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ALterrsteig, Montag den 17. Juni 1989

S2. Aatzegang

Me finanziellen Grandlagen der Arbeitslosenverfichernng

Seit vielen Monaten will der Streit um die Reform der Arbeitslosenversicherung nicht verstummen. Die Vor­schläge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen sich schroff gegenüber. Während jene durch eine Einschränkung des Personenkreises die finanziellen Grundlagen der Arbeits­losenversicherung sanieren wollen, treten diese für eine Er­höhung der Beiträge ein. Eine rasche Klärung des un­erfreulichen Streitfalles ist dringend geboten. Die Reichs­regierung hat deshalb einen Gesetzentwurf für einSofort­programm" über die Abstellung von Mißständen auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung ausgearbeitet. Sie hat außerdem einen Ausschuß von Sachverständigen ein­gesetzt, mit dem sie in größter Beschleunigung Richtlinien für eine Umgestaltung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes erörtern will. Dessen Verhandlungen sind allerdings ergeb­nislos abgebrochen worden.

Wie notwendig eine rasche Verabschiedung des Sofort­programms ist, geht allein schon aus der Höhe der Dar­lehen hervor, die das Reich der Reichsanstalt für Arbeits­losenversicherung während des Etatsjahres 1928 sowie im April und Mai des laufenden Etatsjahres zur Verfügung stellen mußte. Insgesamt sind im Etatsjahr 1928 aus Reichsmitteln teils in Form von Darlehen, teils in Form verlorener Zuschüsse an die Reichsanstalt 288 Millionen ge­zahlt worden. Von den im Reichshaushalt 1929 als Dar­lehen für die Arbeitslosenversicherung vorgesehenen 150 Mil­lionen sind bisher bereits 83 Millionen angefordert wor­den, obgleich die Saisonarbeitslosigkeit seit Anfang April einen beträchtlichen Rückgang erfahren hat. Nimmt man an. Laß die durchschnittliche Arbeitslosenziffer in den kommen­den sechs Wintermonaten im Monatsdurchschnitt 1,5 Mil­lionen betragen wird, so würde die Arbeitslosenversicherung, da ihr Haushalt lediglich für die Unterstützung von 800 005 Erwerbslosen reicht, durchschnittlich 700 000 Arbeitslose aus Darlehen des Reiches unterhalten müssen. Bei einem durchschnittlichen monatlichen Unterstützungssatz von 80 Mk. für den einzelnen Erwerbslosen ergäbe dies einen Betrag von 336 Millionen Mk., die das Reich im Laufe des Win­ters erneut zur Verfügung stellen müßte. Tatsächlich sind jedoch, wie erwähnt, nur 150 Millionen für das laufende Etatsjahr ausgeworfen, von denen bereits über die Hälfte im April und Mai verbraucht worden ist.

Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß eine derartige Be­anspruchung von Nsichsmitteln, für die im übrigen erst in einem Nachtragsetat die notwendigen Voraussetzungen ge­schaffen werden müßten, die ohnedies schlechte Kassenlage des Reiches in einer unerträglichen Weise anspannen würde. Sieht sich das Reich indessen außerstande, die erforderlichen Zuschüsse bereitzustellen, so würde andererseits die Reichs­anstalt schon im Laufe des Herbstes oder des beginnenden Winters sich in der Zwangslage sehen, ihre eigenen Ein­nahmen mit ihren Ausgaben in Einklang bringen zu müssen, d. h. ihre Leistungen auf ein Maß zu beschränken, das ihren Einnahmen entspricht. Was das für die davon betroffenen Arbeitslosen, was es für das Schicksal der Ar­beitslosenversicherung überhaupt bedeuten würde und welche innerpolitischen Gefahren hiervon drohten, braucht nur an­gedeutet zu werden. Eine schnelle und gründliche Reform der Arbeitslosenversicherung ist daher nicht nur sin sozial­politisches, sondern auch staatspolitisches Gebot.

Sie Schlußsitzung iu Madrid

Vorläufige deutsch-polnische Einigung Madrid, 16. Juni. Nach langen Verhandlungen des Ja« paners Adatschi mit der deutschen und der polnischen Dele« gation ist über die Liquidationsfrage eine Einigung er­zielt worden. Es wird eine Schiedskommission zusammen­treten, als deren Vorsitzender vorläufig Adatschi fungiert, der später durch eine andere, neutrale Persönlichkeit ersetzt werden soll. Es ist besonders festgelegt worden, daß die bereits liquidierten Güter, soweit die Kommission ihre Li­quidation als unberechtigt betrachtet, entweder den Pächter« zurückgegeben werden solle« oder daß diese eine Geld­eutschädigung erhalten sollen. Der Beschluß darf als er« deutscher Sieg bezeichnet werden.

Nach Ankündigung des Beschlusses begrüßte Dr. Strese- mann diese Lösung und ging in seiner Erklärung auf die Ausfälle Zaleskis wegen der Oppelner Zwischenfälle ein und erklärte, die deutsche Regierung lasse sich aus ihrem Ver­halten bei diesen Vorfällen keinerlei Vorwürfe machen.

Die Zwischenfälle seien bedauerlich, aber noch bedauerlicher für das Verhältnis der beiden benachbarten Staaten sei die propagandistische und agitatorische Ausnutzung, die die Angelegenheit von polnischer Seite erfahre. Zaleski ent- gegnete mit einem ganz kurzen Schlußwort, in welchem er in bezug auf die Oppelner Zwischenfälle wiederholt seine Bereitwilligkeit unterstrich, mit dem deutschen Ratsmit­glied alle Schwierigkeiten direkt zu erörtern» die zwischen den beiden Ländern beständen.

Nach der einstimmigen Annahme des Berichts dankte Adatschi in einer Schlußrede noch einmal der spanischen Regierung für die Gastfreundschaft, die sie dem Völkerbund gewährt habe, und Quinones de Leon dankte seinerseits im Namen Spaniens dem Völkerbundsrat für seinen Be­such. Darauf wurde die 55. Ratstagung geschlossen.

Zw Whrige Wilhelm Kahl

Der Nestor der deutschen Rechtswissenschaft

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Am 17. Juni feiert Professor Wilhelm Kahl seinen 80. Ge­burtstag. Er wurde 1849 in Kleinheubach in Unterfranken ge­boren, studierte die Rechtswissenschaft, wurde 1879 Professor in Rostock. 1883 Professor in Erlangen, 1888 Professor in Bonn. Pom Jahre 1895 bis 1922 wirkte er als Professor an der Ber­liner Universität, dessen Rektor er zu wiederholten Malen war. Drei Disziplinen der Rechtswissenschaft, das Kirchenrecht, Staats­recht und Strafrecht streiten sich darum, wer das Lieblingskind Kahls ist. Auf allen drei Gebieten hat sich Kahl betätigt und ist bahnbrechend gewesen. Seine bedeutendsten Schriften des Kirchenrechts sind:Die deutschen Amortisationsgesetze" (1879), Lehrgesetz des Kirchcnrechts und der Kirchenpolitik" (1894), Die Konfession der gemischten Ehen" (1895),Kirchenrecht" (1906). In all diesen Schriften tritt bereits die Rolle Kahls als Mittler zwischen Staat und Kirche hervor. Aber nicht nur Mittler ist er, sondern er tritt entschieden für die gewissenhaft errungene eigene Ueberzeugung ein unter voller Achtung der ehrlichen Ueberzeugung des Andersdenkenden. Dieses kraftvolle Eintreten für die einmal errungene ehrliche Ueberzeugung zeigt sich besonders auch in seiner Stellungnahme zum Strafrecht. Noch im Jahre 1923 konnte Professor Goldschmidt in seinem Artikel, den die deutsche Juristenzeitung anläßlich des goldenen Doktor­jubiläums für Wilhelm Kahl herausgegeben hatte, betonen, daß Wilhelm Kahl entschiedener Verfechter der Todesstrafe sei. Heute, im Jahre 1929, in seinem 80. Lebensjahr, hat Professor Kahl als Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des Reichstags auf die unbedingte Beibehaltung der Todesstrafe verzichtet, dies mit der Begründung, daß er kick' dem überwiegenden Willen des Volkes nicht verschließen könne. Die bedeutendsten Schriften Kahls über das Strafrecht sind:Die Religionsvergehen" (1906), Geminderte Zurechnungsfähigkeit" (1907),Störung des reli­giösen Friedens und der Totenruhe".Arzt im Strafrecht". Auch um die neue Gesetzgebung für die Irren, um die Be­kämpfung der Geschlechtskrankheiten, um das Problem der ärzt­lichen Unterbrechung oer Schwangerschaft hat sich Kahl verdient gemacht. Mit Recht hat einmal Professor Heimann gesagt: »Das Strafrecht der Zukunft wird Kahl viel verdanken."

Aber nicht nur als Rechtslehrer, dem Generationen von Schü­lern ihre Ausbildung verdanken, sondern auch als Politiker gehört Kahl unter die ersten des deutschen Volkes. Oft war ihm während der Blütezeit des deutschen Reiches ein Ab'-ordneten- fitz angetragen worden. Immer hat er ihn abgelehnr. Aber in der Not, als das Vaterland ihn rief, war er zur Stelle. 1919 war er Mitglied der Nationalversammlung, Vertreter der Deur- schen Volkspartei, seit 1920 gehört er als Mitglied der Deutschen

Volkspartei dem Reichstag an, ist Vorsitzender der Strafrechts­kommission, seit 1925 Ehrenvorsitzender derLiberalen Ver­einigung". Ein Freund des Vaterlandes, ein Freund der All­gemeinheit, hat sich Kahl nicht nur hohe Verdienste als Ver­treter der Wissenschaft sondern auch als warmherziger Patriot erworben.

Ehrung der deutschen Szeaupeger

Aufstellung der Büsten Köhls und von Hünefelds im Reichs­verkehrsministerium

Berlin, 16. Juni. Im Reichsverkehrsministerium fand die feierliche llebernahme der von dem Deutschen Club in Cbikago gestifteten beiden Büsten der Ozeanflieger Hermann Köhl und Freiherr v. Hüneseid statt. Reichsverkehrsminister Dr. Steger- wald begrüßte die zu der Feier erschienen Gäste und hielt eine Ansprache, in der er den Dank für die Ehrung der Leiden deut­schen Flieger zum Ausdruck brachte und die Hoffnung aus- svrach, daß der Besuch der Mitglieder des Deutschen Clubs von Cbikago, die die Büsten llberbracht haben, in dem deutschen Stammlande ebenso wie der Transatlantikflug dazu beitragen möge, das Verständnis für das deutsche Volk und seine schwie­rige Lage zu fördern..Der amerikanische Botschafter Schurman erinnerte an die Begeisterung die die ersten Transozeanflüge auslösten. Jeder Mensch von Gefühl könne sich einer gewissen Traurigkeit nicht erwehren, beim Gedanken an die Schnelligkeit, mit der in diesem Zeitalter der immer neuen Wunder der Ruhm solcher unvergleichlichen Heldentaten in der Dämmerung des Alltags verblassen. Dennoch seien die Taten selber von Bestand.

Neues vom Tage

Der Reichsbahutarifantrag

Berlin, 15. Juni. Der angekündigte Tariferhöhungs­antrag der Reichsbahn ist jetzt bei der Reichsregierung ein­gegangen. Es wird vorgeschlagen, diejenigen Tarife» die im vorigen Jahre geschont worden sind, zur Erzielung von Mehreinnahmen heranzuziehen, also sine Reihe von Güter­sätzen und im Personenverkehr die Tarif für die zweite Klasse, während die Preise in der dritten Klasse unverändert bleiben. Im einzelnen sollen, wie versichert wird, die Er­höhungssätze mäßig sein, da insgesamt nur die infolge der Lohnerhöhungen benötigten 55 Millionen aufgebracht wer­den sollen. Die Hauptverwaltung der Reichsbahn habe ausdrücklich betont, daß sie der Regierung für jede andere Lösung der Finanzfrage dankbar sei.

Fortsetzung der Besprechungen in Paris?

Paris, 15. Juni.Oeuvre" meldet aus Madrid, daß die Besprechungen Stresemanns und Vriands wahrscheinlich iu Paris fortgesetzt werden. Briand wird am Montag abend zurückkehren und Stresemann am Dienstag oder Mittwoch durch Paris kommen. Es wird angenommen, daß Stress- mann in Paris Briand besuchen wird, und daß dieser nach Rücksprache mit dem Kabinett bestimmtere Vorschläge über die Einberufung der politischen Konferenz machen werde. In Paris rechnet man mit August als Zeitpunkt der Konferenz. -

Polnische Uebergriffe vor dem VölkerSundsrat Madrid, 15. Juni. Der Völkerbundsrat behandelte am Freitag die oberschlesischen Minderheitenfragen. Den wich­tigsten Punkt bildete der deutsche Antrag auf Erörterung der Liquidation von etwa 50 000 Hektar deutschen Grund­besitzes in Polen. Es handelt sich dabei um etwa 1000 Fälle, in denen deutschen Eigentümern im Widerspruch zu der unter den Auspizien des Völkerbundes im August 1924 ab­geschlossenen Wiener Konvention die Verleihung der pol­nischen Staatsangehörigkeit verweigert wird. Nach ein­gehender Begründung des deutschen Standpunktes durch Reichsminister Dr. Stresemann und nach einer ziemlich ge­reizten Entgegnung des polnischen Außenministers wurde die weitere Beratung auf die Schlußsitzung vertagt. . ^ Poincarö über den Poung-Plan Newyork, 16. Juni. Der französische Ministerpräsident hat in der Julinummer der ZeitungForeign Affaire" einen Aufsatz über die europäische Lage veröffentlicht/ iik dem der Verfasser über den Sachverständigenbericht aus« führt: Die französischen Sachverständigen haben sich ein« verstanden damit erklärt, daß Frankreich einen sehr großen! Teil der entstandenen Opfer übernimmt. Aber die mora« lischen Vorteile dieser gemeinsamen Regelung sind von, allerhöchster Bedeutung. Sie verheißt eine neue Atmosphäre! in Europa, die Förderung des Gefühls des Vertrauens und die Wiederherstellung einer haltbaren Grundlage der Zusammenarbeit zwischen den Nationen. Es ist zu hoffen, daß die Regierungen sich beeilen werden, so schnell wie mög« lich den Plan der Sachverständigen in Kraft zu setzen.