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ALtensteig» Montag Äon 6. Oktober 1930

53. Jahrgang

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SO Tote, darunter der englische Lustschissahrtsminister und § Direktor Vranker !

Paris. 5. Okt. Das englische Luftschiff »R. 101", das am j Samstag abend um 18.30 Uhr in Cardington zur Zndiensahrt startete, ist Sonntag früh gegen 2.30 Uhr bei Beauvais, etwa SO Kilometer nordwestlich von Paris, explodiert. Von den S8 Teilnehmern der Fahrt sind SO verbrannt, darunter der englische Lustsahrtminister Lord Thomson. Die 8 lleberleben- >e» wurden mit schweren Brandwunden nach Beauvais ins Krankenhaus gebracht, sind aber anher Lebensgefahr. Im Augen­blick der Katastrophe flogR. 101" nur 100 Meter über der Erde gegen eine schwere Regenböe. Von dieser wurde das Luft­schiff gegen den Erdboden geschlendert und ex­plodierte.

Der Hergang der Katastrophe

Gegen 2 Uhr morgens wurden die Bewohner von Veauvis durch den Lärm mehrerer Motoren aus dem Schlafe geweckt. Als die Leute die Fenster öffneten, bemerkten sie das große eng­lische LuftschiffR. 101", das sehr niedrig flog und von Nord- westen her aus der Richtung Abbeville kam. Trotz des Regens und dichten Nebels zeichnete sich das Luftschiff mit seinen roten und grünen Signallichtern deutlich vom Nachthimmel ab Es schien schwer gegen die Regenböen anzukämpfen, plötzlich ertönte eine furchtbare Explosion. Man sah riesige Flammen empor- fteigen und das Luftschiff stürzte ab. Die Bewohner von Beau­vais und die Bevölkerung von Alonne, das etwa 4 Kilometer süöstlich von Beauvais liegt, liefen querfeldein der Unglücks­stelle zu, konnten sich aber wegen der ungeheuren Hitze, die der Brand entwickelte, dem Luftschiff nicht nähern. Man sah nur einige gespensterhafte Schatten hin- und herlaufen, es waren ein paar Leute der Besatzung des Luftschiffes, die ihr Leben retten konnten. Alle Behörden des Departements fanden sich am Platze der Katastrophe ein. Die Offiziere des 51. Infanterieregiments und die Gendarmerie organisierten den Ordnungs- und Hilfs­dienst. Der französische Luftfahrtminister Laurent Eynac reiste sofort nach der Unglücksstelle. Nach einer weiteren Meldung wurden zunächst 20 verkohlte Leichen geborgen, darunter der eng­lische Luftfahrtminister Lord Thomson.

jst Der Bericht des Bordingenieurs

Von der Katastrophe des englischen LuftschiffesR. 101" gibt der Bordingenieur Leach folgende Schilderung: Im Augenblick der Katastrophe schlief, abgesehen von den Wachen und den Pi­loten, alles an Bord. Die Motoren arbeiteten glänzend. Das Luftschiff war mitten in einen Regensturm geraten. Dreimal neigte es sich dem Erdboden zu, bis eine äußerst starke Böe es zu Boden drückte. In diesem Augenblick ereignete sich dis Explosion.R. 101" bildet nur noch eine unförmliche Masse, aus der an einer Stelle noch immer Flammen auslodern. Die Mo­toren, die zur Hälfte in die Erde gerammt sind, ragen stumm aus dem Gewirr hervor.

Nach den Schilderungen des Bordingenieurs Leach ist das Heck desR. 101", als das Unglück eintrat, gebrochen, worauf das Luftschiff abstürzte. Der Führer versuchte, als das Luftschiff sich neigte, es mit aller Gewalt wieder hoch zu bekommen, doch das Steuer versagte. Die 8 lleberlebenden, die sich in Veauvis be­finden, sind außer Gefahr. Drei konnten das Krankenhaus nach Anlegung von Verbänden wieder verlassen. Der getötete Lord Thomson war 51 Jahre alt und Junggeselle. Unter den Toten befindet sich ebenfalls Major Scott, der das LuftschiffR. 100" bei seinem kürzlich nach Kanada unternommenen Flug führte, und der auch das LuftschiffR. 34" bei seinem ersten Flug über den Atlantischen Ozean befehligte.

Das schwierige Rettungswerk nahm seinen Anfang, als der Tag anbrach. Zahlreiche Feurwehrleute und Gendarmen drangen in die Trümmermassen ein und fanden zunächst vier nackte und verbrannte Körper, die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Sie wurden auf Vahren gelegt und an eine Hecke in eine Reihe gestellt. Die Reihe wurde schnell größer, da bei dem wei­teren Rettungswerk immer mehr Leichen gesunde wurden, doch ist es nicht möglich, die letzten zu finden. Es wurden Vretter- särge herbeigeholt und die Leichen zum Rathaus von Alonne gebracht.

Die letzte Nachricht vonR. 101", die man um 1.50 Uhr er­hielt, und die im Hinblick auf das bald darauf erfolgte Unglück von erschütternder Tragik ist, lautet:Zurzeit befinden sich die Passagiere nach einem ausgezeichneten Mahl, und nachdem sie ihre Zigarre geraucht haben, im Begriff, Schlafen zu gehen."

Weitere Einzelheiten vom Unglück desN. 101"

Beauvais, 5. Okt. Nach den weiteren Meldungen beffnden sich unter den Toten auch der Chefkommandant des Luftschiffes. Seet, und der zweite Kommandant Hirwen. Als sich dis Kata­strophe ereignete, versahen zwölf Mann den Dienst im Luftschiff, während alle anderen schliefen. Im Innern der Führergondel wurde die verkohlte Leiche eines Mechanikers gefunden, der noch einen Schraubenschlüssel in der Hand hielt. Die acht geretteten Passagiere befanden sich in der mittleren Kabine, während die übrigen in den Seitenkabinen untergebracht waren. Zwei der Geretteten erklärten, daß sich während des Absturzes ein über

ihnen befindlicher Wasserbehälter öffnete und daß sie dadurch vor dem Flammentode bewahrt wurden. Der Vorderteil des Luftschiffes ist völlig zusammengedrückt, während der hintere Teil »och teilweise erhalten ist. Bewohner der Umgegend be­richten, daß sie in einem Umkreis von mehr als zwei Kilometer Aluminiumtrümmer gefunden hätten. Die llnglücksstätte ist von einer riesigen Menschenmenge dicht umlagert, trotzdem es in Strömen regnet.

Die Löscharbeiten amN. 101" beendet >

Paris, 5. Okt. Die Löscharbeiten, die in Beauvais bei dem verunglückten englischen LuftschiffR. 101" sofort nach der Kata­strophe ausgenommen wurden, sind beendet. Man kann jetzt mit Bestimmtheit sagen, daß 50 Personen «ms Leben gekommen find. Bis heute nachmittag waren 47 Leichen geborgen und man hofft, die drei anderen Leichen auch noch bergen zu könne». Die 47 Leichen sind eingesargt worden und nach der Bürgermeisterei von Alonne gebracht worden. Dort werden im Laufe des Abends Vertreter der englischen Behörden erwartet, die in der Lage sind, die einzelnen Leichname zu identifizieren. Außerdem sollen sach­verständige Techniker ankommen, die den Versuch machen wollen, aus den Trümmern des Luftschiffes festzustellen, welches oie Ur­sache der Explosion gewesen ist.

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Ungewißheit über das Schicksal des Direktors der zivilen Luftfahrt

Unter den Personen, die an der Fahrt des LuftschiffesR. 101" teilnahmen, war auch Sir Sefton Vrancker, der Direktor der zivilen Lustsahrr Englands. Sein Schicksal ist ungewiß er Wird bisher vermißt.

Das Beileid des Reichskanzlers Berlin, 5. Okt. Anläßlich der furchtbaren Katastrophe, von der das LuftschiffR. 101" betroffen wurde, hat Reichskanzler Dr. Brüning dem englischen Ministerpräsidenten Macdonallj «in warmgehaltenes Beileidstelegramm gesandt.

Beileidstelegramm Dr. Eckeners Leipzig, 5. Oktober. Dr. Eckener, der heute als Ehren­gast der Stadt in Leipzig weilt, hat an den Ministerpräsi­denten Macdonald folgendes Telegramm gerichtet:Tief bewegt von dem tragischen Geschick, das der englischen Nation so viele wertvolle, in ihrem idealen Streben vor­bildliche Männer nahm, bitte ich Ew. Exzellenz mein herz­liches Beileid aussprechen zu dürfen. Die Besatzung des Gras Zeppelin" trauert aufrichtig in kameradschaftlicher Verbundenheit, (gez.) Dr. Eckener."

Die Trauer in England über die Luftschiffkatastrophe London, 6. Oktober.R 101", das größte Luftschiff der Welt, der Stolz der britischen Luftschiffahrt, liegt in einem französischen Obstgarten, eine Masse verbogener geschwärz­ter Metallstücke. Von den 54 Männern, die so frohen Mutes im Luftschiff gestern abend abfuhren, zuversichtlich, daß sie einen epochemachenden Flug nach Indien unterneh­men würden, sind alle außer acht tot! Mit diesen Worten wurde der englischen Oeffentlichkeit die furchtbare Luft- schifskatastrophe mitgeteilt. Die Nachricht, die dieTitanic- Katastrophe der Luft" genannt wird, hat Trauer in ganz England, vom König, den Kabinettsmitgliedern, bis herab zu dem letzten Bürger verbreitet. In seinem Telegramm an den Lordmajor spricht er von einemnationalen Un­glück". Ueber den öffentlichen Gebäuden und vielen Pri­vathäusern wehen die Flaggen auf Halbmast und in fast allen Kirchen nehmen die Geistlichen in ihren Predigten auf das furchtbare Unglück bezug und zollten den Opfern hohe Anerkennung. ^

Der Eindruck in Deutschland Fachmännisches Lob der englischen Konstruktion

Berlin, 5. Okt. Die Nachricht von der Katastrophe des eng­lischen LuftschiffesR. 101" hat in deutschen Luftfahrtkreise» große Erschütterung ausgelöst. Ueber das LuftschiffR. 101" und die technische Konstruktion werden uns von einem ausgezeich­neten Fachmann, dem Dozenten an der Technischen Hochschule in Berlin, Dr. ing. Thalau, der das Schiff noch kürzlich in Car­dington besichtigt hat, folgende Angaben gemacht: Das zerstörte Schiff ist nicht dasselbe, das bereits die Ozeanfahrt nach Amerika zurückgelegt hat. Es befand sich erst jetzt aus seiner ersten große» Fernfahrt, die über Aegypten nach Indien führen sollte. Bei seiner Prüfung war es als unbefriedigend in Geschwindigkeit und Nutzlast befunden worden. Deshalb wurde es umgebaut, und zwar schnitt man es auseinander und fügte eiue weitere Zelle ein» um die Tragfähigkeit zu vermehren. Außerdem wurde in der Motorenlage eine Aenderung vorgenommen. Der fünfte Motor war ursprünglich nur für die Rückwärtsfahrt eingerichtet. Dieser Motor ist nun ebenfalls auf Vorwärtsfahrt umgestellt worden. Auf diese Weise hatte man auch die Geschwindigkeit er­

höht. Das Luftschiff machte bei der Besichtigung einen aus­gezeichneten Eindruck. Es ist eine Stahlrohrkonstruktion, vom englischen Luftfahrtministerium selbst gebaut, von dem es dann ja auch in Dienst genommen wurde. Es wurden beispielsweise zweieinhalb Jahre lang ärodynamische Besuche zur Feststellung der besten Schiffsform und zur Erforschung des Zusammenwir­kens von Steuerflächen und Schiffskörper durchgefllhrt. Dir wich­tigsten Belastungsfälle wurden durch Messungen am fahrenden Schiff und in Windkanälen durchgeführt. Alle Sicherheitsgründe fätze sind bei der Konstruktion konsequent durchgeführt worden. Die Engländer sind soweit gegangen. Belastungsversuche im Maßstab 1:1 an einer ganzen Zelle bis zum Bruch durchzufüh- ren. So haben die Engländer eine Unmenge Mühe und Geld in ihren Luftschiffbau hineingesteckt. Sie haben sich damit eins führende Stellung auf dem Gebiete der Luftschiffskonstruktion erkämpft.

Dr. Eckener über die Katastrophe desk 1V1"

Leipzig, 5. Oktober. Bei einem Empfange, den di« städtischen Körperschaften zu Ehren Dr. Eckeners am Sonn­tag abend im Rathaus veranstalteten, äußerte sich Dr. Eckener u. a. auch über die englische Luftschiffkatastrophe. Er führte aus, daß der Fall noch völlig dunkel und unge­klärt erscheine. Mit einiger Sicherheit scheine aus den Meldungen hervorzugehen, daß das Luftschiff durch den sehr heftigen Regen gegen den Boden gedrückt und dabei zerstört wurde und daß die nachfolgende Explosion sekun­därer Art war. Es erscheine ihm als eine sehr törichte Darstellung, wenn es in einigen Meldungen heiße, das Luftschiff sei in der Luft explodiert und brennend abge­stürzt. Wenn ein Luftschiff durch Regenböen herunter­gedrückt werde, so könne es niemals dabei zu einer Explo­sion kommen. Möglich sei es, daß bei dem Aufprall auf denErdboden durch die Zusammenstauchung des metalli­schen Gerippes ein Funke gebildet worden sei, der das Wasserstoffgas zum Brennen brachte. Aber auch dann Habs es sich keinesfalls um eine Explosion gehandelt, da das Wasserstoffgas schnell abbrennt.

Das Urteil im Hochverraisvrozeß

Leipzig, 4. Oktober. Das Reichsgericht hat di« drei Angeklagten im Hochverratsprozeß zu je 1 Jahr undKMonatenFestungshaftverurteilt und gegen Scheringer und Ludin Dienstentlas­sung erkannt.

Aus der Begründung

Aus der Begründung des Urteils gegen die Ulmer Reichs­wehroffiziere wurde zur rechtlichen Beurteilung des Falles aus» geführt: Die Anklage des Eröffnungsbeschlusses lautete zunächst dahin, daß sich die Angeklagten nach 8 86 des Strafgesetzbuches des Verbrechens der Vorbereitung eines hochverräterische» Unter­nehmens schuldig gemacht haben. Dieser Paragraph bedroht jedes hochverräterische Unternehmen mit Strafe, auch die vor­bereitende Handlung, selbst solche, die das hochverräterische Unter­nehmen nicht unmittelbar betrifft, sondern nur ganz entfernt als eine Vorbereitung anzusehen ist. Das Reichsgericht hat in der Vorkriegszeit den Begriff des Hochverrats dahin gedeutet^ daß sogar die Herstellung von Plakaten und das Sammeln von Beiträgen zur Durchführung eines solchen Unternehmens straf» Lar ist. Die Vorbereitung ist schon deshalb so gefährlich, weih der Staar nicht warten kann, bis der Versuch der Vollendung nahekommt. Voraussetzung dabei ist allerdings, daß das vor­bereitende Unternehmen hinreichend bestimmt ist. Angriffs­objekt und Angriffsplan muß der Täter ins Auge gefaßt haben. Ob die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gewaltsame Veränderungen plant, das liegt nicht im Rahmen dieses Pro­zesses, das muß ein anderer Prozeß untersuchen. In dem vor­liegenden Fall hat aber ei» bestimmtes Angriffsobjckt Vorgele­gen: die Verfassung. Es genügt, daß davon wesentliche Teile angegriffen werden. Das war hier der Fall. Die Angeklagten rechneten mit einer neuen Regierung, bei der die Ausführenden die Nationalsozialisten sein würden. Der Angriffsplan war Sturz der Regierung mit Gewinnung der Reichswehr und zwar dafür, daß die Reichswehr bei der für möglich gehaltenen Um­sturzbewegung durch die Nationalsozialisten diesen nicht ent­gegentreten sollte. Weiter ging der Vorsitzende auf das Straf­maß ein. Nach 8 86 kann auf Zuchthaus oder Festungshaft bis zu drei Jahren, bei mildernden Umständen von sechs Monaten bis zu drei Jahren erkannt werden. Auf Zuchthaus konnte selbst­verständlich nicht erkannt werden, weil die Angeklagten durchaus keine ehrlose Gesinnung gezeigt haben. Trotzdem wurde von der Zubilligung mildernder Umstände Abstand genommen; denn wenn aktive Offiziere hinter dem Rücken ihrer Vorgesetzten po­litische Werbeaktionen unternehmen, so ist das ein Verstoß gegen die militärische Disziplin und zweitens ein schwerer Truebruch gegen die Berufspflicht des Soldaten. Der Soldat hat sich jedes Angriffs auf die Verfassung zu enthalten und die Verfassung zu schützen. Die Angeklagten hätten unübersehbaren Schaden anrichten können. Trotz ihrer guten Absicht war ihr Tun objektiv tadelnswert. Wer Politik treiben will, muß seinen Abschied nehmen. Trotzdem aber hat der Senat das vom Reichsanwalt beantragte Strafmaß unterschritten. Reisende Werbeoffiziere sind eine Unmöglichkeit für die Armee.