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ALtensteig, Dienstag den 30. Juli 1920

26. Jahrgang

Vo» Poiacare zu Briand

' Die politische Laufbahn Poincares scheint sich ihrem Ende -u nähern. Der französische Ministerpräsident wurde kraul Kn dem Augenblick, wo die französische Kammer die end­gültige Entscheidung über die für Frankreich schicksalsvolle Dfrage der Kriegsschulden treffen mußte. Er bleibt an das Bett gefesselt in den Tagen, wo die große politische Kon- jserenz an die Probleme der Kriegsliquidierung herantreten Wird. So ist Poincare ausgeschaltet aus dem Gang der großen Ereignisse, dis persönlich zu beeinflussen er nicht imstande ist. Seine Krankheit, dis ihn zur Aufgabe der praktisch-politischen Tätigkeit zwingt, hat sich als viel ernster herausgestellt, als es zunächst schien. So ist es noch recht fraglich, ob der 69jährige in absehbarer Zeit imstande sein wird, zu der politischen Aktivität zurückzukehren, sei es als Ministerpräsident, sei es als Präsident der französischen Republik ein Posten, der in zwei Jahren frei wird Dnd dessen unanfechtbarer Anwärter Poincare war, der­selbe Poincars, der schon im Jahre 1913 zum Staatsober­haupt der französischen Republik gewählt wurde, um den ganzen Krieg hindurch an der Spitze des Landes zu bleiben.

Obwohl seit langem mit der Krise des Kabinetts Poin­care gerechnet wurde, wirkte die Art, wie sie entstanden war, völlig überraschend. Die Regierung Poincar6 in ihrer letzten Form wurde am 11. November des vergange­nen Jahres gebildet. Sie war Nachfolgerin des Kabinetts der nationalen Einheit, das am 23. Juli 1926, im Augen­blick der akutesten Krise der französischen Währung ans Ruder kam. Das Kabinett der nationalen Einheit, das unter dem Zwang drohender Währungskatastrophen stand, zerfiel, nachdem die Katastrophengefahr abgewendet war. Diese Regierung mußte zerfallen, weil die Kammerwahl 1928 ihr keine sichere Mehrheit gebracht hatte. Poincare ließ sich damals von der Kammer nicht desavouieren, er trat freiwillig zurück und kehrte wieder, nachdem er den linken Flügel der Regierung, die vier radikal-sozialen Minister <Herriot, Sarraut, Queuille und Perrier) ausgeschifft hatte. Er kehrte wieder, weil er um jeden Preis bei der letzten großen Aufgabe dabei sein wollte, die die Sanierung des Franken krönen sollte: die endgültige Regelung der Kriegs- sthulden- und der Reparationsfrage. Das Schicksal wollte tzs anders: unmittelbar vor der Entscheidung brach er zu­sammen und nun wird die Regelung des Reparations­problems und der letzten Nachwirkungen des Krieges ohne Ihn vor sich gehen.

Was bedeutet die Ausschaltung Poincares für die Po­litik Frankreichs und für die außenpolitische Lage der Welt «nd vor allen Dingen speziell für Deutschland? Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten. Wäre Poincare in den Zeiten des Ruhrkampfes oder gar noch viel früher endgültig von der politischen Arena verschwunden, so wäre dies ein großer Gewinn für Deutschland gewesen. Heute bedeutet das Abtreten Poincares von der politischen Bühne leine entscheidende Aenderung in der Eesamtlage. Man Amß auch dem erbittertsten und gefährlichsten Gegner gegenüber Gerechtigkeit walten lassen. Die Wandlung, die Hküncare in seinem Verhältnis zu Deutschland im Laufe ber Jahre durchgemacht hat, ist zwar nicht so groß, wie es Manche Optimisten darzustellen lieben, aber auch nicht so gering, wie es von anderer Seite behauptet wird. Der ganze Aufstieg Poincares stand im Zeichen der Revanche vnd der Kriegsvorbereitung. Dieser Aufstieg errang seinen Whepunkt während der Staatspräsidentschaft Poincares, Lls der Weltkrieg ausbrach. Seit dieser Zeit erhielt Poin- rare in seinem eigenen Lande den NamenKriegs-Poin- Me" (Poincare la guerre). Als der Krieg sich feinem Ende näherte, stellte sich Poincare in den Schatten eines «cheren Mannes, desTigers" Llemenceau. Im Zeichen Tlemenceaus stand auch Versailles. Dann aber kamen wil­der die Tage Poincares. Er war es nämlich, der die Aus­wirkungen des Versailler Diktats persönlich zu kontrollieren ^gann. Er wurde zumPoincare des Ruhrkampfes" (Poincare la Ruhr). Die Liquidierung der Ruhrkampagne wurde ermöglicht durch die denkwürdigen Kammerwahlen

11. Mai 1924, die dem Linkskartell einen entschei- ^vden Sieg brachten und zur Bildung der Regierung ^rriot anstelle der Regierung Poincare führten. Die . Periode der deutsch-französischen Beziehungen stand (M Zeichen Herriots, aber mehr noch im Zeichen Briands.

Londoner Abkommen, der Vertrag von Locarno, ^utschlands Eintritt in den Völkerbund das sind die Wappen, die mit dem Namen Briands verbunden sind.

rne endgültige Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich schien damals für viele im Bereich der Mög­

lichkeiten zu liegen. Dann, im Sommer 1926, kehrte Poku- care zur Macht zurück und die zu erwartende Aussöhnung nahm ein so langsames Tempo an, daß kein Fortschritt mehr zu bemerken war, ja manchmal war sogar eher ein Rückschlag festzustellen. Und trotzdem schien es, als öS Poincare im Laufe der letzten Jahre sich die Mühe gab, etwas versöhnlichere Töne anzuschlagen, als es seine bis­herige Art war. Jetzt, wo er, wenigstens für die nächste Zeit, von der politischen Oberfläche verschwindet, wird die Kriegsliquidierung" ihren Weg nehmen, nicht schneller und nicht radikaler, als es unter der Mitwirkung Poin­cares geschehen wäre.

Nach dem Rücktritt Poincares leitet nunmehr ein Mann die Geschicke Frankreichs, der schon so oft an der Spitze der Regierung stand, der zweifelsohne zu den bedeutendsten Staatsmännern der Gegenwart gehört. Aristide Briand, der langjährige Außenminister Frankreichs, der elffache Ministerpräsident der französischen Republik, steht wieder einmal im Zentrum des politischen Lebens und weiß nie­manden neben sich, mit dem er die Macht und den Einfluß teilen müßte. Wird nun die Politik Frankreichs eine deut­liche Linksorientierung erfahren, die schon seit langem an­gekündigt war? Wird diese Linksorientierung die Be­ziehungen zu Deutschland günstig beeinflussen? Wird sie vor allen Dingen der unmittelbar bevorstehenden Poung- Konserenz zugute kommen? Das alles sind Fragen, aus deren Beantwortung man äußerst gespannt sein muß.

Briands Versuche um sein 12. Kabinett

Paris, 28. Juli. Briands Bemühungen, sein 12. Kabinett zu bilden, haben sich schwieriger gestaltet, als zu erwarten war. Nahezu aussichtslos scheinen Briands Werbungen um die Mit­arbeit der radikalsozialen Gruppe zu sein. Sein Bestreben sin« zunächst dahin, einige wichtige Vertreter der Nadikalsozialen in sein neues Kabinett hineinzunehmen. Er hat denn auch sofort Herriot gesprochen, der gestern nacht Paris verlassen mutzte. Sonntag vormittag wurden dann der Vorsitzende der Radikal­sozialen Partei, Herr Daladier, und Herr Malvy empfangen. Die Unterhaltungen mit den radikalsozialen Führern haben bis­her ein negatives Ergebnis gehabt. Beide von Briand in Aus­sicht genommene Möglichkeiten, entweder den Radikalsozialen einige Ministerportefeuilles von untergeordneter Bedeutung so­wie Staatssekretariate einzuräumen oder dem Kabinett einige radikalsoziale Minister ohne Portefeuille beirugeben, sind an dem Widerstand der Radikalsozialen gescheitert. Die Radikalso- sialen fordern einmal den Ausschluß der Gruppe Marin aus der Regierungskombination und feiner die Besetzung des Innenmi­nisteriums durch ein Mitglied ihrer Gruppe. Im Gegensatz steht nicht nur die Haltung der Mariongruppe, auf deren hundert Stimmen Briand im Falle des Beitritts der Radikalsozialen nicht verzichten könnte, sondern auch die Stellungnahme des etwa hundert Stimmen zählenden rechten Zentrums, das auf keinen Fall das Innenministerium einem Nadikalsozialen überlassen will. Diese Bestrebungen des rechten Zentrums finden eine wichtige Stütze in der Person des bisherigen Innenministers Tardieu. Der Einfluh Tardieus auf die Kammer ist so grob ge­worden, dab Briand es nicht wagen kann, sich seine Gegnerschaft zuzuziehen. Tardieu aber will Innenminister bleiben, und Vri- and muh diesem Wunsche Rechnung tragen.

Das neue französische Kabinett

Paris, 29. Juli. Beim Verlassen des Elyses um 1 Uhr erklärte Briand, daß er sein Kabinett gebildet habe. Die radikale Partei sei darin nicht vertreten. Obwohl die Zu­sammensetzung des Kabinetts dieselbe bleibt, erklärte Brb and, hoffe er nach seiner Besprechung mit dem Führer der Radikalen, Daladier, in der Kammer eine verbreiterte Mehrheit zu finden.

Havas bestätigt, daß das Kabinett Briand sich in der­selbe« Zusammensetzung wie das bisherige Kabinett Poin- care gebildet hat. Sämtliche Minister behalten ihre Aem-

ter.

Regierungskrise »nd Neparationskouferenz

Pl-ris, 29. Juli.Journal" erörtert die Frage, welchen Ein­flug die französische Ministerkrise auf die Verhandlungen der Regierungskouferenz ausüben werde. Das Blatt schreibt: Der Rücktritt Poincares kann die Richtung der französischen Nutzen» volitik nicht ändern, weil Poincare die Leitung dieser Politik Briand längst übertragen hatte. Der Mann der Ruhr hat dem Mann von Locarno die Geschäfte übertragen. Er hat die Wie- dervcrsöhnung so weit getrieben, dab er grundsätzlich sogar die Rheinlandräumung zugibt. Unter diesen Umständen wird Bri­and das eingeleitcte Spiel einfach weitersvielen. Die einzige ge- wih nicht zu unterschätzende Aenderung ist, dah er als Minister­präsident mehr Aussicht und mehr Handlungsfreiheit haben wird, als Aubenminister. Das Ereignis wird ohne Zweifel ziem­lich besondere Rückwirkungen auf die künftige Resienmaskmn'i'- WM» habe».

London für Beschleunigung der Konserenzarbeiten London, 29. Juli. Von amtlicher britischer Seite verlau­tet, es stehe jetzt endgültig fest, daß die Reparationskon­ferenz im Haag stattfinden wird. Der Zeitpunkt sei jedoch noch nicht offiziell festgesetzt worden. Großbritannien sei bestrebt, keine Verschiebung des Zeitpunktes eintreten zu lassen, da es die Aufgaben der Konferenz mit möglichste» Beschleunigung erledigt wissen wolle. Es besteht, den In­formationen von amtlicher britischer Seite zufolge die Ah- sicht, die Konferenz in zwei Teile zu teilen und zwar eine» finanzieller Art, der sich mit dem Poungbericht und der ge­samten Frage der Reparationen befaßt, und den andere» politischer Natur, der Fragen für die Räumung des Rheiu« landes und die Frage der Ernennung des Feststellungsan» schnsfes behandelt.

Geheim« KG Mr de« WWlnn

Reustadt a. d. H 29. Juli. In der Jahreshauptversammlung des Verbandes pfälzischer Industrieller berichtete Eeheiyirat Kastl, geschäftsführendes Präsidialmitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie, über die Reparationskonferenz. Er hob hervor, daß der Poungplan an sich sicher noch die deutsch« Leistungsfähigkeit übersteige, aber gegenüber dem Dawesplan in mancher Hinsicht einen Vorzug bedeute. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Poungplan geeignet sei, für die Zukunst ein« sicherere Entwicklung zu sichern als unter dem Dawesplan, komme es darauf an, festzustellen, ob die Bedingungen, unter denen die Durchführung zu geschehen habe, für die Wirtschaft die notwendigen Sicherheiten für den Fall wirtschaftlicher Schwierigkeiten biete. Eeheimrat Kastl wies darauf hin, daß der Poungplan, trotzdem er gegenüber dem Dawesplan stark« Erleichterungen bringe, für eine lange Reihe von Jahren an die deutsche Wirtschaft übergroße Anforderungen auf finan­ziellem und wirtschaftlichem Gebiet stelle. Diese nach Möglich­keit zu erleichtern, sei Gebot des Augenblicks, weil es darauf ankomme, an die Durchführung des neuen Planes mit ehr­lichem Willen heranzugehen. Nur in der Durchführung werde sich zeigen, ob im Rahmen der weltwirtschaftlichen Zusammen­hänge überhaupt die Leistung derartiger Beträge von einer Wirtschaft zur anderen hinüber ausgeführt werden könne, ohn« die gesunden weltwirtschaftlichen Zusammenhänge zu zerstören Wenn aber Deutschland mit ehrlichem Willen an die Durch­führung herantreten wolle, so komme es im wesentlichen darauf an, in unserem eigenen Hause die Zustände herzustellen, die uns die Durchführung ermöglichen, aber auch für unsere wirt­schaftliche Entwicklung Zustände schaffen, die für alle Zweige des Wirtschaftslebens Rentabilität und Existenzmöglichkeit bie­ten. Das erfordere ein Höchstmaß von lleberlegung und Ein­sicht aller Teile der Wirtschaft sowie eine hervorragende Wirt­schaftsführung. Der Poungplan sei nicht der Grund zur Umkehr in unserer Wirtschaftspolitik, er sei aber der wichtigste Anlaß, unsere Finanz- und Wirtschaftspolitik zu ändern, die in ihrer bisherigen Entwicklung gerade für die produzierende Wirtschaft von den schlimmsten Folgen begleitet war.

Neues vom Tage

Die Lage in China

London» 29. Juli. Der Korrespondent derTimes" in Schanghai meldet: Die offizielle Nachrichtenagentur der Regierung meldet aus Kalgau und llrga, die Russen suchten die Mongolen zu einem Aufstand gegen Nanking anfzurei- »en. In der ganzen Mongolei führten Sowjetagenten eine umfangreiche Propaganda. Es heißt, daß der Bericht von Penhsischan stammt. Gleichzeitig wird gemeldet, daß Tfchiangkaifchek einen umfassenden Verteidigungsplan für die ganze Nordgrenze aufgestellt hat. Sie wird verteidigt werden von dem Gouverneur der Mandschurei, Marfchall Tschanghsüliang, General Penhsischan und General King- schujen. Der Korrespondent fügt hinzu, dieser veränderte Ton von Nanking steht in entschiedenem Widerspruch z« den Telegrammen aus Chardin, die von bevorstehenden Verhandlungen sprechen. Die Gefahr eines Einfalles der Mongolen ist zweifellos wirklich vorhanden. Wenn es dazu kommen würde, dann würde es im Gegensatz zu der Mand­schurei in diesem Gebiet keine Komplikationen mit fremden Mächten geben.

Aussperrung m der englischen Baumwoll-Zndnftri« London, 29. Juli. Im Baumwollgebiet von Lancashi« trat am Montag die Aussperrung fast der gesamten Beleg­schaft in Kraft. Etwa 300 000 Arbeiter werden feiern. De» Lohnausfall beträgt wöchentlich rund 20 Millionen Mark. Man erwartet allgemein, daß von 'feiten des englischen Ar­beitsministeriums unverzüglich neue Schritte zur An­bahnung einer Verständigung unternommen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Macdonald die beiden Parteien zu sich beruft, um eine Grundlage für weitere Berhand» lungen zu finden.