-onntagsausgabe der Schwarzwälder TageszeitungAus den Tannen

Ur. 44/S36

Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile l!0 Psg., die Neklamezeile M Wg.

Alt-nsteig. Ksnntag S. Novembers NS

1830

3om Resormatioir-Seft

Gelegenheit ist ein grohes Ding"

Das ist ein altes seines Lutherwort. Gelegenheit erfordert Entscheidung. Wie viele Gelegenheiten sind schon verpaßt wor­den durch mangelnde rechtzeitige Entscheidung! Die ganze Tragik im Leben der Menschen und der Völker beruht auf verpaßten Gelegenheiten Wie oft haben es die Menschen, ja ganze Völker mit aller Bestimmtheit gefühlt: es kommt etwas, es wird etwas. Aber irgend eine Ablenkung, irgend eine Aeußerlichkeit oder allzu große Bedenklichkeit hinderte sie am entscheidenden Zu­greifen. Und die Stunde ist vorübergeschritten, die Stunde, die Gottes Stunde hätte sein können, wo unser Leben einen ganz anderen Kurs hätte nehmen können und wir haben es nicht bemerkt Ja,Gelegenheit ist ein großes Ding". Unsere Väter, deren Gedächtnis wir heute feiern, haben zugegriffen, weil sie die Stunde Gottes erkannt haben.

Man kann sich aber auch aus andere Weise um die Gelegen­heit bringen. Dann, wenn man nicht warten kann oder warten will auf die Stunde, die Gottes Stunde sein will, wenn man etwas vorwegnimmt oder gewaltsam erzwingt, was noch nicht reif ist Vorwegnahme der Gelegenheit aber ist so schlimm in ihrer Folge wie eine verpaßte Gelegenheit. Ein eigenmächtiger Eingriff in den gottmenschlichen Geburtsprozetz kann nur geistige Fehlgeburt Hervorrufen.

Darum ihr Menschen und ihr Völker, seid wachsam und achtet auf die Gelegenheit, auf die Stunde Gottes in eurer Geschichte! DennGelegenheit ist ein großes Ding". F. Hilzinger.

O

Lutherworte für die Gegenwart Politische und weltliche Einigkeit und Bündnisse gehe» das Evangelium nichts an. Gott allein ist, der es erhält rnd schützt in der Verfolgung, dem laßt uns vertrauen und mit dem laßt vns einen ewigen Bund machen. Welt ist und bleibt doch Welt.

Wo mag höhere und größere Freude sein als in einem fröh­lichen, sicheren und mutigen Gewissen, das sich auf Gott verläßt nnd weder Welt noch Teufel fürchtet?

Kann ein Christ die Welt nicht ganz fromm machen, so tue er. er kann! Es ist genug, daß er das Seine getan und einigen geMfen hat, wenn's auch nur einer oder zwei wären. Wolle« anderen nicht Nachfolgen, fo laß sie in Gottes Namen fahre«.

Minna fuhr mit Herrn von Hochgesang zurück nach Mieritz.

In dem Gasthause machte sie dem Wirt Vorwürfe, daß er sie falsch unterrichtet habe.

Der Wirt aber sagte:Ich habe Herrn Große, der schon oft nach hier gekommen ist und manches Glas Bier mit Herrn Multsch getrunken hat. heute in einem eleganten Sechssitzer durch Mieritz fahren sehen. In seiner Begleitung waren ein kleiner, dicker, älterer Herr und eine elegante junge Dame. Ich habe doch meine Augen noch im Kopfe.

Frau Minna stutzte.

Hier stimmte etwas nicht.

Nach dem Essen fahren wir noch einmal zurück," erklärte sie dem Baron, dem die Sache langsam peinlich wurde. Aber er stimmte zu.

Der Wirt überlegte sich in diesem Augenblick, daß er viel­leicht eine Dummheit gemacht habe.

Sicher wollte Herr Multsch mit seinen Gästen nicht gestört sein.

Cr schätzte Multsch als guten Gast und überlegte, was er tun könne. Sollten sie nochmals zurückfahren, dann würde er seinen Sohn mit dem Motorrad voraussenden, damit die unterrichtet waren.

Frau Bolle mit ihrem Begleiter zu Mittag. Nachdem sie bezahlt hatten, sagte Frau Bolle:Wir fahren dann gleich noch einmal zu diesem Herrn Multsch."

Aber natürlich, gnädige Frau," sagte der Wirt.

Eine Minute später aber prasselte sein Sohn mit seinem Motorrad los.

* »

Eie hatten in Multschs Wochenendheim wundervoll zu zu Mittag gegessen.

Grete beschäftigte sich eben, assistiert von Josef, mit dem Aufwaschen, als der Sohn des Wirtes mit dem Motorrad kam.

Scheen Gruß vom Vater, un ich soll Ihn sagen, Herr Multsch, daß die Dame mit dem jungen Herrn gleich noch 'n mal mit dem Auto kommt."

Entsetzt sahen sich alle an.

Schönen Dank!" Multsch gab dem Warner eine Mark, und der machte sich wieder aus dem Staube.

Dann aber hieß es: rennen, retten, flüchten.

Josef rollte mit Blitzgeschwindigkeit das Auto heraus.

Im Nu war alles angezogen.

Die noch vorhandenen Flaschen Wein und das Essen wur­den gepackt und im Autokoffer untergebracht.

Genau vier Minuten waren vergangen, als alles in Ord­nung war.

Sie saßen im Wagen.

Multsch schloß das Haus ab und schrieb mit Kreide dran:

Verzogen nach Amerika!"

Dann sprang er ins Auto.

Josef gab Gas. Der Wagen zog an und rollte davon, und sie waren gerade im Walde verschwunden, als Minna Volle um die Ecke kam. Ihr feuerroter Autoschal flatterte im Winde.

Sie fanden die Tür verschlossen und lasen die Aufschrift: Verzogen nach Amerika!"

Frau Minna kochte und zischte:Un un ick laß mir fressen sie sind doch hier gewesen."

Aber wohl oder übel mußte sie sich entschließen, umzu­kehren.

* *

Volles Auto fuhr seinen Weg.

Eine runde halbe Stunde fuhren sie um den See herum, bis sie an einem kleinen Gartenlokal, das idyllisch am Seeufer lag, halt machten.

Sie stiegen aus und tranken erst einmal gemütlich Kaffee.

Aber als Bolle einmal plötzlich zur Seite sah, kriegte er einen Schreck, denn ... an dem einen Tisch saß neben einer stattlichen, nicht mehr ganz jungen, aber stark geschminkten Dame . . . sein Schwiegersohn, der große Mime Martin von Arlberg.

Arlberg erkannte nun auch seinen Schwiegervater.

Das Entsetzen war bei ihm noch ein gutes Teil größer.

Was tun?

Wie ein ertappter Sünder saß er da. Dann erhob er sich er war gerade mit seiner Ausrede fertig trat zu seinem Schwiegervater und begrüßte ihn, seine Schwägerin und die beiden Herren in vornehmer Weise.

Sagen Sie mal, lieber Schwiegersohn, was haben Sie denn für 'ne Dame dort drüben? Die hat mit Dina gar keene Aehnlichkeit."

Das ist. . . Frau Direktor Sanders!" log der Mime sicher.Es ist wegen eines Engagements . . . eine Tour­nee. Sie verstehen, lieber Schwiegervater. Da ist mit der Direktorin oft mehr zu machen, als mit dem Mann.' So ist's im Leben! Die Weiber regieren und man muß sich darnach richten."

Volle wußte, daß der Schwiegersohn log, aber er nickte gutmütig und tat, als ob er es glaubte.

Das ist ja schön, lieber Schwiegersohn. Wer da werd' ich der Frau Direktor mal guten Tag lagen!"

Ehe sich der entsetzte Mime von seinem Schreck erholt hatte, stand Bolle mit liebenswürdigem Lächeln an dem Lisch.

Jestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle, Frau Direk­tor Sanders. Mein Schwiegersohn hat mir erzählt, von wegen Engagement. Na ja . . ."

Weiter kam er nicht.

Das geschminkte Weib lachte frech auf und sagte:Dicker­chen, bei dir ist's wohl nicht richtig! Icke un 'ne Frau Direk­tors? Ick bin kalte Mamsell bei Schleizheimer in de Pots­damer Straße. Un was reden Sie da . . . von wegen Schwiegersohn! Det is mei Bräutjam! Heh!"

Bolle fiel die Butter vom Brote.

Aber er blieb ruhig.Hören Sie, meine Beste, da klafft ne Lücke. Det is mein Schwiegersohn, der stellungslose Schauspieler Martin von Arlberg, der von mir unterhalten wird, und der mit meiner Tochter Dina seit zwei Jahren verheiratet ist. So, nun wissen Sie es!"

Ja. sie hatte begriffen. Jetzt legte aber die kalte Mamsell los, daß die Bäume anfingen zu wackeln.

Heiratsschwindler, Lump, Verführer!" regnete es nur so, und der Schauspieler erkannte, daß er verspielt hatte, und zog sich fluchtartig zurück.

Als das Mädchen das erkannt hatte, wurde sie plötzlich blaß und fing an zu schluchzen.

Na, was haben Sie denn, Fräulein?" fragte Bolle mit- leidi«.

Wat ick habe? Keen Geld habe ick! Wie soll ick ohne Jeld wieder nach Berlin komm?"

Keen Geld!" sagte Bolle und zog die Brieftasche.Damit Sie keinen Schaden haben, wenn mein Schwiegersohn nun künftig nicht mehr ihr Bräutigam ist. . . hier, haben Sie hundert Mark Schmerzensgeld. Det ists mir wert. Jetzt weiß ich, daß er 'n Lump ist."

Das Mädchen starrte ihn an.

Hundert Mark! Det soll mir sin? Dickerchen, du mußt klotzig Jeld haben. Wie is 'n da mit 'n kleenet Verhältnis?"

Bolle ekelte es. Aber er sagte mit Lächeln:Danke . . . ich habe an meinem Verhältnisse genug."

Das Mädchen lachte vielsagend, aber der gute Bolle hatte etwas ganz anderes gemeint.

Bolle saß wieder am Tisch.

Der Vorfall hatte die gute Laune sichtlich getrübt.

Besonders Grete war niedergeschlagen

So sind nun die Männer!" klagte sie und sah Karl hall» vorwurfsvoll an.

Doch der entgegnete ernst:Nur ... die Lumpen unter ihnen. Es gibt noch treue, Fräulein Grete."

Und dabei faßte er leise ihre Hand und drückte sie.

Nun war wieder Freude in ihrem Herzen.

Ganz leise entgegnete sie:Und es gibt auch Frauen die warten können."

* ^ *

Spät am Abend kamen sie in Berlin an.

Ws das Auto vor der Villa hielt und Volle und Grete ausstiegen, sahen sie noch Licht im Hause.

Minna wartet auf uns!" sagte Bolle mit verschmitztem Lächeln.

Dann verabschiedeten sie sich von Karl.

Er küßte Grete zum Abschied die Hand und sie hat, als sie schlafen ging, die Stelle glücklich gestreichelt.

Wie eine Rachegöttin stand Frau Minna Bolle im Zim­mer, als Vater Bolle mit Grete eintrat.

Lag, Mutter!" sagte Bolle freundlich.

Tag, Volle! Wo kommt Ihr her?"

Vom Mieritzer See!" sagte Bolle ruhig.Wir waren bei Herrn Multsch mit Herrn Große zusammen."

Schwindel!" sagte Frau Bolle scharf.Ihr wart im Harz!"

Wenn du denkst, dann meinetwegen. Im Harz . . . was wollen wir im Harz? Das ist mir zu weit für so zwei Tage. Warum sollen wir denn nicht am Mieritzer See gewesen sein?"

Weil ich selber dort war. Ich habe euch mit dem Baron gesucht. Er ist entsetzt über deine Taktlosigkeit."

So! Na, Minna, dann laß dir mal sagen, daß dein« noch 'n paar Meter höher ist. Wir hatten uns versteckt, als ihr gekommen seid. Denkst du, wir lassen uns einen schönen Tag verderben? Schön war's, Minna ' Nur eens war 'n schlechtes Erlebnis: Den Mann von der Dina . . . den haben wir getroffen, mit der Liebsten zusammen, 'ner kalten Mam­sell aus der Potsdamer Straße. Pfui Deibel, so 'n Lump ist der Arlberg! Ich mag 'n nicht mehr sehen. Staatsschw-eger- söhne Hab ich, Minna! Staatskerls, das muß ich sagen. Und daß die Mädels an diesen Kerls hängen, da bist du zum guten Teil daran schuld. Jawoll! Jetzt guck nur nich so unschuldig! Wenn unsere Töchter unglücklich werden, dann mögen sie sich bei ihrer Mutter bedanken, die alles war, nur nich 'ne gute Mutter."

Ich war keene gute Mutter nich?" erboste sich Frau Minna.

Nee, warste nicht und biste nicht! Ein eitles Weib, da» 'ne Rolle spielen will, und das sich was einbilden will. So, jetzt sag ich's mal. Ist mir bitter genug. Aber mal muß es raus. Was warste mir mal für 'ne liebe Frau. Ich war dir jut, Minna, wahr und wahrhaftig. Ich habe gedacht, daß du immer so 'n guter Mensch bleiben würdest. Aber nischt ist!- Zwee Töchtern haste geholfen, daß sie Lagediebe zu Männern nahmen, statt ehrliche Kerls, die was können. Und die dritte, die willste mit aller Gewalt zu dem Baron zwingen. Das wird nicht. Alte, da red' Bolle erst noch paar Worte mit."

Minna Bolle, verbohrt, verbiestert, von ihrem Recht be­sessen. fand vor Entrüstung keine Worte.

* *

*

Zwei Tage später machte Baron Ludolf von Hochgesang feine Aufwartung. Er erwähnte seine Braut mit keiner Silbe, war heiter und gesprächig.

Sie kamen auch auf das Rennen zu sprechen, in dem Volles Pferd starten sollte, und der Baron sagte lächelnd, daß er bedaure. daß sich Herr Bolle unnütz in Kosten stürze.