Airerifter^, Dienstag den 4. r,loVtnrber? 1^30
S3. Jahrgang
U.S.A. vor Pürlmculsmahlen
(Neuyorker Brief)
Auf Woodrow Wilson folgten als Präsidenten der Ver- -inigten Staaten von Amerika Warren Eamaliel Harbins md Calvin Coolidge, zwei farblose Berufspolitiker, denen oas Ausmaß für das machtvolle Amt, zu dem sie gelangt waren, durchaus fehlte. Harding war Herausgeber einer ganz kleinen Provinzzeitung, als er in die Politik eintrat, und die kleine Provinz hat ihm — der sonst ein durchaus ehrenwerter Mensch war — bis ans Lebensende angshaftet. Loolidge war womöglich von noch kleinerer politischer Statur. Aber in den sieben Jahren seiner Präsidentschaft setzte eine Welle von „prosperity" ein, schwoll immer stärker an und machte die Bewohner der Union glücklich und zufrieden. Loolidge war daran ganz und gar unschuldig. Er hat die „prosperity" keineswegs durch irgendwelche kluge Regierungsmaßnahmen ins Leben gerufen und gefördert; war zaghaft und zurückhaltend, besaß nicht die Gabe der Initiative, war weder Volkswirt noch Staatsmann. Dennoch sprach das Volk der Vereinigten Staaten von einer „Coolidge prosperity", als wäre der segenspendende Wohlstand eine Schöpfung des Präsidenten. Coolidge war durch den vorzeitigen Tod Hardings von der Vizepräsidentschaft ins Weiße Haus gekommen; als 1924 eine neue Präsidentenwahl stattfand, siegte er mit einer Rekordmajorität über den demokratischen Gegenkandidaten — siegte unter der Devise „Coolidge prosperity".
Im Jahre 1928 schritt das amerikanische Volk abermals zur Präsidentenwahl. Kandidat der herrschenden republikanischen Partei war Herbert Hoover, der, von Hause aus Ingenieur, nicht nur in seinem Beruf, sondern auch als hervorragender Organisator, namentlich im Weltkriege, ganz außergewöhnliche Leistungen und Erfolge aufzuweisen hatte, von denen die ganze Welt mit Hochachtung und wärmster Sympathie sprach. Seit Menschengedenken hat man drüben einem gewählten Präsidenten nicht mit solch hochgespannten Erwartungen und Hoffnungen entgegengesehen wie ihm. Den Berufs- und Maschinenpolitikern war er gar nicht bequem, denn er stand im Rufe eines unabhängigen, Willensstärken Mannes, der seine eigenen, als richtig erkannter Wege ging und dem politischen Schacher starke Antipathien entgegenbrachte. Noch ehe er das Präsidentenamt antrai (4. März 1929), erschienen Bücher und Broschüren ohn« Zahl, in denen seine in der Tat ungewöhnlichen Fähigkeiten ins hellste Licht gerückt wurden. (Eine der besten dieser Biographien, ein Band von 280 Seiten, ist auch in deutscher Ausgabe erschienen: „Herbert Hoover" von Will Irwin. Deutsch von Eva Mellinger.) In Amerika setzt« man während der Wahlkampagne vergoldete Münzen in Umlauf, „Hoover-Elücksmünzen", mit der Umschrift: „Anweisung auf vier weitere Jahre Prosperität". In den ganzen Vereinigten Staaten gab es wohl nur wenige Menschen, die nicht des festen Glaubens waren, der „Coolidge- Wohlstand" werde sich zu einem „Hoover-Luxusleben" ausgestalten. Es gab wohl Stimmen — sie waren ganz vereinzelt —, die vor dem „Neid der Götter" warnten, doch sie wurden entweder überhört oder verlacht.
Selten ist ein Präsident unter verheißungsvolleren Aus- jichten ins Weiße Haus eingezogen, und selten hat einer dem Volke eine schwerere Enttäuschung bereitet als Hoover in den bisherigen achtzehn Monaten seiner Präsidentschaft. Dies hört man heute gerade aus den Reihen derjenigen, die ihn vor zwei Jahren nicht hoch genug rühmen konnten Ist es aber auch wahr, daß Hoover an dem jähen Wechsel zum Schlimmen, der seit einem Jahre drüben eingetreten ist und der im Oktober-Krach 1929 offen fühlbar wurde, die Schuld trägt? Er ist daran ebenso unschuldig wie Loolidge an der nach ihm getauften Prosperität. In diesem Punkte geschieht ihm unzweifelhaft schweres Unrecht Aber in vielen anderen Dingen ist er allerdings ganz anders vorgegangen, hat er eine ganz andere Einstellung an den Tag gelegt, als seine Anhänger erwartet hatten. Er yat sich, wenn auch nicht in dem Maße wie Harding nach Co-Lidge, dem Verufspolitikertum ergeben. Er hat vertuscht und schöngefärbt, Unwichtiges betont und Wichtiges verschwiegen, wie nur irgend ein politischer Manager und Wahlmacher. Er hat durch seine Unterschrift unter einen hochschutzzöllne- rischen Zolltarif, der ganz unverhüllt und ausschließlich den Interessen der amerikanischen Großindustrie, der Eelsgeder der republikanischen Partei dient, nicht nur in einem Teil des Auslandes eine geradezu handelskriegerische Revanche- Stimmung hervorgerufen, sondern auch in Amerika selbst im großen Konsumentenpublikum eine gegen sich und seine Partei gerichtete Feindseligkeit erzeugt. Die Farmer, die schon seit Harding und Coolidge klagen, daß es ihnen wirtschaftlich immer schlechter gehe, sind ihm nicht wohlgesinnt, weil er es ebenso wenig wie seine Vorgänger versteht, dem für Amerika lebenswichtigen Problem der Farmerhllfe beizukommen. Es wird auf diesem Gebiete ebenso viel und ebenso nutz- und erfolglos herumgedoktert wie unter seine» Vorgängern. Man sagt — nicht mit Unrecht —, daß Hoo- vers Regierungsmaßnahmen im wesentlichen auf Sie Ernennung ungezählter „Ausschüsse" hinauslaufen, Venen er den Auftrag erteilt, einen gerade zur Debatte stehenden nationalen Uebelstand in seinen Ursachen und Wirkungen zu erforschen und „wissenschaftliche" Heilmethoden zu empfehlen. Man findet, daß Hoover die von ihm geforderten
Das bulgarische Königspaar wurde in der St. Alexander-Kathedrale in Sofia in der Konfession des Königs getraut. — Aus Anlab der Hochzeit ist in Rom eine Denkmünze geprägt worden.
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„wissenschaftlichen" Methoden allzu mechanisch auf gänzlich untheoretische, verteufelt praktische Lebensfragen der Nation anwendet; und der Umstand, daß noch keiner keiner Ausschüsse bisher irgendwelche brauchbaren Ergebnisse aufzuwenden hatte, scheint dieser Anschauung recht zu geben. Man findet, daß er die wirkliche, harte Welt, bildlich gesprochen, nach Kalorien und Vitaminen mißt; man findet, mit einem Wort, daß der Präsident Hoover ein anderer sei, als der große Organisator in den Kriegsjahren, und man prophezeit, daß seine politische Laufbahn mit dem Ablauf seiner vier Präsidentenjahre abgeschlagen sein werde.
Am 4. November d. I. finden in den Vereinigten Staaten abermals wichtige Wahlkämpfe statt, diesmal nicht um Sie Präsidentschaft, sondern hauptsächlich um Kongreß-Mandate. Im Unterhause des Kongresses haben die Republikaner seit Jahren eine feste gesicherte Mehrheit, im Oberhause, dem Senat, eine schwankende, unsichere, weil dort die Demokraten im Bunde mit den republikanischen „Insurgenten" der Regierung erfolgreich Opposition machen können. Im republikanischen Lager sieht man diesen Wahlen mit großem Unbehagen entgegen. Die Kongreß-Mehrheit ist schwer gefährdet. Die Stimmung im Lande ist allem Anschein nach den Republikanern feindlich. Die andere Partei, die Demokraten, haben zum Hohn angeregt, die „Hoover- Glücksmllnze" neu prägen und unter die Bevölkerung verteilen zu lassen: „Anweisung auf vier weitere Prosperitäts- jahre...". Und Hoover hält, um die Situation zu retten, eine Kampagnerede nach der anderen, sehr gegen seine Neigung. Aber die Manager haben es von ihm verlangt.
In einer Kleinstadt von Massachusetts verfolgt ein fried- samer Bürger, der früher in Washington gewohnt hat, die heutige Lage und ist heilfroh, daß er nicht mehr in Washington wohnt. Das ist Calvin Coolidge. Bt.
Espell-Malmedq
Zum zehnjährigen Gedenktag
Der Herbst 1930 bringt für das deutsche Volk zum zehnten Male eine Reihe von schmerzlichen Gedenktagen. So schwer es heute ist, damals war es noch schwerer.
Am 6. November 1920 wurden im Deutschen Reichstag erschütternde Bilder deutscher Not entrollt. Der Abgeordnete Dr. Bell begründete zwei schwerwiegende Interpellationen über die „Wunde im Westen" — damals wurde dieser Ausdruck, mit dem wir zehn Jahre lang um unser gutes Recht gerungen haben, zum erstenmal geprägt — und der Abgeordnete Korell schloß sich ihm an. Beantwortet wurde die Interpellation von dem damaligen Minister des Auswärtigen, Dr. Simons, und dem Reichsminister des Innern, Dr. Koch. All die Anklagen, die wir über die Besetzung erheben mußten, gehören der Vergangenheit an; die Wunde im Westen beginnt zur historischen Erinnerung zu werden. Aber die man sten Worte, mit denen Dr. Bell das Unrecht an Eupen-Malmedy kennzeichnete, gelten genau so wie sie damals galten. Nachdem der Rat des Völkerbundes am 20. September 1920 in Paris beschlossen hatte, Belgien endgültig die Souveränität über die Kreise Eupen und Malmedy zuzusprechen, wurde von Dr. Bell in der denkwürdigen Neichstagssitzung am 6. November 1920 der Nachweis geführt, daß dieser Beschluß dem Versailler Vertrag und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker widerspricht. Der Versailler Vertrag hatte bestimmt, — und die Entente
hatte es in einer Note vom 16. Juni 1919 bestätigt - daß die volle Freiheit der Stimmabgabe den Bewohnern gewährleistet werden solle. Dieses Recht ist schmählich verletzt worden. So stark waren die angewandten Druckmittel, daß von 33 000 Stimmberechtigten nur 271 sich in die Liste eintragen ließen, obwohl der Kreis Eupen rein deutsch ist und Malmedy zu 75 Prozent. Diese 271 wußten ja ganz genau, daß sie damit ihre ganze Existenz aufs Spiel setzten. Ihr Protest bedeutete ein heldenmütiges Bekenntis zu ihrem deutschen Vaterlande. So brandmarkte Dr. Bell mit vollem Recht die Abstimmung in Euven-Malmedy als „die Karri- katur einer unbeeinflußten Abstimmung, als das Zerrbild des Selbstbestimmungsrechts der Völker". Dieses Unrecht darf in Deutschland nicht vergessen werden, bis es endlich seine Sühne gefunden hat mit dem im Versailler Vertrag garantierten Recht einer freien Abstimmung und. was gleichviel bedeutet, mit der Rückkehr Eupen-Malmedys zu Deutschland.
Was uns außer Eupen-Malmedy noch mit jenen Zeiten des verzweifelten Kampfes um deutsches Recht verbindet, das ist das Saargebiet. Frankreich beginnt sich in letzter Zeit unter dem Eindruck der deutschen Wahlen in steigen-, dem Maße über Deutschland zu beklagen. Demgegenüber nur eine Frage: glaubt Frankreich, daß ein normales Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland möglich wäre, wenn Deutschland die Hand auf dem französischen Erzbecken von Vriev-Longwy hielte? Niemand hat für die Regelung der Saarfrage zäher und hartnäckiger gefachten als gerade die Politiker, denen die deutsch-französische Verständigung am meisten am Herzen lag Stresemann verlor dieses Problem nie aus dem Auge. Auch die letzte Rede des Rrichs- ministers Dr Nathenau im Reichstage galt dem Saargebiet. In Beantwortung einer Interpellation des Abgeordneten Dr. Bell schilderte er die Leiden an der Saar und stellte dis Treue der Saarbevölkerung als ein Vorbild für das ganz« deutsche Volk hin. Das Ziel, dem alle diese Arbeit, alle diese Opfer galten, ist noch nicht erreicht. Es ist, als ob diese konkreten nationalen Aufgaben zurzeit in Vergessenheit geraten als ob sie mehr und mehr zurücktreten hinter politischem Streit und Hader. Auch durch die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gegenwart dürfen wir uns jedoch nicht von unserer Pflicht gegenüber den Brüdern und Schwestern im Saargebiet und in Eupen-Malmedn ablenken lassen. R.
Die Handwcrbswlrtschast im Monat Moder
Die Handwerkskammer Reutlingen teilt hiezu mit: Die Wirtschaftskrisis lastete den ganzen Verichtsmonat hindurch in unverminderter Stärke auf dem Handwerk. Selbst diejenigen Berufe, die bisher nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen waren, berichteten von einem erheblichen Rückgang der Arbeits- und Absatzmöglichkeiten. Im allgemeinen scheint die wirtschaftliche Entwicklung des Handwerks immer noch nicht an ihrem tiefsten Punkte angekommen zu sein. Der Beschäftigungsgrad lag, von einigen wenigen Gewerben abgesehen, die der Jahreszeit entsprechend etwas besser gingen, durchschnittlich noch unter dem des Vormonats. Die Berichte aus dem Handwerk lassen erkennen, daß weite Kreise desselben sich bereits in einer bedenklichen Arbeitsnotlage befinden und mit großen Schwierigkeiten um ihre Existenz zu kämpfen haben.
Die Ergebnisse des vergangenen Monats haben sich weiter verschlechtert, selbst bei gleichbleibendem Umsatz, da sich die Preisverhältnisse immer ungünstiger gestalten. Die Geschäftsunkosten, die übermäßigen Aufwendungen an Steuern und an dere Abgaben usw. gehen nicht zurück, während auf der anderen Seite der durch die Wirtschaftsentwicklung aufs schärfste entfachte Wettbewerb die Preise unter starken Druck setzt. Die Frage der erheblichen Preisunterschiede findet gleichfalls ihre Erklärung. Ein Handwerker, der mit Söhnen und nahen Verwandten arbeitet, kann schließlich billiger schaffen als ein solcher, der seine Arbeit mit fremden Gehilfen ausführt und darnach auch seine Kalkulation zu richten hat. Die vielfach fest- gestellten Unterbietungen zeigen wohl zur Genüge, daß das selbständige Handwerk in der Preisbildung sich an der untersten Grenze bewegt, während wichtige Bedarfsgüter, Rohstoffe und Halbfabrikate, bis jetzt im Preise nur verhältnismäßig wenig nachgegeben haben.
Das Handwerk fordert schon seit vielen Jahren die Einführung des angemessenen Preises. Aus einer früheren Eingabe im Jahre 1911 ist zu entnehmen, daß durch den Hinweis und die guten Ratschläge, die Handwerker sollen rechnen lernen, dann werde, es besser, dem Uebel nicht abgeholfen werden könne, denn in Wirklichkeit seien die Verhältnisse so, daß derjenige, der richtig kalkuliert, in der Regel keine Arbeit bekommt und das Nachsehen hat. Nicht bloß aus wirtschaftlichen, sondern auch aus wichtigen sozialen Gründen ist der dringende Wunsch des Handwerks, die Reichsverdingungsordnung überall durchzuführen und durch besondere Bestimmungen dafür zu sorgen, daß sie auch in dem ihr zugrunde liegenden Sinne Anwendung findet, gerechtfertigt.
Die Schwierigkeiten, mit denen das Handwerk an und für sich schon infolge des schlechten Geschäftsganges zu kämpfen hat, werden dadurch erhöht, daß das Geld außerordentlich langsam eingeht. In der Berichtszeit ist keine Besserung der Zahlungsweise eingetreten. Geschädigt wird das Handwerk außerdem nicht wenig durch die ausgedehnte Schwarzarbeit, ferner durch den Wanderhandel.
Die Geldknappheit im Handwerk, durch alle diese Erscheinungen hervorgerufen, hielt an. Die Zahl der erwerbslosen Gehilfen hat sich infolge weiterer Entlassungen und Betriebseinschränkungen erhöht, besonders im Baugewerbe und in den Metall- und holzverarbeitenden Berufen.
Im Baugewerbe nahm der Beschäftigungsgrad im Laufe des Berichtsmonats ziemlich rasch ab.