Musnrner 104
j 63. Iah^gans
AtwrLftLLs» Dien stag d en 6. Mai 1030
Me B.3.3. und
Von Arthur Ramcke
Dis Hoffnungen, die sich anfangs an das Sachlieferungs- geschäft als zusätzliche Exportmöglichkeit knüpften, sind — init ganz geringen Ausnahmen — unerfüllt geblieben. Trotz dieses Mißerfolgs glaubt man in gewissen Kreisen »och immer, daß man das Sachlieferungsgeschäft durch Eonderprogramme erweitern und womöglich in anderer Gestalt über den Schlußtermin hinaus aufrecht erhalten könnte. Es erscheint müßig, auf längere Zeit hinaus reparationspolitische Abschätzungen vorzunehmen. Auch hinsichtlich des wirtschaftlichen Wirkungsgrades der in den Üjoungplan emgebauten Internationalen Zahlungsbank er- ftheint es besser, die Erwartungen auf eine Belebung des internationalen Ausfuhrgeschäfts nicht zu hoch zu spannen. Ursprünglich war ja beabsichtigt, die der Bank zufließenden Geldmittel teilweise zur Finanzierung von Ausfuhrgeschäften zu verwenden. Inzwischen hat sich aber ergeben, daß sich in einigen maßgebenden Ländern die Widerstände gegen eine privatwirtschaftliche Tätigkeit der Bank verstärkten »nd deren Funktionen möglichst eingeschränkt werden sollen. Die Aussichten, über den Rahmen der festgesetzten jährlichen Sachlieferungsquote hinaus Sonderprogramme abzuschlie- ßen, find jedenfalls sehr gering.
Die Neuregelung der Sachlieferungen im Haager Plan bringt auch eine starke Veränderung in den daran beteiligten Warengruppen, wovon auch die deutsche Eesamtwirt- schaft nicht unberührt bleibt. Der Wert der Sachlieferungen von 1924 betrug rund 3,3 Milliarden RM., also über 5 Prozent der gesamten deutschen Warenausfuhr in diesem Zeitraum ohne Recovery Act. Die deutschen Brennstofslieserungen, in erster Linie Kohle, waren daran mit etwa SO Prozent beteiligt. Die deutsche Kohlenwirtschaft hatte im Reparationslieferungsgeschäft einen guten Stützpunkt. Frankreich deckte seinen Einfuhrbedarf an Kohle vorwiegend in Deutschland, Italien nutzte seinen Anteil an den deutschen Zahlungen zu einem beträchtlichen Teile in Kohlendezügen für die Staatsbahnen aus. Diese zwei Absatzmärkte müssen sich im Rahmen der gekürzten Eesamtquote Einschränkungen auferlegen. Frankreich hat zwar von jeher seinen Einfuhrbedarf in Deutschland gedeckt. Es ist jedoch fraglich, ob der deutsche Bergbau im freien Verkehr seine Stellung behaupten kann, denn England wird sich den Wettbewerb etwas kosten lassen. Die italienische Regierung hat bereits auf Grund der im Haag getroffenen Vereinbarungen die deutschen Kohlenlieferungen zugunsten Englands um eine Million Tonnen verringert, und auch Frankreich wird seine Kohlenbestellungen noch in diesem Jahre stark ermäßigen, so daß die freien Wettbewerbsverhältnisse wieder mehr Raum gewinnen und nach Ablauf von zehn Jahren wieder vollständig hergestellt sein sollen. Das Reparationskohlengeschäft für den deutschen Bergbau mit Frankreich ist schon von diesem Jahre ab nicht mehr so rentabel wie in den letzten Jahren, da die Zuschüsse wegfallen, die sowohl die deutsche Regierung als auch die französische dem deutschen Kohlensyndikat gewährt haben und die, je nach der Preisrelation am Weltmarkt, zusammen sich zwiischsn 3 und 4.50 RM. für die Tonne, mit Ausnahme von Koks, bewegten. Frankreich zahlt allerdings eine geringere Beihilfe weiter. Die Verluste des deutschen Bergbaues durch das neue Sachlieferungsprogramm sind nicht gering und müssen von Jahr zu Jahr steigen, denn es wird nur unter großen Preisopfern möglich sein, diesen Ausfall durch verstärkten Absatz am freien Markt auszugleichen.
Infolge der Beschränkung des Zehnjahresplanes der Sachlieferungen ohne Recovery Act auf rund 3,78 Milliarden RM. ist eine vollständige Abänderung der Lieferungsprogramme in den einzelnen Ländern notwendig. Dis Quoten einiger kleiner Länder, insbesondere der Balkanstaaten, sind bereits durch die alten Aufträge so gut wie ausgeschöpft, und es fragt sich, ob diese Staaten nun nicht versuchen werden, ihre festen Quoten nach anderen Gesichtspunkten aufzuteilen. Es steht zu erwarten, daß die Eläubigerländer bei ihren Bestellungen in Zukunft solche Waren bevorzugen, die von der eigenen Industrie überhaupt nicht oder nicht in der hohen Qualität hergestellt werden. Es ist hier besonders an Chemikalien zu denken, die bisher schon an zweiter Stelle standen, dann an Maschinen und Erzeugnisse der elektrotechnischen Industrie, auch an Papier und Zellstoff. Bisher wurden je nach Bedarf und wenig planmäßig Reparationsaufträge gegeben, denn es waren dabei nicht unbeträchtliche Nebengeschäfte zu machen. In den nächsten zehn Jahren dürfen aber insgesamt wertmäßig nicht viel mehr Reparationsbestellungen vorgenommen werden als in den letzten sechs Jahren. Die «eue Verfahrensvorschrift für Sachleistungen sieht auch nur für besondere Fälle (Schienenlieferungen nach Rumänien) l^e Vorwegnahme späterer Jahresanteile an den deutschen Zahlungen zur Finanzierung der Aufträge vor, falls eine freie Vereinbarung zustande kommt. Von den alten Verträgen mit Frankreich, die einen Sachleistungswert von mehreren hundert Millionen RM. darstellen, wird wahrscheinlich nur ein geringer Teil zur Ausführung gelangen. Die Nicht geringen Unkosten für die Ausarbeitung der Pro- jekte muß der deutsche Vertragspartner tragen. Es handelt sich dabei vornehmlich um große Bauaufträge, die von den
die Sachlieseruuge»
- französischen Behörden erteilt wurden und zum Teil mit ! deutschen Arbeitern durchgeführt werden sollen. Die schon
abgewickelten Verträge haben in der französischen Industrie großen Unwillen hervorgerufen. Auch das französische Arbeitsministerium hat sich dem Widerstande angeschlossen. Die deutsche Vauwirtschaft wird trotzdem mit größeren Aufträgen rechnen können, denn Frankreich ist am Zehnjahresplan mit 2,6 Milliarden RM. beteiligt, und der neue Plan weist den Tributländern die Verantwortung für die Ausnutzung ihrer Quoten zu. Etwaige Restquoten, soweit sie nicht nach den Vorschriften auf einen späteren Zeitraum übertragbar sind (nur in wenigen Fällen ), verfallen zugunsten Deutschlands. Die jährlich absinkenden Quoten werden aber von allen Ländern ohne Schwierigkeiten ausgenutzt werden können. Für die privaten Besteller kommt allerdings die früher übliche langfristige Kreditgewährung seitens der französischen Regierung in Wegfall, da die Abwicklung der Zahlungen von der Internationalen Bank vorgenommen wird.
Die Höhe des französischen Anteils an den festumgrenzten Sachlieferungen und die neuen Verfahrensvorschriften haben di« französische Regierung veranlaßt, einen Plan aufzu- ftellen, über dessen Einzelheiten zwischen den Ministerien noch verhandelt wird. Schon seit Wochen werden die zuständigen Stellen von deutschen Lieferfirmen und französischen Bestellern mit Anträgen überhäuft. Die Gefahr der Unterbietung bei der Bewerbung um Reparationsaufträge
- besteht heute in noch höherem Maße als früher, was einer ? freiwilligen zusätzlichen Reparationsleistung gleichkommt. ! Die neue Verfahrensvorschrift erkennt zwar grundsätzlich j an, daß Sachleistungen unter den gewöhnlichen geschäftlichen Bedingungen abgeschlossen werden können; sie hat aber den Grundsatz im Paragraph 12 durchbrochen, der die deutsche Regierung zum Einschreiten verpflichtet, wenn deutsche Lieferfirmen sich vor gegenseitiger Unterbietung auf organisatorischem Wege schützen wollen. Diese Bestimmung ist sehr dehnbar; sie verhindert streng genommen Preisabkommen deutscher Firmen im Auslandsgeschäft. Der
i Paragraph erscheint überflüssig; er ist nicht nur nicht durch- k zusühren, sondern auch betreffs des Wettbewerbs zwischen » den deutschen Lieferfirmen gegenstandslos.
Dis deutschen Lieferfirmen würden besser tun, mit ihren Anträgen zurückzuhalten, bis die Internationale Zahlungsbank ihre Tätigkeit ausgenommen hat und es sich übersehen lassen wird, welchen Kurs dieses Institut in der Kreditfrage, die am Ende auch die Preisbildung beeinflußt. ein- schlageu wird.
«nrpynegung oes «rlyeryeirsausstynstes oer Interparlamentarische» Union — Genfer Beratungen über die Kriegsoerhütung — Eoudenhoves neuer Entwurf — Briands Fragebogen
Von Dr. Richard Grant
Während sich im Fernen Osten drohende Wetterwolke» zusammenballen und die Well noch von den kurz vor dem 1. Mai veröffentlichten revolutionären Aufrufen der Kommunistischen Gewerkschafts-Internationale an das gesamte Wellproletariat widerhallt, diskutiert man in Europa in ebenso langwierigen wie zahlreichen Sitzungen der verschiedenartigsten Ausschüsse über die beste internationale Lösung des leidigen Sicherheitsproblems. Wir erleben zurzeit eine Hochflut von Sicherheitsentwürfen, die alle in der Alten Welt geprüft, erörtert und verwirklicht werden sollen, wie nie zuvor. Wie schwach muß es um diese Sicherhell bestellt sein, wenn jahraus jahrein die heftigsten Geisterschlachten um ihren Bestand ausgefochten werden! Wenn man durch immer neue Entwürfe und Verhandlungen die Zahl der Lösungsmöglichkeiten ins Unübersehbare steigert, statt mit einigem guten, lauteren Willen aller sich bedroht Fühlenden auf dem Wege einer General- abrüstung aller Staaten ans Ziel zu gelangen?
Welchen praktischen Nutzen hat beispielsweise dre kürzlich veröffentlichte Entschließung des Sicherheitsausschusses der Interparlamentarischen Union, der vom 23. bis zum i 28. April in Genf so eifrig tagte? Sie betont die Not- ! Wendigkeit einer ernsthaften Herabsetzung der Rüstungen r und verweist auf die von der Interparlamentarischen Union auf ihrer Pariser Tagung im Jahre 1927 ausgearbeiteten Vorschläge. Sie knüpft an die „zufriedenstellenden Teilergebnisse (!) der Londoner Flottenverhandlungen, die den i Boden für die Ausarbeitung eines allgemeinen Abrüstungsabkommens vorbereitet haben", den Wunsch und die Hoffnung, der Völkerbundsrat möge unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den Vorbereitenden Abrüstungsausschuß so schnell wie möglich einzuberufen. Diese „Ergreifung notwendiger Maßnahmen" ist sozusagen zu einer stereotypen Mahnung, zur Aufforderung eines Blinde- kuhjpiels geworden, bei dem alle Beteiligten mit verbundenen Augen durcheinanderwirbeln und nach Sicherheit schreien. Alle fordern sich gegenseitig zur Ergreifung zweckdienlicher Maßnahmen auf, aber niemand ergreift sie. Das also ist des Pudels Kern.
! Vor einer TariserhShms ? Sei der ReichMW
! Rede des Reichsverkehrsministers im Reichseisenbahnrat
Berlin, 2. Mai. Reichsverkehrsminister von Enerard eröffnete die Tagung des Reichseisenbahnrates mit einer Ansprache, in der er darauf binwies, daß demnächst auch die Aenderungen in der Organisation der Reichsbahn praktisch werden, die sich aus dem neuen Plan ergeben. An der Sitzung des Berwaltungsrates der Reichsbahngesellschast, so führte der Minister weiter aus, haben die ausländischen Mitglieder zum letzten Male teilgenom- men. Auch der ausländische Kommissar und der Treuhänder werden demnächst ausscheiden. Die Reichsbahngesellschast wird dann auch nach außen hin ihren Charakter als rein deutsches Unternehmen wiedergewonnen haben. In dem Verhältnis der Reichsregierung zur Reichsbahn treten keine grundlegenden Aenderungen ein, da die Reichsbahngesellschast selbständiges wirtschaftliches Unternehmen bleiben wird. Immerhin werden die Beziehungen zwischen Reich und Reichsbahn enger als bisher und der Einfluß der Reichsregierung auf die Geschäftsführung der Reichsbahngesellschast, insbesondere auch auf dem Gebiete der Tarife wird verstärkt.
Aus dem neuen Reparationsproblem ergibt sich eine finanzielle Entlastung für die Reichsbahn. Durch die künftig monatliche statt halbjährliche Zahlung tritt vielmehr eine Erschwerung durch den Wegfall des Diskantes ein. Eine finanzielle Entlastung der Reichsbahn aus Mitteln des Reiches, insbesondere aus dem Ertrag der Beförderungssteuer, kommt im Hinblick anf die eigenen Finanzbedürinisse des Reiches zur Zeit nicht in Frage. Um ihren Schwierigkeiten abzuhelfen, hat die Reichsbahngesellschaft
neue Anträge aus Tariferhöhung gestellt.
Ohne selbstverständlich ihrer Beurteilung in irgend einer Weise vorgreifen zu wollen, darf ich bemerken, daß sich bei den in diese« Tagen geführten Verhandlungen mit den Vertretern der Länder und im Ständigen Ausschuß des Reichsbahnrates bereits die Bereitwilligkeit gezeigt hat, wenigstens einem Teile der Tariserhöhungsoorschläge zuzustimmen. Starker Widerstand richtet sich jedoch gegen die geplante Erhöhung der Wasenladungsfrachten. In den bisherigen Besprechungen sind bereits andere Möglichkeiten erörtert worden, um der Reichsbahn die notwendigen Mehreinnahmen zu verschaffen. Es ist dabei in erster Linie an eine allgemeine Mehrbelastung des Personenverkehrs gedacht worden, der zur Zeit rund 3l>ü Millionen Zuschuß erfordert. Es ist ferner in diesem Zusammenhang auch die Einführung einer Ausgleichsabgabe für den Kraftwagenverkehr ermähnt worden, durch welche die Reichsbahn einen Teil des an den Frachtwagen verlorenen Verkehrs zurückgewinnen könnte. Die unbedingte Notwendigkeit, die Reichsbahn finanziell leistungsfähig zu erhalten, muß anerkannt werden. Ich hoffe, daß Ihre Arbeiten wesentlich dazu beitragen werden, eine Lösung dieses schwierigen Problems zu finden, die für die deutsche Wirtschaft tragbar ist und die Reichsbahn als Hauptträgerin der Reva.ro tionslast erhält.
Inzwischen hat die Sicherheitskonferenz in Genf ihre Beratungen wieder ausgenommen. Der im Sommer 1928 vom Sicherheitskomitee in abgeänderter Fassung angenommene deutsche „Mustervertrag" über die kriegsverhütende, Funktion des Völkerbundes soll gemäß Beschluß der letzte» Völkerbundsversammlung zu einem allgemeinen Abkomme» zurechtgestutzt werden. Desgleichen ein von Finnland ei»»» gebrachter Entwurf über die finanzielle Beihilfe aller Vertragsstaaten für einen angegriffenen Staat. Diese beide» in den Vordergrund der Tagung geschobenen Programmpunkte lassen sich nicht von heute auf morgen erledigen,, sondern bedürfen im einzelnen einer weit umfassenderen Prüfungsarbeit, als sie die Sicherheitskonferenz in Kürze zu leisten vermag.
Anendlich verwickelt ist im Laufe der Nachkriegsjahr« das fundamentale Teilproblem der allgemeinen Sicherheitsfrage, das der Kriegsverhütung, geworden. Trotz all« Schweiß- und Tintenströme, trotz Kellogg- und Dreimächtepakt und aller vorbereitenden Abrüstungskonferenzen konnte bisher noch keine allgemein gültige Lösungsformel gefunden werden Vergeblich versucht z. V. England die in London jüngst aus taktischen Erwägungen zerstreuten Fäden der Auseinandersetzung über die generelle Abrüstung wieder in seine Hand zu bekommen. In Paris begegnet man allen neuen englischen Vorschlägen, die aus den Entwurf eines Abkommens über vorbeugende Maßnahmen zur Kriegsverhütung Hinzielen, mit äußerster Skepsis. Mit anderen Worten: Die Divergenz der Standpunkte offenbart sich wieder einmal in voller Größe.
Wie bei dieser Lage der Dinge jener „ewige Bund zur dauernden Sicherung des europäischen Friedens und zur Organisation der politischen, wirtschaftlichen und geistigen Zusammenarbeit zwischen den europäischen Völkern in absehbarer Zeit geschlossen werden soll, den Graf Louden- Hove-Kalergi in seinem kürzlich veröffentlichten „Entwurf für einen paneuropiiischen Pakt" so ausführlich behandelt, ist nicht recht ersichtlich. Die Mitglieder dieses „Europäischen Staatenbundes", der als gegründet gilt, sobald Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von mindesten» 120 Millionen Europäern den Pakt ratifiziert haben, vev- bürgen einander u. a. die Einhaltung des Völkerbundsund des Antikriegspaktes (Kelloggpaktes). Sie verpflichte, sich außerdem, alle ihre nicht durch Einigung beizulegende«
Hausse i« Sicherheitseutwörfeu