Mem. Anzeiger für die Bezirke Nagold. Calw ». sreadeaftadi -- AMrdlatt sür de» Bezirk Nagold a. Menfteig-Stadt
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Utttnrrrer 164
ALtensteig, Montag den 16. Juli 1VÄ8
51. Jahrgang
Schweres Eisenbahnunglück im Münchner Hauptbahnhof
10 Personen tot
München, 15. Juli. Im Hauptbahnhof in München ereignete sich am Sonntag kurz nach 8V- Uhr abends ein schweres Eisenbahnunglück, in dem der Nürnberger Sportzug, Stammzug Nr. 52811, auf den Vorläufer des Nürnberger Sportzugs kurz außerhalb der Kackerbrücke auffuhr. Gegen Mitternacht wurde an der Unfallstelle bekannt, daß bisher 8 Tote und 7 Verletzte zu beklagen sind. Im Vorläufer war aus bisher unbekannten Gründen die Notbremse gezogen worden und dieser Zug zum Halten gebracht worden. Etwa eine halbe Stunde nach dem Unfall fingen die beiden ineinander- geschobcnen Wagen zu brennen an. Die Bekämpfung des Feuers, das sich sehr rasch ausdehnte, war äußerst schwierig. Durch das Legen langer Schlauchleitungen war eine Reihe von Ans- und Einfahrten für andere Züge gesperrt. Die Hilfsaktion zur Rettung der Verunglückten, die nach Mitternacht noch im Gange ist, setzte sofort tatkräftig ein.
München, 16. Zuli. Zu dem Eisenbahnunglück im Münchener Hauptbahnhof berichtet der sofort an die Unfallstelle geeilte Sonderberichterstatter des Süddeutschen Korrespondenzbüros noch, daß der Lokomotivführer des Vorzuges mit dem Zugführer die Ursache des Ziehens der Notbremse feststellen wollte, als der Stammzug Nr. 52841 sich näherte und auf den Vorzug aufstieß, wodurch die beiden letzten Wagen des Vorzuges ineinander geschoben wurden. Wie es möglich war, daß der Stammzug abgelassen wurde, während der Vorzug noch nicht das nächste Block- fignal erreicht hatte, ist bisher noch nicht aufgeklärt worden. Durch die eindringenden Heizgase aus der Lokomotive des Stammzuges entstand im letzten Abteil erster Klasse des Vorzuges ein Brand, der sich rasch auf die beiden letzten Wagen des Vorzuges ausbreitete und auch auf benachbarte Zuggarnituren Übergriff. Die Bemühungen des bald eingetroffenen Hilfszuges richteten sich darauf, die seitlichen Blechwände der ineinandergeschobenen Wagen zu öffnen und die Verletzten herauszubringen. Besonders aus dem mittleren Teil der beiden beschädigten Wagen wurden Hilferufe hörbar. Es gelang nach 11 Uhr, des Feuers so weit Herr zu werden, daß der erste Fahrgast noch lebend, aber mit schweren Quetschungen geborgen werden konnte. Bald danach wurden zwei tödlich verunglückte Reisende aus den Wagentrümmern herausgeholt. An der Bekämpfung des Feuers wurde nach Mitternacht noch immer gearbeitet.
Einzelheiten von der Münchener Eisenbahnkatastrophe
München, 16. Juli. Wie der Sonderberichterstatter des Süddeutschen Korrespondenzbllros um die erste Nachtstunde weiter meldet, hat das Eisenbahnunglück im Münchener Hauptbahnhof zwei weitere Todesopfer gefordert. Ein schwer verletzt geborgener Passagier starb noch vor dem Abtransport, so daß an der Unfallstelle insgesamt 9 Tote aufgebart sind. Ein weiterer Schwerverletzter erlag seinen Verletzungen in der chirurgischen Klinik. Die Zahl der Toten hat sich damit auf 10 erhöht. Als verletzt wurden um die erste Morgen st unde etwa 25 angegeben, von denen der weitaus größere Teil allerdings nur ganz leichte Verletzungen erlitten hat Md bis zum Hauptbahnhof zurückgebracht wurden und von dort aus größtenteils ihre Wohnungen aufsuchen konnten. Zwei weitere Personen von der Rettungsabteilung erlitten Verletzungen dadurch, daß sie bei den Schweißarbeiten an dem Unglllckszuge sich eine Rauchvergiftung zuzogen. An de: Unfallstelle waren eingetroffen Reichsbahndirektionspräsident v. Völcker und Vizepräsident Trumm, sowie Polizeipräsident Mantel. Die Unfallstelle selbst bietet ein grauenvolles Bild der Verwüstung. Auf der Lokomotive des aufgefahrenen Zuges hängen Wagenteile von dem letzten Wagen des Unglückszuges, die beiden letzten Wagen des Vorzuges sind fast zur Hälfte ineinandergeschoben. Die Wagen waren derart ineinander verkeilt, daß es erst nach Mitternacht gelang, die letzten Toten zu bergen. Die Leichen sind teils bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, teils verbrannt, so daß die Rekognoszierung erst um die zweite Morgenstunde abgeschlossen werden konnte. Bisher stehtfest, daß? Männer und3 FrauenTodes- opfer bei der Katastrophe wurden. Noch um die erste Morgenstunde war die Berufsfeuerwehr damit beschäftigt, dir mittleren Abteile der ineinandergekeilten
Wagen zu öffnen. Glücklicherweise Maries sich, daß diese Abteile leer waren.
Stimmungsbild von der Münchener Eisenbahnkatastrophe
München, 16 Juli Dre Unfallstelle, die wenige hundert Meter vor der Einfahrt zum Hauptbahnhof zwischen der Hackerbrücke und der Donnersberger Brücke liegt, wurde bald nach dem Unfall durch Landespolizei abgesperrt. Auf den beiden Brücken und seitlich der Vahn- anlage sammelten sich trotz der späten Abendstunde zahlreiche Neugierige an. Das Rettungswerk wurde besonders dadurch erschwert, daß die Feuerwehr den Brand mit Schlauchleitungen von über 100 Meter Länge über die zahlreichen Gleisanlagen hinweg bekämpfen mußte. Gegen 12.30 Ahr nachts konnte die Berufsfeuerwehr, die mit all--/.i verfügbaren Kräften an der Unglücksstelle erschienen war, wieder abrücken. Das Rettungswerk und die Aufräumungsarbeiten an den um diese Zeit noch immer weiterglimmenden Wagen wurde von der freiwilligen Feuerwehr fortgesetzt und die freiwillige Sanitätskolonne war bereits um 10 Uhr alarmiert und kurz darauf mit zahlreichen Aerzten an der Unfallstelle erschienen. Nach Mitternacht traf auch die Staatsanwaltschaft ein. Um die zweite Morgenstunde sind die Aufräumungsarbeiten noch nicht abgeschlossen; die Geleise sind noch gesperrt. Als Glück im Unglück muß es bezeichnet werden, daß der Hauptzug, der eben erst in der Ausfahrt begriffen war, mit mäßiger Geschwindigkeit fuhr und daß der letzte Wagen des Vorzuges nur sehr schwach besetzt war. Ein Teil der Reisenden des vorletzten Wagens des Vorzuges konnte sich durch Abspringen aus dem haltenden Zuge retten.
NWllstWM im Reich
Man schreibt uns aus Berlin:
Der Reichskanzler und seine Mitarbeiter können von Glück sagen, daß die sommerliche Hitze der letzten Tage bei der ohnehin schon vorhandenen Ferienstimmung nach der Annahme des Billigungsvotums für das neue Reichskabinett bei der Erledigung der dringlichsten Aufgaben vor der Sommerpause zu einem entscheidenden Moment geworden war. Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze gab es wirklich genug zwischen den Parteien, die sich bereit gefunden haben, dem Kabinett der Persönlichkeiten eine Schonfrist zu bewilligen. Wäre es eben nicht gerade Sommer, so ständen wir zweifellos wieder am Vorabend einer Krise. Die parlamentarische Lage ist jedenfalls noch immer recht gespannt. Lediglich die Jahreszeit ist der Reichsregierung zur rettenden Helferin geworden.
Umsomehr Veranlassung hat man, mit einiger Sorge in die Zukunft zu blicken. Die bisherigen Leistungen der „Köpfe" sind nur gering anzuschlagen. Der einzig positive Erfolg zeigt sich in dem Beschluß über die Amnestie, wenn man einmal von der Außenpolitik absieht, die bei der Beurteilung der Aussichten des Kabinetts Müller-Franken in diesem Zusammenhänge wenigstens keine Rolle spielt. Alle anderen Arbeiten, die in Angriff genommen worden sind, bleiben Stückwerk. Am schlimmsten steht es dabei mit der Vorlage über den Nationalfeiertag. Hier hat die Regierung den stärksten Prestigeverlust zu verzeichnen. Das Kabinett kann wirklich froh sein, daß, wie rereits gesagt, alles einigermaßen glimpflich verlaufen ist.
Die Zeit des innerpolitischen Waffenstillstandes, der nun bis zum Wiederzusammentritt des Reichstages in den ersten Tagen des November folgt, wi:d, Gelegenheit bieten, die Scharten wieder auszuwetzen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Der starke Wille, der die Reichsregierung beseelt, genügt allein nicht. Wie vie Dinge nun einmal liegen, kann auch der energischste Kanzler nichts ausrichtrn ohne die Unterstützung maßgeblicher Fraktionen des Parlaments. Gerade in dieser Beziehung steht es aber am Schlüsse .der kurzen Sommersezession des Teichstages sehr trübe aus. Hatte schon die Art des Zustandekommens der gegenwärtigen Reichsregierung hier und dort lebhaften Unwillen erregt, war bereits in der Ausspmche zur Regierungserklärung überraschend klar zum Ausdruck gekommen, daß dis Fraktionen, die durch Vertrauersleute im Kabinett vertreten sind, diesem „kühl bis üms Herz hinan" gegenüberstehen, so kann nach Erledigung der ersten sachlichen Arbeiten kein Zweifel darüber bestehen, daß^-is Distanzierung
zwischen Regierung und sogenannten „Regierungsparteien''
noch weitergetrieben worden ist. Dabei erübrigt es sich fast, noch besonders darauf hinzuweisen, wie groß die Uneinigkeit zwischen den einzelnen Fraktionen von der Deutschen Volkspartei bis zur Sozialdemokratie ist. Ueberall hat sich ein gelinder Katzenjammer eingestellt, keiner ist dem andern hold, man ist furchtbar mißtrauisch und tröstet sich schließlich nur in dem einen Gedanken, daß die praktische Auswirkung des Wahlergebnisses vom 20. Mai ja nur einen provisorischen Charakter trage.
Immerhin ist es bis zum Herbst eine angemessene Zeitspanne, in der manches wieder gutgemacht werden kann. Dabei ist mehr oder minder alles darauf abgestellt, ob es gelingt, durch Einigkeit zwischen den Mitgliedern der Reichsregierung das Minus an Vertrauen zwischen den Fraktionen zu ersetzen. Es wird sich erst zeigen müssen, ob dieser oder jener Reichsminister sich stark genug fühlt, in seiner Fraktion ein ernstes Wort zu sprechen. Man wird es einfach der Vorsehung überlassen müssen, wie sich die Dinge nach dem Wiederzusammentritt des Reichstages im Spätjahre gestalten werden. Die Hoffnungen wird man aber schon deshalb' nicht allzu hoch schrauben dürfen, weil für den Herbst die Wiederaufrollung aller Fragen zu befürchten ist, die bei den Regierungsverhandlungen eine Rolle gespielt haben. Hier liegen die größten Schwierigkeiten für das Reichskabinett. Man denke nur einmal daran, daß neben den sachlichen Differenzen auch die preußische Frage im Herbst ihre Lösung erheischt, und man wird ohne weiteres zugeben müssen, daß die Ruhe der Parlamentsferisn nicht allein ausreichen rvirdj um die bisherige Frontstellung zu verändern und die Gegner versöhnlicher zu stimmen. Der Ton, der in einem Teil der Berliner Presse jetzt schon angeschlagen wird, läßt zudem auf eine weitere Zuspitzung schließen.
WeltMM ms WM
Kein gutes Ferienwetter
Politik in Ferien? Sie hat Anspruch auf Urlaub, insoweit sie ein Menschenwerk ist, ein Werk der Menschen, die selbst ausruhen möchten. Aber sie gönnt sich keine Ruhe, insoweit sie Produkt von Naturkräften ist, die unaufhörlich wirken, diejenigen Naturkräfte, die den Erdball in Bewegung halten und die nie zum Stillstand kommen.
Aber auch die Politik, die von Menschen gemacht wird, hat °1hre Gesetze und ihre Launen, mit denen die Außenminister aller Länder, so ruhebedllrstig sie auch sein mögen, rechnen müssen. Wirft man einen Blick auf die diplomatische Situation der Welt in diesen Julitagen, so stellt man fest, daß sie von zwei Momenten beherrscht ist: vom Kellogg-Pakt und von der kommenden Septembertagung des Völkerbundes. Die Debatte über den Kellogg-Pakt ist in die Ferien gefallen, und daran ist nichts zu ändern: die Amerikaner haben keine Zeit, zu warten, denn im Herbst wählen sie ihren neuen Präsidenten und die Unterzeichnung des Kel- logg-Paktes hat in der Wahlkampagne eine große Rolle zu spielen. Am besten hat es noch Stresemann: Deutschland hat die zweite Kellogg-Note bereits beantwortet und ist nun dis Sorge los. Schlimmer steht es mit Briand. Die französische Note ist zwar auch überreicht, aber sie bildet keinen Abschluß der französisch-amerikanischen Paktverhandlungen, sondern ihre Fortsetzung: es ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß Kellogg sich veranlaßt sehen wird, die neue Note Br> ands zu beantworten und dann wird der französische Außenminister seinen Landsitz Locherel verlassen und seine Lieb« lingsbeschästigung, das Angeln, mit dem weniger angenehmen Zeitvertreib in Paris vertauschen müssen. Auch Lham« berlain wird voraussichtlich den ganzen Monat Juli durcharbeiten müssen, um keine „Unvorsichtigkeit" in der Kriegs- ächtungspakt-Angelegenheit zu begehen. Nur die kleineren Mächte, die zu dem Kriegsächtungspakt entweder nichts Negatives oder überhaupt nichts zu sagen haben, sind, wenigstens in diesem Punkt der Weltpolitik, mit keinen überaus großen Problemen beschwert.
Viel komplizierter steht es mit der im September stattfindenden S. Jahrestagung des Völkerbundes. Diese Tagung, in der bekanntlich nicht nur Ratsmitglieder, sondern sämtliche dem Völkerbund angehörenden Länder teilnehmen, verspricht die ereignisreichste und folgenschwerste aller bisher stattgefundenen Völkerbundstagungen zu werden. Und sie wirft solche Schatten voraus, daß kein Staat der Erde davor verschont bleibt. Es werden auf dieser Tagung sämtliche Probleme aufgerollt, die in diesem Jahre ungelöst bleiben — das sind fast alle Probleme, mit denen sich der Völkerbund beschäftigt bat. — alle Probleme, die immer