Sonntagsausgabe der Schwarzrsälder Tageszeitung «Aus den Tannen"
ili'i LM
WMKMMM
WWWÄM
MNlÄgL^/Z^
gMK
MAKM^W
«MI
M«
LW7
^r-LL
MWW
MMV
DMA
MM
WWM
MM!
.1
Uv. 63
Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile 80 Pfg., die Rcklamezeile M Pfg.
Alterrsteig» Sorrntcrg 30. De;ernvev
Bezugspreis im Monat 40 Pfennig Die Einzelnummer . . 10 Pfennig
1928
Sonntagsgedanken.
Zahresschwelle
Jahre vergehen, und die Liebe, die sie uns verhießen, verrinnt; der Erfolg, den sie uns versprachen, vergeht. Aber je einsamer der Lebensweg wird und je rätselhafter das Lebensende sich anläßt, desto trostreicher das Wort: Ich bin es. H, Bezzel.
Je mehr du eilst,
je schneller schwirrt und flattert die Zeit;
je stiller du weilst,
umso leiser sich heben,
umso breiter schweben
die Fliigelschläge der Ewigkeit.
Erika Spann-Rheinsch.
Vom Vergessen
Langsam geht es dem Ende zu, das Jahr 1929 mit seinen Erfolgen und seinen Verlusten, mit seiner Wonne und seiner Pein. Vieles ist — teils leider, teils glücklicherweise — vergessen; vieles brennt noch mit heißer Glut im Herzen, um auch allmählich zu erkalten; vieles wird ewig weiterbrennen. Am Ende eines Jahues kommt besonders deutlich die Lückenhaftigkeit -menschlichen Gedächtnisses zum Bewußtsein. Was noch an schwerem Leid oder seliger Wonne am Anfang eines Jahres schlaflose Nächte bereitete — heute breiten sich schon die Schleier der Vergangenheit und Vergessenheit darüber und verwischen die scharfen Umrisse. Wie wird das erst am Ende unserer Tage sein, wo der ganze Inhalt des Erlebens in einen kurzen Augenblick zusammenfließen wird?
Ob das der Sinn unseres Lebens ist, daß es schließlich im Nebel menschlicher Gedächtnisschwäche dahindämmert? Ob es nicht doch ein anderes, besseres, ewiges Gedächtnis gibt, das fähig ist, die Dinge festzuhalten und festzustellen wie -sie waren, ohne Lug und Verstecken, ohne Halb- oder Falschwissen?
Die Ergebnisse der neuesten Seelenforschung bejahen di; letztere Frage. Sie erinnert uns daran, daß plötzlich scheinbar längst vergessene Geschehnisse blitzartig in voller Lebendigkeit vor des Menschen Auge stehen, daß sie plötzlich aus dem „Unterbewußtsein" auftauchen und wieder wach werden, als ob sie nie vergessen gewesen wären, um vielleicht bald wieder in das Dämmer des „Unterbewußtseins" zu sinken. Damit gewinnen aber jene Worte wieder neue Bedeutung, die besonders am Ende eines Jahres schwer aufs Herz fallen: „Du mußt Rechenschaft von einem jeglichen Wort, das aus deinem Munde geht, geben." Mit anderen Worten: Es muß ein ewiges, besseres Gedächtnis als das menschliche geben, etwa das, was schon die Bibel in ihrer Bildersprache mit dem „Buch des Lebens" meint oder, was die menschliche Vernunft mit dem Begriff „Allwissenheit" zusammenpreßte. Vor diesem Forum wird auch einmal das Erleben dieses Jahres und einst die Summe unseres irdischen Erlebens ausgebreitet sein in voller Wahrheit. Es ist gut, daß der Mensch sich diese alte, durch die neueste Seelen- sorschung wieder neu ausgegrabene Wahrheit zu eigen mache: Es ist nichts vergessen, was geschehen ist, auch wenn wir es schon längst vergessen haben oder wenigstens gerne vergessen wollten. Aber dann ers^ werden wir uns mit allen Fasern unseres Herzens an den klammern, bei dem nicht nur das Nichtvergessen, die „Allwissenheit" ist, sondern auch das Vergeben. F. H.
Die alte Burg
Non Julia Jobst
Urheberrechtsschutz durch Oskar Meister, in Werdau (Sachsen) 17) (Fortsetzung.)
Man feierte den ersten Geburtstag der Buben und er wurde wirklich zu einem Festtag, denn alle hatten sich «berboten in sinnigen Gaben für die Kinder und für deren Mütter. An dem Tag nahm Fleur die treue Rose an ihr Herz und dankte ihr mit Tränen für das Opfer, das sie brachte, indem sie ihren Buben, als müsse es so sein, an den Kranken hingab. Ja, die Gräfin ging noch weiter, sie gestand sich mutig ein, daß die Liebe dieser prächtigen Müllerin ihren Mann auch jetzt noch beglückte. Sie gelobte sich, der Eifersucht Herr zu werden, damit ihr schwer
geprüfter Mann der Sorge um seinen kranken Knaben nicht erlag.
Drunten im Dorf war sich jeder bewußt geworden, daß kein böses Wort der Anklage laut werden durfte, bis das Geschick des kleinen Knaben sich so oder so entschieden hatte. Die Gefahr seines Zustandes konnte ihnen auf die Dauer nicht verborgen bleiben. Auch trug die heitere Ruhe, die die Müllerin in letzter Zeit zur Schau trug, viel dazu bei, daß man sich wieder zu dem zurückzufinden versuchte, was Rose früher dem Dorf gewesen war.
Rur einem blieb das verborgen, der Magister spürte den Umschwung nicht. Und als er mit vertrauten Geistern beim Trunk im Hirschen saß, begann er wieder hämisch zu sticheln und wagte zuletzt die schwere Frage geschickt in Worte zu fasten: „Was wird nun der Herr Graf tun, wenn der kleine Junker tot ist? Wird und kann er sich zu Recht zu dem Kind der Müllerin, dessen Vater er ist, bekennen und ihn zu seinem Erben erheben?"
Der Wein war in ihm mächtig geworden und verriet die Gemeinheit seiner Gesinnung. Seine Rede klang tönend durch das verräucherte Zimmer und weckte ein gefährliches Echo.
In die tiefe Stille, die jetzt folgte, fiel wie ein Weckruf von der Tür her: „Ihr deutschen Männer, wollt ihr euch-daL-^efallen lasten, daß ein Franzosenfreund und heimlicher Spion euren Herrn einer solchen Schuld anklagt?"
Ein wildch Tumult brach aus! Man hatte es schon vor dem Eingriff des neuen Gastes gespürt, wie zuwider ihnen doch im Grunde der Magister war. Schon hielt ihn die derbe Faust dieses Boten aus Dietrichstein beim Nacken. Es war einer von den vor den Franzosen in das Moor geflohenen Burschen.
„Mich hat es schon lange gelüstet, mit dieser Kreatur mal Abrechnung zu halten. Da ist auch der Schulze, dem dieser Schuft in der Unglücksnacht zurief, daß er die Burg und die Mühle warnen wolle."
Nun wurde die Stimme des Dorfgewaltigen laut: „In Cassel ist der Magister gewesen an dem Hochzeitstag und hat sich dort mit der Behörde in Verbindung gesetzt. Und wißt ihr auch warum? Er stieg der schönen Rose nach, die nichts von ihm hat wissen wollen, und deren Glück er zu vernichten gedachte, indem er den Müller in die Gewalt der Feinde brachte. Nur Gott weiß, wo einer der besten Männer unseres Dorfes geendet ist. Es steht nur das eine fest, daß Oltmann als ein Gefangener mit nach Rußland geschleppt wurde. Wäre er bei dem Pork'schen Corps gewesen, so hätte die Mühle ihn schon längst wieder."
„Heraus mit dem Verbrecher — auf die Landstraße mit ihm — für den ist kein Platz mehr im Dorf. Schlagt ihn nieder, den Kujon — den französischen Spitzel!"
„Keine Gewalttat!" rief der Schulze laut und verschaffte sich noch für einen Augenblick Gehör.
Die Wirtsstube war plötzlich ganz gefüllt von Männern jeden Alters. Der Magister wurde mit unwiderstehlicher Gewalt, aber ohne jeden Laut der Tür zugeschoben, dann auf die. Dorfstraße, die vom Monde erhellt war. Immer weiter ging es hinaus — den Magister befiel ein Grauen. Wollte man ihn in das Moor werfen? Er bat wimmernd um sein Leben.
„Das lassen wir dir", klang es höhnend zurück, aber ohne Denkzettel kommst du nicht davon."
Draußen in der Einsamkeit der Nacht, wo sein Geschrei weder im Dorf noch auf der Burg gehört werden konnte, wurde der Unglückliche zu Boden geworfen. Man riß ihm die Kleider vom zitternden Leib und vollzog an ihm ohne Erbarmen die Prügelstrafe, bis er wie tot dalag.
Alle waren sie Zeugen, die herum standen, nur der Schulze war still nach Hause gegangen, damit er nicht dazu gezwungen werden konnte, über die Gericht abzuhalten, die eine gerechte Strafe an dem Uebeltater vollzogen. Dann gingen alle heim, nachdem sie auf Handschlag gelobt hatten, über das Vorgefallene zu schweigen.
Sie hielten ihr Wort, und kein beunruhigendes Gerücht über die Exekution drang zu dem Burgherrn. Aber nach einiger Zeit mußte ihm vom Schulzen bekanntgegeben werden, daß der Magister das Dorf verlassen hatte und nicht wiedergekommen war.
Ulrich war nur zu froh, den unheimlichen Schleicher los zu sein, und der Pfarrer, der wohl mehr von der Sache wußte, hatte schon den richtigen Mann zur Stelle, der auf Verlangen des Burgherrn von der Behörde probeweise angestellt wurde. Man fragte nicht weiter nach Gründen.
In dieser aufregenden Kriegszeit hatte ein jeder mit sich zu tun.
Der Magister blieb verschwunden. Keiner ahnte, daß der zu allem geschickte Mann sich unter falschem Namen eine einträgliche Stellung verschafft hatte. Er arbeitete sich immer höher hinauf, bis er sich eines Tages zu einer Art Geheimschreiber wandelte, und zwar bei dem früheren Kammerherrn de Cuvry, der mittlerweile in Frankfurt im Hauptquartier den Platz gefunden hatte, der ihm zusagte. Fleurs Vater glaubte noch immer an den Stern Napoleons und wußte sich damit eins mit dem Mächtigen an seinem Hofe. Er war eifrig tätig im Dienst des Fürsten Metternich. Zu dessen verschlagener Politik zog es den Landesverräter, der einem Jerome nur zu treu gedient hatte.
Es dauerte nicht lange, und der Magister wußte, daß sein Brotherr dem Manne seiner Tochter feindlich gesinnt war. Da wagte er es, hier und da ein Wort von den Zuständen auf der „Alten Burg" laut werden zu lassen. Cuvry horchte gespannt auf, als er von der Erkrankung des Erben hörte. Von dem schweren Leiden Ulrichs hatte er sich ja selber überzeugen können. Er äußerte sich aber mit keinem Wort, als Moulin von der Ähnlichkeit der beiden Knaben sprach. Das hatte ja gar keine Bedeutung für ihn, niemals konnte der kleine Mllllerssohn Erbe des Majorats werden.
Aber Fleur besaß ein großes Vermögen, denn der Wert der Weinberge und Häuser war gewaltig gewachsen und vielleicht würde er wieder in Gnaden von ihr ausgenommen werden, wenn ihr Mann tot war. Er sagte sich mit Recht, daß der Kummer um den Tod des kleinen Junkers den Zustand des Gelähmten Noch verschlimmern würde. So erkundigte er sich vorsichtig unter der Hand, wie es auf der „Alten Burg" stand. Er hatte überall seine Fäden. Das Spitzelwesen blühte nach wie vor, da noch immer krumme Wege beliebter waren wie die geraden. So hatte Cuvry auch in der nahegelegenen Stadt eine seiner Kreaturen sitzen, die den Auftrag hatte, die „Alte Burg" zu bewachen, von der man wußte, daß sie vor dem Beginn der Befreiungskämpfe der Schlupfwinkel der Patrioten gewesen war, dem man noch jetzt mit Recht in diplomatischen Kreisen stark mißtraute.
Das waren die Folgen der Fremdherrschaft, die zu lange auf Deutschlands Nacken gelegen hatte. Das ließ sich so rasch nicht abschütteln.
Auf der Burg stand man immer mehr unter dem Druck des langsam vorwärtsschreitenden Siechtums des armen kleinen Junkers, der aber eine ganz unerwartete Zähigkeit im Willen zum Leben zeigte. Reinhardt schob es auf den Einfluß des kleinen Hans, der mit jedem Tag fester Fuß faßte auch in den Herzen der Eltern. In ihm ankerte deren Hoffnung, daß ihr Kind doch noch gesunden würde.
Der Siegeszug der Verbündeten — der Einzug in Paris blieben für Ulrich nur Schall und Rauch.
Noch einmal machte er sich in heißer Empörung Luft, als der unselige Wiener Kongreß dem Intrigenspiel eines Talleyrand zu erliegen drohte, als Napoleon seinem Gefängnis, der Insel Elba, entfloh und eine neue Phase der wieder einsetzenden Kämpfe anbrach.
Auf dem Schlachtfeld von Belle-Alliance drang der Ruf Wellingtons himmelan: „Blücher oder die Nacht!"
Das letzte Spiel war aus, am 7. Juli rückten die Preußen in Paris ein, und der greise Feldmarschall Vorwärts durfte sich mit seinen letzten Lorbeeren schmücken.
Der zweite Pariser Frieden wurde am 20. November 1815 unterzeichnet und wiederum wurden die deutschen Patrioten in ihren Hoffnungen und Erwartungen betrogen.
Auf der „Alten Burg" tagten zu dieser Zeit oft führende Männer des preußischen Volkes, denen das versagt blieb, was ihnen versprochen worden war. Ein Ernst Moritz Arndt, Freiherr vom Stein, Wilhel von Humboldt und sogar General von Eneisenau zogen sich unter vielen anderen, angewidert von dem Treiben Metternichs, der große Macht in Preußen besaß, in die Einsamkeit zurück.
Von Zeit zu Zeit wurde es Ulrich, der nur noch dem kranken kleinen Junker und seinem Studium lebte, klar, wie die Zeit dahineilte, als seine beiden Söhne, wie er sie bei sich benannte, schon ihrem dritten Geburtstag entgegensahen.
Noch immer war Dr. Reinhardt auf der Burg, und dis Gräfin konnte in Ruhe nach Dietrichstein fahren, denn der Großvater verlangte bei seiner sich stetig steigeMden Hilflosigkeit, immer dringender nach ihr. Zuletzt aber konnte