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Mrrmmer 103
Altenstetg, Montag den 6. Mat 1930
63 Jativgang
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Die drei Antworten des Bundeskanzlers Schober
Der Ehrgeiz des Bundeskanzlers Schober mag befriedigt sein. Er wurde in Paris als großer Staatsmann gefeierr. Das Eroßkreuz der Ehrenlegion wurde ihm vom Präsidenten Doumergue verliehen. Abgesehen von wenigen rechtsradikalen Blättern war die ganze Pariser Presse voller Lob und Anerkennung für den „klugen, einsichtigen und loyalen" österreichischen Kanzler.
Das offiziöse Blatt des Quai d'Orsay, der „Temps", gibt in einem Leitartikel seiner vollen Zufriedenheit über die von Schober in Paris abgegebenen Erklärungen Ausdruck. Die Deklaration Schobers — meint das Blatt — bilde ein formelles Dementi aller Gerüchte und aller Manöver, die das Hinübergleiten Oesterreichs in die Interessensphäre einer gewissen Großmacht bezwecken. Das Wort „Italien" wird in dem zwei Spalten langen Artikel des Pariser offiziösen Organs nicht ein einziges Mal erwähnt. Mit dem Ausdruck „eine gewisse Großmacht" wird aber stets Italien gemeint. Den Andeutungen des „Temps" ist zu entnehmen, daß Schober in Paris bestimmte Versicherungen abgegeben habe, welche auf die strikte Neutralität Oesterreichs im französisch-italienischen Zerwürfnis hinauslaufen.
Wie wichtig für die Ziele der französischen Politik diese österreichische Neutralität erscheint, kann man aus der wiederholt in den Spalten der fiihrenden französischen Presse gemachten Feststellungen entnehmen; die Nichtbindung Oesterreichs an irgend eine europäische Staatsgruppierung wäre die einzig richtige Linie in der außenpolitischen Entwicklung der österreichischen Republik, z Vom deutschen Standpunkt aus können wir die von Schober proklamierte Politik der „freien Hand" nur begrüßen. Das Wohl des österreichischen Brudervolkes, seine innere Konsolidierung und wirtschaftlicher Aufstieg waren für die Beurteilung der österreichischen innen- und außenpolitischen Lage in der deutschen Öffentlichkeit einzig und allein maßgebend. Und deswegen würde auch vom Standpunkt Deutschlands die Anlehnung Oesterreichs an eine bestimmte europäische Großmacht — sei es Italien oder Frankreich — und feine darauffolgende Bindung an deren Jnteressenkomhlex einen Sprung ins Ungewisse bedeuten, welcher zu unübersehbaren Komplikationen und Verwicklungen führen qd Oesterreich zum Tummelplatz fremder außenpolitischer Bestrebungen machen könnte.
„Nicht im Traum wünschen wir — sagte Schober zu Henry Barde — Italien mit Ungarn gegen Südslawien zu ««reinigen. Wir denken nur an Oesterreich. Seit Marburg «ns genommen und zum südslawischen Maribor geworden HP, müssen wir aus Klagenfurt nach Graz über jugoslawisches Gebiet fahren. Wir wollen jetzt eine direkte Verbindung zwischen diesen beiden Landeshauptstädten schaffen. Gibt man uns Marburg zurück — verzichten wir gern auf die Ostbahn..." „Und die italienische Subvention?" frug der Franzose. — „Gibt's nicht!" — sagte Schober kurz.
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Die Schwierigkeiten — Fertigstellung der Vorlage bis Juni Berlin» 4. Mai. Der „Vorwärts" erzählt heute aus der Geschichte der Vorbereitungen für die Osthilfe, daß im Kabinett Müller gewisse Kabinettsmitglieder gegen den Widerstand Severings von den damals vorgesehenen 30 Millionen 8 Millionen Abstriche gemacht haben, um sie der Westhilfe zugute kommen zu lassen. Dieselben Minister arbeiten in dem jetzigen Kabinett an einer Osthilfe mit, die um das mehrfache teurer werde. Man wird abwarten müssen, ob die Minister, die der „Vorwärts" im Auge hat, auf diesen etwas boshaft zugespitzten Angriff erwidern werden. In politischen Kreisen wird jedenfalls darauf hingewiesen, daß doch die Koalition gerade im Hinblick auf die Notwendigkeit, dem Osten unter allen Umständen zu helfen, sich in der letzten Zeit wesentlich geändert hat. Das komme ja auch in der bekannten Kundgebung des Reichspräsidenten zum Ausdruck, die schließlich die Grundlage für die ganzen Vorbereitungen der Osthilfe bildet. Rein sachlich ist festzustellen, daß die Osthilfe sich auch jetzt noch im allerersten Stadium der Vorbereitungen befindet, nachdem die dem Kabinett bisher vorgelegten Entwürfe nur als Material gewertet worden find. In ihrer Sitzung am kommenden Dienstag nachmittag wird sich die Reichsregierung in erster Linie mit den finanziellen Grundlagen der Osthilfe befassen. Der Reichsfinanzminister wird inzwischen die
Und endlich — die dritte Frage des Pariser Journalisten: „Wie ist die berühmt gewordene Aeußerung des Bundeskanzlers über „Ein Volk und zwei Staaten" zu verstehen?" Diese Schobersche Definition schien dem zudringlichen französischen Politiker noch nicht deutlich genug zu sein. Vor dem Kriege — meint er — waren Oesterreich und Ungarn auch zwei Staaten, aber unter einem Dach. Der in die Enge getriebene Bundeskanzler verbesserte seine Definition in ^ dem von der französischen anschlußfeindlichen Öffentlichkeit gewünschten Sinne: >,Ein Volk — sagte ich im Gespräche mit Briand — aber zwei Rassen, zwei Nationen, zwei Staaten."
Diese Aeußerung Schobers hat nicht nur ihm persönlich das Eroßkreuz der Ehrenlegion, sondern der österreichischen Republik eine französische Anleihe eingebracht. Henry Barde gibt seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß auch nach Tisch, d. h. nach dem Perfektwerden der Anleihe — diese Auslegung Schobers ihre Kraft und Bedeutung behalten wird.
Die deutschen und österreichischen Anschlußfreunde sollen dieses Wortspiel nicht allzu tragisch nehmen. Denn Worte verwehen, Politiker kommen und gehen, Völker aber bleiben. „Ein Volk" wird auch „einen Weg" finden...
Dr. Schober über dm Zweck feiaer Reise «och Pirk »od Lo«do«
Wien, 4. Mai. Bundeskanzler Dr. Schober erklärte nach seiner Ankunft Vertretern der Presse: Ich muß daran festhalten, daß der Besuch in Paris und London vor allem ein Akt der Höflichkeit war. Wenn der Besuch in Rom der Wiederherstellung guter Beziehungen mit unserem mächtigen südlichen Nachbarn und der Besiegelung eines Freundschaftsverhältnisses, zugleich aber auch meine Danksagung für die Unterstützung durch Italien im Haag gegolten hat, und wenn die Reise nach Berlin, abgesehen von
der Beschleunigung der Handelsvertragsverhandlungen, dem selbstverständlichen Bedürfnis eines deutschen Ministers des deutschen Oesterreiches, den deutschen Bruder im Reiche zu besuchen, entsprochen hat, so gaben die liel^enswürdigen Einladungen nach Paris und London mir die vollkommene Gelegenheit, nicht nur meinen Dank für die auf der Haager Konferenz durch die Regierungen Frankreichs und Englands den österreichischen Bemühungen großzügig gewährte Unterstützung auszudrücken, sondern auch über die innerpolitische und wirtschaftliche Entwicklung des neuen Oesterreichs aufklärend zu wirken, das Vertrauen in unser Land zu stärken und die wohlmeinende Förderung unserer Bestrebungen seitens dieser nicht nur für unser Mitteleuropa, sondern frü ganz Europa wichtigen Machtfaktoren sicher zu stellen. All dies, glaube ich, ist in den persönlichen Aussprachen gelungen.
- Eine Osthilfe — Sondersesfion des Reichstag im Herbst notwendigen Erhebungen anstellen. Wie in politischen Kreisen verlautet, hat er es möglich gemacht, daß für die Ofthilfe zunächst etwa 88—IVO Millionen zur Verfügung gestellt werden können»
ohne daß im Augenblick Mehrbelastungen für den Steuerzahler eintreten. Man ist sich natürlich darüber klar, daß diese Summe noch keineswegs ausreichen kann, wenn das große Ostprogramm verwirklicht werden soll. Da aber schon allein die Frage der räumlichen Ausdehnung der Hilfe außerordentlich schwierig und umstritten ist, so wird man sich wahrscheinlich darauf beschränken, die Hilfe zunächst in kleinerem Maßstabe anzusetzen, und zwar räumlich gesehen zuerst von der Grenze aus, um mit der Zeit weiter ins innere Land vorzuschreiten. Im Kabinett besteht Einigkeit darüber, daß die Hilfe in ihren sachlichen Auswirkungen keineswegs auf die Landwirtschaft beschränkt werden darf, daß es vielmehr darauf ankommt, auch die Not des Gewerbes und Handels zu bekämpfen, die im Osten infolge der Verminderung der Kaufkraft der landwirtschaftlichen Bevölkerung besonders scharf hervortritt. Es schweben auch Erwägungen darüber, wie weit die Osthilfe durch weitere Maßnahmen unterstützt werden kann, die zur Behebung der Notlage im ganzen Reich er
griffen werden sollen. Dabei denkt man beispielsweise an die energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf dem Baumarkt durch besondere Mittel, weil dadurch nicht nur eine Entlastung des Arbeitsmarktes eintreten, sondern auch eine ganze Reihe mit dem Baumarkt zusammenhängender Industrien gleichzeitig belebt werden würden.
In unterrichteten Kreisen rechnet man damit, daß der Entwurf des Ofthilfegesetzes bis zur 3. Lesung dev Reichsetats im Zuni fertiggestellt ist. Es wird allerdings wohl erst im Frühherbst parlamentarisch erledigt werden und vielleicht in einer eingeschobenen Zwischensession des Reichstages.
Kreuznach besatzongssrei!
Bad Kreuznach» 4. Mai. Heute vormittag verabschiedete sich der letzte Adjutant als Vertreter der französischen Besatzungsbehörde von der Stadt, nachdem der Abzug der Besatzung in den letzten Wochen stillschweigend und ohne irgend welche offizielle militärische Form stattgefunden hatte. Zugleich wurde heute das letzte militärische Gebäude an die zuständige deutsche Behörde zurückgegeben. Alle Kasernen sind jetzt geräumt und nur noch einige Gendarmen und Beauftragte der Sicherheitspolizei verbleiben noch einige Wochen bis zum offiziellen Räumungsschluß in der Stadt. Auch die Einholung der Flagge vor dem Gar- nisonskommando erfolgte ohne jegliche militärische Form,
Reichsresom md deutsche Wirtschaft
Rede von Dr. Moldenhauer
Bad Eilsen, 4. Mai. Auf der Jahreshauptversammlung des Westfälisch-Lippifchen Wirtschaftsbundes sprach Reichsfinanzminister Dr. Moldenhauer über „Reichsreform und deutsch« Wirtschaft". Der Minister beschäftigte sich zunächst mit den Ursachen der Arbeitslosigkeit. Alle Absatzmärkte seien während des Krieges verloren gegangen und hätten nicht wieder erobert werden können. Die Krise in der Landwirtschaft sei mit verursacht durch eine Ueberproduktion in der Welt. Eine weitere Ursache für die Wirtschaftskrise liege in dem Kapitalmangel. Die mangelnde Kapitalbildung sei verursacht vornehmlich durch den übertrieben hohen Steuerdruck, der nicht zum geringen Teil auf die Reparationslasten zurückzuführen sei. Aufgabe der Finanzpolitik müsse es sein, den Steuerdruck zu mildern. Nach den letzten Berichten liegt die Zahl der Arbeitslosen um 506 660 über der des vergangenen Jahres. Wir werden in den nächsten Monaten sehr ernste Maßnahmen ergreifen müssen, um diese Gefahr für den Etat abzuwehren. Ebenso wichtig ist die Durchführung eines großen Agrarprogrammes und eine wirkliche Hilfe für den Osten. Dem Reichstag ist ein Ermächtigungsgesetz zugegangen, das die Möglichkeit gewähren soll, die Kapitalertragssteuer für festverzinsliche Werte aufzuheben Es sollen schon jetzt die Gesetze in Angriff genommen werden, die im kommenden Jahre die Steuersenkung bringen. Hier steht in erster Linie die Senkung der Realsteuern, der Grundvermögen und der Gewerbesteuer. Auf die Frage der Finanzpolitik der Gemeinden muß sich die Finanzreform erstrecken. Ein systematisches Sparen setzt gesetzgeberische Eingriffe voraus. Dazu soll ein Ausgabensenkungsgcsetz, für das die Vorarbeiten in meinem Amt abgeschlossen sind, die Voraussetzungen liefern. Ohne harte Eingriffe wird es dabei nicht ab- gehen. Ich bin mir bewußt, daß eine volle Auswirkung erst dann eintreten kann, wenn wir das große Problem der Reichsreform ernsthaft anpacken. Wenn wir uns auf uns selbst be- sinnen, so etwa schloß der Minister, dem großen Beispiel unseres hochgeehrten Reichspräsidenten von Hindenburg folgend, und uns zu gemeinsamer Arbeit die Hände reichen, bann können und müssen die Schwierigkeiten überwunden werden.
Aufgabe» -er Deuwbraüe
Rede Dr. Dietrichs vor den Berliner Demokraten
Berlin, 3. Mai. Auf dem demokratischen Parteitag des Wahlkreises Berlin iprach nach einem ausführlichen Referat des Parteivorfitzenden Koch-Weser Reichswirtschaftsminister Dietrich über die Aufgaben der demokratischen Partei angesichts der gegenwärtigen Lage und führte u. a. folgendes aus: Wir haben uns vergeblich bemüht, den Zusammenbruch der Großen Koalition zu verhindern. Die Agrarfrage ist heute die entscheidende politische Frage. Kann man von Gerechtigkeit sprechen, wenn der ostelbische Landwirt, auch der kleine, für seine Produkte, Kar- löffeln und Roggen, 86 Prozent der Vorkriegspreise bekommt? Der Rückgang der Gerstenpreise ist auch durch die erste Zoll- erhöhung nicht verhindert worden. Auch jetzt ist der Kogge», preis noch nicht über 176 Mark, dem Vorkriegspreis, hinausgebracht worden. So wenig es möglich ist, die deutsche Land- wrrtschast zum Blühen zu bringen ohne Verständigung mit Frankreich, >o wenig ist dies möglich bei fortdauerndem Kampf mit Polen und den Oststaaten. Auch mit Rumänien muß eine Wirtschaftsoerständigunä gefunden werden, wie überhaupt mit den Nachfolgestaaten Rußland und Oesterreich-Ungarn. Di«