Nr. 282

Schwarzwälder TageszeitungAus den Tannen"

Seite 3

Aus Stadt und Land

Altensteig, den 2. Dezember 1930.

"Ern Landesschülerheim. In Nummer 19 derWürtt. Gemeindezeitung" macht H. Staatsrat Rath, Schultheiß von Lustnau, seine Kollegen aus ein in einer Stadt mit höheren Schulen in Vorbereitung befindliches Landes- Schülerheim aufmerksam, wozu wir noch folgendes er­fahren. Das Landes-Schülerheim wird einen familiären Charakter tragen. Es soll den Söhnen der auf dem flachen Lande oder in kleineren Städten hiefür in Betracht kom­menden Vevölkerungskreise die Möglichkeit bieten, sich die für ihren zukünftigen Berus nötige, höhere Schulbildung ohne allzu große Kosten anzueignen, sofern dies am Wohn­ort der Eltern mangels geeigneter Anstalten möglich ist. Hierbei ist es ohne Belang, ob das Abiturium oder die mittlere Reife eines humanistischen Gymnasiums, Real­gymnasiums, einer Oberrealschule oder die der vorgenann­ten gleichberechtigte mittlere Reife einer höheren Handels­schule angestrebt wird. Dieses Landesschülerheim kommt einem oft sehr schmerzlich empfundenen, ungedeckten Be­dürfnis entgegen und wird nicht nur von, an kleineren Orten wohnenden, Staats- und Eemeindebeamten, Aerz- ten, Lehrern etc., sondern auch von vielen anderen Fami­lien, wie abseits gelegenen Industriellen, Gutsbesitzern und ähnlichen freudig begrüßt werden. Das Heim wird zu Be­ginn des neuen Schuljahrs seine Pforten öffnen und die Großstadt dadurch für so manche Familie einen Teil ihrer Anziehungskraft verlieren, während andererseits der Wunsch, in einer lieb und vertraut gewordenen Umgebung zu verbleiben oder sich gar daselbst unfähig zu machen, häufig eine wesentliche Stärkung erfahren wird. Da in­folge des Vorschlags des Sparkommissars wohl die eine oder andere nicht mehr recht lebensfähige Zwergschule auf­gehoben werden dürfte, so ist mit einer Zuwanderung auch aus diesen Orten zu rechnen. Wir müssen daher bei der begrenzten Aufnahmefähigkeit des Heims den Interessenten heute schon empfehlen, sich bei dem Geschäftsführer, Herrn Th. Harr, Eßlingen, Obereßlingen. Landhausstraße 1, alsbald vormerken zu lassen.

Effringen, 1. Dezember. (Feuer!) Gestern abend gegen lO Uhr wurde Feueralarm geblasen. Auf bisher unbe­kannte Weise waren das Wohnhaus mit Scheuer des Gott­lob Deuble, Bauer und die Scheuern des Fr. Stahl, Bauer und Fr. Roller, Bauer bei der Kirche in Brand geraten. Die Feuerwehren, u. a. auch die Motorspritze von Nagold hatten durch die Kanalisationsarbeiten über die aufgegrabenen Straßen ein erschwertes Anrllcken. Da an den Gebäuden selbst nicht mehr viel zu retten war, verlegte man sich insbesondere auf den Schutz der Nachbaranwesen, die auch von Feuer unbeschädigt blieben. Die Brand­objekte wurden allerdings gänzlich zerstört. In den Scheuern ging eine ansehnliche Menge Frucht zu Grunde, deren Besitzer teilweise nicht versichert sind. Der Brand­schaden dürfte sich auf 2627 000 Mark belaufen. Gegen 2 Uhr konnte die Gefahr als beseitigt betrachtet werden.

Wildberg, 29. November. (Richtfest.) Nun hat unser Kinderschulbau sein erstes Ziel erreicht. Er ist im Roh­bau fertiggestellt. Am Freitag und Samstag fügten die Zimmerleute zum Oberbau die Balken ineinander. Ehe sie mit dem Aufrüsten begannen, fand in der Kirche ein kurzer Gottesdienst statt, bei dem Herr Stadtpfarrer Dil - ger über das Wort sprach:Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen." Und nun ging es an ein rüstiges Schaffen. Balken fügte sich zu Balken, und am Samstag nachmittag um 4 Uhr wehte auf dem First das übliche Tännlein mit seinem bunten Tücher­schmuck. Böllerschüsse riesen die Einwohner zum Richtfest zusammen. Der Kirchengemeinderat als Bauherrschaft und eine große Schar kleiner und großer Einwohner versam­melten sich vor dem Neubau. Nach einem gemeinsamen Gesang und dem Zimmerspruch durch Zimmermeister Wörner sprach Stadtpfarrer Dilger Worte des Dankes gegen Gott, als dem obersten Bauherrn, der Gedeihen, Glück und Segen zum Bau gegeben habe, so daß der Bau rasch und gut vorangeschritten und ohne Unfall vor sich ge­gangen sei. Anschließend daran fand für die Handwerks­leute und Bauarbeiter im Haus der Barmherzigkeit ein von der Kirchenkasse gespendetes Essen statt.

Neuenbürg, 1. November. Am Samstag, den 29. Nov., fand unter Leitung von Landrat Lempp die Ortsvorsteher­wahl in Oberlengenhardt statt. Dabei wurde Eg. Stahl, Landwirt in Oberlengenhardt mit 86 Stimmen von 139 gültig abgegebenen Stimmen gewählt.

Engelsbrand, 1. Dezember. Samstag abend kurz vor 10 Uhr, brach in der Garage der Autovermietung Lutz durch einen Vergaserbrand an einem Personenwagen ein Brand aus, der recht bedrühliche Formen annahm, jedoch von der Ortsfeuerwehr eingedämmt werden konnte, ohne daß die alarmierte Weckerlinie Neuenbürg in Tätigkeit zu treten brauchte. Dem Feuer zum Opfer gefallen ist der Dachstuhl der Scheuer, in der die Garage untergebaut war, sehr stark beschädigt wurde ein Lastkraftwagen, weniger stark ein kleinerer Omnibus und ein Personenwagen. Der Besitzer ist empfindlich geschädigt.

Birkenfeld, 30. November. Ueber die Gasversorgung des oberen Enztales, Birkenfeld bis Wildbad, hat das Oberamt von der technischen Beratungsstelle in Stuttgart ein Gutachten ausarbeiten lassen. Nach diesem Gutachten Würden die gesamten von den Gemeinden aufzubringenden Kosten für das Unternehmen 609 000 R.M. betragen. Der durchschnittliche Easpreis würde sich bei normalem Ver­brauch zwischen 29 und 23 Rpf. bewegen.

Rottweil, 1. Dezember. (Zm Kraftwagen angeschossen.) Am Samstag traf ein 33jähriger Stuttgarter Ingenieur in Donaueschingen mit einem dort zur Kur weilenden Fräulein aus Gailingen zusammen. Gefälligkeitshalber nahm der Ingenieur das Fräulein mit seinem Kraftwagen mit nach Rottweil. Als sich das Fahrzeug gegen 6 Uhr abends einige hundert Meter außerhalb des Bahnhalte» Punktes, Posten 140, entfernt befand, bat das Fräulein den Ingenieur, kurz anzuhalten, da sie ihren Mantel anziehen Wolle. Kaum war das Fahrzeug zum Stehen gekommen,

da krachte ein Schuß. Der Wagenführer wurde von der Kugel in das Genick getroffen und brach zusammen. Der Verletzte wurde in das hiesige Bezirkskrankenhaus ver­bracht, wo sofort eine Operation vorgenommen werden mußte. Lebensgefahr besteht nicht. Ob der Schuß aus dem Innern des Wagens öder durch ein geöffnetes Fenster von außen her abgegeben wurde, steht noch nicht fest. Das Fräulein befindet sich vorläufig in Haft.

Stuttgart, 1. Dez. (Vom Landtag.) Nachdem der Landtag am Samstag die Anträge zum Wohnungsbau dem Finanzausschuß überwiesen hat, trat eine Vertagung ein. Die nächste Sitzung ist voraussichtlich am 9. Dezember.

Weitere Senkung von Fleischpreisen Die Stuttgarter Fleischerinnung gibt bekannt, daß sie weitere Ermäßigungen in Fleisch- und Wurstpreisen vom letzten Samstag ab eintreten läßt Rindfleisch 1. Güte kostet in den Läden ihrer Mitglieder nun 105 RM., Rindfleisch 2 Güte 90 Pfg. das Pfund, Kalbfleisch 1. Eütel.10, 2. Güte 90 Pfg. bis 1 RM., Kuhfleisch 66-80 Pfg., Hammelfleisch 1.101.25 RM., Schlltzenwürste das Pfund 1.30 RM., das Stück 30 Pfg., Saitenwürstchen 1.30 RM. und 22 Pfg., Schinken gekocht 2 RM. das Pfund.

Tübingen, 1. Der. (Besitz Wechsel.) Mit dem beutigen Tage geht dieTübinger Chronik" aus dem Besitz von Albert Weil in den von Dr. Karl Höhn, Ulm a. D., über. In 27iäh- riger Verlagsleitung hat Herr Weil das wurde bei seinem 25jährigen Verlagsjubiläum vor zwei Jahren von berufener Seite rückhaltlos anerkannt sein Geschäft so erweitert und ausgebaut, daß es heute zu einem der angesehensten des Lan­des gehört.

Faurndau OA. Göppingen, 1. Dez. (Schwerer Un- 'fall.) Am Freitag waren Telegraphenbauarbeiter hier mit Leitungsarbeiten beschäftigt. Dabei stürzte ein Tele­graphenmast im Hofe des Baugeschäftes Maier, auf dem sich zwei Arbeiter befanden, um. Beide Arbeiter wurden schwer verletzt ins Krankenhaus Göppingen verbracht.

Rottenacker OA. Ehingen, 1. Dez. (Bluttat.) Die Waldgenossenschaft Buchhalde hatte am Samstag abend im Lamm" die Holzverteilung vorgenommen. Beim Nach­hausegehen gerieten jedoch Gemeinderat Joh. Striebel und der Waldschlltze Peter Breitinger miteinander in einen Wortwechsel. Breitinger entfernte sich, kam aber sogleich wieder vor die Wohnung des Striebel, wo er diesen vor der Haustüre antraf. Er rief ihn zu sich und schoß ihn aus kurzer Entfernung nieder. Ein Herzschuß hatte den sofor­tigen Tod zur Folge. Striebel hinterläßt eine Witwe mit zwei unmündigen Kindern. Breitinger, der ebenfalls ver­heiratet ist, begab sich nach der Tat nach Hause und legte sich zu Bett. Er wurde noch im Laufe der Nacht verhaftet.

Bieringen OA. Horb, 1. Dez. (Die neue Brücke.) Nach viermonatiger Bauzeit ist die neue Brücke nun glück­lich vollendet und dem Verkehr übergeben worden.

Von der Alb, 1. Dez. (Wie im Vorfrühling.) Die warme Witterung lockt Pflanzen und Tiere heraus. An sonnigen Halden blühen Veilchen, Bienen fliegen, Linden­bäume treiben schwellende Knospen. Man sieht Bauern in Hemdsärmeln so über Mittag auf den Brachäckern Mist spreiten. Wiesen nehmen in feuchtem Grunde grüne Farbe an. Der Landmann sieht besorgt in die Zukunft. Ihm wäre milder Frost und baldiger Schnee lieber als Vorfrühlings­wetter im Dezember. Bleibt der Winter zu fern, nach­wintert es gern.

Dußlingen OA. Tübingen. 1. Dez. (Tödl i ch e r S t u r z.) Der junge Elasermeister Johannes Klett in Firma Eebr. Klett, mechanische Glaserei, war mit Ausbesserungsarbeiten auf einem Glasdach beschäftigt. Plötzlich brach er durch und stürzte drei Meter tief auf den harten Vetonboden herab. Die erlittenen inneren Verletzungen waren so schwer, daß er noch am Abend starb.

Bregenz. 1. Dez. (S t r o m b ez u g.) Auf Beschluß der Vorarlberger Landesregierung werden die 500 000 Kilowatt Ergänzungsstrom, die das Land von den Jllerwerken im Geschäftsjahr 1930/31 unentgeltlich zu bekommen hat, an den Bezirksverband oberschwäbischer Elektrizitätswerke in Viberach verkauft werden, da das Inland den Strom nicht auknimmt.

Lauffen a. N., 1. Dez. (Arbeiterentlassungen.) Die Firma Gustav Mugler A.-E. sieht sich genötigt, ihren sämtlichen Arbeitern auf Jahresschluß zu kündigen. Die Firma Mugler beschäftigt zurzeit rund 1000 Arbeiter in Lauffen und in ihren Filialbetrieben, die ausnahmslos von der Kündigung betroffen werden, falls die Tabaksteuer­novelle zum Gesetz erhoben wird.

Hipfelhof, O.A. Heilbronn, 1. Dezember. (Zwei Kinder erstickt.) In der Nacht vom Samstag auf Sonntag sind zwei Kinder der am Samstag erst zugezogenen Schweizers­eheleute B e s e l, im Alter von 5 und 6 Jahren durch Eas- und Rauchvergiftung ums Leben gekom­men. Die Kinder schliefen in einer Wohnküche. Als mor­gens der Schweizer in den Stall ging, fand er in der mit Rauch gefüllten Küche seine Kinder leblos vor.

Au« Bade«

Forbach, 29. November. Gestern abend halb 9 Uhr ver­unglückte auf der Murgtalstraße zwischen Forbach und Raumünzach ein Personenwagen. Der Kaufmann Erich Rauch aus Karlsruhe befand sich auf der Heimfahrt. In­folge Versagens der Steuerung geriet der Wagen von der Fahrstraße ab und stürzte eine zirka 15 Mtr. hohe Böschung hinunter. Der Wagen wurde vollständig zertrümmert und dessen Lenker, Kaufmann Rauch, ernsthaft verletzt. Er wurde sofort in das Krankenhaus Gernsbach verbracht. Der zweite Insasse des Wagens kam glücklicherweise mit dem Schrecken davon.

Bad Peterstal, 28. November. Der Bau. der Bahn Bad PeterstalGriesbach soll jetzt gesichert sein. Mit dem Weiterbau soll schon in nächster Zeit begonnen werden, nachdem mit der Reichsbahn und der badischen Regierung eine Einigung erzielt worden ist.

RrichsvmMag der BMrechtsvartei

Stuttgart, 1. Dez. Die Volksrechtpartei hielt am Sonntag ihren Reichsparteitag ab. Der Parteivorsitzende, Landtagsabge­ordneter Bauser sprach überZiele und Aufgaben des Volks- rechtkamvies". Der 14. September habe die allgemeine Partei­krise offen dargelegt. Die Partei wolle eine nationale Frei­heitsbewegung sein, die Freiheit und Recht nach außen und nach innen in den Vordergrund stelle. Sie verlange weiterhin Ehrlich­keit und Anständigkeit im öffentlichen Leben, eine sittliche Er­neuerung und Gleichstellung sämtlicher Berufsstände in Stadt und Wirtschaft. Man müsse die Parteiwillkll-r zurückweisen. Der Staat habe dem Volke zu dienen, nicht umgekehrt. Man müsse auch gegen den übertriebenen Bürokratismus Stellung nehmen. Man könne nach außen bin eine starke Außenpolitik treiben auf der Grundlage des Rechts. Es sei von der Entschuldungsfrage aus die Belastung durch den Noungplan energisch zu bekämpfen. Das Parteibuchbeamtentum als Quelle der Korruption müsse be­kämpft werden. Hinsichtlich der Wirtschaftspolitik stehe man klar auf dem Standpunkt: Das Volksvermögen dem Volk. Der Ar­beitnehmerschaft müsse der Aufstieg zu Besitz und Eigentum er­möglicht werden. Weiter müsse eine kaufkraftbeständige Wäh­rung das Ziel sein. Ueber das Verhältnis zu anderen Parteien, Verbänden und Bünden sprach sodann Major a. D. und preußi­scher Landtagsabgeordneter a. D. Pohl-Düsseldorf. Es habe kei­nen Zweck, sich einer Partei anzuschließen, wenn keine Vorteile zu holen seien. E« sei auch keine Partei gefunden worden, die das Recht wieder Herstellen wolle. Ueberall seien es Jnteressenten- haufen, aber keine Kämpfer für das Volksganze. Sich heute für eine der Parteien festzulegen, wäre verderblich für die eigene Partei. Vor allem und mit größtem Nachdruck wandte sich Pohl gegen ein Zusammengehen mit den Nationalsozialisten.

Hieraus berichteten Dr. Waller über die Belebung der Wer­bung, Frau Teuffert über Organisationsfragen, und Meißner über Jugendorganisation. Den Bericht über wirtschaftliche Auf­gaben der Eesamtbewegung erstattete Geschäftsführer Graf, der eingehende Ausführungen über die Svarerbundkasse für Würt­temberg machte. In einer Entschließung wurden die in der Rede des Vorsitzenden vorgetragenen Ziele noch einmal zusammenge- fabt. ferner die Forderungen der Aufwertungstagung (Sachver- stnuvigen-tiusschuß, Renlnerversorguugsgesetz usw.) übernommen:

Zu dem Programm der Reichsregierung steht die Volksrecht- partci auf dem Standpunkt, daß die Staats- und Wirtschaftskrise auf dem Wege energischer und durchgreifender Reformen bebobm werden kann, während umstürzlerische Gewaltmaßnahmen die furchtbare Notlage unseres Volks nur verschlimmern würden. Die Partei fordert zur wirksamen Durchführung des Preisab­baus staatliche Maßnahmen gegen die Preisdiktatur der Kartelle. Als Voraussetzung für die Behebung der Kapitalflucht fordert sie die Wiederherstellung des Vertrauens durch Wiedergutmachung des Unrechts der Inflation?- und Auswertungspolitik, was zur Stärkung der Kaufkraft und zur Minderung der Arbeitslosigkeit beitragen würde.

rextilvceise im Einzelhandel

Zur Ausklärung

DieTextil-Woche" macht zum Preisabbau folgende beach­tenswerte Ausführungen:

Mit wachsender Besorgnis verfolgt heute der Kaufmann und Industrielle den Kampf der Regierung um den Preisabbau. Immer deutlicher erkennt man, daß die wirtschaftlichen Ziele dieser rein politischen Aktion nicht erreicht werden können, weil es sich hier um Dinge handelt, die nicht mit gesetzgeberischen Mitteln grundlegend im allgemeinen zu beeinflussen sind. Die Aktion mutz vor allem deshalb versagen, weil sie zu lange dauert und weil es der Regierung nicht gelingen kann, hauptsächliche Faktoren der Preisbildung im Sinne einer Preissenkung zu be­einflussen. Hierzu gehören vor allem die Steuern, die Tarife der Reichsbahn und der übrigen Verkehrsanstalten, der Gas-, Elektrizitäts-, Wasserwerke sowie die Mieten für Geschäfts- und Wohnräume. Die bisher erreichten Preisherabsetzungen für Lebensmittel sind zu gering, um sich nachhaltig in der Kosten­rechnung der Wirtschaft bemerkbar zu machen, abgesehen davon, datz eine nachhaltige Senkung der Lebenshaltung überhaupt durch die Subventionspolitik gegenüber der Landwirtschaft ver­hindert wird. Auch hat es die Regierung bisher ängstlich ver­mieden, die schon vor Monaten geschaffene scharfe Waffe der Kartellverordnung und der Zollermätzigung zu gebrauchen, wenn man von der belanglosen Anwendung gegenüber der Linoleum- und Tapetenindustrie und den Berliner Brotfabriken absieht. Das drohende Schwert der Kartellverordnung hat beispiels­weise, um einen Fall aus der Textilindustrie zu erwähnen, nicht vermocht, das festgefügte Kartell der Nähgarntndustrie zu einem Preisabbau zu veranlassen, der auch nur im entferntesten im Einklang stünde mit den Leistungen der Hersteller von Textil­waren, die nicht im Preise gebunden sind.

Aber eine andere, von der Regierung sicher nicht voraus­gesehene und beabsichtigte Wirkung mutz festgestellt werden- Die Zurückhaltung des Publikum- vom Einkauf wachst von Tag zu Tag und nimmt Formen an, die in nicht zu ferner Zeit zu einem Generalstreik der Käufer auszuarten drohen. Kein Wunder, denn die ständige Furcht vor dem Gespenst der Ar­beitslosigkeit, vor dem bevorstehenden Lohn- und Gehaltsabbau vor verminderten Einnahmen bei unverändert gleichbleibenden oder nur gering ermäßigten Ausgaben für Mieten. Steuern. Fahrtkosten, Beleuchtung, Heizung und Lebensmittel mutz not­wendigerweise dazu führen, daß die Bevölkerung ihren Bedarf an Waren, die nicht zum dringendsten, alltäglichen Lebensbedarf gehören, ungedeckt läßt.

Zu diesen Waren gehören in erster Linie Vekleidungsgegen- stände. Deren Absatz wird von Tag zu Tag immer geringer, schwerster Sorge sehen Textilindustrie und Handel der nächsten Zukunft entgegen. Preiskämpfe, in einer Scharfe, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht erlebt haben, sind heute an der Tagesordnung. Sie zeugen von der schweren Not- u"te* deren Druck der Fabrikant sowohl wie der Einzel- handler die Ware verschleudert, verschleudern mutz, um seine nackte Existenz zu erhalten. Wir haben in den letzten Wochen. zahlreiche Beispiele dieser Preiskämpfe gegeben, die die Textil­wirtschaft aufs schwerste erschüttern. Sie geben nur einen Aus­schnitt des Bildes, wie es sich in fast allen Teilen des Reiches Mit wachsender Deutlichkeit zeigt.

Auf die politischen Beweggründe der Preisabbau-Aktion ein­zugehen, müssen wir uns hier versagen. Aber das eine mutz mit aller Entschiedenheit festgestellt werden: Für die Textil­wirtschaft kann die Preisabbauaktion keine segensreiche, sondern nur noch eine verderbliche Wirkung erzielen, weil sie auf eine viel zu lange Dauer angelegt ist. Textilindustrie und Handel haben größtenteils schon längst einen Preisabbau in so weitgehendem Matze aus eigener Initiative ohne be­hördliche Einwirkung durchgeführt, haben der Bevölkerung be­reits eine so bedeutende Verbilligung ihres Be­kleidungsbedarfs gewährt, datz diese Leistung nicht mehr