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tenttelg» Dienstag den Ä. De^ernder: 1930

53. Jahrgang

Dir UM RetveMdm«, in Kraft gescht

Berlin, 1. Dez. Das Sanierungsprogramm hat im Laufe der Nacht noch zahlreiche Abänderungen erfahren, so daß die Not­verordnung des Reichspräsidenten, die am Dienstag veröffent­licht werden soll, in wesentlichen Punkten von den ursprüng­lichen Plänen der Reichsresiernng abweichen wird. Die umfang­reiche Notverordnung wird die folgenden wesentlichen Punkte enthalten:

1. Sechsprozentige Herabsetzung der Gehälter der Reichs- Beamten. De» Ländern wird Ermächtigung erteilt werden, dnrch eigene Notverordnungen die Gehälter der Beamten entsprechend ljerabzusetzen und die Herabsetzung der Gemeindebeamtengehälter auf dem Verwaltungswege als zuständige Aufsichtsbehörde durch­zusetzen. Die Gehaltskürzung wird am 1. Februar in Kraft treten, wie es der Reichsrat vorgesehen hat. Dadurch wird eine Verfassungsänderung vermieden, die Vorgelegen hätte, wenn das Reich durch eigene Anordnungen in die Höhe der Beamten­besoldung der Länder und Gemeinden eingegriffen haben würde.

2. Die Reichsansgabcn werden für die nächsten drei Jahre im Umfange des Haushaltsplanes für das kommende Rechnungs­jahr. also mit etwa 18,S Milliarden RM., begrenzt werden. Das sogenannte Plafond-Gesetz, das eine gleichartige Begren­zung der Länder- und Eemeindebaushalte vorsah, wird dahin «mgestellt, daß die Länder ermächtigt werden, für ihre eigene Finanzgebarung entsprechende Bestimmungen zu treffen und durch Gesetz oder Landes-Notverordnung die Einnahmen Lei Gemeinden für drei Jahre so zu ergänzen, daß automatisch eine Steigerung der Ausgaben unmöglich wäre. Auch hier ist durch die Ermächtigung der Landesbehörden der verfassungsändernd« Charakter des ursprünglichen Gesetzes vermieden worden.

3. Die Erhöhung der Tabaksteuer in dem vom Reichsrat be­schlossenen Ausmaß.

4. Die Verlängerung der Ledigensteuer, des Zuschlags zur Ein­kommensteuer und die Erhöhung der Auffichtsratssteuer von Ich auf 6 Prozent entsprechend der Kürzung der Beamtengehälrer

5. Die einzelnen Vorlagen des sogenannten Steuerverein­fachungsgesetzes, darunter die Erhöhung der Vermögens-Frei­grenze von 5868 aus 28 888 RM., die Festsetzung einer Umsatz­steuer-Freigrenze in Höhe von 5886 RM., die Herausnahme aller Einkommmen unter 6688 RM. aus der verlangten Einkommen­steuer und ihre Zuweisung an die von den Ländern zu erheben- den Einheitssteuern für kleine landwirtschaftliche Betriebe uni kleine Gewerbebetriebe, schließlich die Senkung der Gemeinde- realsteuern. wo sie seit 1927 Erhöhungen erfahren haben.

In der Notverordnung des Reichspräsidenten ist ein weiterer Kapitel über die Abänderungen der im Juli erlassene« Not­verordnungen enthalten. Dazu gehören:

1. Neuregelung der Krankenscheingebühr;

2. die Neustafselung der Vürgersteuer.

3. Die Gemeinde-Getränkesteuer.

4. Bei der Arbeitslosenversicherung findet eine Ausdehnung des Kreises der llnterstützungsberechtigten statt.

5. Es soll durch Notverordnung eine Erhebung über die Be- Heuerungsmöglichkeiten bei den in öffentlicher Hand befindlichen Betrieben, also vor allem bei den Wirtschaftsunternehmungen der Städte, eingeleitet werden.

Sie Beschlüsse des Reichskablnetts

Zusammenfassung zu einer Notverordnnng - Die Kranken­scheingebühr fällt für alle Erwerbslosen und Znvalidenrentner

Berlin, 1. Dez. Die Sitzung des Reichskabinetts in der Nacht zum Montag war erst nach 3 Uhr morgens zu Ende. Das Ka- binett bat den ganzen Fragenkomplex, der durch Notverordnung geregelt werden soll, üurchgearbeitet, so daß jetzt nur noch di« redaktionelle Fassung durch die Ressorts zu erledigen ist. Man rechnet damit, daß diese Arbeiten im Laufe des Montags be­endet werden können, so daß der Kanzler zum Reichspräsidenten zehen könnte, um seine Unterschrift zu erbitten. Es muß beson­ders betont werden, daß die Frage, ob ein Notstand gegeben ist, nach der Verfassung ausschließlich vom Reichspräsidenten ent- schieden wird. Die Veröffentlichung ist für Dienstag früh zu erwarten.

Während man in politischen Kreisen noch gestern mit zwei Notverordnungen rechnete, hat das Kabinett beschlossen, alles i« eine Notverordnung zusammenzufassen. Die Gründe, die dafür ausschlaggebend sind, sollen technischer Natur sein. Die Ab­änderungen der alten Notverordnung erfolgen unter dem Ge­sichtspunkt, daß Härten herabgemindert werden sollen. Einer der wesentlichsten Punkte ist der Beschluß, die Gebühr für de» Krankenschein nicht nur bestimmten Kategorien, sondern alle« Erwerbslosen und den Jnvalidenrentnern zu erlassen. Mar glaubt auch dafür die Zustimmung der Deutschen Volkspartei z» erreichen, da die letzten Berechnungen ergeben haben, daß dies, Regelung einen Ausfall von 8 bis 18 Millionen bedeutet, wäh­rend die Ersparnisse, die durch Einführung der Gebühr Lberhaupi erzielt werden, nach den seinerzeit angestellten Schatzungen etwa 428 Millionen RM. ausmachen. Bei der Biirgerabgabe ist noch interessant, daß die zunächst vorgesehene Ermäßigung des un­tersten Satzes nicht erfolgt. Die mittleren Sätze werden dagegen

in der Staffelung weiter auseinandergezogen; dazu kommt noa eine stärkere Belastung der großen Einkommen.

Das sogenannte Plafondgesetz, das die Höhe der Etats der Länder und Gemeinden begrenzt, ist so umgearbeitet worden, daß es nicht mehr verfassungsändernd ist. Die Gehaltskürzung für die Beamten der Länder und Gemeinden wird besonders ge­regelt und ebenso wie alle übrigen verfassungsändernden Vor­lagen auf den ordentlichen Weg gebracht.

Die Notverordnung vom Reichspräsidenten unterzeichnet

Berlin. 1. Dezember. Der Herr Reichspräsi­dent hat die ihm von der Reichsregierung vorgeschlagene Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen auf Grund Artikel 48 der Reichsoer­fassung heute in den späten Abendstunden vollzogen und zur Verkündung an das Reichsgesetzblatt weitergeleitet.

Die Reichsregierung verlangt Klärung bis Ende der Woche. Bis Samstag Reichstagsabstimmung über die alte und die neue Notverordnung und Mißtrauensantrag

Berlin. 1. Dezember. Wie wir erfahren, wird die Neichsregierung vom Reichstag verlangen, daß die Notver­ordnungen bis-^amstag verabschiedet werden. Der Kanz­ler wird am Mittwoch zum Etat und zur neuen Notverord­nung eine große Erklärung abgeben, in der diese Forde­rung zweifellos schon enthalten sein wird. Er wird zur Begründung darauf Hinweisen, daß der Zustand unserer Wirtschaft die schleunige Verabschiedung verlangt, wenn nicht ernste Gefahren entstehen sollen. Auch eine Beratung der neuen Verordnung im Haushaltsausschuß analog den Verhandlungen über die Juli-Verordnung kommt nicht in Frage. Der Reichstag hat diesmal nur zu entscheiden, ob er die Notverordnung aufheben will oder nicht. Da man außerdem damit rechnen muß, daß von den extremen Par­teien ein Mißtrauensvotum eingeht, wird der Reichstag auch noch hierüber bis Samstag abstimmen, so daß die politische Situation am Ende dieser Woche vollkommen ge­klärt sein wird. Die Voraussetzungen dafür dürften in den Besprechungen des Kanzlers mit den Parteien geschaffen worden sein. Es ist wahrscheinlich, daß der Reichstag auch die nächste Woche zusammenbleibt, um lausende kleinere Vorlagen zu behandeln. Mitte Dezember würde dann die Vertagung bis vielleicht Ende Januar erfolgen.

Auszug aus der Notverordnung vom 1. Dezember

Berlin, 2. Dezember. Der erste Teil derVerordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" trägt die lleberschriftAenderung der Verordnung des Reichs­präsidenten vom 26. Juli 1930". In Kapitel 1 wird die Ee- meindegetränkesteuer, dke neben der Gemeindebiersteuer besteht, auf das Rechnungsjahr 1931 beschränkt. Der Reichsfinanz­minister kann die Berechtigung der Erhebung für einzelne Ge­tränke vom 1. Januar 1931 ab aufheben, aber nicht von Trink­branntwein und Schaumwein.

Aus der Vürgersteuer sind weiter herausgenommen die Per­sonen, die Arbeitslosenunterstützung beziehen und die Sozial­rentner. Der Landessatz wird für Personen mit einem Jahres­einkommen von nicht mehr als 4500 Mark auf mindestens 6 -N, bis 6000 -4t auf mindestens 9 -4t, bis 8000 -4t auf mindestens 10 -4t bestimmt werden. Die höheren Einkommen find weiter gestaffelt belastet. Die Höchstgrenze ist 2000 -4t bei den Ein­kommen über 600 000 -4t.

In Kapitel 2 wird die alte Notverordnung dahin abgeändert, daß Arbeitslose, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Akt 17) Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung nur dann haben, wenn ihnen kein familienrechtlicher Ünterhaltungs- anspruch zusteht.

Zur Krankenversicherung: Dauert die Krankheit länger als 10 Tage, so fällt die Arzneigebühr. Von der Verpflichtung, den Beitrag zu entrichten, sind befreit alle Arbeitslosen, Jnvaliden- rentner, Unfallrentner und aus der Reichsversorgung unter­stützte Schwerverletzte und Schwerbeschädigte, ferner Tuber­kulöse und GeMechtskranke, die ihre Bedürftigkeit bescheinigen lassen. In dringenden Fällen kann der Krankenschein nachher geholt werden. Die oben bezeichnten Personenkreise sind auch von der Gebühr befreit.

Kapitel 2: (Gehaltskürzung) sieht die Kürzung um 6 Proz. vom 1. Februar 1931 ab vor für die Reichsbeamten und Sol­daten der Wehrmacht, die Warte- und Ruhegeldempfänger des Reichs, die Hinterbliebenen. Für den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister ist die bekannte 20prozen- tige Kürzung festgelegt. Von der Kürzung befreit sind Jahres­beträge unter 1600 Mark.

Die Länder kürzen die Bezüge bei sich und den Gemeinden. Soweit Beamte und andere Personen wohlerworbene Rechte nach Artikel 129 Absatz 1, Satz 3 der Reichsverfassung haben, werden diese Rechte nicht berührt. Die gleichen Kürzungsmög­lichkeiten für die Angestellten des Reichs, der Länder und der Gemeinden herbeizufllhren, können Tarif- und Einzclanstel- lungsverträge mit einer Frist von einem Monat zum 31. Januar 1931 gekündigt werden.

Der dritte Teil regelt die Steuervereinfachung und die Steuervereinheitlichung in dem Sinne der Veröffentlichung der Reichsregierung vom 30. September.

Grvlm über die Abrüstungssrage

Der Chefredakteur des Wolffschen Büros hat sich mit dem Reichswehrminister über die Abrüstung unterhalten. Hierbei er­klärte Dr. Grüner folgendes: Zwölf Jahre, nachdem in feierliche« Verträgen eine allgemeine Beschränkung und Begrenzung der Rüstungen verkündet wurde, müssen wir die Tatsache feststellen, daß heute in der Welt mehr Geld für Rüstungszwecke ausgegebe« wird, als vor dem Kriege; daß sich die Zahl der in Friedenszei­ten unter Waffen stehenden Männer unter Ausschluß der Mittelmächte allein in Europa um nahezu 500 880 Mann er­höht hat.

Deutschland und seine Verbündeten aus dem Kriege haben al» lein abgeriistet. Sechs Millionen Gewehre und Karabiner, 130 800 Maschinengewehre, 60 000 Geschütze, 15 700 Flugzeuge. 27 700 Flugzeugmotoren, 5547 Flughallen, 30 Luftschiffhallew und eine in die Hunderte von Millionen gebende Zahl von - Munition aller Art wurden zerstört oder ausgeliefert. Sämtlich» modernen Waffen, schwere Geschütze, Tanks, Luftschiffe usw. mutz­ten abgeliefert werden. Alle Festungen im Westen sind geschleift. Für die Ostfestungen ist mit Ausnahme von Königsberg jed» Geschützausstattung und jeder weitere Ausbau verboten. Deutsch­land ist das einzige Land, dem eine Entmilitarisierung seiner Grenze aufgezwungen ist.

Diese unerhörten Zumutungen haben an das deutsche Volk Anforderungen an Disziplin und Zurückhaltung gestellt, die nur deshalb erfüllt werden konnten, weil hinter diesen ganzen Maß­nahmen die feierlichen Verpflichtungen zu einer allgemeinen Ab­rüstung standen.

Früher hat man uns gesagt, die Abrüstung könne erst dann be­ginnen, wenn unsere Entwaffnung durchgeführt sei. Die Bedin­gungen wurden von uns erfüllt. Aber die Regierungen einzelner Länder erfinden immer weiter neue Vorwände, um die unge­heure Vergrößerung und Vervollkomnung ihrer Rüstungen zu be­gründen und die Abrüstung zu sabotieren.

Alan behauptet, Deutschland verfüge auf Grund seiner Men­schenzahl und seiner leistungsfähigen Industrie über einpoten- tiel de guerre" (Kriegsrüstungsmöglichkeit) durch das die Unter­legenheit des kleinen deutschen Heeres gegenüber der groben französischen Armee ausgeglichen werde. Ich frage demgegenüber: Was nützen uns die theoretischen Möglichkeiten, unsere Industrie auf die Herstellung von Flugzeugen oder Kanonen oder andere Kriegsmaschinen umzustellen, wenn diese Umstellung ohne jeden Schutz von den drei Luftdivisionen mit zirka 1600 Flugzeuge» und den 1172 schweren Geschützen Frankreichs und den anderen, sofort einsatzbereiten hochgerüsteten Armeen Polens und der Tschechoslowakei erfolgen müßte? Die Amerikaner mit ihrer hoch entwickelten Industrie brauchten im Großen Kriege zur Umstel­lung ihrer Fabriken so lange Zeit, daß es zwölf Monate dauerte, bis eine Granate, 18 Monate, bis das erste schwere Geschütz aus Neufertigunsen abgeliefert werden konnte.

Man hat weiter behauptet, die Ausbildung der langdieneude« Berufssoldaten sei der der kurzdicnenden Wehrpflichtigen so weit überlegen, daß aus diesem Grunde die Sicherheit Frankreichs be­droht sei. Was nützt uns der bestens ausgebildete Soldat, der gegenüber von 2000 sofort verfügbaren Kampfwagen unserer Nachbarn nur seine Tank-Attrappen aus dem Manöver zur Ver­fügung hat? Wie kann das deutsche Heer die französische Sicher­heit bedrohen, wenn es nur 288 Feldgeschütze den 2700 leichte« und schweren Geschützen Frankreichs gegenüberstellen kann?

Seitdem auch die Botschafterkonferenz auf Vorschlag der mili­tärischen Sachverständigen bestätigen mußte, daß die Entwaff­nung Deutschlands durchgeführt sei, sucht man heute die These von der bedrohten Sicherheit Frankreichs durch Behauptungen über angebliche deutsche Eeheimrüstungen aufrecht zu erhalten. Die Vorwürfe werden erhoben ohne dazu zu sagen, worin denn nun eigentlich unsere Geheimrüstungen bestehen sollen.

Man gebe uns die Freiheit, das uns im Versailler Vertrag ausgezwungene teuerste Wehrsystem wieder zu beseitigen. Dan« werden wir nicht mehr gezwungen sein, im Vergleich zum Wehr- vfljchtheer das Sechsfache an Löhnung, das Vierfache für die Unterbringung und das Dreifache an allen anderen Fürsorge­maßnahmen zu zahlen.

Zählt man die Summen zusammen, die im französischen Haus­halt für Rüstungszwecke zur Verfügung gestellt wurden, so ergibt sich, daß Frankreich im letzte« Jahre 14,2 Milliarden Franke«, also dreimal soviel für seine Landesverteidigung aufwendet, wi» Deutschland. Allein zum Ausbau seiner Befestigungen hat Frank­reich mehr ausgegeben, als Deutschland für seine gesamte Wehr­macht. Alle unsere Bemühungen um eine allgemeine Abrüstung wurden mit zahlreichen Broschüren und Flugblättern über di» Gefährlichkeit deutscher Rüstungen bekämpft. Und wir müsse* neuerdings wiederum feststellen, daß die französischen Behaup­tungen über die Absichten einer Eebeimrüstung ihre Quelle in ei­ner böswilligen und verleumderischen Kritik einzelner deutscher Presseorgane haben. Die französischen Behauptungen über unsere Eeheimrüstungen, für die man uns seit zwölf Jahren den Be­weis schuldig bleibt, stützen sich auf die Propaganda von De­nunzianten und Verleumdern. Glaubt man in Frankreich, daß Or­ganisationen, wie z. B. derStahlhelm" und dasReichsban. ner". die sich der körperlichen Ertüchtigung ihrer Mitglieder