MM?

««

MWP

Mnlagsö/^//

MM

M^WMW

MHW

MW

«R

MW

LLHS

W»UM

^» S

«W

MLU

MW

MWM

MM

MM-

MM

Sonntagsausgabe der Schwarzwälder TageszeitungAus den Tannen"

Nr. 2S

Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile 20 Pfg., die Reklamezeile 50 Pfg.

Altensteig, Sonntag» 13. Juli

Bezugspreis im Monat 40 Pfennig Die Einzelnummer . .10 Pfennig

1928

Sonntagsgedanken.

Vom Suche«

Noch rauscht der Blätterwald von dem edlen Wettstreit der Völker im Suchen nach den Unglücklichen um Nobile. Dank dem Fortschritt der Technik spielt sich die Arktis- tragödie des italienischen Generals vor den Ohren der gan­zen zivilisierten Welt ab und hält sie in Atem. Und was war das für eine Freude, als die Rettung wenigstens eines der Verlorengeglaubten gelang! Aber andererseits drückte die Nachricht tief nieder, dag die Rettungsaktion selbst wie­der wertvolle Opfer forderte. Grog und erhaben steht der Opfermut dieser wagefrohen Menschen vor uns, vor dem selbst Ibsen verstummen mutz, wenn er sagt:

" Mein Gott! sie woll'n ja alles geben,

nur nie das Leben, nie das Leben!"

Ob wir aber bei all diesem edlen Suchen auch uns wieder 'einmal erinnern lassen an jene weltumspannende Rettungs­aktion und den hehren Opfergang eines Mannes, den dieser nicht ging, um einzelne wenige, sondern eine ganze Mensch­heit zu erlösen aus lähmenden Ketten der Not und Trübsal, der Erdenschwere und Todesnot, und sie mutig ging durch .Schmach und Kreuz im Blick aufs Ziel. Noch hat es damals steine Zeitung, noch elektrische Wellen gegeben, aber ein 'Buch berichtet uns von dem Zeugnis der Männer, deren ?Herz durch jene auch vor der letzten Hingabe nicht Halt Machenden Opfertat überwunden wurde, ein Buch, das Heute noch in Millionen von Händen ist und das dafür sorgen möchte, datz jene Rettungstat nie mehr vergessen werde, die ein gütiger Vater zum Heil seiner Menschenkin­der unternommen hat und trotz allen Hindernissen weiter durchführen wird bis zum endgültigen Sieg. F. H.

*

Wir Menschen beklagen uns oft, datz der guten Tage so wenig sind und der schlimmen so viel, und, wie mir dünkt, meist mit Unrecht. Wenn wir immer ein offenes Herz hätten, das Gute zu genießen, das uns Gott für jeden Tag bereitet, wir würden alsdann auch Kraft genug haben, das Uebel zu ertragen.

Goethe.

Stau Agnes und ihre Kinder

Der Roman einer Mutter. Von Fritz Hermann Gläser Copyright by Martin Feuchtwanger, Halle (Saale)

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Die Aerzte haben bestimmte Hoffnung, Gehör und Sprache dem Aermsten wiedergeben zu können. Denn hier liegt keine Verletzung, sondern nur eine Lähmung der Nerven vor. Eine Besserung seines Allgemeinbefindens sei jedoch die größte Vorbedingung. Und die Wieder­herstellung seines seelischen Gleichgewichts. Denn dieses ist derart gestört, daß mit noch ernsteren Komplikationen gerechnet werden muß. Die schweren Nervenanfälle, die den Kranken unablässig umklammert halten, könnten ein noch düstereres Schicksal heraufbeschwören und das geistige Lebendigbegrabensein zu unabänderlicher Tatsache werden Wen. Ruhe und immer wieder Ruhe ist die Medizin, die den Gesundungsprozeß allmählich fördern soll. Und das Sichdareinfinden des Kranken in sein schweres Schicksal; denn das Licht seiner toten Augen wird ihm keiner Aerzte Kunst wieder verschaffen können.

Nun immerhin: es besteht ein Hoffnungsstrahl! Ein armseliges Stücklein Hoffnung, an das sich einer Mutter ganzes Wünschen klammert. In Frau Agnes' Augen glänzt ein zages Leuchten auf. Ach, daß sie ihren Jungen ttst wieder hätte! Wie wird sie ihn doch pflegen und hegen, ihn leiten und aufrichten! Wird mit Argusaugen ihn bewachen und die schlimmen Träume scheuchen, die ihn ganz in ihre Macht bekommen möchten. Sie hat den heißen, unbeugsamen Mutterwillen, ihrem Jungen Ge­sundheit und ein stilles Zufriedensein zurückerringen zu helfen. Dieser Wille ist so groß, daß er all ihr Denken und Handeln erfüllt und für sie allein, ganz allein noch bebenszweck und Lebensinhalt birgt. Denn das fühlt Frau Agnes bis in ihre Seele hinein: kann sie das Schick­

sal dieses Kindes nicht wenigstens zu einem Teil erleich­tern helfen, so muß sie selbst mit ihm zugrunde gehen.

Wenn sie ihn doch erst ganz in ihrer Gewalt, aus den Händen der Aerzte und aus diesem Hause hätte! Daheim, in ihrem stillen Häuschen! Und Frau Agnes bringt es wirklich fertig, die Erlaubnis zur Ueberführung ihres Sohnes nach der Heimat zu erhalten. Die Aerzte können ihm nun doch nicht weiter helfen. Schon häufiger, wenn ihre Hilfe versagte, ist es einer Mutter gelungen, den ihr Teuren für sich und für das Leben zu retten.

Unablässig ist Frau Agnes bei dem Sohne. Immer hält sie seine Hände in den ihren. Dann liegt er ruhig in den Kissen. Zuweilen, wenn er seines Lebens Nacht durch­wacht, fühlt sie den Schlag seines rasenden Herzens bis in ihre Fingerspitzen.

Mitunter bricht ein Schluchzen, das nichts Menschliches hat, durch des Raumes Stille; jäh fällt der Kranke in sich zusammen. Sein Kopf wühlt in den Kissen, die Fäuste bohren sich in seine leeren Augenhöhlen. Dann wieder liegt er ausgestreckt, wie tot, mit starrem Entsetzen in dem jun­gen Gesicht. Hadert mit der ganzen Welt und geht aus Pfaden, die durch alle Foltern der Hölle führen.

Da stößt er selbst der Mutter Hände von sich. Ein Krampf befällt ihn, daß er das Atmen verhält und dem Schlage seines Herzens wehren möchte. Tot will er sein! Ein Toter unter Toten! Nicht mehr lebendig begraben durch die Grausamkeit eines wahnwitzigen Schicksals!

Das sind unendlich schwere Stunden. Frau Agnes weiß dann nicht, woher sie neue Kräfte nehmen soll, sich diesem entfesselten Wahn entgegenzustellen. Muß unendlich viel Liebe und alle Klugheit aufbringen, durch die spärliche Ver­mittlung ihrer Hände dem Sohne Trost und Frieden zu bringen.

Einmal trägt sie Blumen an sein Lager. Duftbetörende Jasminblüten. Mit dem Ausdruck Heller Freude schließt er sie in seine Arme. Das ist der Duft der Heimat, seiner Kindheit und seines jungen Glücks. Das ist der Duft jenes sonnigen Winkels, der das Häuschen der Mutter trägt. Und stürmisch dringt er auf Frau Agnes ein. Mit heißem Aufflammen und dem armseligen Gestammel seiner zerrissenen Seele. Heim!, heim! Bringe mich nach Hause!, bettelt die Sprache seiner Hände. Dort will ich leben, wenn dieses Hinträumen und Hinsiechen überhaupt noch Leben ist. Heimweh und Sehnsucht schütteln ihn seit dieser Stunde.

Am nächsten Tage fahren sie nach Hause. Still, mit einem leisen Lächeln, schmiegt er sich an die Mutter an; spürt das Stampfen der Räder, die ihn der Heimat zu­tragen, und ist zufrieden. Und träumt, wie er so manches Mal schon über diese Schienen eilte. Damals, als er, an der Seite seines Bruders, in den Krieg hinauszog. Wo mag der Bruder sein? Ein anderes Mal, da er der Hei­mat zueilte, auf kurze, glückliche Urlaubstage. Zu seinen Schwestern und der Mutter. Was mögen die Schwestern wohl machen? Und seine Freunde und Verwandten? Sein Großvater, der Schimmelbaron, den er als Junge stets Vater nannte? Die kleine Großmutter, die Heider-Liesel, die voller Duldsamkeit und Güte war?

Ach, daß er alle noch einmal sprechen, noch einmal sehen, noch einmal hören könnte! Ein einziges, ein allerletztes Mal nur noch!

Inzwischen ist es Nacht geworden. Frau Agnes hat die Ankunft ihres Sohnes gegen jedermann verschwiegen. Nur der Engler weiß Bescheid, und läßt es sich nicht nehmen, seinen Enkel vom Bahnhof abzuholen. Mit seinen Schim­meln hält er vor dem Ausgang.. Und der Alte ist er­schüttert, als er des Burschen Elend steht. So schlimm hat er es sich nicht vorgestellt. Wortlos hält er lange seine Hand umschlossen; das ist der einzige Willkommensgruß, den er ihm bieten kann. Und ist zufrieden, als der Kranke seinen Händedruck erkennt, des Alten Hände leise an die blasse Wange drückt.

Der Engler lenkt so vorsichtig die schmucken Tiere, daß des Wagens Räder jeden Stein und jeden Anschlag mei­den. Und denkt zurück an jene Zeit, da das Bürschlein neben ihm gesessen, selbst die Zügel führend, auf weiten Fahrten tief in das Land hinein. Und jetzt...!

Die Heimat hat ein Fest gerichtet. Der Frühling grüßt auf allen Wegen; sein Wort macht fröhlich und sein Lied

sind süße Düfte. Sternenklar und hochgewölbt spannt sich des Himmelsdomes Kuppel; ein Meer von Sternen sprüht am Firmament. Am Wege von der Stadt läßt er Kasta­nienbäume ehrenvoll Spalier bilden. Lodernde Blüten­kerzen tragen sie an jedem Ast; bis an Frau Agnes' Häus­chen stehen sie heran. Und selbst der Kranke atmet der Heimat Balsam, spürt den süßen Zauber bis tief in seines Schicksals Nacht.

Zu Hause warten sehnsüchtig die Schwestern. Bei jedem Näderrollen und Hundekläffen eilen sie vor das Häuschen. Endlich lenkt der Engler auf den Hof. Weit öffnet sich die Tür und alle drängen zu dem Ankommenden hin. Doch ihr Willkommensgruß verwandelt sich in stummes Klagen, ihr Jauchzen wird scheues Beiseitestehen. Sa haben sie den Bruder nicht erwartet, so still und tot. Sie wagen kaum, des Kranken Hand zu schütteln. Der Dackel aber springt froh und kläffend und mit drolligen Sprün­gen um sie alle herum, drückt zutraulich die warme Hunden schnauze an des Heimkehrenden kalte Hände. Da fühlt er, datz er endlich ganz zu Hause ist und reckt die Arme nach den Schwestern aus. Als er der Jüngsten Lockenköpfchen,, der anderen Kinderhand umklammert hält, gleitet ein leises, frohes Lächeln um die leiddurchtränkten Züge.

Daheim! Endlich daheim!

Die Schwestern haben ihm das Giebelstübchen ein-, gerichtet. Hier lugt die Morgensonne früh herein; der Duft! der Jasmin- und der Rosenbüsche quillt voll durch die! Fenster; der Vögel Sang tönt hier in jubelnden Akkorden,! und tiefe Stille breitet einen dichten Teppich aus. Des! Dorfes Werktagslärm klingt nur gedämpft herauf; deHs Kirchleins Glocken grüßen sanft herüber.

Das ist der rechte Ort für den todwunden Bruder. Frau Agnes wird und muß es hier gelingen, ihr Kind einem Phantom aus den beutegierigen Fängen zu reißen^ Blütendüfte werden ihn umkosen und der Heimat Wun- derbalsam wird ihm Linderung und Heilung bringen. Es muß, es muß gelingen, und sollte selbst ein Mutierhertz dabei zugrunde gehen...

Und als der Sohn dann endlich eingeschlummert ist, dtÄ Schwestern über ihres Bruders Leid noch leise in diei Kissen schluchzen, sitzen der alte Engler und Frau Agnes noch zusammen. Jetzt kann sie endlich über ihren Kum­mer, ihre Sorgen sprechen und darf ihren heißen Schmerz! ungestört von ihrer Seele weinen.

Sechsund dreißigsies Kapitel.

Es kommen Verwandte und auch Leute aus dem Dorfe. Einige aus Mitleid und andere aus Neugier. Sie möch­ten dem Heimgekehrten die Hände drücken. Sie wissen, daß! er schwer verwundet, und wissen wiederum doch nicht,, wie krank und wund er ist.

Frau Agnes weist sie alle ab. Dem kranken Sohne können die fremden Menschen keinen Frieden bringen.

Es kommt auch Hanna Winkler, des Dorfschulmeisters Töchterlein. Schlank und biegsam wie ein Reh, frisch und froh mit ihren achtzehn Lenzen. Sie trifft Frau Agnes vor der Tür und schwenkt von weitem schon die Blüten, die sie in beiden Armen birgt. Sie hat des Vaters Garten leer geplündert, um ihrem Schul- und Spielkameraden, der so wund, so todwund in der Heimat eingetroffen, die aller­schönsten Zweige zu bringen.

Die alle will ich Werner bringen!" ruft sie der Mutter schon von weitem zu.

Frau Agnes bleibt beklommen stehen und greift er­schrocken nach dem Herzen. Hanna Winkler hat das Wohl bemerkt. Ihre Fröhlichkeit ist schnell verstummt, die strah­lenden Augen blicken ernst und fragend:

Ist es denn gar so schlimm mit Werner? Wo ist er? Ich möchte zu ihm gehen!"

Frau Agnes hält sie leicht zurück. Nicht so so un­verhofft; dem jungen Blute müßte das Herz brechen.

Er wird deine Blumen nicht mehr sehen, Hanna! Werner ist blind!"

Helle Tränen brechen aus des erschrockenen Kindes Augen.

Das kann nicht sein, kann nicht wahr sein, Mutter- Hübner! Werners liebe, gute Augen...! Nein! Nein! Sagen Sie, daß es nicht wahr sein kann...!"

Und als Frau Agnes wortlos in die Ferne blickt, leise und bettelnd: