der Schwarzwiilder

*

TageszeitungAirs den

Tannen"

f. Am Morgen des Heiligen Abends war es. Eine dichte, schimmernde Schneedecke hüllte die schlummernde Erde in ein reines, warmes Kleid. Vereinzelte Flocken wehten aus den grauen Wolken herab, und kündeten für die Christtage ein lustiges Schneetreiben.

In den beiden Betten des Kinderzimmers wurde es lebendig. Klein-Erich kletterte eilfertig aus seinem Bett- chen und zog mit gewaltiger Kraftanstrengung den schweren Rollbalken vor dem Fenster in die Höhe. Edith, das ältere, siebenjährige Schwesterlein, brachte es noch nicht zu der mächtigen Selbstüberwindung, aus dem weichen Nest zu krabbeln. Sie rutschte nur an das Fußende ihres Bettes und verfolgte von dort mit gespannter Aufmerksamkeit das Beginnen des Brüderleins.

Ich wußte, was ihre Neugier so sehr erregt. Erich hatte am Vorabend einige ausgeschnittene Bildchen und seine Spargroschen fein säuberlich in eine Schachtel gepackt, die er, nebst einem Brief an das Christkind, zwischen das Fen­ster gelegt hatte. Der Brief enthielt zwar nur Ringlein, Vierecke und ähnliche Runenzeichen, aber da Erich jeder von ihm entworfenen Figur zugeflüstert hatte, welches Wort sie darstellte, hoffte er, das Christkind werde mit einigem guten Willen die Geheimnisse entziffern können. Die bunten Bilder hatte er für die Englein mitgeschickt, die das Christkind nun auf seinen kalten, nächtlichen Fahrten begleiten mußten. Sie solltendoch auch etwas zum Spie­len haben". Und von den Groschen würde das Christkind schöne Sachen für arme Kinder einkaufen. Ich ließ es da­hingestellt, ob nur mildtätige Gutmütigkeit oder ein kleiner, harmloser Bestechungsversuch diesem Tun zu Grunde läge. Für alle Fälle hatte ich in der Nacht, als Morpheus sich wieder einmal als das beste Kindermädchen bewährt und meine Rangen zur Ruhe gebracht hatte, das Schächtelchen entfernt. Nun schallte ein Triumphgeschrei, das jedem Siouxindianer Ehre gemacht hätte, aus dem Kinderzimmer. Mutti, Mutti, das Christkind war da, das Schachterl ist weg! Nun bringt es wohl alle die schönen, bestellten Sachen?" Rasch wird heute das Ankleiden vollendet.Wie schön, daß es schneit", jubelt Edith,da kann das Christ­kind inmitten all der Flocken ungesehen zur Erde fliegen und uns viel Schönes mitbringen." Auch Erich starrt in das sanfte Flockenwehen.Wenn ich lange genug hinauf sehe, glaube ich, wir fliegen in die Höhe, gerade in den Himmel hinein zu dem lieben Christkind, da würde ich alles sehen, was es hergerichtet hat." Edith guckt nachdenklich vor sich hin:Weißt du, gar so viel wird es nicht sein. Es ist doch alles so teuer. Nun, vielleicht hat es noch von früher etwas aufgehoben. Platz dafür muß es ja im Him­mel haben, und wie alles kommen wird, hat es doch im Voraus gewußt." Etwas beruhigt sehen beide wieder in den Schnee hinaus. Plötzlich schreit Bubi entsetzt auf: Edith, da schau, diese riesigen Fußstapfen da draußen in unserem Garten. Da war vielleicht gar der Krampus wie­der da und hat unseren Brief geholt?" In den Kinder­augen steht eine bange Frage, und auch das Schwesterlein erwägt ganz leise:Das Christkind kommt halt nur zu braven Kindern." Aber so schnell wirft sie die Flinte nicht ins Korn. Von den verschiedenen Fenstern werden die ver­dächtigen Spuren im Garten gemustert, und bald stellt das kleine Volk mit großer Befriedigung fest, daß die mächtigen Stapfen von der Straße gerade zu unseren Schlafzimmer­fenstern führen.Ui", kichern beide, es war sicher der Krampus, der hat nur bei Mutter und Vater herein­gucken wollen, ob sie brav sind. Um uns hat er sich gar nicht gekümmert." Und in dem seligen Bewußtsein ihrer nie angezweifelten Bravheit besprechen sie die für die Eltern so beschämende Tatsache. Plötzlich leuchten die Augen des Kleinen wieder auf:Da schau!" Nun muß auch ich be­wundern und bestaunen. Von der Wiese laufen kleinroin- zige Fußspuren gerade zum Fenster des Kinderzimmers. Mutti, da sihest du noch die Abdrücke von den kleinen, goldenen Schuhen des Christkindes." Selig verklärt starren beide auf dieses Wunder, als ob das Christkind wirklich in all seiner Holdseligkeit vor ihnen stünde. Ich teile natür­lich ihre Freude und verschweige meine ketzerische Ansicht, die großen Fußtritte könnten von einem Strolch herrühren, der unseren Keller einer nächtlichen Prüfung unterzog, die kleinen aber von einem beutehungrigen Wiesel, das sich in die Nähe menschlicher Wohnungen verirrte. Der Tag ver­läuft bei den erwartungsvollen kleinen Leuten friedliche: als gewöhnlich. Gleich nach dem Frühstück nimmt das Mädel einen tapferen Anlauf, ihre Ferienaufgaben zu er­ledigen. Sie rückt mit ihrem Schönschreibheft an, eine Selbstüberwindung, die das Christkind doch rühren muß. Freilich stöhnt sie leise dabei:Warum ich nur noch mit der Feder schreiben lernen muß. Auf der Maschine klap­pern wäre doch viel lustiger." Erich wiederholt die zehn Gebote, die er der Schwester einmal abgelauscht hat und verkündet mit edler Seelenruhe als viertes Gebot den nicht unrichtigen SatzLaste es dir Wohlergehen aus Erden, damit du lange lebst." Doch ewig dauert kein Friede. Es entstehen Erenzstreitigkeiten auf dem Tisch, und wie sich einst die Helden vor Troja mit haßerfüllten Worten kränk­ten, ehe sie zur Waffe griffen, geht auch hier den Tätlich­keiten ein harter Wortkampf voraus. Edith zrünt:Du bist, Du bist" es fällt ihr keine andere Bezeichnung ein, die das volle Maß ihrer Verachtung enthielte. Doch ja, sie kennt ein Wort, bei dem sie sich gar nichts vorstellt, und frohlockend schleudert sie es dem Bruder entgegen:Du bist ein Goethe". Tränen der Schmach ersticken Erichs Stimme, als er wütend mit einer ähnlichen Beleidigung antwortet:Und Du, Du bist ein Schiller!"

Doch auch dieser Tag rückt vor. Die Kinder möchten am liebsten die Weltordnung umstoßen und gleich nach dem

I Mittagesten die Finsternis Heraufziehen lasten. Endlich ist die Zeit gekommen, wo ich mich, dem überlasteten Christ­kind helfend, in das Christbaumzimmer zurückziehe. An der versperrten Türe rascheln und pochen die Kinder: Mutti, ist das Christkind gerade bei dir?"Muttchen, was hat denn das Christkind gesagt?"Hast du uns gelobt? Hat es schon etwas gebracht? Schick ihm viele Grüße von mir und sage ihm, daß ich meine vierjährigeAnna" für die Weihnachtsfeier schön anziehe und weißt Du", fügt das Stimmchen ganz leise, nur für mich bestimmt, hinzu,ich habe ihr das große Häubchen darüber gezogen, damit das Christkind das Loch im Kopf nicht bemerkt." Dann höre ich die Türe gehen, darauf erregtes Geflüster; endlich ruft Edith begeistert:Mutti, Fredl ist gerade hier gewesen. Denke dir, das Christkind war schon bei ihm und hat ihm ein Wirkliches, lebendiges Brüderlein gebracht."Ein lebendiges, das schreien kann", bestätigt Erich ernsthaft. Und wieder fleht des Mädels Stimme:Liebe, liebes Christkind, bring mir doch heute abend auch so ein leben­diges Brüderlein. Ich laste es in meinem Bett schlafen und gebe ihm meine Milch zu trinken, und wenn es in der Nacht schreit, so macht es auch nichts, ich höre es gewiß nicht", versicherte großmütig der Bub. Endlich ist es Abend. Der Lichterbaum erstrahlt und die Kinder treten ein: Edith rasch und ungestüm. Ein schneller Blick überfliegt den flimmernden Baum, dann wendet sie sich mit lautem Jubelruf ihren Sachen zu:Alles, was ich mir gewünscht habe, nur das Brüderlein fehlt. Vielleicht hat es das Christkind nicht mehr so schnell besorgen können. Na, dann halt nächstes Jahr." Sie nimmt das Leben wie es eben ist, ohne viel zu grübeln. Der Bub steht vor dem Baum und starrt traumverloren in die Lichterpracht. Seine entzückten Augen strahlen den Glanz in all seiner Reinheit zurück. Es ist doch der schönste Weihnachtsbaum, der einem aus den Augen der glücklichen Kinder entgegenleuchtet. Aber bald überwiegt auch hier die Neugier. Erich ergreift mir begeistertenOh, Oh, llijeh wie fein", von seinen Spiel­sachen Besitz. Am meisten fesseln ihn alle Dinge, die Musik, richtiger gesagt, Lärm verursachen und alle, die eßbar sind. Allerdings bedauert er gewaltig, daß er nicht gleichzeitig eine seiner Bäckereien verschmausen und dabei Mundhar­monika blasen kann. Da tönt aus der Ecke, in der sich Edith mit ihren Puppen vergnügt, ein aufrichtiger Enr- rüftungsschrei:Mutti, hättest Du das vom Christkind geglaubt? Da holt es sich meine zerbrochene Puppe vom Vorjahr ab. Weißt Du, die Berta, die den Fuß verloren hat. (Und ob ich es wußte!) setzt ihr die Beine wieder ein, putzt das Kleid anders auf und bringt sie mir als neue Puppe wieder. Ich erkenne sie genau an ihrem braunen Haar. Aber das hätte ich vom Christkind nicht erwartet." Der blonde Kopf scyüttelt sich so empört über diese neue Erkenntnis, daß die blaue Masche ganz haltlos herum­weht. Ja, wenn man selbst an dem Christkind irre werden muß! Ich entschuldige das Arme mit den teuren Zeiten, in denen es statt Neuanschaffungen zu machen, nur alte Vorgefundene Sachen ausbessern kann. Edith nickte, wohl mehr aus Gefälligkeit als aus innerer Ueberzeugung. Erich steht schon wieder vor dem Baum und mustert seine eßbaren Schätze niit kritischem Blick.Wie ist der Baum schöner, wenn er leer oder so lange er noch behängt ist?" Auf meine Antwort, er sei in seinem vollen Schmuck am schön­sten, murmelt er enttäuscht:Da muß ich alles noch bis übermorgen, bis zu unserer Kindereinladung dran lassen." Ich glaube, er überlegt in diesem versuchungsreichen Augen­blick, ob es nicht besser wäre, auf die Kindergesellschaft zu verzichten und sich in frisch-fröhlichem Schmausen gleich über den Baum herzumachen. Aber bald ist auch diese schwermütige Anwandlung überwunden. Erich kutschiert seinen Wagen durch das Zimmer und trompetet dazu, Edith wiegt ihr jüngstes Kind und spielt ihm Mundhar­monika vor, wenn sie nicht gerade das Kleine schreien las­sen muß. Manchmal erfolgt ein Zusammenstoß; der Kut­scher schimpft, das Kind weint, die Harmonika quietscht und die Trompete tutet.

Langsam verlöschen die Lichter des Baumes. Mir geht das alte Weihnachtslied durch den Sinn:Stille Nacht, heilige Nacht." Still ist dieser Abend wohl nicht gewesen, aber doch heilig, geheiligt durch die reine, gläubige Freude der Kinder.

vr. Gisela Mayer-Pits ch.

Zm schwarzen Glmelmadschich

Skizze von Clara Blüthgen.

Sie kannten sie alle, die Frau Professor Jordan, und sie mochten sie alle gern. Ihre Tapferkeit, sich in der Not dieser Zeit zu behaupten, imponierte und erweckte Sympathie. Sie jam­merte und klagte nie. Wenn man die übliche Frage an sie rich­tete, wie es ihr gebe, so erwiderte sie nicht etwa:Mies mit Index", sondern einfach:O ganz gut!" und unterstrich es mit einem freundlichen Lächeln.

Noch immer wußte sie den Anschein der Dame der guten Ge­sellschaft aufrecht zu erhalten. Ihre Kleidung war zwar alt und abgetragen, aber fleckenlos, sauber gebürstet und mit einigen geschickten Tricks der Modenveränderung glücklich angevabt.

Man batte von ihr, nur so ganz nebenbei, erfahren, daß sie allerlei Unerfreuliches durchlebt habe, mir Zwangsmietern und Hausverwaltern, mit einer bösen Behörde, die ihr die letzte kleine Pension gestrichen, mit Einbrechern, die sie fast ihrer ge­samten Garderobe beraubt hatten. Aber, wie gesagt, sie be­hauptete sich. Gehörte sogar noch einem vornehmen Frauenklub an, dessen ziemlich hohen Monatsbeitrag sie ohne Murren be­zahlte.

Außerdem hielt Frau Jordan auf Tradition. Sie wußte, daß für die Eleganz einer Frau in erster Linie die Beschaffenheit von Schuhen und Handschuhen maßgebend sei. Ihre Schuhe wa­

ren in guter Verfassung und Handschuhe trug sie immer. »leist lange, schwarze Glaces, die noch ein Stückchen des Unterarms bedeckten.

Man schüttelte ein bißchen den Kopf darüber in diesem v«,- nehmen Klub, in dessen hellerleuchteten, nach den neuesten Be­griffen des Schönen eingerichteten Räumen die Kommerzien- rätinnen und Exzellenzen keine Handschuhe trugen, sondern das Brillantfeuerwerk ihrer Ringe unoerhüllr sprühen lieben.

Es ist eine Laune von ihr, gönnen wir sie der alten liebe« Dame, wir alle haben vielleicht auch unsere Unbegreiflichkeiten". Gewiß, Liebe. Nur ist diese Laune zurzeit etwas Kostspie­liges. Und wer rechnen muß, wie es unsere liebe Professorin doch zweifellos muß "Immer nobel muß die Welt zugrunde geben! Nach uns die Sündflut... Kümmern wir uns nicht wei­ter darum!"

Trotzdem bekümmerte man sich weiter darum, und das umso mehr, je hartnäckiger die Professorin daran festhielt, das schwarze Elaceleder nie von ihren Händen zu entfernen. Endlich schien des Rätsels Lösung glücken zu wollen.

Frau Bredow, die junge Frau eines Automobilfabrikanten, batte in sich das Talent der Handschriftendeutung entdeckt. Ge­fällig erzählte man sich im Kreise ihrer Intimen, wie unfehlbar ihre Gabe sei, aus den Linien der Handinnenfläche Alter, Cha­rakter, Erlebnisse und Zukünftiges des betreffenden Objektes zu lesen.

Rasch hatte sich ein kleiner Zirkel gebildet. Frau Bredow war am Werk, beschaute Handflächen, verfolgteLeüenslinien" und andere Linien, deutete mit Kassandramiene und traf immer das Richtige.

Man hatte natürlich auch Frau Jordan, zu deren lleberlistung ja die ganze Veranstaltung arrangiert worden war, hinzugezo- sen, sie zum Niedersitzen im Kreise gezwungen.

Bitte, nicht. Ueber meinen Charakter gebe ich mich keiner Täuschung hin, meine Elebnisse kenne ich, und von der Zukunft möchte ich den Schleier beileibe nicht lüften".

Aber, teure Professorin, wo wir doch alle-es ist doch

hochinteressant. Fehlt es Ihnen an Mut?"

Das nicht. Ich will einfach nicht".

Dann müssen wir für Sie wollen Nur zu Ihrem eigenen Be­sten. Frau Bredow wird ihnen sicher eine himmelblaue und rosenrote Zukunft prophezeien können".

Ob die Professorin wollte oder nicht wollte man batte sich zu zweien ihrer rechten Hand bemächtigt, den Handschuh, so knapp er auch sab, davon abgestreift.

Der Professorin blasses Altdamengeficht war rot geworden. Noch machte sie den vergeblichen Versuch, die hüllenlose Hand zu verbergen. Aber es war zu spät. Ein verarbeitetes Elies mit aufgetriebenen Gelenken, kurzen, verunstalteten Nägeln, horn­artiger, rissiger Haut war sichtbar geworden. Die Hand einer Schwerarbeiterin" im häuslichen Beruf.

Die eleganten Frauen in den weichen Seidenkleidern waren verlegen geworden. Nur der Professorin war mit einem Male alle Verlegenheit gewichen. Sie richtete sich gerade auf und ihre eingesunkenen Augen glühten noch einmal in einem fremde« Feuer auf:

Nun haben Sie Ihren Willen! Nun wissen Sie, was ich aus Rücksicht nicht auf mich, sondern auf Sie verschwieg. Ich bin eine Arbeiterin, eine, wie Frauen des Mittelstandes es ja jetzt alle geworden sind, die eine so, die andere so. Von nichts konnte ich nicht leben, seitdem man mir meine kleine Pension genommen bat. Talente, die ich nutzbringend hätte verwenden können, besitze ich nicht. Wo ist überhaupt jetzt ein Talent, da» ernährt? Das tut nur die Arbeit der Fäuste. So gebe ich denn als Aufwaschfrau in die Häuser der Bemittelten, fege Stuben, spüle Geschirr, koche, wasche, plätte. Meine Tatze beweist, daß ich mir mein Brot rechtschaffen verdiene. Um mich aber nicht ganz aus dem Kreise aller geistigen Interessen auszuschalten, gehöre ich noch weiter diesem Klub an. Werde« Sie sich nun noch damit absinden können, mich hier zu dulden?"

Eine Pause klaffte. Dann stand eine der vornehmsten Damen auf, zog den grauhaarigen Kopf der Frau Jordan an ihr» Schulter, streichelte ihr sanft die Wange:Meine liebe liebe, tapfere Frau Professorin i"

Auch die junge Handdeuterin war aufgestanden. Unversehens hatte sie sich über die verarbeitete Hand gebückt und sie geküßt. Verzeihen Sie mir! Dies der Hand, die anderen den Weg wei­sen kann, der Hand, die durch Arbeit geadelt ist!"

Jas Mädchen von heute als Mutter von morgen

Don Selene Braun.

Die neue, Mädchengeneration, die vor unseren Augen heran» wächst, oder die schon im Leben stehr, ist eine ganz andere als i« früheren Zeiten. Verließ damals ein Mädchen die Schule, so wurde es meist auf das Mütterliche eingestellt, weil alle In­teressen auf eine Heirat binliefen. Es gab ja auch, kaum einen anderen Weg. Außerdem war früher meist ein Haus imstande, den einzelnen weiblichen Mitgliedern Arbeitgeber und Zufluchts­stätte zu sein. Da aber an seine Stelle jetzt die soziale Gemein­schaft getreten ist, die ihm als gewerbliches oder industrielles Unternehmen, als Gemeinde, Staat oder als freiwilliger Ver­band eine Verrichtung nach der anderen abgenommen bat, so find dadurch eine ganze Anzahl Kräfte der Familie besonders weibliche, frei geworden.

Was soll nun aus den überzähligen, unbeschäftigten weiblichen Familienmitgliedern werden? Sollen sie warten, bis ein Mann kommt und sich ihrer erbarmt, oder sollen sie warten bis kei­ner mehr kommt?

Nach einer Zeit des Schwankens und der Selbstbesinnung sam­melte sich die weibliche Jugend unter der Fahne derFrauenbe­wegung" und suchte in anderem Sinne als sonst wohl Eroberun­gen zu machen. Da es herrenlose Gegenden in wirtschaftlichem Sinne kaum mehr gibt, drang man in männerbesetzte Gebiete «in und suchte sich dort anzusiedeln,' nicht aus Beutelust oder Uebermut, sondern um einem sonst trostlosen Leben einen neue» Inhalt zu geben.