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Eine ZahresMckschau

Die politische Bilanz des Jahres 1S28

Klio, die Göttin der Geschichte, wird sich kaum bewegen -lassen, Silvester mitzufeiern. Denn erstens hat sie ihre eigene Zeitrechnung, die mit unserem Kalender sicher nicht übereinstimmt, und zweitens har sie auch äußerlich keinen Anlaß, auf das vergangene Jahr mit besonderer Befriedi­gung zurückzublicken und dem kommenden Jahre mit be­sonderen Hoffnungen entgegenzusehen.

^ Im politischen Leben Europas wird das Jahr 1928 kaum . als ein großes Jahr weiterleben. Es gab da manche Ver- ! jprechungen, die nicht eingehalten wurden, und manche s Lnttäuschungen, die man sehr gut hätte entbehren können.

An Ereignissen, von denen wichtige Folgen zu erwarten l waren und heute noch zu erwarten sind, hat es eigentlich «icht gefehlt. Aber die Auswirkung aller dieser Ereignisse wird sich erst allmählich einstellen. Ein besonderer Opti­mismus ist hier nicht am Platze. Und wenn die europäischen ^ Politiker ihre Neujahrsglückwünsche gegenseitig aussprechen werden, werden sie es oft nur geteilten Herzens tun können.

i Das Jahr 1928 war für recht viele Länder ein Wahl- ! fahr. Und das hat bei Japan und Polen begonnen und ! ging dann über Frankreich, Deutschland, nach Amerika» um ! erst vor wenigen Wochen bei Rumänien zu enden. Wichtige j ^ außenpolitische Bedeutung war von allen diesen Wahlen zu erwarten. Es blieb jedoch meistens bei innenpolitischen ! Auswirkungen. Am wenigsten stark sind diese Auswirkungen I in Amerika, Frankreich und Polen, wo alles beim alten blieb, am stärksten sind sie in Rumänien, wo ein vom ! Grunde aus neues Regime, das erste parlamentarische Re­gime Rumäniens, seinen entscheidenden Sieg feiern konnte. ! Deutschland nimmt hier, trotz einer tiefgreifenden Verschie­bung der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag, eine Mitel- stellung ein: die Rechtskoalition hat ihren Platz der Re- ^ gierung Müller geräumt, aber diese Regierungsumbildung wird selbst von den Beteiligten nicht als eine endgültig? betrachtet: Die Verhandlungen über die große Koalition, die seit den Neuwahlen geführt werden, sind noch weit von ihrem Ende entfernt, so daß es noch nicht zu übersehen ^ ist, wie sich das innenpolitische Bild Deutschlands in der ! nächsten Zukunft gestalten wird. Außenpolitisch hat das > Deutsche Reich keine tiefe Wandlung durchzumachen gehabt.

Alle Aenderungen und Schwankungen, die festzustellen sind.

! hängen weniger von dem Ausgang der Wahlen ab, als von der außenvolitischen Konstellation, wie sie sich aus der Stellungnahme anderer Länder ergeben hat.

Die außenpolitische Bilanz Deutschlands des vergangenen Jahres ist leicht zu ziehen. Das Jahr 1928 war für Deutsch­land in außenpolitischer Hinsicht das Jahr der entscheiden­den Prüfung für Locarno und der Auswirkungen von Lo­carno. Die Ergebnisse dieser Prüfung waren alles andere als günstig. Als Prüfsteine dienten dabei zwei grund­legende Fragen: Rheinlandräumung und Reparationsreqe- ! lung. In beiden Fragen wurde keine Lösung erzielt. Die Aussichten auf eine Lösung bleiben für die nächste Zukunft nicht groß. Aus dem bisherigen Verlauf der Verhand­lungen ergab sich jedoch vieles Wichtige und Entscheidende, das durch ein einziges Stickiwort charakterisiert werden kann: Locarnodämmcrung. Der vielgepriesene Geist von Locarno ist heute tot oder fast tot..An dieser Tatsache ist nicht mehr zu rütteln. Meinungsverschiedenheiten beginnen i erst bei der Beurteilung dieser Tatsache. Für dir einen ' ist Locarno zugrunde gegangen, um Versailles wieder zum Triumph zu verhelfen, um Versailles wiederkehren zu lasten. Für die anderen ist Locarno überwunden, da es seine Schuldigkeit getan habe. Beide Deutungen laufen doch auf ein und dasselbe hinaus: der Locarnoboden ist verlassen. Es fragt sich nur. was nunmehr geschehen soll. Eine Rück­kehr nach Versailles ist für Deutschland unannehmbar. Werden unsere ehemaligen Kriegsgegner zu einer neuen Derhandlungs- und Einiaungsbasis bereit sein? Das ist der Kordinalvnnkt der deutschen und der europäischen Außen­politik. Die Antwort darauf lautet eher verneinend als bembevd. M--- ergibt sich aus der allgemeinen außenpoliti- schen Konstellation, wie sie im vergangenen Jahre ge­schaffen wurde?

Das Hauptereignis war in dieser Hinsicht die radikale Umstellung, richtiger gesagt, der Beginn einer radikalen Umstellung in den Kräfteverhältnissen der europäischen und auch außereuropäischen Länder. Dieie Umstellung erfuhr Een Anstoß durch eine so enge Fühlungnahme zwi­lchen Frankreich und England, wie sie in den letzten Jahren

nicht mehr existierte. Die französisch-englische Entente soll ja nie tot gewesen sein: aber so lebendig, wie sie sich im Jahre 1928 zeigte, war sie vielleicht noch nie. Es ist dies­mal England gewesen, das sein auswärtiges Amt gewister­maßen nach Paris verlegt hat. Die britische Diplomatie hat sich völlig in den Dienst der französischen gestellt. Alles weitere, was geschah und was heute noch im Gange ist, ist nur die Folge des erneuten englisch-französischen Bünd­nisses. Deutschland sieht sich einer Einheitsfront im Rhein­land und in Genf gegenübergestellt und ist daher in einer wenig beneidenswerten Situation. Italien siebt sich in seiner Mittelmeer- und Valkanpolitik von England ver­lassen und entfaltet in Ungarn, Bulgarien. Albanien, Grie­chenland und in der Türkei neue Aktivität, um für diesen Verlust neue Kompensationen zu erlangen. Rußland sieht das Gespenst einer anti-russischen Einheitsfront in eine be­drohliche Wirklichkeitsnähe gerückt; Frankreich kehrt Mos­kau den Rücken und nimmt London zum Muster, organisiert in Polen und Rumänien einen .^Verteidigungskrieg" gegen Rußland und unterläßt überhaupt nichts, was den Sowjets unangenehm werden könnte. Aber 'vielleicht noch mehr als Deutschland, Italien und Rußland, fühlt sich Amerika durch den Bund London-Paris getroffen. Und mit Recht. Denn die neue Entente enthält eine ganz deutliche Spitze gegen die Vereinigten Staaten. England macht einen verzweifel­ten Versuch, sich gegen die steigende Macht Amerikas auf­zulehnen. Im Bündnis mit Frankreich will das britische Imperium dem amerikanischen Imperialismus heftigen Widerstand leisten. Der englisch-amerikanische Gegensatz er­fahr in der zweiten Hälfte des v n-gangenen Jahres ein« außerordentliche Verschärfung. Diese Verschärfung wird in der Zukunft nicht nur anhalten, sondern eine weitere Stei­gerung erfahren.

Durch das englisch-französische Bündnis gereizt, holte Amerika zu einem Vorstoß aus. Der Kelloggpakt bedeutet in erster Linie einen offenen Eingriff in das politische Schick­sal Europas. Vis jetzt pflegte Washington den Anschein zu wahren, als sei Amerika an der europäischen Politik des­interessiert. Seit dem Kelloggpakt ist es anders geworden. Inwieweit dieses Schriftstück dem Weltfrieden dienen wird, mag dahingestellt bleiben; der amerikanischen Politik wird der Vorstoß Kelloggs auf jeden Fall zugute kommen. Die Position der Vereinigten Staaten ist dadurch in politischer and moralischer Hinsicht stärker geworden. Noch nie war Amerika so mächtig wie am Ende des Jahres 1928. Die Wahl Hoovers zum Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeutete den Höhepunkt der Prosperity nach innen und des Willens zur Welthegemonie nach außen. Ob dieser Höhepunkt im kommenden Jahre noch weiter überschritten wird, das wird die Zukunft zeigen.

Im Fernen Osten hat sich die Lage im Laufe des ver­gangenen Jahres von Grund auf geändert. Für China wird das Jahr 1928 aller Wahrscheinlichkeit nach der Be­ginn einer neuen Epoche sein. Nach aller Wahrscheinlichkeit wenn nämlich der beendete Bürgerkrieg nicht wieder auf­flammen und der begonnene Aufbau des vereinten Chinas nicht wieder gestört wird. Der gewaltsame Tod Tschang- tsolins, des nordischen Diktators und der Triumph Nan­kings und die Lehre Sun Pak Sens würden als wichtigste weltpolitische Ereignisse des Jahres 1928 betrachtet wer­den können, wenn ihre Wirkung nachhaltend bleibt. Im Augenblick der Jahreswende befindet sich China in auf­steigender Linie und nimmt hiermit gewissermaßen eine Sonderstellung in der Welt ein.

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Und wie ist es mit der Institution bestellt, die über allen Ländern, über allen Völkern stehen soll mit dem Völker­bund? Es ist peinlich, ausgerechnet mit dem Völkerbund eine Silvefterbetrachtung beenden zu müssen. Für Gens war das Jahr 1928 ein Krisenjahr, wie es nicht noch viele geben kann. Ueberwältigend groß ist die Zahl der Men­schen, für die das Jahr das Ende einer Illusion brachte, die Völkerbund hieß. Und unermeßlich klein ist das Häufchen von Menchsen geblieben, die sich noch an diese Illusion fest­klammern. Immer mehr entpuppt sich dieTätigkeit" des Völkerbundes in der Form, wie sie bis jetzt verläuft, eher als eine Krieg- als eine Friedensförderin. Der Maßstab aller Maßstäbe ist und bleibt das Abrüstungsproblem. Die Frage der Abrüstung ist in Genf zu einer zynischen Phrase ausgeartet. Dem Völkerbund wird niemand ei» «Profit Neujahr!" zurufen können. -^--

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Minifierwünsche kür -as deutsche Volk!

Berlin, 29. Dez. Der Reichskanzler, der Außenminister, der preußische Ministerpräsident sowie einige andere Minister sand­ten, vom Frankfurter Illustrierten Blatt aufgefordert, diesem folgende innerpolitisch wie außenpolitisch wichtige handschrift­liche Aeußerungen.

Reichskanzler Müller

Mein sehnlichster Neuiahrswunsch ist, daß das Jahr 1929 dem deutschen Volke endlich die Befreiung von Rhein und Saar brin­gen möge. Zu Deutschlands Stellung als gleichberechtigtem Mit­gliedsstaat im Völkerbund steht die Besetzung deutschen Gebiets durch fremde Truppen in Widerspruch. Ferner möge der ein­setzende Sachverständigenausschuß eine für Deutschland erträg­liche Einigung in der Reparationsfrage finden, damit das deut­sche Volk weiterhin mit verstärktem Antrieb und in politischer Freiheit seinen wirtschaftlichen Aufbau vollziehen kann.

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Reichsminister des Auswärtigen Stresemaun Das kommende Jahr stellt uns außenpolitisch vor folgen­schwere Entscheidungen. Wir werden namentlich in der Frage der Regelung der Reparationsfrage nur dann ein für uns einiger­maßen erträgliches Ergebnis erzielen können, wenn wir uns sujammenfinden in einheitlichem Willen und Wollen.

Preußischer Justizminister Dr. Schmidt

Möge das Jahr 1929 uns weiterfübren auf dem Wege des Friedens und der inneren Gesundung! Geleiten möge uns aus diesem Weg die wachsende Erkenntnis, daß Achtung vor Gesetz und Recht und werktätige Liebe zum Mitmenschen die besten Grundlagen für den demokratischen Volksstaat bilden!

Preußischer Ministerpräsident Braun Dem deutschen Volke wünsche ich für das Jahr 1929 die wach­sende Erkenntnis, daß die republikanische Staatsform und dik Lebensnotwendigkeiten des Volksstaates uns allen zu wahr­haft sozialer Einstellung und stärksten gegenseitigen Bindungen menschlicher Solidarität verpflichten. Nur eine derartige Staats­und Lebensauffassung wird uns die Kraft und die Ausdauer geben, durch alle inneren und äußeren politischen Schwierigkeiten und wirtschaftlichen Kämpfe hindurch unbeirrt den geraden Weg zum Wiederaufbau und zur echten und wahren Einheit Deutschlands zu gehen.

Reichsjustizminister Erich Koch-Weser Was ich dem deutschen Volke für 1929 wünsche? Recht möge vor Macht gehen! Geht im Leben des deutschen Volkes Recht vor Macht, so werden die Gewalten der Reaktion und der Re­volution durch eine vorwärtsschreitende, weitblickende Evolu­tion des Rechts überwunden werden. Geht im Leben der Völker Recht vor Macht, so werden uns die Freiheit und die Gleichbe­rechtigung nicht länger versagt bleiben, auf die wir als ein Volk Anspruch haben, das der Welt viel gegeben hat und in ei­ner besseren Zukunft noch mehr wird geben können.

Reichswirtschaftsminifter Dr. Julius Curtius Stetige Reformarbeit im Innern und erfolgreiche Befrei- ungsvolitik nach außen sind nur auf der Grundlage einer star­ken Wirtschaft durchführbar. Die Gesundung unserer Wirtschaft aber bängt ad von: Erleichterung unerträglicher Kriegstribute, ausreichende Spielraum für Eigenkapitalbildung, Gemein­schaftsarbeit zwischen Staat und Wirtschaft unter Führung des Staates Ausgeich der Interessen vonKapital" undAr­beit".

Einberufung der Abriistnugsbinfereur

Genf, 28. Dez. Der Ausschuß zur Vorbereitung einer ersten internationalen Abrüstungskonferenz ist, wie bas Bölkerbundssekretariat amtlich bekanntgibt, von seinem Präsidenten Loudon-Holland auf den 15. April 1S2S zu einer neuen Tagung einberusen worden. Wie erinnerlich, hatte die letzte Völkerbundsversammlung unter Hinweis auf ihre früheren Beschlüsse den beschleu­nigten Abschluß der Abrüstungsvorarbeiten verlangt, die vor bald zwei Jahren ins Stocken gerieten. Es wird des­halb die baldige Einberufung einer neuen Tagung inner­halb der ersten drei^Monate des kommenden Jahres ge­fordert, auch wen» Ms dahin die bestehenden Meinungs­verschiedenheiten über die Seeabrüstung und Einbeziehung der ausgebildeten Landreserveu nicht beigelegt fein sollten. Ferner wurde heute bekannt, daß Graf Bernstorff in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Sonderausschusses für die Kontrolle der Rüstungsindustrie auf den 11. März den Sachverständigenausschuß einberufen hat, der de« uenea belgischen Vorschlag zur Abänderung der bisher die in An- lehuung an die Waffenhandelskonvention vorgesehenen Kategorien für Kriegsmaterialien prüfen soll.