnte es ihm verargen, wenn er jetzt den vorhin erwähnten 711 faulen Eiern zu duftender Tätig­keit verhelfen würde. Der Witz lautet nämlich:

Güldenkraut:Mandelblüth, ich sag' der ä Rätsel: 's is vorn der Cohn,

's is hinten der Cohn und 's is doch mch der Cohn."

Mandelblüth:Was redste was sagste was werd's sein? ich waiß es nischt."

Güldenkraut:Gott wie einfach

's is der.Brockhaus'."

Mandelblüth:Wieso denn, das ver­steh' ich nich."

Güldenkraut:Stell dich nich so dumm, der gibt doch das Kon­versationslexikon heraus."

Die faulen Eier erscheinen dem empörten Zuhörer doch als eine zu geringe Strafe. Wutentbrannt ergreift er ein Buch, das auf dem Tisch steht und schlägt mit ihm es ist der 7. Band des neuenGroßen Brockhaus" nach dem Kopf des höhnischen Gegenübers. Bei der Gerichtsverhandlung entwickelt sich folgendes Verhör:

O.r.

Das Blockhaus-Lexikon-

empfehlenswertes Verfahren. Erfinder an die Front! Die lobenswert gründliche AnschriftGe- ueral-Haupt-Verlags-Buchhandlung in Leipzig" mein Mitleid den Postbeamten, die herausklamüsern mußten, wer hier gemeint war hat sich wahrscheinlich ein braver Bürokrat geleistet. Sogar noch eine Sprosse höher aus der Leiter der Brockhaus-Komik steht in goldenen, unvergänglichen Lettern das prächtige WortKonfektions- Lexikon". Ein biederer Handelsmann aus Oberbayern bittet um Muster vonKurz-, Woll- und Galanteriewaren". Ebenso wie diesen Großkauf­mann mußte diewohlgeachtete Vorstehung des Hauses" den bedeutendsten Dichter der Gegenwart leider ablehnend bescheiden, der ein von ihmneu verfaßtes Volkslied" zum Verlag anbot. Es solltelOstrophig und je 4versig und zur Komposition wie geschaffen" sein.Ich zweifle nicht, daß dieses Gedicht, nachdem es in Musik gesetzt ist, alle Gaue Deutsch­lands durchtönen wird, und kann ich Ihnen eine immense Einnahme

schon vorher prophezeien." Wenn man dies bedenkt, ist der geforderte Preis von nur 80000. Mark allerdings lächerlich gering zu nennen. Daß der Verleger dieses Gedicht nicht per Drahtantwort, wie vom Ein­sender gewünscht, angenommen hat, gehört in die Reihe schwerster ver­legerischer Fehlschläge. Die Fixigkeitdieses Herrn freilich erhebt keinen Anspruch auf besondere Originalität. Über ein bedeutend imponierenderes, ja einzigartiges Tempo verfügt jener bedauerlicherweise unbekannte geniale Sprößling des Volkes, der in kategorischer Umbiegung uralter, aber anscheinend überlebter Zeitvorstellnngen eine Antwort auf eine

.,Jch muß doch mal geboren sein."

Richter (streng):Was war das für ein Buch, mit dem Sie nach dem Kopf Ihres Besuchers schlugen?"

Kläger (tieftraurig):Der 7. Band des Großen Brockhaus."

Richter (milder, verzeihend):Da können wir nichts machen, das ist ja in der Tat ein Nachschlagewerk."

O weh, heiliges Kalau! Froh und doch entsetzt flüchtet der glücklich Freigesprochene aus dem Reichsgerichtsgebäude. Als er an der Uni­versität haltmacht, um einen Augenblick zu verschnaufen, vernimmt er ein Gespräch zwischen einem würdigen Professor und einem Studenten, dem man den Neuling ansieht.Wissen Sie, wie dieses Haus heißt?" Der Studiker schüttelt beschämt das jugendliche Haupt. Professor (streng):Denken Sie doch mal nach, auch Sie werden einmal alles darin finden, was Sie wissen muffen." Da läuft ein Blitzstrahl des Verständnisses über das Gesicht des Sohnes der nlma mater:Aha, das ist das Brockhaus!"

Von mitleidslosen Erynnien gejagt, sucht unser Unglücksrabe ein kleines Restaurant auf, wo er bei einem Glas Bier Ruhe und Erholung erhofft. Außer ihm befindet sich nur ein Mann im Lokal, der über ein Buch gebeugt an einem der Tische eifrig liest. Wohlig geborgen, streckt sich der Flüchtling auf ein Sofa, als dem Gehege der Zähne des einzelnen Herrn ein klassisch reiner, klangvoller Vers entströmt:

lor'e rrt e; gar r/nck restö/!,

Hat MM ei/ie/r OLrilö/i."

Es handelt sich um einen sehr berühmten zeitgenössischen Dichter, der Lekennerisch noch hinzufügt:Ja, seien wir offen wa§ wären viele Leute ohne Brockhaus." Endlich langt der beinahe Zusammengebrochene im trauten Berlagsheim an, wo ihm nichts mehr pas­sieren kann meint er. Einigermaßen be­ruhigt greift er nach einem illustrierten Blatt, der geistigen Erfrischung halber.

Der erste Witz, aus den sein Auge trifft, kühlt wieder einmal an dem berühmten zerstreuten Profes­sor" sein Mütchen.

O wie schön, denkt unser Mer Dulder und freut sich:

Die Flügel des Adlers rauschen um Prometheus, der Schnabel des Untiers bohrt sich tief in seine Eingeweide, das Bewußtsein beginnt ihm zu schwinden als das Telephon klingelt und ihn nochmals zum Leben ruft. Eine Stimme schnarrt:Hier Schulze, Reserveoffizier a. D. Sagen Sie mal, Baehrtester. mir fällt da eben eine fabelhafte Kriegserinnerung ein. Habe ich janz ver- gessenjehabt. Vielleicht können Sie davon Je­brauch machen. Also hören Sie mal zu:

Mein Reftment auf dem Marsch. Der , volljepackte ,Affe' drückt den Buckel. Ein kleiner dicker Musketier stöhnt besonders unter der Last."Was ha- ben's da drin", horche ich ihn aus,zuviel Wäsch' eingepackt?"

Nein, nurdas eine Hemd habe ich, das ich am Leibe trage."

Dann haben's zuviel Freßzeug drin Gläser Konserven

Auch nicht, alles über Bord Morsen!"

,)Herr du mei was tragen's denn im Rucksack?"

Mein Brockhaus-Lexikon!"

Todesahnungen umschatten bereits den unmenschlich Gepeinigten, als er mit einem Fluch, der jede alte Kompagniemutter zum Erbleichen ge- bracht hätte, den Hörer auf die Gabel wirst. Da wird eine Dame ge- meldet, die einenmaßgeblichen Herrn" zu sprechen wünschte Von seiner Pflicht als Kavalier getrieben, richtet sich der geräderte Geist im ge- schwächten Corpus desmaßgeblichen Herrn" unter schrecklichen Qualen nochmals mühsam auf. Verbindlichst lächelnd betreten beide das Empfangs­zimmer. Die elegant gekleidete gnädige Frau will ihrem Ehemann was recht Wertvolles zu Weihnachten schenken, und gebrauchen soll er's auch nicht können, denn was man gebrauchen kann, gilt in besseren Kreisen mit Recht als nicht standesgemäß. Da hat sie sich gedacht, schenkst ihm ein Brockhaus-Lexikon". Das sieht er doch nicht an, das stellt er doch nur in den Bücherschrank zum Angucken für die Gäste.Es ist sehr mühsam, ein solches Werk zusammenzustellen", nimmt derMaßgebliche" das Wort, um der gnädigen Frau ein klein wenig Hochachtung vor dem Riesenwerk einzuflößeu.Das meine ich auch", antwortet die gnädige Frau,manche Menschen wissen eben nicht, womit sie den Tag ver­nünftig tvtschlagen sollen und kommen dann auf solche Gedanken."

Siel Sie müßte man tvt­schlagen", brüllt der Gastgeber auf, will er ausbrüllen. Aber Knigges Umgang mit Damen gebietet ihm zur rechten Zeit Halt. So erstirbt das Ausbäumen einer gemarterten Menschenkreatur zu einem unver­ständlichen Murmeln, das die Dame als Zeichen der Verehrung auffaßt und huldvoll entgegen­nimmt. Dann rauscht sie hinaus.

Der Zurückbleibcnde sieht deutlich, wie eine zarte Frauenhand mit frivoler Gebärde eine in der Lust hängende Tafel wegwischt, auf der < das WortLebensberechtigung" steht. Alles sinkt vor ihm rn Trümmer.

Am Heiligen Abend richtet er den Revolver auf sich. Weithin hallt der Schuß ins Land...

Zu spät kamen zwei Briefe von Herbert Eulenberg und Börries von Münchhausen, die vieles wieder gut gemacht hätten. Der berühmte Balladen"-Dichter schrieb:Ich bin hingerissen von dieser neuen Aus­gabe IhresGroßen Brockhaus". Ich kann mir schlechterdings kein Werk der Wissenschaft verstellen, das nur auch im entferntesten einen so ungeheuerlichen Schatz an tatsächlichen Kenntnissen vermittelt wie dieses hier!" In dem Schreiben desBelinde"-Dichters standen die Worte: Es ist etwas Schönes, daß wir diesen neuen Brockhaus, eine große deutsche Geistestat, miterleben. Und ich möchte nicht eher diese Erde ver­lassen müssen, bis der zwanzigste Band ebenso gediegen, so farbig und unterhaltend wie der erste Band und die anderen Vorgänger vor uns liegen." Am gleichen Tage erschien in «Os Vis Inttärsirs » eine meister­hafte Kritik aus der Feder von Anatole France, in der es hieß: «Os Lonversatious-OexiLon äs Lrooübaus notauuneut est uu sxcsllsut repertoirs äss conusissances buwaiuss. Os Vrauos u'avait rieu gui axproebät äu Lroeübaus.» Aber diese Stimmen erreichten den Verleger nicht mehr. Man liest sie jetzt auf seinem Grabe. Schöne Geranien um­ranken sie spielerisch...

Siel Eie müßte man..

Gipfel der Zerstreutheit!

Ich muß doch mal imGroßen Brockhaus" Nachsehen, wann ich eigentlich geboren bin."

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funtelte und glitzerte der Weihnaißtsrmi«.

Da wachte derMaßgebliche" auf. Eine von seinem Schoß geglitt, und unter Getöse auf den Fußboden gefallene Mappe derSchuß! - mit der AufschriftKuriosa" lag neben ihm. Neben ihm funkelte und glitzerte der Weihnachtsbaum. Ein friedliches Lächeln legte sich auf seine Züge. Gottlob seine Traumphantasie hatte um die in der Kuriositäten« Sammlung enthaltenen Aufzeichnungen nur ein schauerliches Garn ge­sponnen.

7Vrt/ Lernarck K. V-reckriobr. 2eloä/umK«r.' Iverren.

Sämtliche Bäade des Brockhaus-LexiLons sind durch die W. Rkker'sche Buchhandlung Altensteig zu beziehen.