Nachtcafe. — Simultanschule.
Ulm, 23. April. Der Gemeinderat beschäftigte sich heute mit der Angelegenheit des Nachtrags. Es wurde beschlossen, von der Einführung einer allgemeinen Polizeistunde zur Zeit abzusehen und mit der Androhung der Verhängung der Polizeistunde strenger vorzugehen und nach Möglichkeit auch Gebrauch zu machen. — Weiterhin berieten beide Kollegien nochmals über die Frage der Errichtung einer simultanen Mittelschule, die sie früher schon beschlossen hatten. Von katholischer Seite war die Errichtung einer katholischen Mittelschule gewünscht worden und sowohl der evangelische wie der katholische Oberschulrat hatten diese befürwortet. Mit 10 gegen 6 Stimmen beschloß der Gemeinderat und mit 16 gegen 3 Stimmen der Bürgerausschuß, auf dem früheren Beschluß zu beharren.
Leonberg, 23. April. Wie die „Glems- und Wiirm- gau-Ztg." hört, hat Konsul Scharrer wegen der vielen Schwierigkeiten, die man ihm besonders in Jagdangelegenheiten gemacht hat, seinen Plan, bei Elemseck ein Schloß zu bauen, endgültig aufgegeben und das Kloster Bernried am Starnberger See um 1 300 000 gekauft. Damit geht der Gemeinde Eltingen bezw. Leonberg und auch dem Staat Württemberg eine Steuerkraft verloren, die man auf 200 000 schätzt. Konsul Scharrer hat sich auf 1. April abgemeldet.
Stuttgart, 23. April. Nach einer Nachricht aus Breslau ist dort die mit dem preußischen Sanitätsrat Dr. med. Melchior Willim nach Ablegung ihres Titels und Namens verheiratet gewesene frühere württemb. Prinzessin Pauline Mathilde Jda im Alter von 60 Jahren gestorben.
Plochingen, 23. April. Der 23 Jahre alte ledige Ankuppler Müller von Hochdorf wurde beim Abspringen von einem Zug auf dem hiesigen Bahnhof von einer Maschine erfaßt, die ihm am Kopfe schwere Verletzungen beibrachte und ihm außerdem einen Arm und einen Fuß abfuhr. Müller ist seinen Verletzungen erlegen.
Eßlingen, 23. April. Gestern vormittag ereignete sich in der Abteilung Wagenbau der Maschinenfabrik Eßlingen- Mettingen ein schweres Unglück, das dem 17 Jahre alten Taglöhner Ernst Kapp von Heumaden das Leben kostete. Er war in der Untergestellschlosserei beim Nieten behilflich, als ein elektrischer Krahn unversehens die Wagengestelle in Bewegung setzte, wodurch dem Bedauernswerten der Brustkorb eingedrückt und der Kopf zerquetscht wurde. Der Tod trat auf der Stelle ein. Ein Mitarbeiter konnte noch rechtzeitig bei Seite springen.
Massenbachhausen, 23. April. Seit mehr als drei Monaten herrscht unter der hiesigen Kinderwelt Scharlach sehr heftig. Zur Zeit sind etwa 40 Kinder krank, zwei sind in den letzten Tagen gestorben.
Ulm, 23. April. Auf das Drängen von Anhängern der Abstinenzbewegung hat der gleichfalls abstinente Stadtpfarrer Friz von der Martinkirche solchen Ee- meindegliedern, die es ausdrücklich wünschten, das Abendmahl mit unvergorenem Wein gereicht.
Ar»» wett und Seit.
Der Einzug in Zabern.
lieber die Rückkehr der 99er nach Zabern enthält das „Hamb. Fremdenblatt" folgendes Stimmungsbild:
Langsam, wie Militärzüge zu tun Pflegen, fährt das Bähnle ein. Die Musketiere, von der Fahrt durch den Frühling erfreuter wie von der Parole, die ohne kaiserliche Order heute auf Barackenreinigen gelautet hätte, „grinsen", die Schuppenkette unterm Kinn und den Affen auf dem Rücken kaum fühlend, zu den Bahnwagen heraus. Es ist militärisch verpönt, auszusteigen, ehe der Befehl dazu ergeht. Erst krabbelt die Musik heraus, die Ordonnanzen, die Absperrkommandos. Gendarmen machen reine Bahn, jagen höflich die übermütigen Jungens weg. Zum Empfang ist niemand da, kein Kreisdirektor, kein Bürgermeister, „kein Garniemand". Die Offiziere lassen sich dadurch nicht bettüben. Du lieber Gott, sie kennen ja fast keinen Menschen hier, denn das Regiment hatmeistganzneueOffiziere bekommen. Auf
manchen Verschwundenen einigen sich die Zaberner Meinungen mit Bedauem. Oberst von Gündell ist ein noch sehr jugendlicher, eleganter und scheinbar weltgewandter Herr. „Hornist!" ruft er. „Hürr!" tönt's zurück. „Marsch blasen!" Langgezogene Töne, und dann kribbelt's aus den Abteilen heraus, die Fahnen voran, und steht rasch in Reih und Glied. Die „königlich vierte" stellt die Fahnenkompagnie. Der Herr Oberst sitzt auf. Man tut gar nicht anders, als ob man beim Exerzierdienst wäre. „Bataillon Marsch!" Der Hohenfriedberger ertönt, die schwarze zivilistische Masse, die etwas weiter abseits stand, setzt sich in Bewegung, der Wind und die Stiefeln wirbeln Staubwolken auf, in denen die „Kneckes", die kleinen Jungen, die sich vornher auf die Straße werfen, tollen und wie die Indianer tanzen, zeitweise verschwinden. Und so gelangt man ins Städtchen. Alles staunt und wundert. Viele Damen, viele Mädchen — ach ja, die Soldatenfrage ist noch mehr als eine nur wirtschaftliche — so nimmt das Bataillon den Weg zur Schloßkaserne. Die Menge ist still. Nichts Verwunderliches stb/tigens, man hat in Elsaß-Lothringen wohl noch selten militärschwärmerische Demonstrationen erlebt, das liegt den Elsaß-Lothringern nicht. Ab und zu wird einer in der Kolonne begrüßt, ein freundlicher Zuruf gilt diesem und jenem Bekannten. Im großen ganzen aber eifert keiner, wie die Kinematographen, die morgen Zaberner Bilder in aller Welt zeigen werden.
Bootsunfälle.
Hamburg, 23. April. Im hiesigen Packhafen ist ein Segelboot mit 7 Insassen gekentert. 5 Personen wurden von der Feuerwehr gerettet, von denen eine auf dem Transport zum Krankenhaus starb, 2 Personen werden vermißt.
Blumental, 23. April. Gestern abend 11 Uhr wurde durch einen Dampfer das Motorboot des Gemüsehändlers Schulz auf der Weser überrannt. Das Boot sank sofort. Von den 6 Insassen ertranken 4.
Der Schwindelbürgermeister.
Koeslin, 23. April. Bei der hiesigen Regierung ist ein Sekretär tätig, der mit Thormann zusammen in Niederbarnim im Landratsamt gearbeitet hat. Thormann wußte dies aus den Unterschriften, denn gerade dieser Sekretär hatte die Personalien der Kommunen zu bearbeiten. Es fiel dem Beamten auf, daß der neue zweite Bürgermeister alles auf schriftlichem Wege erledigte, während der Amtsvorgänger Dr. Alexanders wiederholt mit ihm Rücksprache genommen hatte. Thormann hütete sich wohlweislich, den Sekretär aufzusuchen, da er fürchtete, so entdeckt zu werden. Der Zufall wollte es, daß beide sich auch niemals auf der Straße begegneten.
Die Volksvertretung in Schweden.
Stockholm, 23. April. Nachdem die Auszählung der abgegebenen Stimmen beendet ist, wird sich die neue Zweite Kammer folgendermaßen zusammensetzen: 86 Rechte, 71 Liberale und 73 Sozialdemokraten gegen 64, 102 und 64 im alten Reichstage. Die Rechte hat demnach 22, die Sozialdemokraten haben 9 Sitze gewonnen, während die Liberalen 31 Sitze verloren haben. Insgesamt erhielten die Rechte 286 040, die Liberalen 244 718, die Sozialdemokraten 222 332 Stimmen gegen 188 639, 239 497, 170 590 Stimmen im Jahre 1911.
Frankreich wirbt umsonst.
Die französische Presse konnte sich nicht genug tun, in Lobeshymnen das herzliche Einvernehmen zwischen Frankreich und England zu Preisen, das besonders anläßlich des gegenwärtigen Besuchs des englischen Königspaares geweckt worden sei. Wie man weiß, wurde von Frankreich aus ein engerer Zusammenschluß des Dreiverbandes (England, Frankreich, Rußland) in diplomatischen Vorgehen vorgeschlagen. Daher sah man gespannt auf die Antwort gerade Englands. Nun hat England aber deutlich abgewunken. Die englische Presse läßt keinen Zweifel darüber, daß dem englischen Volke der Besuch seines Königs in Frankreich nichts weiter ist, als ein — Besuch und England gleich weit enternt von Bündnisfreundschaft, wie von Bündnisgegnerschaft sei. Aber, was noch wichtiger ist: in den Tischreden, die zwischen dem englischen und französischen Oberhaupt gewechselt wurden, fiel auf, daß, trotzdem Präsident Poincarö den Bündniswunsch gedämpft
aufklingen ließ, König Eduard mit keiner Silbe darauf ein* ging und weder er noch sein Gastgeber erwähnten überhaupt den etwaigen Dritten im Bunde, Rußland. Diese Vorgänge reden eine sehr deutliche Sprache für Frankreich, dessen lebhaftes politisches Temperament in die kühle Welle der englischen Haltung umsonst Wärme und rascheren Fluß zu bringen versucht hat.
Berlin, 23. April. Der Kaiser hat unter dem 18. April an den Statthalter in Elsaß-Lothringen, General der Kavallerie Grafen von Wedel ein Handschreiben gerichtet.
Paris, 23. April. Die aus Ain Sesra entwichenen 13 Fremdenlegionäre sind in der Nähe von Hasst Ben Heudjer festgenommen worden.
Gerichtrsaal.
Die Kindsräuberin.
Stuttgart, 23. April. Das Dienstmädchen Greim aus I Helmbrechts, das im Oktober vorigen Jahres hier am Bismarcksplatz das einem hiesigen Monteur gehörige I
5 Monate alte Kind raubte, um einen an ihrem eigenen unehelichen Kinde begangenen Mord der Vormund- j
schaftsbehörde gegenüber zu verdecken, ist von dem Schwurgericht in Nürnberg zu einem Jahr zehn Mck- naten Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe er- :
folgte nur wegen Kindsraub; wegen des Kindsmords !
wurde die Angeklagte freigesprochen.
Für die Schristleitung verantwortlich: Paul Kirchner. ! Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei. ^
Gottesdienste.
Sonntag Misericordias, 26. April. Vom Turm: 405. Predigtlied: 397, O Durchbrccher aller Bande rc. 9'/- Uhr: ,
Vorm.-Predigt, Stadtpfarrer S ch m i d. 1 Uhr: Christen- !
lehre mit den Töchtern.
Donnerstag, 30. April. 8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereins Haus, Dekan R o o s.
Freitag, 1. Mai. 8 Uhr: Gottesdienst zum Beginn des Schuljahrs, Stadtpfarrer Schmid.
Kathreiners Malzkaffee schmeckt gut, ist gesund und - billig.
20 Taffen nur IO Pfennig.
Das Iischermädchen.
36) Novelle von Björnstjerne Björnson.
Er war gerade im Begriff, den Türdrücker zu fassen, als ein schallendes Gelächter aus dem Zimmer ertönte — dann wurde wieder alles still, bis sich nach einer Weile abermals ein lautes Lachen hören ließ. — Der Propst, der zurückgewichen war, trat wieder vor, und die Tochter folgte ihm, denn die dadrinnen mußte sicherlich krank geworden sein.
Als die Tür aufging, sahen sie Petra auf derselben Stelle sitzen, wo sie sich vorhin gesetzt hatte, und vor ihr lag ein aufgeschlagnes Buch, über das sie sich, ohne es zu wissen, geworfen hatte. Dabei waren ihre Tränen auf eins der Blätter gefallen; sie sah es, und als sie sie hatte wegwischen wollen, war ihr Blick auf einen der saftigen Ausdrücke gefallen, wie sie sich ihrer aus der Zeit ihres Straßenlebens erinnerte, von denen sie aber niemals geglaubt hatte, daß sie irgendein Buch in den Mund nehmen könnte. Ganz entsetzt vergaß sie zu weinen und starrte in das Buch hinein — was für tolles Zeug war dies nur! — Sie las mit offenem Munde, es wurde immer ärger, so grobkörnig aber so unwiderstehlich amüsant, daß sie unmöglich anders konnte als weiterlesen; sie las, bis sie alles um sich her vergaß, sie laß sich über Gram und Kummer, über Ort und Zeit hinweg — so
entzückte der alte Vater Holberg sie, denn er war es! Sie lachte, sie schüttelte sich vor Lachen — selbst jetzt, als der Propst mit seiner Tochter vor ihr stand, sah sie nicht ihren Ernst, dachte nicht an ihr Anliegen, sondern lachte nur und fragte: Aber was in aller Welt ist das? Sie schlug selber das Titelblatt auf.
Da erbleichte sie, sie sah zu ihnen auf und wieder in das Buch hinab, auf die bekannten Schristzüge — es gibt Dinge, die das Herz treffen wie eine Kugel, Dinge, vor denen man Hunderte von Meilen entflohen zu sein glaubt, und die man dann plötzlich wieder gerade vor sich sieht — hier auf diesem ersten Blatt stand geschrieben: Hans Oedegaard! Wie mit Blut übergossen rief sie: Gehört das Buch ihm? — Kommt er hierher? — sie sprang auf. — Er hate es versprochen, antwortete Signe, und nun entsann sich Petra, daß er mit einer Predigerfamilie aus dem Stift Bergen im Auslande zusammengetroffen war; sie hatte sich nur in einem Kreise bewegt, sie war ihm gleichsam entgegengereist. — Kommt er bald hierher? Ist er vielleicht schon hier? — sie wollte sofort weiterfliehen. — Nein, er ist ja krank, sagte Signe. — Das ist ja auch wahr, er ist krank, sagte Petra schmerzlich gerührt und brach zusammen.
Aber sagen Sie mir doch, rief Signe, Sie sind doch nicht etwa-das Fischermädchen? ergänzte der Propst. Petra
sah flehend zu ihnen auf. — Ja, ich bin das Fischermädchen, sagte sie.
Das Fischermädchen aber war ihnen wohl bekannt, denn Oedegaard hatte ja von nichts anderem gesprochen. — Das ist eine andre Sache, sagte der Propst; er fühlte, daß hier etwas in Stücke gegangen war, das der Freundeshilfe bedurfte. — Bleiben Sie einstweilen hier, sagte er. Petra sah auf; sie bemerkte den Blick, mit dem Signe ihm dankte, dies tat ihr so wohl, daß sie auf Signe zuging, ihre beiden Hände ergriff — denn mehr wagte sie nicht — und, wenn auch ganz verschämt, zu ihr sagte: Ich will Ihnen alles sagen, sobald wir allein sind.
Eine Stunde später kannte Signe letras ganze Geschichte, die sie sofort ihrem Vater miueilte. Auf seinen Rat schrieb Signe noch an demselben Tage an Oedegaard, und damit fuhr sie fort, solange Petra in ihrem Hause war.
Aber als sich Petra an diesem Abend in dem schweren Daunenbett zur Ruhe legte, während in dem behaglichen Zimmer die Birkenscheite lustig im Ofen knatterten und zwischen den beiden Lichtern auf dem weißen Nachttisch ein Neues Testament lag, da griff sie nach dem Buch und dankte ihrem Gott für alles, das Gute wie für das Böse.
(Fortsetzung folgt.) ,, ,