Atrenstetg, M ittwoch den 82. Oktober 1030

53. Jokrgong

Die Kohlenpreisseikung

Absatzkrise und Lagerbestände Feierschichten und Ar- -eitslosenziffern England will den Weltmarkt erobern Von unserem parlamentarischen Mitarbeiter wird uns geschrieben:

Da die Reichsregierung ihre Unterhandlungen mit der Ruhrkohlenindustrie bezüglich einer Kohlenpreissenkung zu­friedenstellend beenden konnte, ist eine Betrachtung der deut­schen Kohlenwirtschaft im Inland und im Ausland, die vom Konjunkturrückgang keinesfalls verschont blieb, von besonderem Interesse. Die Preissenkung, mit welcher dis Industrie gegen entsprechende Sicherungsforderungen im Prinzip einverstanden ist, soll wie man hofft nicht nur für den Konsumenten, sondern durch Erhöhung des Absatzes noch für die Industrie von Nutzen sein Ein Blick in die Statistik des Kohlenbergbaues und des Koh­lenabsatzes im letzten Wirtschaftsquartal Juli-August-September enthüllt Deutschlands unglückliche Lage in der Kohlenweltwirt­schaft. Obwohl im August die Anzeichen einer leichten saison- mäßigen Belebung auftraten die Steinkohlenförderung z. B. gegenüber Juli um 2,7 Prozent zunahm, bleibt die Kohle- produktion gegen das vorige Jahr weit zurück in ver Stsin- kohlenproduktion um 17,5 Prozent. Die großen deutschen Kohlen­gebiete lRuhrbezirk, Westoberschlesien und Aachener Revier für Steinkohle und Ostelbischer. Mitteldeutscher und Rheinischer Be­zirk für Braunkohle) weisen durchweg eher eine Verschlechterung als eine Besserung der an sich schon schwer tragbaren Lage aus. Sowohl Steinkohlen- wie Braunkohlen- und Koksinüustrie leiden an einer schweren Absatzkrise, die das Erundiibel der gegen­wärtigen Situation ist. Die Haldenbestände nehmen immer mehr zu, weil der Absatz in noch weiterem Matze zurllckgeht als die Produktion. Auch die Kokserzeugung ist gezwungen, ständig trog Einschränkung der Produktion erhebliche Koksmengen auf Lager zu nehmen, so datz die Vorräte allein im Monat August im Ruhrgebier um 9,1 Prozent, in Westoberschlesien um 10.1 Pro­zent stiegen. Im Ruhrkohlengebiet betrug die arbeitstögliche Förderung der Kohle im Juli 320 282 Tonnen gegenüber 404 1S4 Tonnen im Juli des Vorjahres, im August 328 423 Tonuen gegenüber 407 950 Tonnen, im September etwa 330 006 Touo«, gegenüber 409 000 Tonnen im Jahre 1929. Die täglich.; K«ks- erzeugung im Ruhrgebiet betrug im Juli 1930 etwa 47 SOS ^sa­uen gegen 95 205 Tonnen im Vorjahre, im August 73 652 Tonnen gegen 96 741 Tonnen und im September etwa 74 000 Tonnen gegenüber 97 000 Tonnen im Vorjahre. Trotz dieses Rückganges ergab sich für den 20. September 1930 ein Lagerbestaud von 7 404 000 Tonnen Kohle (einschließlich Koks und Briketts) allein im Ruhrgebiet, zu dem noch ungefähr 1400 000 Tonnen Lager- dlstände des Syndikats und die Vorräte auf den Eisenbahn­wagen kommen. Im Verhältnis zum Ruhrkohlenbergbau ist die Lage des Westoberschlesischen Kohlenbergbaues etwas besser. Zn Oberschlesien betrug die arbeitstägliche Kohlenförderung im Juni 1930 etwa 57 700 Tonnen, im Juli 54 600 Tonnen, im August 5b 200 Tonnen gegenüber 71700 Tonnen im August 1929. Die Haldenbestände weisen aber eine allmähliche Abnahme auf und sind von 677 081 Tonnen Steinkohle im Juli auf 505 000 Tonnen im September zurückgegangen. Im Aachener Revier dagegen vermehrte sich der Haldenbestand bis September auf 282700 Tonnen. Im Braunkohlenbergbau erhöhte sich zwar die Förderung im August um 4,1 Prozent, aber eine Erhöhung der Bestände trat in noch größerem Verhältnis ein.

Diese Ziffern geben eine klare Durchschnittsübersicht über die allgemeine Lage der deutschen Kohlenindustrie: sie Be­stände nehmen zu, obwohl die Förderung verringert wird. Die Folge der Produktionsverminderung ist Anwachsen der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet läßt sich daran ermessen, daß trotz 1213 484 Feierschichten im Juli, 941 MO Feierschichten im August und 697 487 Feierschichten im September die Zahl der arbeitsuchenden Bergarbeiter am 15. Juli 36118, am 15. August 40 471 und am 15. Sep­tember 46 257 betrug, also von Juli bis September um 10 000 Mann stieg.

Schuld an dem wirtschaftlichen Rückgang der Kohlen­industrie, welche jetzt nur noch auf Abschreibungen angewie­sen ist, trägt der beispiellos schlechte Absatz im Inland und im Ausland. Von der zweiten Augusthälfte ab setzte im Inland eine leichte saisonmäßige Besserung des Hausbrand- Seschäftes ein. Die Eindeckungen der Verbraucher blieben aber weit hinter dem Stand der vorigen Jahre zurück, so daß der Reichskohlenkommissar öffentlich aus die Gefahr einer unzureichenden und verspäteten Lagerbeschaffung hin­wies.

Zu dieser Jnlandslage kommt der schärfste Konkurrenz­kampf des Auslandes. Die wichtigsten Kohlenländsr sind Ü.C.A., die im Wettbewerb mit Deutschland aber ausschei- öen, England und Deutschland. England bereitete durch starke Preisunterbietungen an den Küstenplätzen und in Süd- und Mitteldeutschland dem Ruhrkohlenbergbau scharfe Konkurrenz. Dazu kommen die Angebote in holländischer, kotl.gischer und Saarkohle, welche zugenommen haben. Auch Polen drückt mit seinen Angeboten die Weltmarkt­preise. Die unangenehmste Konkurrenz Deutschlands ver­spricht England zu werden, das mit einem neuen Kohlen- gesetz die Auslandsmärkte wiedererobern will und bereits mit Skandinavien, einem guten Abnehmer Deutschlands, durch Entsendung einer Kohlenkommission Fühlung genom­men hat. Der in Aussicht genommene Preisabbau des Ruhrkohlenbergbaues macht die deutsche Kohle im In- und Ausland konkurrenzfähiger und dürfte sich auf den Absatz günstig auswirken.

SV Jahre Kölner Dom

Am 15. Oktober wurde das 50jährige Jubiläum der Vollendung des Kölner Doms gefeiert. Nicht weniger als 632 Jahre batte es gedauert, bis der prächtige Bau endlich vollendet war: Am 13. August 1248 war der Grundstein gelegt worden.

Streiflichter aas der Wirtschaft

Das Lohnproblem im heutigen Deutschland

Schon Rathenau konnte seinerzeit an Hand einwandfreien Zahlenmaterials Nachweisen, daß diejenigen sich in einem völ­ligen Irrtum befinden, die annebmen, daß das Lohnproblem ein Problem der Verteilung des Eeschäftsgewinnes zwischen Arbeit­geber und Arbeitnehmer sei. Er rechnere nach, daß die Gesamt­summe aller Führer- und llnternebmergehälter in der Industrie verteilt auf die große Masse der Arbeitnehmer einen so kleinen Koviberrag ergeben würde, daß damit in keiner Weise die Le- benshe' aug der Masse der Arbeitnehmer irgendwie gebessert werden könnte. Das grobe russische Experiment hat bekanntlich dasselbe schlagend bewiesen. Dieselben Tatsachen ergeben sich auch aus den vom Institut für Konjunkturforschung errechnten Ein­kommenszahlen des deutschen Volkes.

Der Anteil der Lohnempfänger am Volkseinkommen beträgt in Deutschland rund 66 Prozent, in den Vereinigten Staaten nur 55 Prozent. Die hohen Löhne in Amerika sind keine Folge eines höheren Anteils des Arbeiters am gesamten Volksein­kommen. Von einerAusbeutung" der Berufskategorie der Lohn­empfänger durch den Unternehmer kann in Deutschland daher gar keine Rede mehr sein. Im vollständig sozialisierten Staat könnte den Arbeitnehmern bestenfalls das geboten werden, was sie heute erhalten. Tatsächlich würde sich ihre Lage materiell verschlechtern, weil die dann völlig verstaatlichte und kommuna­lisierte Wirtschaft bestimmt weniger sparsam betrieben würde. !

Wo bleibt der Preisabbau der öffentlichen Betriebe?

Man schreibt uns: Die Industrie muß heute steigende Abgaben trotz Kurzarbeit, Vetriebseinschränkung und schlechtem Zah­lungseingang leisten und sich dabei noch von den Staatsbehör­den Preiskürzungen gefallen lassen. Deshalb wäre es wohl nicht mehr als recht und billig, wenn die Industrie ihrerseits an ihre Lieferanten mit der gleichen Forderung heranträte und von den Staats- und Kommunalbetrieben, deren Abnehmer sie ist, eben­falls Herabsetzung der Preise s- B. für Gas, Koks. Elektrizität, Wasser, Beförderung usw. verlangte. Es gibt keinen Industrie­betrieb, der unter ähnlich günstigen Bedingungen arbeiten kann wie die öffentlichen Betriebe, keine Fabrik, bei der der Zahlungseingang so regelmäßig ist und die Einnahmen durch Zuschläge den Ausgaben so leicht ansevaßt werden können, von der Steuerfreiheit gar nicht zu sprechen!

Heute kann kaum ein an ein öffentliches Elektrizitätswerk ab­geschlossener Betrieb seine Kraftanlage auch nur annähernd aus­nützen. Trotzdem muß der Anschlußwert bezahlt werden. Der Verbraucher trägt also bei schlechter Konjunktur die Kosten al­lein. Bei gutem Geschäftsgang dagegen sind die öffentlichen Be­triebe sofort bereit, sich den höheren Anschlußwert bezahlen zu lassen, während umgekehrt in der Industrie, sobald größere Auf­träge kommen, die Preise herabgesetzt werden müssen.

Die Mißachtung des Pfennigs

Untersuchungen über den Kleingeldumlauf haben ergeben, daß die breite Masse in Deutschland im Gegensatz z. B. zu Oester­reich nicht mehr mit Pfennigen und selbst mit 5 Pfennigen rech­net, daß sie ihre Qualitätsansprüche an die Waren ungeheuer gesteigert hat trotz 3 Millionen Arbeitslosen ständig steigende Butternachfrage. 1913 waren 20 Millionen Reichsmark Kupfer- seld im Umlauf, im Jahr 1929 nur 8,5 Millionen Kupfergeld, was im Sinken des Bedarfs an Kleingeld um 76 Prozent ent­spricht. Im Einzelhandelsgeschäft hat die Kundschaft praktisch auf Preisdifferenzen von 1 bis 4 Pfennigen verzichtet. Mit den 5-Pfennig-Stücken liegt es ähnlich. Im Jahre 1913 liefen 30 Millionen Stück um, 1929 nur 26,5 Millionen, bei einem um 64 Prozent gesteigerten Umsatz. Die Ursache liegt in verminder­ten Zukunftssoraen aller beamtenmäßig versorgten Bevölkerungs­kreisen und einer damit und mit der Jnflationspsyose zusam­menhängenden Minderung des Sparbetriebes. (Aus: Werks­leiter 11. 1930.)

Das große Sterben in der deutschen Industrie

Von 8035 Unternehmungen ver Eisen- und Stahlwarenindu­strie haben laut Deutscher Bergwerkszeitung 1197 den Betrieb eingestellt, 145 sind bereits in Konkurs. Die Zahl der Beschäftig­ten ist in der Hagener Industrie von 42 OM auf 21017 im Juli 1930 gesunken.

Angebote japanischer Waren auf dem deutschen Markte.

Javanische Kunstseide wird in Hamburg einschließlich Zoll um 20 Prozent billiger angeboten als deutsche,' japanische Zellulose­kämme bei gleichen Bedingungen um 50 Prozent billiger: java­nische Zahnbürsten sind 1213 Pfennige je Stück billiger. Die Einkäufer deutscher Warenhäuser tragen z. T. kein Bedenken, diese Waren zu kaufen. Neben dieser neu auftauchenden astati­schen Konkurrenz beginnt auch ein amerikanischer Schleuderex­port zu droben. (R. Lalwer, Wirtschaftliche Tagesberichte, 75, 1930.)

Seltsame Versichermgsfälle

8 Aus der Praxis einer Newyorker Kranken- und Un­fallversicherung werden nachstehende Fälle bekannt, die in den letzten Wochen erledigt worden sind:

Die Versicherte trat in einer Gesellschaft in einer Ge­sangs- und Tanzrolle auf. Sie bewegte die Arme hin und her, um den Takt der Musik anzudeuten. Dabei traf sie sich mit der Hand so heftig auf den Mund, daß zwei Zähne abbrachen."

Die Versicherte sah, daß ihr Hund von einem Auto überfahren und getötet wurde und erlitt dabei einen der­artigen Schrecken, daß sie eine Zahnbrücke mit drei Zähnen verschluckte."

Der Versicherte wollte seiner Verlobten einen Kuß durch den Fernsprecher senden. Er stieß dabei mit dem Munde so heftig gegen den Sprechapparat, daß ein Zahn abbrach."

Der Versicherte beging beim Anzünden einer Zigarette das Versehen, daß er die angezündete Zigarette wegwarf und das noch brennende Streichholz in den Mund steckte. Er erlitt dadurch ernsthafte Brandwunden an der Zunge."

Der Versicherte stieg in seiner Wohnung ohne Licht in den dunklen Keller hinab. Er zählte die Treppenstufen und glaubte irrtümlich die unterste Stufe erreicht zu haben. Beim Strecken des Körpers stieß er mit dem Kopf gegen den niedrigen Treppengang. In dem Glauben, von räu­berischer Hand einen Schlag über den Kopf erhalten zn haben, holte er mit der Faust zum Gegenschlag aus und traf dabei den Balken, mit dem sein Kopf bereits in schmerzliche Berührung geraten war. Er erlitt einen schweren Bruch des Handknochens." m.

Ein seltener IM non Helschen

beschäftigt in Chemnitz zur Zeit die Öffentlichkeit: Ein städtischer Beamter aus Chemnitz fuhr im Hochsommer in die bayerischen Berge, machte dort eine Wanderung auf den Kramer und blieb seither verschollen. Von seiner Frau sofort auf die Spur gesetzte Rettungsmannschaften hatten keinerlei Erfolg. Der Beamte wurde alsverschollen, wahrscheinlich tot" in das Standesamtsverzeichnis ein­getragen. Drei Wochen nach der Eintragung erschien in der Wohnung der Witwe der Chemnitzer Ingenieur Meyer­mann und behauptete, durch seine hellseherischen Fähig­keiten die Leiche des Verschollenen auffinden zu können. Er ließ sich eine genaue Karte des bayerischen Verglandes geben und zeichnete in diese mit Hilfe des siderischen Pen­dels den genauen Weg ein, den der Verschollene bei seiner letzten Wanderung genommen hat. Weiter bezeichnete er bis in Einzelheiten hinein den Ort, wo die bis dahin von den bergkundigen Führern nicht aufgefundene Leiche lie­gen solle. Auf Grund dieser Mitteilungen schrieb dis Witwe einen ausführlichen Brief an die Behörden in Gar­misch-Partenkirchen. Die darauf von den Partenkirchener Behörden noch einmal ausgesandte Rettungsmannschaft hat auch tatsächlich Erfolg gehabt und hat die Leiche des Beamten zwischen der Kramerlaime und der Vei- l a i m e, zwei Wildbächen, die nur dem ortskundigen Ge- Lirgssportler bekannt sind, aufgefunden. Das Erstaunliche ist, daß der Ingenieur Meyermann nachweisbar noch nie­mals in seinem ganzen Leben in den bayerischen Alpen gewesen ist und weder den Kramer, noch Garmisch-Parten­kirchen kennt. Das Bekanntwerden dieses bemerkenswer­ten Erfolges des Hellsehens hat selbstverständlich größte Beachtung in Chemnitz gefunden. Die gerichtlichen Sach­verständigen haben Meyermann vernommen und von ihm die Angabe erhalten, daß er schon vor der Abreise gewußt habe, der Beamte werde verunglücken. Da aber niemals den Hellsehern und ihren Voraussagen geglaubt werde, habe er davon Abstand genommen, ihn oder seine Frau zu warnen.

Bon Affen gestohlene Kinder

8 Der Berichterstatter eines südafrikanischen Blattes in Vloemfontein erzählte kürzlich aus Port Alfred einen neuen Fall von einem Menschenkinde, das lange Zeit unter Affen gelebt hat. Das kleine Kind einer Eingeborenen war von dieser am Wegrand schlafend zurückgelassen worden, während sie arbeitete. Es wurde von Pavianen aufgegriffen und fortgeführt und blieb viele Jahre unter diesem Volk, bis der 14jährige Knabe jetzt von einem Farmer unter einer Pavianherde entdeckt und gerettet wurde. Der Junge macht einen voll­kommen vertierten Eindruck und ähnelt sehr viel mehr einem Affen als einem Menschen. Dieser Fall steht in Afrika nicht allein da, sondern ähnliche Dinge sind schon oft von Reisenden berichtet werden. So berichtet Oberst Cyril Foley von einemEoback" wie man diese zu Affen ge­wordenen Menschen nennt, der nach langen Jahren wie­der ins zivilisierte Leben zurückkehrte. Er war damals ein