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Kummer 177

AL Lensteig. Mittwu-cst den 31. Juli 1923

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Der Gang der Kabinettsbildung

Paris, 2g. Juli. Zurückblickend wird über den Verlauf der Krise berichtet, dab Briand zunächst Herriot am Montag früh empfangen hat. Herriot machte die Annahme der Aufforderung als Staatsminister ohne Portefeuille in das Kabinett einzu­treten, von der Zustimmung seiner Fraktion abhängig. Späte, erschien Daladier bei Briand, um ihm mitzuteilen, dab er mit Rücksicht auf den inzwischen gefaßten Beschluß, der radikaler Fraktion sich nicht an der Regierung beteiligen könne. Herriol seinerseits hat Briand in einem Brief seine Ablehnung zui Kenntnis gebracht. Nachmittags ist Briand nach dem Quai d Orsay zurückgekebrt, nachdem er Poincare einen Besuch abgestat­tet hatte, um von der Bildung des neuen Ministeriums Kennt­nis zu geben. Briand erklärte, es ändere sich nichts an der Zu­sammensetzung des zurückgetretenen Kabinetts, auch würden keine neuen Unterstaatssekrctariate geschaffen.

Pariser Pressestimmen

Paris, 2g. Juli. Zur Kabinettsbildung schreibt dasJournal des Debüts": Briand übernimmt die Ministerpriisidentschaft rechtlich, nachdem er sie in den letzten Parlamentsfitzungen tat­sächlich übernommen hatte. Man wird gelernt haben, was zu, Verhinderung eines radikalen Abenteuers die nationale Kam- mermehrheit beibehalten und im Innern wie nach Außen die Politik dieser Mehrheit betrieben werden muß.

DerIntransigent" schreibt: Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß das Kabinett das Kabinett des Noungplanes sein wird und nichts weiter. Es wird die einzige Sorge der an der Regierung befindlichen Männer sein müssen, alle anderen Prob­leme von dem Ausgang der Verhandlungen über die Liquidie­rung des Krieges abbängig zu machen. Das erfordert die Klug­heit.

Die Rechtsparteien und ihre Presse sind nicht ganz beruhig, über die Haltung Briands auf der Haager Konferenz, hoffen aber daß Männer wie Tardieu, Maginot und alle anderen Vertrete, der Rechtsparteien im Kabinett Briand von Zugeständnissen zu­rückhalten werden.

Von Stimmen der Linken ist die desOeuvre" bemerkenswert der, wie die anderen gemäßigteren Blätter, den Nichteintrit, der Sozialradikalen in die Regierung bedauert.Oeuvre* schreibt:Briand als Sauptvertreter Frankreichs im Haag, um­geben von Herriot und Paul-Boncour, hätte auf das Ausland einen groben Eindruck gemacht. Unter den gegenwärtigen schwie­rigen Umständen müssen wir Rücksicht auf die Meinungen unk Absichten des Auslandes, besonders Englands nehmen."

Sowie die Regierung Briand das Vertrauen der Kammer er­halten hat, wird die französische Abordnung nach dem Haag rei­sen.

DerExelsior", ein Briand nahestehendes Blatt, faßt die Aus­gaben der Konferenz noch einmal zusammen und schreibt: Der Voungplan darf nicht geändert werden, denn er stellt das äu­ßerste Entgegenkommen Frankreichs dar. Erst »ach Annahme des Noungvlans und Gründung der Weltbank kaun die Räumung besprochen werden. Die Räumung ist jedoch abhängig von der Unterbringung eines Teils der neuen Schuldverschreibungen, die der Flüssigmachung des ungeschützten Teils der deutschen Zah­lungen dienen sollen, und von der Einsetzung des Feststellungs- und Schlichtungsausschusses. Die Saarfrage darf nicht auf das Programm der Konferenz gesetzt werden. Es kann sich höchstens um deutsch-französische Besprechungen handeln. Wenn dieses Pro­gramm angenommen werden sollte, so würden die Verhandlun­gen etwa so vor sich geben: zuerst ein allgemeiner Gedankenaus­tausch. Hierauf die Besprechung des Boungplans; Einsetzung der technischen Unterausschüsse zur Errichtung der Weltbank und zur Vorbereitung der notwendigen deutschen Gesetze über Eisenbahn und Pfänder. Endlich Beratung über den Feststellungs- und Echlichtungsausschuß und über die Räumung.

Briand stellt sein 12. Kabinett vor

Paris, 36. Juli. Ministerpräsident Briand hat Montag abend dem Präsidenten der Republik sein neues Kabinett, das sämtliche Minister des zurückgetretenen Kabinetts Poin- rare enthält, ohne daß in der Verteilung der Portefeuilles irgend eine Aenderung eingetreten ist, oorgestellt. Die Konstituierung des neuen Ministeriums wird imJour­nal" offiziell veröffentlicht. Der Ministerrat hat beschlossen, die Präsidenten der Kammer und des Senats zu ersuchen, die beiden Parlamente für Mittwoch nachmittag 3 llhr zur Entgegennahme der Regierungserklärung zujammenzu- berufen. Am Mittwoch vormittag wird ein Ministerrat ^attffnden.

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Sozialrepublikanische Unterstützung für das Kabinett Briand

Paris, 30. Juli. Die sozialrepublikanische Kammer­fraktion hat beschlossen, der Regierung Briand im Hinblick auf die Konferenz im Haag ihre Unterstützung zu gewäh­ren. In der Begründung wird jedoch erklärt, daß die Zu­

sammensetzung des Kabinetts weder den Wünschen der republikanischen Mehrheit noch den Erfordernissen einer Linkspolitik entspreche. Auch die linksrepublikanische Frak­tion hat in einer Entschließung ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Erweiterung der republikanischen Mehrheit des Kabinetts nach links nicht möglich gewesen sei.

Operation Poincarcs

Paris, 3k>. Juli. Wie verlauret, soll Poincare am Donnerstag von Professor Marion operiert werden.

Ser englische VaumM-Krieg

(Von unserem wirtfchaftspolitischen Mitarbeiter.)

Als vor einem halben Jahr die größte und wichtigste Jndustri« Englands, die Baumwollindustrie, einen gigantischen Trust ge­bildet hat, die Lancashire Cotton Corporation Ltd., waren all« Einsichtigen der Ansicht, daß diese Gründung aus dem Mut de, Verzweiflung zu erklären war. Die mittelenglische Textilindu­strie, die noch vor wenigen Jahren in einer geradezu sprich­wörtlichen Blüte stand, befindet sich nunmehr in einer Krise die ein Teil der Krise des gesamten Wirtschaftssystems Eng­lands ist. Dieser größte und ertragreichste Wirtschaftszweig des Landes ist infolge des veralteten Produktionsaktes außerstande, mit den nordamerikanischen und japanischen, neuerdings auch mit den indischen Spindeln einen erfolgreichen Konkurrenzkampf zu führen. Die Eroßfusion sollte Hilfe in der größten Not brin­gen. Die ersten Ergebnisse dieser Großfusion sind da. England be. findet sich in der größten akutesten Krise seit dem Mai 1926, dem Monat, in dem der verhängnisvolle BergarLeiterstreik aus­brach. Seit dem 29. Juli find im gesamten Manchester-Bezirk 500 000 Baumwoll-Svinner und -Weber auf die Straße gesetzt Die Unternehmer wußten sich nicht besser zu helfen, als ein« Lohnkürzung von rund 12,5 Prozent (!) durchzuiüüren. Eine sol­che Lohnkürzung wollten die Arbeitnehmer nicht annehmen, dies umsoweniger, als die Unternehmer bis jetzt bei allen notwendi­gen Reformen versagt und in der Frage der Rationalisierung seit Jahren eine unverständliche Gleichgültigkeit gezeigt haben Sämtliche Verhandlungen, die zwischen den Unternehmern un) den Arbeitern geführt wurden, haben sich zerschlagen. Einigungs­versuche wurden schließlich auch von amtlicher Seite unternom­men, was der Regierung umso peinlicher war, als die Thron­rede den Zusammentritt einer Untersuchungskommission verspro­chen hatte. Die kämpfenden Parteien haben also den Zusam­mentritt der Kommission garnicht abgewartet.

Jetzt steht die junge englische Regierung, kaum daß sie an die Macht gelangt, vor einer außerordentlich schwierigen und heiklen Aufgabe. Seit Jahren hat die Labour-Party die konservative Regierung beschuldigt, den Arbeitsfrieden nicht eingehalten zu haben, bezw. als der Arbeiterstreik ausbrach diesen Frieden auf Kosten der Arbeitnehmer erzwungen zu haben. Nunmehr müssen Macdonald und Genossen selbst die Schwierigkeiten auskosten, die ihren Vorgängern so schlecht bekommen sind. Margaret Bon- field, die Arbeitsministerin, die erste Dame im englischen Kabi­nett, steht vor einer Aufgabe, die ihre staatsmännische Kunst auf eine harte Probe stellt. Es ist auch nicht übertrieben zu sagen, daß die Aussperrung der englischen Baumwollarbeiter das Schick­sal der Labour-Regierung anss Spiel gesetzt hat.

Welche Folgen bat die englische Baumwollkrise für Deutsch­land? Die Tragweite dieser Frage erhellt schon daraus, daß Deutschland der größte ausländische Abnehmer englischer Baum­wollgarne ist. Seine Aufnahmefähigkeit für englische Baum­wolle macht mehr als den vierten Teil der englischen Gesamtaus­fuhr aus (!). Dabei ist zu berücksichtigen, dab Holland, der zweitbeste Auslandskunde der englischen Spinnereien, einen sehr groben Teil der von ihnen bezogenen englischen Baumwolle nach Deutschland weiterleitet. Im Rahmen der deutschen Textil-Jn- dustrie nimmt die Baumwollproduktion den ersten Platz ein. Nach der letzten allgemeinen Betriebszählung find hier über 300 000 Personen beschäftigt mir einer notorischen Leistung von zirka 600 000 PS. Die Abtretung Elsaß-Lothringens bat der

putschen Baumwollindustrie einen großen Schaden gebracht, s,

' die Svindelzahl mit etwa 12 Millionen Spindeln kaum de, Vorkriegsstand überschreitet. (Man vergleiche mit diesen 12 Mil­lionen Spindeln Deutschlands die 57 Millionen Spindeln Eng­lands, dessen sich die Vereinigten Staaten mit 37 Millionen a»° schlieben.) Im deutschen Außenhandel spielt die Baumwollindu­strie eine sehr wichtige Rolle. Die Baumwoll-Einfuhr beträgt umgekehrt 10 Prozent der Gesamteinfuhr, während Sie Ausfuhr sich allerdings nur mit 6 Prozent an dem Gesamtexport Deutsch­lands beteiligt. Als Abnehmer deutscher Vaumwollgewebe und Baumwollwaren sind in erster Linie Amerika, England und Holland zu nennen. Dann folgen Schweden, Dänemark und Oesterreich. Es ist wohl begreiflich, dab Ne deutsche Baumwoll­industrie mit dem größten Interesse den Fortgang der englischen Krise verfolgt. Ebenso offensichtlich ist, daß sich die deutsch« Baumwollindustrie ebenso schnell auf die zeitliche Ausdehnung der englischen Baumwollkrise einzustellen vermag, wie dies der deutsche Bergbau in den Zeiten des riesigen englischen Vergar- cheiterstreiks getan hat.

Zar Schlagwetterex-lisio« in Schlesiea

28 Tote in Waldenburg

Berlin, 31. Juli. Die Zahl der Toten bei dem Gruben­unglück in Waldenburg hat sich, wie derVorwärts" mel­det, auf 26 erhöht, da zwei Schwerverletzte im Laufe des Nachmittags gestorben sind.

Die Suche nach der Ursache der Grubenkatastrophe in Waldenburg

Waldenburg, 30. Juli. Wie das zuständige Revier­bergamt in Waldenburg mitteilt, trifft nach den bisherigen Feststellungen die Erubenverwaltüng keinerlei Verschulden an der Erubenkatastrophe. Es steht so viel fest, daß die Explosion nicht durch einen Schutz herbeigeführt wurde. Anscheinend ist die Katastrophe auf eine der sogenannten Venzinsicherheitslampen zurückzuführen, von denen fünf in der betreffenden Abteilung verwendet wurden. Von den geretteten Bergleuten hofft man nach wie vor zwei am Leben erhalten zu können. Lediglich der Hauer Rösner war heute bereits vernehmungsfähig.

Beileid des Reichspräsidenten

Berlin, 30. Juli, Der Reichspräsident bat an das Oberbcrgamt Breslau folgendes Telegramm gerichtet:

Tief erschüttert durch die Nachricht von dem schweren Schlog- wetterunglück auf der Friedens-Hofinungs-Erube im Walden­burg« Revier bitte ich Sie, den Hinterbliebenen der getöteten Bergleute den Ausdruck meiner herzlichsten Anteilnahme zu übermitteln und den Verletzten meine besten-Wunsche kür ,ihre baldige Wiederherstellung auszusprechen. gez, v. Hindenburs, Reichspräsident,"

Beilekdsknndgebungeu rum Waldenburg« Erubeuuugläck

Berlin, 30, Juli. Anläßlich der furchtbaren Grubenkatastrovbe bei Waldenburg hat das Reichsarbeitsministerium der B« triebsvertretung und der Verwaltung der Zeche telegraphisch! seine Anteilnahme versichert, Reichsminister Dr, Eroener har für die Reichsregierung durch das Oberbergamt in Breslau de» Verunglückten und ihren Angehörigen die wärmste Teilnahme aussvrechen lassen.

Alis ZeMlin" startbereit

Friedrichshofen, 30. Juli. Im Laufe des Nachmittags wird mir der Unterbringung des nach Amerika bestimmten Fracht­gutes im Laderaum des Graf Zeppelin begonnen werden kön­nen. Zu der bei der im Mai abgebrochenen Amerikafahrt mitge­führten und bisher in Friedrichshaien lagernden Luftfracht, wo­runter sich bekanntlich n. a. ein Bechsteinflüsel, ein Rnbensge- mälde und das Eorillaweibchen Sufi befanden, sind in der Zwi­schenzeit neben einer großen Zahl anderer Gegenstände noch zur Beförderung angemeldet worden: ein Schimpanse von der Tier- Handlung Ruhe-Hannover, von der auch der junge Gorilla her­rührt, desgleichen nicht weniger als 600 Kanarienvögel von der­selben Firma. Ein Berliner Bildhauer läßt eine Büste des verstorbenen Ozeanfliegers v. Hünefeld aus dem Luftwege nach Lakehurst befördern. Die gesamte Fracht hat ein Gewicht von etwa 2000 Kilogramm. Auch zu den für die letzte Amerikafahrt angesammelten und immer noch beim Friedrichshafener Post­amt aufgestapelten Luftpostbriefe und Karten im Gewicht von annähernd 350 Kilo werden noch einige Säcke neu hinznkom- men.

Die Teilnehmer an der Amerikafahrt desGraf Zeppelin"

Friedrichshafen, 30. Juli. An der Amerikafahrt werden, soweit bisher verlautet, teilnehmen: Direktor Kiev-Samburg-Amerika- linie, Professor Milarch-Bonn, Graf Soden-Frauenbofen, Fried­richshafen. Graf Montselas, Ullsteinverlag Berlin, Herr Esch- wege, Scherlverlag Berlin, Dr. Svieß, Reichsverkehrsministe­rium, Herr Schüz, Kiel, Kapitän Wilkins, Searstvresse, Herr und Frack Pierce, Neuyork, Herr und Frau Lrouse, Nenyork, Herr und Frau Eourevitsch, Paris, Herr Nelson, Neuyork, Herr Ricolson, Nenyork, Herr Richard, Madrid, Herr Siebel- Lagi- naw, Herr Burke, Neuyork.

Zur Amerikafahrt desGraf Zeppelin- Friedrichshafen, 31. Juli. Wie wir weiter erfahren, nehmen an der Fahrt außer den bereits gemeldeten Passa-, gieren noch Herr Stauffacher-Basel und Channing-Bern teil.

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Keine Weltreise desGras Zeppelin" von Lakehurst aus Friedrichshafen, 30. Juli. Entgegen den Newyorker Meldungen über das Weltflugprogramm desGraf Zep­pelin" erfahren wir, daßGraf Zeppelin" nach Lakehurst fährt, dort einige Tage bleibt und dann wieder nach Frie­drichshafen zurückfliegt. Hier bleibt das Luftschiff einige Zeit und tritt dann die Weltreise an.