Wem. Anzeiger für die Bezirke Nagold. Ealw u. Ireadeastadt — Amtsblatt für dea BezM Nagolda. AUeasteig-Etadt
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Nummer- 215
Altensteig. Freitag den 13. Keptemdev 192S
52. Jahrgang
Zur Lage
Das Geheimnis über die 13 Bombenanschläge, die seit November vorigen Jahres die Öffentlichkeit in Norddeutschland von Holstein bis Braunschweig beunruhigten und zuletzt auch Berlin nervös machten, seit dort am Portal 5 des Reichstagsgebäudes vor wenigen Wochen eine Bombenexplosion sich ereignete, ist gelüftet. Die Polizei scheint gründliche Arbeit geleistet zu haben mit der Verhaftung von mehr als 2V Personen in Itzehoe. Hamburg und Berlin. Freilich handelt es sich vorerst nur um Aufdeckung und Zugriff der Polizei, noch nicht um Geständnis und Beweis, aber der Kreis, dem das Verschwörernest zugehört, zeichnet sich ab. Es ist als erwiesen anzusehen, daß Re Urheber der Bombenanschläge in den Kreisen der bäuerlichen Landvolk-Bewegung in Schleswig-Holstein zu suchen find. Außerdem sind Mitglieder der früheren Organisation Konsul belastet. Ferner befinden sich unter den Verhafteten auch Leute, die an dem Rathenaumord vor sieben Jahren beteiligt waren, vor allem der Bruder des Rathenaumörders Techow, -er damals die Maschinenpistole besorgte, aus der die mörderischen Schüsse abgegeben wurden. Sein ebenfalls verhafteter Bruder ist Redakteur der in Itzehoe erscheinenden Zeitung „Das Landvolk". Wie kam es, daß in Schleswig-Holstein, in dem ein gesundes, prächtiges Bauerngeschlecht wohnt, solche Gewaltakte, die doch das verwerflichste Mittel sind, um angeblich bestehende Mißstände abzuändern, zum Ausbruch kamen? Die Notlage der Landwirtschaft, die besonders in diesem nördlichen Grenzgebiet unter der starken Einfuhr dänischer Produkte in Erscheinung trat, gab den Boden für diese politischen Ausschreitungen. Noch ist in Erinnerung, wie die Führer der Landvolkbewegung durch Aufforderungen an die Bauern zum Eteuerstreik, Kundgebungen zur Verhinderung von Steuer- pfändungen, Sturm auf ein Finanzamt, Angriffe auf eins Gerichtsverhandlung allerlei blutige Zusammenstöße herbeiführten. Die Führer Hamkens und Kühl waren zwei Agitatoren, die den Staat für die Notstände verantwortlich machten, namentlich auch die schwankende Zollpolitik der Regierung seit Kriegsende. Sie fanden mit diesen Gedanken starken Zulauf. Dazu kam, daß die Verwaltungsbeamten des Staates bei Pfändungen und Steuereintreibungen sich rücksichtslos und ungeschickt benommen haben, wodurch die Erregung der landwirtschaftlichen Kreise vermehrt wurde. Obwohl nun die Landvolkbewegung keine feste Organisation besitzt, war sie sehr volkstümlich. Die Aufdeckung der Bombenanschläge und die.Verwicklung der Führer der Land- volkbewegung in diese Sache dürfte der politischen Hetzarbeit im Norden ein gewisses Ende machen und jenen Geist ausrotten, der mit Bomben und Höllenmaschinen ein System, wenn auch voller Mängel und Fehler, beseitigen will. Glücklicherweise haben die verbrecherischen Taten kein Menschenleben gefordert. Keine Partei wird die entlarvten Verbrecher decken, sie sehen harter Bestrafung entgegen. Vor allem ist belastet ein angeblich früherer Polizeihauptmann Nickels aus Wedingstadt in Holstein, der früher bei der Abstimmungspolizei in Oberschlesien tätig war.
In Genf sind die großen Tage der Völkerbundsversammlung vorüber. Die großen Drei, Macdonald, Briand und Stresemann, sind abgereist. Die Reden dieser drei Staatsmänner gaben der Tagung ihre Prägung, so daß beinahe die Grundsteinlegung zum Völkerbundspalast M den Hintergrund geschoben wurde. Macdonald meldete den Beitritt Englands ,u> dem Genier Vrotokoll von 1924 an.
In der deutschen Innenpolitik bildet die Arbertslofen- verficherungsreform immer noch eine schwere Belastung. Der Reichsrat, der in dieser Woche seine Entscheidung treffen sollte, hat seine Beratungen auf kommende Woche vertagt, nachdem Preußen eine Art Vermrtklungsaktion zwischen Reich und Ländern eingeleitet hat. Die sozialdemokratischen Reichsminister hielten auf der Bühlerhöhe bei Baden-Baden eine Konferenz ab, um sich über die Reform auszufprechen. Der Reichskanzler wird in der kommenden Woche wieder nach Berlin zuriickkehren, nachdem er durch schwere Erkrankung zwei Monate lang den Staatsgeschäften ferngehalten war. Der Reichsverkehrsminister hat die von der Reichsbahnverwaltung nachgefuchte Tariferhöhung abgelehnt. Die landwirtschaftlichen Spitzenverbände haben Forderungen an das Reichseruährungsministerium gestellt, um der Notlage der Landwirtschaft Abchrist zu bringen. Die amtliche Antwort an die „grüne Front" kann die vorgebrachten Wünsche nicht voll entkräften. Der Reichsaus« schuß für das deutsche Volksbegehren fordert die Vorlegung eines Gesetzes gegen die Versklavung des deutschen Volkes. Es sollen vor allem die Kriegsschuldartikel des Versailles
Vertrags außer Kraft gefetzt werden. Neder diese iune« politische Streitfrage wird es noch heftige Kämpfe geben. Voran steht aber die Arbeitslosenversicherungsreform. Der Reichstag selbst soll noch Ende dieses Monats zusammentreten. Man merkt: der Urlaub geht zu Ende, auch di«> Politik greift wieder in das R<ü» des Alltags.
Nheialandfahrt des „Graf Zeppelin"
Zm Industriegebiet
Das Luftschiff überflog um 4.25 Uhr die südlichste Stadt Westfalens, Liegen, in Richtung auf Remscheid. Nachdem „Graf Zeppelin" gegen 6 Uhr den Städten Remscheid und Solingen eine» Besuch abgestattet hatte, wandte es sich nach Düsseldorf, wo es um K Uhr gesichtet wurde. Gegen 6.30 Uhr überflog „Graf Zeppelin" Viersen, gegen 6.38 Ahr Krefeld. Um 7.15 Uhr hat es Barmen überflogen.
„Graf Zeppelins" Rückflug
In ruhiger und schneller Fahrt nahm das Luftschiff „Graf Zeppelin" seinen Weg über Westdeutschland. Um 7.25 Uhr näherte sich der Weltumsegler, Hagen überfliegend, dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet. In schneller Fahrt wurden die Städte Dortmund, Bochum, Esten, Mülheim-Ruhr, Duisburg, Oberhausen überflogen. Von dort kehrte das Luftschiff, in geringer Höhe die Kruppsche Eußstahlfabrik begrüßend, zurück und nahm seinen Kurs auf Gclsenkirchen-Buer und Recklinghausen, die nordwestliche Grenze des rheinisch-westfälischen Jndstriegebis» tes, wo es um 8.48 Uhr eintraf. Von dort setzte „Graf Zeppelin" seine Fahrt nach Nordwestdeutschland in Richtung Münster i. 3L, das um 10.10 Uhr passiert wurde, fort. Nachdem das Luftschiff Bückeburg um 11.20 Uhr verlassen hatte, erreichte es um 11.44 Ahr Hannover» 12.10 Uhr Vraunschweig. Das Luftschiff kam i» Magdeburg um 13.10 Uhr in Sicht.
„Graf Zeppelin" über Thüringen
Coburg, 12. Sevt. Das Luftschiff „Graf Zeppelin", das Jena um 15.12 Uhr, Saalfeld um 15.40 Uhr überflogen batte, erschien um 15.45 Uhr über Sonneberg und über Coburg um 1K Uhr. Von hier aus ging es nach Lichtenfels.
Friedrichshafen, 12. Sevt. Das Luftschiff überflog die Rord- wcststrecke Bayerns bei Lichtenfels, lieh Nürnberg östlich liegen, erreichte 5.45 Uhr Schwab. Gmünd, flog zwischen Rechberg und Stuifen der Alb zu, erreichte bei Munderkingen das Donautal und kam 8.54 Uhr wieder am Bodensee in Sicht. Nach einer gröberen Schlcifensahrt landete es 7.12 Uhr glatt.
Am 17. September 24-Stunden-Fahrt des „Graf Zeppelin" «ach Nordwcstdeutschland
Hamburg, 12. Sept. Kapitän Lehmann hat von Bord des „Graf Zeppelin" an die Hamburg-Amerika-Linie telegraphiert, daß beabsichtigt sei, am 17. September, 5 Uhr früh, eine 24- Stunden-Fahrt nach Nordwestdeutschland bis an die Nordsee zu unternehmen. In die Fahrt wird insbesondere der geplante Besuch Hamburgs eingeschlossen. Kapitän Lehmann teilte weiter mit, daß 20 Passagiere auf dieser Fahrt mitgenommen werde» können und daß sich der Passagepreis auf 1200 Mk. belaufen wird.
Jas deutsche Volksbegehren
Berlin, 12. Sept. Der Reichsausschutz für das deutsche Volksbegehren erläßt folgende Erklärung: Die Vorbereitungen für das Volksbegehren gegen die Versklavung des deutschen Volkes sind abgeschlossen. Dem Volksbegehren ist ein Gesetzentwurf zugrunde gelegt, der grundsätzliche außenpolitische Forderungen stellt. Die außenpolitischen Forderungen des Reichsausschusses fußen auf der Tatsache, daß Deutschland nicht die Schuld am Kriege trägt. Die Anerkennung dieser Tatsache durch die Mächte, die das Diktat von Versailles unterzeichnet haben, kann und wird erreicht werden. Die Befreiung Deutschlands von de» Vorwurf der Kriegsschuld muß die Grundlage in der deutsche« Außenpolitik sein.
Um die Forderung des Gesetzentwurfs gegen parlamentarische Manöver zu sichern, enthält der Entwurf eine Strafbestimmung, nach der diejenigen verantwortlichen Minister und Bevollmächtigten des Deutschen Reiches sich des Landesverrats schul, dig machen, die entgegen den Bestimmungen des Gesetzentwurfs ueue, auf dem Kriegsschuldanerkenntnis beruhende Lasten und Verpflichtungen übernehmen. Der Gesetzentwurf erstrebt die Einleitung der vom Reichsausschutz für das deutsche Volksbegehren erstrebten völligen Umstellung der deutschen Außenpolitik. Er hat folgenden Wortlaut:
Gesetz gegen die Versklavung des deutschen Bottes
8 1. Die Reichsregierung hat den auswärtigen Mächten un- verzüglich in feierlicher Form Kenntnis davon zu geben, daß das erzwungene Kriegsschuldanerkenntnis des Versailler Vertrages der geschichtlichen Wahrheit widerspricht, auf falschen Voraussetzungen beruht und völkerrechtlich unverbindlich ist.
8 2. Die Reichsregierung hat darauf hinzuwirken, daß das Kriegsschuldanerkenntnis des Artikels 231, sowie die Artikel 428 und 430 des Versailler Vertrags förmlich außer Kraft gesetzt
werden. Sie hat ferner darauf hrnzuwirken, daß die vesetzte» Gebiete nunmehr unverzüglich und bedingungslos sowie unter Ausschluß jeder Kontrolle über deutsches Gebiet geräumt werden, unabhängig von der Annahme oder Ablehnung der Beschlüsse der Haager Konferenz.
8 3. Auswärtigen Mächten gegenüber dürfen neue Lasten und Verpflichtungen nicht übernommen werden, die auf dem Kriegsschuldanerkenntnis beruhen.
Hierunter fallen auch die Lasten und Verpflichtungen, die aus Grund der Vorschläge der Pariser Sachverständigen und nach den daraus heroorgehenden Vereinbarungen von Deutschland übernommen werden sollen.
8 4. Reichskanzler und Reichsminister sowie Bevollmächtigt« des Deutschen Reiches, die entgegen der Vorschrift des 8 3 Verträge mit auswärtigen Mächten zeichnen, unterliegen deu ü» 8 92 Rr. (St.G.B.) vorgesehenen Strafen.
8 5. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Severing läßt das Volksbegehren zu
Wie die „D.A.Z." erfährt, wird Reichsinnenminister Severing das von dem Hugenberg'schen Reichsausschuß eingereichte „Volksbegehren gegen die Versklavung Deutschlands" für zulässig erklären.
Erst nach der offiziellen Einreichung des Volksbegehrens, die in etwa zehn Tagen erfolgen soll, wird die Frage entschieden werden, ob das Volksbegehren verfassungsändernd ist oder nicht.
In Ergänzung der Mitteilung der „D.A.Z." über den unberücksichtigt gebliebenen Einspruch der Führer des Reichslandbundes gegen A 4 des Hugenberg'schen Volksbegehrens wird dem Blatt mitgeteilt, daß auch die dem „Reichsausschuß" bisher angehörenden beiden Vertreter der Christlich-nationalen Bauern- und Landvolkpartei dem erwähnten § 4 nicht zugestimmt haben.
Die „Deutsche Tageszeitung" erklärt, daß die Meldung der „D.A.Z.", wonach das Präsidium des Landbundes sich gegen den Z 4 des Volksbegehrens ausgesprochen habe, im wesentlichen zutreffe. Es fei aber anzunehmen, daß alsbald Verhandlungen über eine entsprechende Aenderung des Entwurfs geführt werden, der ja dem Reichsinnenministerium noch nicht zugeleitet worden sei.
Untersuchung gegen die Bmnlenleger
Ein Geständnis
Berlin, 13. September. Im Laufe des gestrigen Spätnachmittags hat, laut „Lokalanzeiger", im Altonaer Polizeipräsidium der Syndikus Guido Weschke ein Geständnis abgelegt. Nach seiner Aussage hat er das Sprengstoffattentat in Weidenfleth am 28. November 1928, das erste in der Reihe der Attentate, mitverübt. Seine Mittäter zu nennen, war er bisher noch nicht zu bewegen. Der Verhaftete Nickels soll bis jetzt nur zugegeben haben, Aktien der Zeitung „Landvolk" in Itzehoe vertrieben und die dadurch erworbenen Gelder für sich verbraucht zu haben.
Die Verwüstungen in der Lüneburger Synagoge
Berlin» 13. September. Das „Berliner Tageblatt'* meldet aus Hamburg: Nach Feststellungen der Harburger Kriminalpolizei besteht zwischen den Vombenattentätern aus dem Lüneburger Bezirk und den Elementen, die vor einiger Zeit die Synagoge von Lüneburg zu demolieren versuchten, ein enger Zusammenhang. Dieser Zusammenhang ist insbesondere in der Familie des bekanntlich geflüchteten Volk gegeben, dessen Vater auch an der Verwüstung der Lüneburger Synagoge beteiligt war. Der junge Volk gehörte zu dem Personenkreis, der das Attentat gegen den Lüneburger Rechtsanwalt Strauß vorbereitete, der in der dortigen jüdischen Gemeinde als Vorsitzender des Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen
Glaubens eine bedeutende Rolle spielt.
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„Manchester Guardian" zur Festnahme der Sprengstoffattentäter
London, 12. September. „Manchester Guardian" weist in einem Leitartikel zu den Bombenanschlägen in Deutschland: Die Beweggründe dieser Verschwörer haben sich niemals geändert. Bei all ihrem Nationalismus, bei all ihren Anklagen gegen den Bolschewismus, bei all ihrem Gerede über Krieg mit Frankreich würden sie ein Bündnis mit den Franzosen annehmen, wenn diese Alliierten ihnen helfen würden, Krieg gegen ihre deutschen Mitbürger zu führen. Die preußische Polizei ist zu beglückwünschen, daß sie ein zivilisiertes Gemeinwesen von einer Gruppe verbrecherischer Verschwörer befreit.