Nr. 80. Amts und Anzeigeblatt für den Gberamtsbezirk Lalw. 89. Jahrgang.
2rsa«tnung«wetse: »mal wlchentNch. vnzelgenpret«: Im vberamts- Aezirl Lalw für di« einspaltige Borgi-zeile 10 Psg., außerhalb derselben !L Psg., -teNLmeN 2S Psg. Gchluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittag-. Telefon ü.
Montag, den 6. April
V eßugrprrt-r In der Stadt mir Lrügerlohn Mk. L.2S vrerteljährUch, Post- bezugSprei- für den OrtS- und NachbarorlSverkebr Mk. 1.20. im Fernverkehr Dtt. 1.80. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bayern und Reich 42 Pf--
Arntliche Vekanntniachnngen.
Sekannkmachung,
bctr. das polizeiliche Meldewcsen.
Unter Bezugnahme auf die Bekanntmachung des Obcr- amts vom 21. März d. I. im Calwer Tagblatt Nr. 69 betr. die Meldepolizciordnung gehen den Schullheißenämtern Abdrucke dieser Bekanntmachung zur Verbreitung zu. Es wird sich empfehlen, die Bekanntmachung am Rathaus anzuschlagen und einzelne Exemplare in den Wirtschaften, Pensionen etc. zu verteilen.
Calw, den 4. April 1914.
K. Oberamt:
Amtmann Rippmann.
Der Sonntag im deutschen Gesetz.
i.
ep. Das Problem der Sonntagsarbeit hat einen doppelten Charakter: Der Mensch braucht diesen Tag, um sein religiöses Bedürfnis befriedigen und zugleich, um sich von der Wochenarbeit erholen zu können. Beides, die Sonnlagsheiligung und die Sonntagsruhe, ist bei der aufregenden und aufreibenden Hast des modernen Lebens aus allen Gebieten besonders wichtig und es wird nicht zu bestreiten sein, daß, was die englische und nordamerikanische Volkssitte zuviel an Sonntagsstrenge hat, unsere deutsche Volkssitte in bedauerlichem Maße zuwenig aufweist. Es ist aber klar, daß die Gesetzgebung, wenn sie die Sonntagsarbeit einschränken will, auf die Sonntagssttten und Anschauungen des Volks Rücksicht zu nehmen hat, so gewiß sie andererseits wegweisend, vorangehen und erzieherisch wirken soll.
Die mannigfachen Bestrebungen nach besserem Schutz des Sonntags, die auf Wichern zurückgehen und sich 1876 zu einem „Internationalen Kongreß für Beobachtung der Sonntagsruhe" verdichteten, fanden einen vorläufigen Abschluß durch das Reichsgesetz vom 1. Juni 1891 betreffend Abänderung der Gewerbeordnung. Vorher bestanden nur in den Einzelstaaten buntscheckige Polizeiverordnungen zum Schutz der Gottesdienste vor äußeren Störungen, die zudem recht ungenügend durchgeführt waren. Vielfach waren die Läden mit Ausnahme der gottesdienstlichen Stunden den ganzen Sonntag offen gewesen. Nur in wenigen Städten war die Sonntagsruhe durch Ortsstatut geregelt. Demgegenüber bedeutete das Arbeiterschutzgesetz vom Jahr 1891 einen wesentlichen sozialpolitischen Fortschritt. Die wichtigsten Bestimmungen dieses Gesetzes, das uns ja durch seine praktische Durchführung in Fleisch und Blut übergegangen ist, sind die 88 105 a—i. Nach 8 105 d dürfen Industrie- Arbeiter an Sonn- und Festtagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. 8 105 c zählt einige dringend nötigen und unaufschiebbaren Arbeiten einzeln auf, auf die diese Bestimmungen keine Anwendung finden. Weitere Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit in Gewerbebetrieben sind durch verschiedene Verordnungen des Bundesrats aus den Jahren 1895 und 96 geregelt. Gerade die genaue, möglichst erschöpfende Aufzählung der Sonntags erlaubten Arbeiten, bildet einen Vorzug des deutschen Sonntagsgesetzes.
Für das Handelsgewerbe lautet die wichtigste Bestimmung in 8 105 b Abs. 2: „Im Handelsgewerbe dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als 5 Stunden beschäftigt werdest. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde kann diese Beschäftigung für alle oder einzelne Zweige des Handelsgewerbes auf kürzere Zeit eingeschränkt oder ganz untersagt werden. Für die letzten 4 Wochen vor Weihnachten, sowie für einzelne Sonn- oder Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, kann die Polizeibehörde eine Vermehrung der Stunden, während welcher die Beschäftigung stattfinden darf, bis auf 10 Stunden zulassen."
Von der hier gegebenen Möglichkeit, völlige Sonntagsruhe im Handelsgewerbe einzuführen, haben nicht wenige größere Städte Gebrauch gemacht, z. B. Darmstadt, Dresden, Frankfurt a. M., Königsberg, Leipzig, München, Offenbach und Stuttgart.
Unterdessen ist man oben und unten zu der Einsicht ge- ^ kommen, daß die Sonntagsruhe im Kleinhandel und in Kontoren dringend einer weiteren Ausdehnung bedarf. Der weitgehende Regierungsentwurf von 1907 kam nicht zur Verabschiedung. Im November 1913 wurde dem Reichstag ein neuer Gesetzentwurf über die Neuregelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe vorgelegt, der nach einer zweitägigen ersten Lesung im Januar 1914 einem Ausschuß von 28 Mitgliedern überwiesen wurde. 8 1 dieses Entwurfes besagt:
„Im Betrieb der offenen Verkaufsstellen ist eine Beschäftigung bis zu drei Stunden zulässig; die höhere Verwaltungsbehörde kann für Orte, in denen die Bevölkerung aus der Umgegend an Sonn- und Festtagen die offenen Verkaufsstellen aufsucht, eine Beschäftigung bis zu 4 Stunden zulasten."
An 4 weiteren Sonntagen ist wie seither Beschäftigung bis zu 10 Stunden erlaubt. Nach 8 2 sind die Stunden so! festzusetzen, daß die Beschäftigten im Besuch des öffentlichen Gottesdienstes nicht gehindert werden. 8 3 erlaubt jüdischen Geschäftsleuten, die am Sabbath feiern, Gehilfen und Lehrlinge jüdischen Glaubens bis zu 5 Stunden innerhalb der Geschäftsräume zu beschäftigen.
Wir haben es hier mit einem Kompromiß zu tun, der durch das Bestreben veranlaßt ist, auch dem Interesse der Arbeitgeber möglichst entgegenzukommen. Den dankenswerten Fortschritt dieses Gesetzentwurfs gegenüber dem seitherigen Zustand wird man zwar nicht verkennen, aber es ist doch zu bedauern, daß der Schritt nach vorwärts so klein geblieben ist. Jedenfalls ist es zu verstehen, daß die verschiedenen Angestelltenverbände hin und her z. B. in Frankfurt, Mainz und Reutlingen Protestresolutionen fassen.
Haben diese Tausende von Privatangestellten, die am Sonntag nachmittag bis 3 oder 4 Uhr die Kundschaft zu bedienen haben, nicht ein Recht zu der Frage: Warum haben wir nicht ebensogut frei, wie der Arbeiter, der bei uns kauft? Sind wir etwa Stiefkinder des Vaterlandes, daß man bei uns der sozialen Reform überdrüssig wird? Ist uns nicht billig, was den andern recht ist? — Wer sich teilnehmend in die Lage und Seclenverfassung der Angestellten versetzt, der wird derartigen Gedankengängen und Stimmungen ihre Berechtigung nicht versagen können. —
(Schluß folgt.)
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, den 6. April 1914.
Lcffentliche Versammlung im Zungliberalen Verein.
In politischen Kreisen der Stadt sah man mit großen Erwartungen auf den Samstag abend, an dem der Führer des deutschen Jungliberalismus, einer Einladung der hiesigen Ortsgruppe dieser Organisation, folgend, reden sollte. Denn daß er auf den Beschluß des Zentralvorstandes der Nationalliberalen Partei, dem Eeschästsführenden Ausschuß die unverzügliche Auflösung der alt- und jungnationalliberalen Organisation aufzugeben, zu sprechen kommen werde, war mit Bestimmtheit zu erwarten. Und wie Kauffmann seine ablehnende Stellung zu diesem Auflösungsbeschluß begründete, zum erstenmal jedenfalls in Württemberg in öffentlicher Versammlung, das sei hier wiedergegeben. Es wird wohl verstanden werden, wenn wir die diesbezügl. Ausführungen in unseren Bericht eingehender berücksichtigen und dafür den zweiten Abschnitt des Vortrags weniger ausführlich behandeln.
Mit der Begrüßung der Mitglieder der Deutschen Partei und ihrem Vorsitzenden, Sägwerksbesitzer W a g- ner- Ernstmühl, der Mitglieder der Volkspartei mit ihrem Vorsitzenden, Landtagsabgeordneten Staudenmeyer und der keiner Partei angehörenden erschienenen Herren, eröffnete Techniker Roller, der Vorsitzende der hiesigen Ortsgruppe, die Versammlung und stellte den Redner des Abends vor.
Rechtsanwalt Dr. Kauffmann, der Vorsitzende des Reichsverbands der Jungliberalen, begann seinen glänzenden Vortrag mit der Auseinandersetzung über
die brennendste nationalliberale Frage, Auflösung der beiden Sondergruppen der Partei. Zu diesem Zweck holte er weit aus und mit Interesse verfolgte man, was er darüber zu sagen hatte. Die Jungliberale Bewegung hatte sich von Anfang an das Ziel gesetzt, die Lässigkeit der jüngeren Generation auf politischem Gebiet zu bekämpfen und sie zur politischen Mitarbeit auf dem Boden des Programms der Nationalliberalen heranzuziehen. Nicht eine besondere Politik, besondere Partei und besonderes Programm aufzustellen, war diese jungliberale Bewegung ins Leben getreten, sondern für die Erundzügc des nationalliberalen Programms auch die junge Generation zu interessieren. Der Iungliberale Reichsverband, der sich aus der jungliberalen Bewegung entwickelte, wurde zum Vertreter der liberalen Tradition des nationalliberalen Parteiprogramms. Es ist nicht so, als ob der jungliberale Reichsverband die Organisation des linken Flügels der Nationalliberalen Partei darstellen würde. Das könne und wolle er nicht sein, weil er wisse, daß eine Organisation, die innerhalb der Partei Sonderzwecke verfolge, für die Gesamt- partei schädlich sei. Da kam vor 2 Jahren der Sturm der Elemente, die mit der Entwicklung der Nationalliberalen Partei nicht zufrieden waren. Von ihnen ist damals in höchst bedauerlicher Weise eine Beunruhigung in die Partei hineingetragen worden. Sie nahmen als Hauptanlaß die vorübergehende Wahl eines Sozialdemokraten zum Reichstagspräsidenten, an der auch Nationalliberale mitgeholfen hatten. Die gewaltige Unruhe veranlaßte den Zentralvorstand, einen scharfen Beschluß gegen die Jungliberalen zu fassen. Es gab eine kleine Aenderung in den Parteistatuten, indem der Reichsverband aus ihnen gelöscht wurde und alles glaubte, nun sei Frieden. Auf dieses Hochgefühl hin, daß nun Ruhe sei, kam die Dusche der Gründung des Altnationalliberalen Verbandes. Sein Zweck liege darin, die Partei auf ein ganz bestimmtes, einseitiges politisches Programm festzulegen. Ein Programm, dessen Grundgedanken das Bedauern des Bruchs zwischen Nationalliberalen und Konservativen war und das Bestreben, um jeden Preis diese früher bestandene Einigkeit dieser genannten Parteien wieder herbeizusühren. — Was nun war der Grund des Beschlusses des Zentralvorstandes vom letzten Sonntag? Ein konkreter Grund war gar nicht vorhanden, sondern nur ein Gefühl der Abneigung dagegen, daß Jungliberale und Altnationalliberale sich in den beiderseitigen Preßorganen hie und da einige weniger höfliche als deutliche Worte gesagt hatten. Dieser Zustand der gegenseitigen Befehdung konnte dem Zentralvorstand nicht angenehm sein. Es gab tatsächlich außer dieser Preßbekämpfung nichts, was den Reichsoerband der Jungliberalen gefährlicher gemacht hätte, als er vor 2 Jahren war, wo man ihn gebilligt hatte. Ich bin der Ueberzeugung, daß jener Beschluß des Zentralvorstandes mehr aus Abneigung gegen die Altnationalliberalen als gegen die Iungliberalen h e r v o r g ega ng en w a r. Ich bin der Ueberzeugung. daß, wenn der Zentralvorstand kühl überlegt, was die Konsequenz für die Partei wäre, wenn sein Beschluß ausgeführt würde, dann wird er nicht mehr daran denken, ihn aufrecht zu erhalten. Denn, was wären die Konsequenzen für die Partei? Bei den Altnational- liberalen würde wenig geändert, aber die Auflösung des jungliberalen Reichsverbandes würde der Partei gewaltig schaden. Die innersten Wurzeln der Partei würden durchschnitten. Denn auch wenn unser Verband aufgelöst würde, würden wir zwar noch weiter in der Partei arbeiten, aber, der Elan, Schwung und Begeisterung wären gebrochen. Man braucht ja nur an die Erfolge zu erinnern, die der Jungliberalismus für die Eesamt- partei erreichte. Unter außerordentlich lebhaftem Beifall schloß der Redner diesen Teil seines Vortrages mit den Worten: „Die Grenze, die für uns gezogenist, ist, daß wir an unsrem Verband nicht rütteln lassen."