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Uunrrner 395 ^

Altensteig. Sanrstag serr 15. Dezemver: 1938

53. Jahrgang

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Zur Lage.

Während der Winter in den deutschen Landen seinen Einzug hält, beraten die Ratsvertreter des Völkerbundes im wärmeren Lugano über Schicksalsfragen und politische , Weltprobleme. Lugano liegt in der Nähe von Locarno, nur eine Stunde Bahnfahrt entfernt, aber auch dieses mildere Klima hat bisher nicht vermocht, den vielberufenen Geist der Versöhnung und Friedfertigkeit, zu dem man in Lo­carno Wege gebahnt hat, zu neuem Leben zu erwecken. Die Konferenzen der drei Locarno-Minister Stresemann, Briand . und Chamberlain sind bisher ergebnislos geblieben. Jeder der an der Aussprache beteiligten Staaten hat durch seinen Außenminister den bekannten Rechtsstandpunkt in den Fra­gen der Räumung und Reparationen aufrecht erhalten. Frankreich und England erklären: Deutschland hat keinen Rechtsanspruch auf Räumung. Aus politischen Gründen find wir für die Räumung gegen finanzielle Leistungen und die Bildung einer Feststellungs- und Vergleichskom­mission, die nach der Räumung über das Jahr 1935 hinaus eine Art Kontrolle über den 50-Kilometer-Streifen deut­schen Landes führt. Der deutsche Standpunkt wurde vom Reichskanzler Hermann Müller im Herbst- in Genf ein­deutig dargelegt und in die Luganer Verhandlungen hinein erklangen die mannhaften Worte des Kanzlers aus seiner Rede beim Bankett des VeremsBerliner Presse". Er er­klärte.Die Welt mutz wissen, datz, jo uneinig das deutsche Volk sonst in seinen politischen Auffassungen ist, es einig ist in dem einen Punkt: der Forderung auf Räumung der besetzten Gebiete." Der Ausgangspunkt für diese Forderung ! ist pp- bl eibt her Re chlsst anüpunkt. Cs war selbstverständ­lich, Satz Deutschland im Völkerbund als gleichberechtigt anerkannt wurde. Mit der Idee der Gleichberechtigung ver­trägt sich aber die Fortdauer der Besetzung nicht. Die Be­setzung, die nach dem Versailler Vertrag zeitlich begrenzt ist, ist kein Sicherheitsumstand, außerdem ist die Entwaffnung Deutschlands geschehen. Die Besetzung ist auch kein Leistungs­pfand, denn nach dem Versailler Vertrag wird sie im Jahre 1935 auch für die dritte Zone enden." Der Reichskanzler hat mit einer erfrischenden Deutlichkeit und Klarheit die Meinung des ganzen deutschen Volkes zum Ausdruck ge­bracht. Es ist auch begreiflich, datz man in Paris über diese Ausführungen unzufrieden ist, besonders darüber, datz der deutsche Kanzler sich auch zur Anschlutzfrage geäußert hat, dahin nämlich, datz mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker der Anschluß Oesterreichs an Deutschland in keiner Weise im Widerspruch stehe, denn wir sind eine Nation, tragen gemeinsames Leid und sind auch in dieser Frage rinig. Die Blätter der französischen Opposition in Paris, oor allem auch die sozialistische Presse, bezeichnet die deutsche - Forderung auf bedingungslose Räumung für gerecht. Aber poincare und Briand, die großen Meister der französischen ! Politik und ihr Hintermann Chamberlain, wissen den For- ^ men des Versailler Diktats und den Abmachungen von Lo­carno immer neue Hintertüren zu öffnen, um dem politischen Machtbedürfnis der französischen Nationalisten zu genügen. Auch in der Frage der Sachverständigenkonferenz ist bis­her kein offizieller Schritt erfolgt. Doch nimmt man all- zemein an, datz sie Mitte Januar in Paris Zusammentritt. Auch die Einberufung der Abrüstungskonferenz des Völker­bundes spielt hinter den Kulissen in Lugano eine gewisse Rolle. Es verlautet, datz im Februar eine neue Konferenz in Genf stattsinden wird, die über die Abrüstung zur See und die Landreserven verhandeln soll.

Heber den Machern des Versailler Vertrages liegt ein schweres persönliches Schicksal. Oder ist es mehr? Der ! Unterzeichner von Versailles, der fünfmalige französische Finanzminister Klotz, wurde in eine Irrenanstalt Lber- geführt und ist als Wechselfälscher, Betrüger und Schwindler nun verhaftet. Auch andere französische Minister aus der Zeit von Versailles find schon in die Jrrenzelle Lbergeführt worden, und daß Wilson in seinen letzten Lebensmonaten über das Versailler Diktat anders dachte, ist bekannt. Der neueste Fall des Senators Klotz ist ein ziemlich starkes Stück, für die ganze Welt aber'ein unbeschreiblicher Skan­dal. Es ist derselbe Mann, der vor einigen Jahren von Deutschland noch eine Kriegsentschädigung von 600 bis 70k Milliarden Mark forderte.

Der Völkerbundsrat hat sich in Lugano die Arbeit bisher sehr leicht gemacht und bedeutsame Fragen einfach bis zur nächsten Tagung verschoben. In den Saarfragen allerdings ging es mit Eilschritten ohne vorherige Unterrichtung des deutschen Vertreters. Man bestätigte die Saar-Regierungs­kommission für ein weiteres Jahr in ihren Aemtern. Dir Saaranleihe ist zunächst einem Ausschuß überwiesen. Di«

infolge eines Grenzzwijchenfalls zwischen Bolivia und Pa­raguay eingetretene Kriegsspannung hat auch den Rat zum Eingreifen und zu friedlichen Mahnungen veranlaßt. Aber ^ Einmischung des Völkerbunds wurde aus Südamerika abgelehnt. Argentinien vermittelt, Bolivien mobilisiert. Auch die Reise des künftigen Präsidenten der Vereinigter Staaten von Nordamerika, Hoover, zu den lateinischen Staaten Südamerikas hat zu einem Zwischenfall geführt. In Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, wurde eins Verschwörung aufgedeckt, so datz Hoover unter dem Schutz von 1500 Bajonetten seinen Einzug halten mutzte.

In Rumänien fanden die Parlamentswahlen statt. Sic brachten der neuen Regierung Maniu einen vollen Erfolg. Von 400 Sitzen fallen rund 365 auf die Regierungsparteien, allein 340 Sitze auf die nationale Bauernpartei. Die Deut­schen brachten zehn, die Sozialdemokraten acht Kandidaten durch. Zum erstenmal hat Rumänien diesmal Wahlen in freier Weise nach westeuropäischem Muster durchgeführt.

Der deutsche Reichstag geht am Samstag in die Weih­nachtsferien. Damit ist die Hoffnung begraben, daß es noch oor den Feiertagen gelingen dürfte, eine Umbildung der Re- grerung im Sinne der Großen Koalition vorzunehmen. Die schicksalsschweren Entschlüsse in der Außenpolitik fordern aber unaufschiebbar eine Regierung der Mehrheit, die auch oor dem Ausland bestehen kann. Die Hemmungen zu dieser Entscheidung liegen zum Teil bei Preußen, zum Teil in den noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen über den Lohnkonflikt in der Eisenindustrie und in den ungeklärten Verhandlungen von Lugano. Dazu kommt noch, datz große Parteien im Reiche in einer gewissen Krise stehen. Das gilr vor allem vom Zentrum, dos a.v»f hciy RcichsWrtKitag in Köln den Prälaten Dr. Kaas zum Vorstand wählte, an Stelle des zurückgetretenen früheren Reichskanzlers Marx. Stegerwald, der Führer der christlichen Gewerkschaften, er­litt eine Niederlage und die Wahl des Fraktionsvorsitzen­den beim Zentrum wurde erneut aufgeschoben. Bei den Deutschnationalen nahm man eine Organisationsänderung vor, die dem neuen Vorsitzenden Hugenberg größere Ver­antwortung aufladet. Die Auswirkungen dieser Organi­sationsänderungen bleiben abzuwarten. Der Abschluß der Koalition verzögert sich aber auch wegen Fragen des Haus­haltes und der Deckung des erheblichen Fehlbetrages. Das Reichskabinett hat noch nicht den neuen Reichshaushalt beraten und sich auch nicht über neue Steuerentwürfe schlüssig gemacht, die notwendig werden. Statt Steuer­ermäßigung oder Steuerreform, von denen bei den Wahlen so viel die Rede war, gibt es nun neue Steuern. Es steht jetzt schon ziemlich sicher fest, datz eine Erhöhung der Bier­steuer gefordert wird. Noch andere Ueberraschungen sind zu erwarten. Das starke Anschwellen der Arbeitslosenziffern im Reich auf über eine Million Unterstützungsempfänger bereitet weitere Sorgen.

Die MirlWns in LWM

Der Inhalt -er Dreier-Besprechung

Lugano, 13. Dez. Die Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich, die unter Mitwirkung Lbamberlains stattfanden, haben eine gewisse Wendung gebracht. Bei der Kärglichkeit der offiziösen Aeuherungen läßt sich natürlich keine lückenlose Dar­stellung geben, doch stebt es wohl einigermaßen fest, daß die Frage der Feststellungskommission eine beträchtliche Rolle in den Unterhaltungen gespielt bat und Dr. Stresemann dieser Frage ebenso zu Leibe gegangen ist wie Briand. Zunächst scheint Dr. Stresemann mit Erfolg seinen Kollegen klar gemacht zu haben, daß die Frage einer Kontrolle im Rheinland über das Jahr 1935 hinaus garnicht diskutabel ist, weder für ihn noch für irgend einen anderen deutschen Außenminister und daß man sehr hart an der Grenze der Locarnobegrisfe und Locarnomöglich­keiten angekommen ist. Es scheint nun, als wenn Briand und Stresemann es auf sich genommen haben, irgendwie über neue Formulierungen in der Kontrollfrage nachzudenken, die in den weiteren Besprechungen heranreifen sollen. Zur allgemeinen Lage läßt sich also feststellen, daß sich die Gegensätze ziemlich unvermittelt einander gegcnüberstehen und die Lage etwas fest­festgefahren ist.

Der Bölkerbundsrat zur Beseitigung der Verkehrshindernisse zwischen Polen und Litauen

Lugano, 14. Dez. Der Völkerbundsrat bat beute vormittag unter Zustimmung des litauischen Ministerpräsidenten Wole- maras und des litauischen Außenministers Zaleski beschlossen, den beratenden technischen Ausschuß für Verkehrs- und Transit- irage» mit der Vorlage eines Berichtes über die praktischen Maßnahmen zu beauftragen, die zur Behebung der zwischen Polen und Litauen bestehenden Verkehrshindernisse und zur Abschwächung ihrer internationalen Rückwirkungen getroffen weiden können.

Die vertrauliche Sitzung des Bölkerbundsratcs Lugano, 14. Dez. Der Bölkerbundsrat hat in seiner vertrau­lichen Sitzung die Ernennung der acht Mitglieder des Zentral- kontrollamtes vollzogen, das aufgrund der Opiumkonventiou eingerichtet wird. Unter den Ernannten befindet sich auch Pro- iessor Anselmino, Mitglied des Reichsgesundheitsamtes, der seit Fahren an den Arbeiten des Opiumausschusses des Völkerbundes teiluimmt. Bekanntlich hat Deutschland die Ratifikation der Opiumkonvention von einer Vertretung in dem Kontrollamt ibhängig gemacht. Ferner wurde vom Rat zur Frage einer kventuellen Revision des ständigen internationalen Gerichts­hofes in Haag ein nenngliedriger Juristenausschuß eingesetzt, in iem Deutschland durch Ministerialdirektor Gaus vertreten ist. kin weiterer dreigliedriger Juristenausfchub in dem Deutsch, and ebenfalls vertreten ist, und zwar durch Professor Schücking, vird sich mit der Aufstellung eines allgemeinen Planes zur tcchiiizieruna des internationalen Reckites befaHen.

Ein Havasbericht über die Drei-Mächte-Vesprechuugen in Lugano

Paris, 14. Dez. Der Havasvertreter in Lugano berichtet, datz morgen vormittag eine dritte und letzte Unterredung zwischen Dr. Stresemann, Briand und Chamberlain statt­finden werde, in der man zweifellos ein für die Presse be­stimmtes Communique aufsetzen werde. Dieses Commu- nique werde eine Art öffentliche Erklärung sein, die weni­ger dazu bestimmt sei, die öffentliche Meinung über kon­krete Ergebnisse zu unterrichten, als den Willen der Mächte zu betonen, in einer durch die Unterredungen von Lugano beruhigten Atmosphäre die Ausführung des in Genf im September festgesetzten Programms festzusetzen. Man werde also von diesem Dokument keine Enthüllung erwar­ten dürfen. Die drei Außenminister seien bei ihren Unter­redungen stets auf dem Boden des Programms vom 16. September geblieben, das weder revidiert noch abge­ändert zu werden brauche. Es sei vor allem darauf an­gekommen, eine für die Durchführung des aufgestellten Programms günstige Atmosphäre zu schaffen.

Abschluß der Besprechungen zwischen Dr. Stresemann, Chamberlain und Briand

Lugano, 14. Dez. Der heutige Nachmittag hat den Abschluß der sehr intensiven Besprechungen dieser Woche zwischen den Außenministern Deutschlands, Englands und Frankreichs gebracht. Nachdem sich Reichsminister Dr. Stresemann gegen halb 6 Uhr in Erwiderung der verschie­denen Besuche des französischen Außenministers zu Briand begeben hatte, suchten beide Staatsmänner kurz nach 6 Uhr gemeinsam Sir Austen Chamberlain auf und setzten ihre Besprechung zu Dreien bis halb 8 Uhr fort. Dabei wurden, wie bereits in den zahlreichen vorangegangenen Unterhaltungen, die Reichsminister Dr. Stresemann seit letztem Sonntag Tag für Tag führte, mit großem Ernst die gesamte politische Situation und alle, zwischen Deutsch­land und Frankreich schwebenden Fragen erörtert. Den wesentlichsten Gegenstand dieser Unterredungen haben die Genfer Beschlüsse gebildet. Die Reparationsfrage, über die die diplomatischen Verhandlungen zur Einberufung des Sachverständigenausschusses, der voraussichtlich nicht vor Mitte Januar zusammentreten kann, im Gange find, blieb dabei im Hintergrund. Obwohl Einzelheiten über die Besprechungen nicht bekannt werden, so herrscht doch in maßgebenden Kreisen der deutschen Delegation die Ueber- zeugung, datz auf der Gegenseite das ernsthafte Bemühen vorhanden ist, zu einem positiven Resultat in den politischen Fragen zu gelangen und ernsthafte Anstrengungen zu machen, um eine Lösung zu finden, die sowohl für Deutsch­land, als auch für die anderen Mächte annehmbar ist. Es darf angenommen werden, daß die diplomatischen Verhand­lungen über die Fragen sofort wieder einsetzen, wenn der Expertenausschutz für die Reparationsfrage Zusammentritt. Eine abschließende gemeinsam vereinbarte Mitteilung wird, wie verlautet, vielleicht noch am morgigen Samstag über die nunmehr abgeschlossenen Besprechungen aus­gegeben werden.

Die politischen Gespräche in Lugano

Lugano» 14. Dez. Die 53. Ratstagung wird voraus­sichtlich Sonntag abend zu Ende gehen.

Viel beachtet wird eine Unterredung zwischen Cham­berlain und dem italienischen Ratsmitglied Scialojo, über den von englischer Seite der Presse eine Information zu­gestellt wurde, des Inhalts, daß zwischen der zwischen der englischen und der italienischen Regierung Uebereinstim- mung in Bezug auf das Verfahren über die Genfer Be­schlüsse vom September d. I. besteht.