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Altensteig, Freitag den 14. Dezember 1928

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Vertaner Aufwand

(Luganoer Brief)

Am schwersten haben es in Lugano die Journalisten. Schon so manchen Tag waren sie gierig auf Sensationen, aber es kommen und kommen keine. Auch einfache Mel­dungen sind von zuständigen Stellen nicht zu erhalten. Man kst fast ausschließlich auf Gerüchte angewiesen. Das ist umso peinlicher, als ringsherum bei sämtlichen Delegationen eins fieberhafte Tätigkeit entwickelt wird, von Minute zu Mi­nute werden die Diplomaten fleißiger. Je fleißiger aber die Diplomaten werden, umso weniger haben die Journa­listen zu tun. Die Presse hat alles Recht, sich in Lugano benachteiligt zu fühlen. Sämtliche Unterredungen der Außenminister bleiben in strengstes Geheimnis gehüllt, und es ist unmöglich, Zuversichtliches über die Konferenzen zwischen Stresemann und Briand, Stresemann und Cham- berlain, Stresemann und Erandi, Stresemann und Wolde- maras, Stresemann und beide Locarnokollegen zugleich zu erfahren. Aber vielleicht ist es gut so, denn man ahnt, daß die große Zurückhaltung der Delegationen der Presse gegenüber keineswegs durchaus begründet ist, daß außer­ordentlich viel geschieht, sondern viel eher dadurch, daß nichts geschieht. Man irrt kaum in der Annahme, daß die bisherigen Besprechungen in Lugano absolut nichts Greif­bares ergeben haben. Ihre Hauptaufgabe sollte ja von vornherein gewesen sein, alle Unstimmigkeiten, die sich im Laufe der Krankheit Dr. Stresemanns und Chamberlain» angesammelt haben, aus dem Wege zu räumen.. Nicht um konkrete Beschlüsse ging es bisher in Lugano, sondern um gewisseImponderabilien". Diese Imponderabilien haben in der Tat zwischen Deutschland und seinen Verhand­lungspartnern in den letzten Monaten eine große Kluft ein­gegraben und haben dazu geführt, daß die weitere Entwick­lung der angebahnten Verhandlungen über Rheinland und Reparationen mit größter Skepsis beurteilt werden mußte.

Wird das nach Lugano anders werden? Wird man hoffen können, daß die ungünstige Atmosphäre, in der die Vorbereitungen über die Festsetzung der Sachverständigen- und Konstatierungskommission bisher verliefen, nunmehr gereinigt sein wird? Auf jeden Fall ist diese Hoffnung nicht überaus groß. Manche Tatsachen sprechen sehr dagegen. Während Briand in Lugano mit dem deutschen Außen­minister Dr. Stresemann sich unterhält, verhandelt in Paris Herr Poincare mit dem deutschen Botschafter Dr. von Hoesch, und diese Pariser Unterhandlungen sind unendlich viel wichtiger als die bisherigen Besprechungen in Lugano. Man hat es nicht nur einmal erlebt, daß Poincare die Abwesen­heit Briands dazu benutzt, um Briand kaltzustellen und feine friedfertige Mission durch weniger friedfertige Phrasen zu parieren. Ausgerechnet in die Tage von Lugano fällt die Anfertigung der Antwort Poincares auf den deutschen Vorschlag, das Sachverständigenkomitee zur Prüfung der Reparationsfrage zusammenzuberufen. Diese Antwort Poin­cares, zu der angeblich das Einverständnis Englands, Bel­giens, Italiens und Japans bereits vorliegt, besteht aus acht Punkten und läuft darauf hinaus, eine für Deutschland irgendwie annehmbare Lösung der Reparationsfrage von vornherein auszuschließen. Denn erstens wird das Sach­verständigenkomitee der berüchtigten Reparationskommission unterstellt und zweitens aber soll die Aufgabe der Sach­verständigen ausschließlich darin bestehen, dieNormalhöhe" der deutschen Annuitäten, nämlich 2,5 Milliarden Eold- mark, als unabänderlich festzustellen und ausschließlich die Anzahl der Annuitäten und ihre Kommerzialisierung zu be­handeln. Poincare bereitet also dem deutschen Volke ein schönes Weihnachtsgeschenk vor: von einer Verminderung der deutschen Reparationszahlungen soll danach keine Rede sein. Hiermit wird die deutsche These umgeworfen, wonach eine objektive Untersuchung der deutschen Leistungsfähigkeil verlangt wurde. Eine solche Antwort Poincares, die für Deutschland ganz unannehmbar ist, müßte alle Luganoer Besprechungen und Abmachungen von vornherein ganz wert­los machen. Lugano mit seinen Ergebnissen soll wahrlich nicht überschätzt werden. In Paris bereiten sich wichtigere Dinge vor.

Die privaten Ministerbesprechungen in Lugano bilden also keine Nahrung für Presse und Leser. Die Tagesord­nung des Völkerbundsrates noch weniger. Der einzige Punkt der Tagesordnung, der von Interesse ist, der uralte polnisch-litauische Konflikt, hat trotz der Anwesenheit des bösen Buben des Völkerbunds, des litauischen Minister­präsidenten Woldemaras. bis jetzt kaum vermocht, zu einer

Attraktion zu werden Und doch sind in Lugano viele Bom­ben geplatzt, nur stellte es sich jedesmal heraus, daß es viel Lärm um nichts war. Die letzte Bombe hat Südamerika geliefert mit seinem bolivianisch-paraguayschen Konflikt Der Völkerbundsrat wurde durch die Alarmmeldungen in die äußerst peinliche Lage versetzt, darauf reagieren zu müssen, wodurch allerdings nichts positives erreicht werden konnte, sondern eher nur negatives: die Unzufriedenheit Washingtons einerseits, Argentiniens andererseits, Achsel­zucken bei den beteiligten Ländern und auch bei manchen Zuschauern. Der Völkerbund, der bis jetzt in sämtlichen ernsten Angelegenheiten versagte, ist im bolivianisch-para­guayischen Konflikt machtloser denn je. Der diesmalige Ratsvorsitzende Briand war kaum von einem überschwäng­lichen Gefühl des Stolzes und der Freude erfüllt, als er seine Unterschrift unter das Mahntelegramm setzte.

Der zweite Vorstoß, der den Frieden des Völkerbunds­rates zu bedrohen suchte, ist seitens Moskau erfolgt. Lit- winow, der stellvertretende Volkskommissar des Aeußeren, hat es für nötig gehalten, die Hauptaufgabe des Völker­bundes, die Abrüstung, in frische, aber peinliche Erinnerung zu bringen. In Lugano war man darüber überrascht, in Moskau aber nicht. Die Schuld an dem neuen Schritt Lit- winows trägt nämlich Poincare, denn er hat in einer seiner letzten Reden erklärt, man könne heute an keine Abrüstung denken, weil Rußland in höchster Kriegsbereit­schaft stehe. Moskau antwortete zunächst mit der freund­lichen Aufforderung an Poincare, nun einmal Rußland zu blamieren, indem man den russischen Abrüstungsvorschlag, der seinerzeit in Genf gemacht wurde, annimmt und die Taten Rußlands abwarte. Auf diese Aufforderung hat Poincare nichts geantwortet. Aber die provozierte Attacke Moskaus ist nicht zum Stillstand gekommen, sondern hat nunmehr auch Lugano erreicht. Die Entschiedenheit, mit der die Russen die Abrüstungsfrage behandeln, beruht zweifel­los darauf, daß in Moskau die Meinung vorherrscht, die Behandlung der Abrüstungsfrage durch den Völkerbund sei ein unehrliches Spiel und eine bewußte Irreführung der ganzen Welt. Es ist bis jetzt nichts geschehen, um diese Moskauer Meinung als falsch zu brandmarken. Daß die Genfer Abrüstung eine üble Komödie ist, das pfeifen die Spatzen auch in Deutschland. Die Frage ist nur, wie lange die Deutschen an dieser Komödie noch teilnehmen wollen. Der Vorstoß Litwinows wird mit Mühe und Not ab­gewehrt, aber das Problem selbst verliert nichts an seiner Aktualität. Ob Genf oder Lugano überall schleicht das Gespenst der Abrüstung, oder, besser gesagt, der Nicht- abrllstung, um den Völkerbund. Immer wieder kehrt man zu dieser Frage, von der die Existenz des Völkerbundes letzten Endes abhängt, zurück. Die Aussicht auf eine Lösung ist heute geringer denn je. Da ist Lugano nur ein mehr oder minder würdiger Ersatz für Genf in puncto Ab­rüstung wie auch in allem anderen. Eine der nächsten Rats­tagungen soll sich in Madrid versammeln. Aber ein Orts­wechsel bringt noch lange keinen Eesinnungs- oder Stim­mungswechsel mit sich. Und nur darauf müßte es beim Völkerbund ankommen.

Die Besprechung zwischen Dr. Stresemann und Briand London» 13. Dez. Ein französischer Korrespondent desDaily Telegraph" meldet aus Lugano: Während der gestrigen zwei­stündigen Besprechung zwischen Briand und Dr. Stresemann hat der französische Außenminister ein wichtiges Zugeständnis ge­macht, das dahinging, daß die Verhandlungen wegen der Räu­mung des Rheinlandes gleichzeitig mit den Reparationsbespre- chnnsen geführt werden sollen. Das bedeutet, daß, wenn einmal die Anempfehlungen der Finanzsachverständigen zu der not­wendigen Vereinbarung zwischen den Regierungen geführt ha­ben, Frankreich nicht darauf bestehen wird, daß die deutsche Schuld fundiert wird, bevor es seine Truppen zurllckziebt. Cbam- berlain hatte es abgelehnt, an der Unterredung teilzunehmen. Man glaubt allgemein, daß er wünscht, soweit wie möglich im Hintergrund zu bleiben und nur im Notfall als Vermittler ein­zugreifen.

Die zweite Unterredung Stresemann Briand Lugano, 12. Dez. Die Besprechung, die Mittwoch abend zwi­schen Reichsminister Dr. Stresemann und dem französischen Mi­nister des Aeußern Briand in Fortsetzung ihrer ersten Bespre­chung stattfand und eineinhalb Stunden dauerte, verlief wieder in sehr freundschaftlicher Form. Die Besprechungen werden fort­gesetzt. Die Zusammenkunft galt einer allgemeinen Erörterung der deutsch-französischen Politik und ihrer Weiterentwicklung. Unmittelbar nach seiner Unterredung mit Dr. Stresemann stat­tete Briand dem englischen Außenminister noch einen Besuch ab, der etwa eine Viertelstunde dauerte.

Die Besprechung zwischen Briand, Chamberlain und Stresemann

Lugano, 13. Dez. Im Anschluß an das heutige Rats­frühstück, zu dem Briand in seiner Eigenschaft als Rats­präsident seine Kollegen eingeladen hatte, fand sich heute nachmittag Gelegenheit zu einer gemeinsamen Besprechung zwischen Briand, Chamberlain und Dr. Stresemann. Gegen­stand der Unterhaltung, die etwa eineinhalb Stunden dauerte und eine Fortsetzung der bisherigen Besprechungen bedeutet, sind nach wie vor das deutsch-französische Verhält­nis und die Genfer Beschlüsse. Die Besprechungen werden fortgesetzt.

Weitere Einzelbesprechungen in Lugano

Lugano, 13. Dez. Außer der Zusammenkunft der Außenminister Deutschlands, Englands und Frankreichs fand auch heute wieder eine Reihe von Einzelbesprechun­gen der hier anwesenden Staatsmänner statt. So hatte der ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen Unter­redungen mit Reichsminister Dr. Stresemann und mit Briand, während der polnische Aüßenminister Zaleski Be­sprechungen mit Chamberlain und Briand hatte.

Abreise Grandis nach Angora

Lugano, 12. Dez. Der italienische Unterstaatssekretär des Aeu­ßern, Erandi, der in den letzten Tagen zahlreiche Besprechungen mit verschiedenen Delegationsführern hatte, ist nach Rom abge­reist, von wo aus er nach einem kurzem Aufenthalt sofort nach Angora weiter reisen wird.

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Lugano, 13. Dez. Der Bölkerbundsrat beschloß in seiner heuti­gen Vormittagssitzung ferner, ein Juristenkomitee mit der Prü­fung einer eventuellen Revision einzelner Bestimmungen der Statuts des internationalen Haager Gerichtshofes zu beauftra­gen und dem Anträge der internationalen Union katholischer Frauenverbände auf Vertretung in dem Völkerbundsausschuß für Kinderschutz stattzugeben. Bei der Behandlung des Tätig, keitsberichtes des Wirtschaftskomitees, der sich mit der Frage der Erweiterung einer Kollektivaktion zur Herabsetzung der Zölle und mit den entsprechenden Vorarbeiten für Aluminium, Zement, Kohle und Zucker befaßt, gab Dr. Stresemann die Er­klärung ab, daß dem deutschen Reichstage gegenwärtig bei Entwurf eines Gesetzes über die Ausführung der Empfehlungen der Weltwirtschaftskonferenz zur Beschlußfassung vorliege, durch den neben der Herabsetzung zahlreicher Positionen des deutschen Zolltarifes auch die Ratifikation der Abkommen über die Auf­hebung der Ein- und Ausfuhrverbote und Beschränkungen, so­wie über die Ausfuhr von Häuten und Knochen durch Deutsch­land herbeigeführt werden soll. Er freue sich, feststellen zu kön­nen, daß Deutschland diesen Wünschen des Wirtschaftskomitees bereits Rechnung getragen habe.

In der anschließenden vertraulichen Sitzung wurden die 5 Mitglieder der Saarregierungskommission für ein weiteres Jahr in ihrem Amte bestätigt, desgleichen die Präsidenten der Jn- sestigationsausschiisse für Deutschland, Oesterreich, Ungarn und Bulgarien. Den Vorsitz im Jnvestigationsausschuß für Deutsch­land wird sowie auch in diesem Jahre der französische General Baratier führen. Die nächste Sitzung findet Freitag vormittag statt.

Dr. Stresemann über die Behandlung von Saarsrage«

Lugano, 13. Dez. In öffentlicher Sitzung beschloß der Bölker­bundsrat, den Antrag der Saarregierungskommission zur Auf, legung einer langfristigen Anleihe für die Durchführung ge­wisser öffentlicher Arbeiten dem Finanzkomitee zur weitere» Prüfung zu überweisen. Reichsaußenminister Stresemann be­llte in einer kurzen Erklärung, daß die Anleihefrage wie auch die Erneuerung des Mandates der Mitglieder der Saarregie- . ^-ngskommission mit einer sehr kurzen Frist aus die Tages- ordnung gesetzt wurde. Er verkenne keineswegs, daß in diesem Falle gewichtige sachliche Gründe für eine solche Beschleunigung gesprochen haben und werde deshalb keinerlei Einwendungen da­gegen erheben, daß beide Fragen schon heute behandelt werden. Reichsaußenminister Stresemann benutzte jedoch diese Gelegen­heit. um dem Wunsche Ausdruck zu geben, daß künftig in Fällen dieser Art, wenn irgend möglich, die Aufnahme in die Tages­ordnung mit einer längeren Frist erfolgt. Dies scheine ihm, wie er hinzufügte, insbesondere deshalb angebracht, um auch der Bevölkerung des Saargebietes genügende Zeit und Gelegenheit zu geben, ihre Auffassung über die hier zu behandelnden Fra­gen zu erkennen zu geben. Auf diesen Punkt lege natur­gemäß gerade die deutsche Regierung Gewicht. Im übrigen erklärte sich Dr. Stresemann mit dem Bericht über die Zustimmung des Rates, daß das Finanzkomitee bei der Prü­fung dieser Frage auch den Gesichtspunkt zu berücksichtigen haben werde, daß die einzelnen Modalitäten der geplanten Anleihe jo gestellt werden, daß sich daraus bei der allgemeinen Regelung des Saarproblems keine Schwierigkeiten ergeben.

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